
Rallye: Analyse | 03.11.2015
Wird die ORM 2016 so spannend wie schon lange nicht?
Sorgt der ungleiche Kampf WRC gegen R5 für Höchstspannung? Dazu ein verbaler Schlagabtausch Baumschlager/Grössing – und: Was ist R5+?
Michael Noir Trawniczek
Fotos: Harald Illmer, Drift Company Rallye Team
Schumacher, Loeb, Ogier – sie alle mussten schmerzhaft erfahren, dass auch die schönste „One Man Show“ zur Folge hat, dass sich das anfangs begeistert applaudierende Publikum immer mehr abwendet. Der „breiten Masse“ ist es völlig egal, ob ein Seriensieger für seine Vormachtstellung besonders hart arbeiten musste oder ob er sich diese einfach nur erkauft hat – was zählt, ist der spannende Kampf um den Sieg. Geht die Spannung verloren, suchen die Regelmacher oft nach Möglichkeiten, den Dominator einzubremsen, so muss WM-Pilot Ogier heuer auch auf der zweiten Etappe die Schotterprüfungen eröffnen.
Die Oberste Nationale Sportkommission (OSK) hat für 2016 das Regelwerk der ORM offener gestaltet, um möglichst viele Teams auf die Prüfungen (zurück) zu holen - diesem Trend folgend hat man auch dem Wunsch der „Baumschlager-Jäger“ Gerwald Grössing und Hermann Neubauer entsprochen und aktuelle World Rally Cars zugelassen.
Grössing und Neubauer konnten auf dem R5-Sektor keine Chance mehr gegen Raimund Baumschlager und Skoda ausmachen und argumentieren, dass es selbst mit einem Kunden-WRC nicht selbstverständlich sei, den Durchmarsch des Rekordstaatsmeisters zu beenden, schließlich habe er als Testpilot den Skoda Fabia R5 mit entwickelt…
Dass er de facto Werksmaterial von Skoda beziehen würde, wie oft behauptet wird, bestreitet Baumschlager mit aller Vehemenz - der Rosenauer zeigt sich jedoch bereit, die Herausforderung dieses technisch ungleichen Wettkampfs anzunehmen, braucht aber noch die Zusage seiner Partner, allen voran Skoda Österreich.
Fans und Medien erhoffen sich einen spannenden Dreikampf um SP-Bestzeiten und Siege - aber auch sonst könnte das Spitzenfeld der ORM den einen oder anderen interessanten Zuwachs erhalten. 2wd-Serienstaatsmeister Michael Böhm, schon heuer Vizestaatsmeister der ORM, zündet am kommenden Wochenende erstmals den Ford Fiesta S2000, das Team von Beppo Harrach setzt ebendort zwei Fiesta R5 für den dreifachen Champion der Historischen Rallye-Europameisterschaft, Karl Wagner und Rundstrecken-Ass Niki Mayr-Melnhof ein. Durchaus möglich, dass diese Einsätze auch als Bestandsaufnahme für einen möglichen ORM-Einstieg 2016 dienen. Walter Mayer hat sich einen Peugeot R5 zugelegt und auch Piloten wie Christian Schuberth-Mrlik spielen mit dem Gedanken, aufzurüsten. Auch ein Mario Saibel oder auch ein Andreas Aigner haben den Helm noch lange nicht an den Nagel gehängt…
Zudem ist es immer möglich, dass der eine oder andere Pilot aus dem Ausland nach Österreich kommt, um hier ein aktuelles oder auch ein Zweiliter-WRC einzusetzen. Wie auch immer: Bei der Spitzen-Konstellation Baumschlager/R5, Grössing/WRC und Neubauer/WRC kann derzeit niemand wirklich voraussagen, wer die Nase vorne haben wird. Die Protagonisten selbst scheinen eine Ahnung zu haben, doch je nach Position wurden völlig unterschiedliche Einschätzungen geäußert…
Medialer Schlagabtausch
Vor wenigen Tagen gab es auf der Website der deutschen Zeitschrift Rallye Magazin einen öffentlichen Schlagabtausch zwischen Baumschlager und Grössing. Baumschlager zeigte sich in einem Interview ungewohnt angriffslustig. Er wunderte sich darüber, dass sich seine Konkurrenten im Vorjahr noch aus Kostengründen vehement für den Einsatz von Seriensprit und eine Limitierung der Reifen ausgesprochen haben. Jetzt, nachdem sich Grössing und Neubauer für die WRC-Zulassung ausgesprochen haben, dürfte man wohl „irgendwie einen Geldhahn gefunden“ haben, meinte Baumschlager süffisant. Den Unterschied zwischen WRC und R5-Autos schätzte der Rosenauer mit Verweis auf die WM-Bühne auf zwei Sekunden pro Kilometer ein. Giftiger Zusatz: „Ich lag in Österreich meist so um die fünf oder sechs Zehntel pro Kilometer vorn, da hätten die anderen noch anderthalb Sekunden, um in den Kurven zu schlafen.“
Wenig verwunderlich, dass Baumschlager mit diesen Aussagen den Zorn des Gerwald Grössing erweckt hat, der umgehend mit einer Retourkutsche reagierte. Vor allem der erwähnte Zusatz mit der Formulierung „in den Kurven schlafen“ brachte Grössing auf die Palme: „Damit beweist Raimund Baumschlager erstmals offen und ehrlich, was er von seinen Mitbewerbern in der ORM hält: Dass wir nämlich schlicht und ergreifend ‚Wappler‘ sind. Wir waren für den Raimund allesamt liebe und nette Sportskollegen, als wir noch als reine Hobby-Piloten eine brave Performance abgeliefert haben, mit bescheidenen Budgets und dadurch immer leicht unterlegenem Material angetreten sind, alles umrahmt von guter Pressearbeit, wo er dann aber am Ende des Tages immer der Sieger war. Das hat ihm gefallen, das hat ihm gepasst. Jetzt, wo er möglicherweise – die Betonung liegt auf möglicherweise – durch das eine oder andere WRC auch sportlich unter Druck kommt, zeigt der vorgebliche ewige Saubermann sein wahres Gesicht.“
Grössing verwehrte sich auch gegen die zwei Sekunden, die Baumschlager mit Verweis auf die WM zwischen WRC und R5 pro Kilometer sieht: „Da reden wir von einem Werksauto, das von einem Latvala oder Ogier bewegt wird. So ein Fahrzeug ist für eine nationale Meisterschaft gar nicht erhältlich, geschweige denn käuflich. Ein Kunden-Spec-WRC ist am Kilometer um fünf bis sieben Zehntel schneller als ein Kunden-Spec-R5.“ Grössing hat vor seinem Auftritt bei der Racingshow einen Vergleichstest mit WRC und R5-Fiesta absolviert und berief sich in besagtem Interview auf diese Vergleichswerte…
R5+ in Österreich nicht vorgesehen
Geht es nach Beppo Harrach, so könnte der Unterschied zwischen WRC und R5 sogar noch geringer sein. Gegenüber motorline.cc brachte der bislang letzte heimische Rallyepilot, der sich (2011) gegen Baumschlager durchsetzen konnte, im Anschluss an die Racingshow einen neuen, von vielen bislang nicht bedachten Aspekt ins Spiel: „In England gibt es neben der Staatsmeisterschaft auch die BTRDA-Meisterschaft, in der WRC gegen R5-Autos antreten. Dort erhalten die R5-Autos ein sogenanntes R5plus-Paket – dieses beinhaltet einen