
Rallye: Kommentar | 11.05.2015
„Verheizte Jungs“
An Talenten mangelt es nicht im heimischen Rallyesport – doch warum „verbrennen“ sie, noch bevor es zum internationalen „Takeoff“ kommt?
Kommentar von Michael Noir Trawniczek
Fotos: Harald Illmer, Photo4, noir
„jeder woass, dass a
geld nit auf da wiesen wachst
und essen kann ma's a nit
aber brenna tat's guat“
Hubert von Goisern/Brenna tuats guat
Dass „a Geld nit auf da Wiesen wachst“, wird Ihnen Österreichs Rallyeszene – und nicht nur die – umgehend bestätigen können. In den letzten Jahren gab es in diesem Land einige Jungtalente, doch keiner von ihnen hat den Sprung vom ewigen Einzahler zum Profipiloten oder zumindest zu einer anerkannten Größe am internationalen Rallyehimmel geschafft. Sie alle sind schon lange vor dem möglichen Durchbruch „verbrannt“ (worden) oder drohen zu „verbrennen“…
Während Ilka Minor Österreichs einzige etablierte und auch bezahlte Größe am Copiloten-Markt der WRC ist, sieht die Lage bei den heimischen Lenkradakrobaten geradezu verheerend aus: Der Letzte, der auf der großen WRC-Bühne einen bleibenden Eindruck hinterlassen konnte, ist Manfred Stohl. Nicht nur, dass er, wie auch ein Raimund Baumschlager, mit einem eigenen Team das Hobby Rallyesport zu seinem Geschäft machen konnte – „Stohlito“ zeigt gerade jetzt, bei seinem „Quereinstieg“ in die Rallycross-Weltmeisterschaft, dass er immer noch ein Pilot von Spitzenformat ist…
Katastrophale Fehlentscheidung
Der Letzte, der den ganz großen Sprung auf die WRC-Bühne hätte schaffen können, war Andi Aigner, schließlich konnte er 2006 bereits in der WRC erste Erfolge feiern. Österreichs Energiegetränkehersteller hat im Umgang mit dem Ausnahmetalent einen fatalen Fehler begangen: Zunächst hatte man aus 400 Kandidaten einen Piloten herausfiltern wollen, der „Weltmeister werden kann“ – ein Unterfangen, das auch heute noch viele Experten mit der vielzitierten „Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen“ vergleichen. Als es dann jedoch tatsächlich funktionierte und sich Aigner zum PWRC-Weltmeister küren konnte, ließ man den damals 22-Jährigen wie eine heiße Kartoffel fallen. Gerade aus heutiger Sicht wirken die damals vorgebrachten Gründe fadenscheinig: Er habe keine Sponsoren gesucht, sei zu wenig ernsthaft und professionell gewesen, hieß es damals. Heute wissen wir: Aigner konnte sich hernach noch einmal – mit der Hilfe von Stohl – aufbäumen und Production Cup-Europameister werden.Die Entscheidung des Energy Drink-Herstellers jedoch war nicht nur eine klassische Fehlentscheidung, sondern auch eine schwere Selbstbeschädigung – schließlich hätte man Aigner damals in ein blaues World Rally Car setzen und der gesamten Welt zeigen können: „Wir haben einen Weltmeister gesucht – und wir haben ihn gefunden!“ Anstatt die eigene Driver Search abzufeiern hat man das entdeckte Talent auf brutale Art und Weise demontiert – was eigentlich nur damit erklärt werden kann, dass der Rallyesport bei dem Dosengetränkehersteller seit jeher ein Stiefkind war, was auch der Blick auf die aktuelle Weltmeisterschaft bestätigt, deren Promotion man zunächst übernommen, dann jedoch an einen unvorteilhaften Dritten delegiert hat…
Wer weiß, wo Aigner ohne diese kapitale Fehlentscheidung heute fahren würde? Vielleicht würde er sogar in einem nun wieder blauen Auto um den Weltmeistertitel kämpfen? Wir werden es nie erfahren – doch die beispiellose Selbstbeschädigung, das Aufgeben des selbst entdeckten Talents hatte auch eine Signalwirkung, sie scheint sich irgendwie katastrophal auf Österreichs Rallyeszene ausgewirkt zu haben. Wenn man die Karrieren unserer Jungtalente der letzten Jahre näher betrachtet, scheint sich dieses „Fallenlassen“ geradezu symptomatisch auf die Szene übertragen zu haben – und zwar in beide Richtungen…
Anleitung zur Selbstzerstörung
Und das geht so: Zunächst wird im kleinen Rahmen das eigene fahrerische Talent entdeckt – bald schon wird nach Höherem gestrebt, die bisherigen Partner werden ersetzt durch vermeintlich bessere, größere. Doch auch dort hält man es mitunter nicht lange aus – weil man entweder zu wenig Vertrauen zu dem jeweiligen Team hat oder weil einem dann langsam das Geld ausgeht und man ab einem gewissen Zeitpunkt wegen vermeintlicher Einsparungen („Bei Team Y ist eine Rallye um XXXX Euro billiger!“) heftig zu wechseln beginnt.Das Zauberwort zu einer möglichst wirksamen Selbstzerstörung heißt also „Team-Hopping“ oder auch „Manager-Hopping“. In einem beispiellosen Akt der Verzweiflung wird alles ausgetauscht, was auch nur irgendwie ein vermeintliches Einbremsen der Karriere befürchten lässt. Nahezu täglich gesellen sich neue Einflüsterer hinzu, sodass es bald schon zu einer auch menschlich-tragischen Herausforderung wird, den eben erst bewunderten Einflüsterer von gestern durch den verheißungsvollen Einflüsterer von morgen zu ersetzen. Ist das Geld knapp, werden mitunter auch offene Rechnungen mehr oder weniger vorübergehend „auf Eis“ gelegt, um die Karriere nicht zu behindern, schließlich spürt man bereits den heißen Atem eines drohenden Misserfolgs im Nacken. Die Folge ist eine beispiellose „Blutspur“, die sich durch das gesamte Fahrerlager zieht. Die Jungtalente werden also „verheizt“, lassen sich, auch von Freunden oder Familienmitgliedern „verheizen“ oder „verheizen“ sich mitunter gleich selbst…
Dass diese „Methode“ des ständigen Auswechselns aller Zutaten garantiert nicht zum Erfolg führt, hat die Geschichte schon mehrfach unter Beweis gestellt. Und das nicht nur im Rallyesport. In der GP2, dem „Vorhof der Formel 1“, tritt Rene Binder in seiner dritten Saison im dritten Team an und fährt weiterhin dem Erfolg hinterher. Als wir einst Willi Weber, den früheren Manager von Michael Schumacher gefragt haben, warum seiner Meinung nach Andreas Zuber, der es immerhin zu Siegen in der GP2 und einem Formel 1-Test gebracht hat, es dann doch nicht in die Königsklasse des Formelsports geschafft hat, antwortete Weber knochentrocken: „Zuber hat einfach zu oft das Team gewechselt. Du musst dir einen beständigen Partner suchen und mit ihm gemeinsam groß werden.“
Keine Förderkultur
Genau das wird in Österreich, so scheint es, so gut wie nie praktiziert. Ein Patrick Winter, der auch heute noch von vielen Experten als echtes Talent betrachtet wird, hat einen derartigen Zickzackkurs an den Tag gelegt, dass einem allein schon vom Zuschauen schlecht wurde. Am Schluss waren mitunter gleich drei „Manager von Patrick Winter“ an seinem Serviceplatz aufzufinden – spätestens da wusste man: Das kann nicht gut gehen. Mit Besorgnis muss man auch die jüngsten „Schachzüge“ rund um Chris Brugger betrachten: Warum man BRR und dann auch Stohl Racing verlassen hat, bleibt – trotz vieler Gerüchte – ein Mysterium. Zumal der eingangs erwähnte Energiegetränkehersteller bereits begonnen hat, die Karriere des überaus talentierten 19-Jährigen zumindest mit zu finanzieren.Freilich: Wenn das Geld ausgeht, kommt die Verzweiflung. Nur: Es wird nicht besser oder günstiger, wenn man mit „Team-Hopping“ beginnt. Am Ende kostet es überall gleich viel – nämlich viel zu viel. Und hier wiederum kommt der zweite Effekt zum Tragen, den wohl auch der Energy Drink-Hersteller mit der damaligen öffentlichen Demontage des eigenen Schützlings zumindest mit ausgelöst haben könnte: Es gibt keine langfristige Sponsoren- oder gar Förderkultur in diesem Land, zumindest nicht im Rallyesport. In Finnland beispielsweise ist es selbstverständlich, dass Unterstützer ihre Schützlinge langfristig unter Vertrag nehmen – um später im Falle des Erfolges dann auch finanziell oder werbetechnisch mitnaschen zu können. Diese Herangehensweise, nämlich Sportförderung nicht als einen Akt der Barmherzigkeit, sondern als Chance für ein gutes Geschäft zu sehen, scheint in Österreich völlig ausgestorben zu sein.
Was sicher auch daran liegt, dass sich die heimische Bundessportorganisation BSO laut Aussage von OSK-Präsident Dr. Harald Hertz immer noch weigert, die OSK und damit den Motorsport als ordentliches Mitglied aufzunehmen. Somit bleiben die Mittel aus der Sportförderung anderen Sportarten vorbehalten, die Szene ist auf sich gestellt. Doch ganz ohne Sportförderung können nur wenige Projekte zu hundert Prozent aus eigener Tasche gestemmt werden, wobei manche gut gemeint aber wenig wirkungsvoll sind.
Vertrauen & Beständigkeit
So löblich Aktionen wie der „Ford Racing Rookie“ auch sein mögen – sie locken lediglich junge Talente in den Sport, um sie nach einem Jahr völlig selbstverständlich wieder fallenzulassen. Weil dieses oben beschriebene symptomatische Fallenlassen hier sogar zum Konzept gehört: Wir unterstützen dich ein Jahr lang und dann musst du selbst schauen, wie du weiterkommst. Dass in zehn Jahren Racing Rookie so gut wie keiner von den jährlich Entdeckten im Rallyesport Fuß fassen konnte, ohne sich dabei finanziell völlig zu übernehmen, erzeugt einen Anflug von Sinnlosigkeit. Schön wäre es, wenn Firmen oder auch private Gönner auf Langfristigkeit setzen würden. Mit dem Budget aus zehn Jahren Racing Rookie hätte man vielleicht einen Youngster nach oben bringen können…Um einen langfristigen Partner zu finden, sollten die Jungtalente von der in diesem Land immer noch vorherrschenden Ansicht abweichen, dass nur gute Ergebnisse die Sponsoren befriedigen würden. Diese Ansicht ist hoffnungslos veraltet - um ein gutes Ergebnis kann sich in punkto Promotion und Werbewert kaum einer etwas kaufen. Ein erster Platz ist so gut wie nichts wert, wenn man dazu keine gute Geschichte liefert. Vielmehr geht es um eine interessante Präsentation, einen spannend dargestellten „Ritt auf der Rasierklinge“ beispielsweise. Die Richtung geben ein Ken Block (hat so gut wie keinen sportlichen Erfolg) oder die neue Rallycross-WM vor, die mit ihrer Gewichtung auf den Unterhaltungswert des – hochwertigen - Sports zurzeit das jüngste Publikum im Motorsportsektor anspricht. Sport ist Entertainment und dafür muss man sich zusätzlich zur guten Performance auch etwas einfallen lassen. Grundlegend für all das ist jedoch Beständigkeit und gegenseitiges Vertrauen - denn nur dann sind die Voraussetzungen dafür gegeben, langfristig einen gemeinsamen Weg zu gehen.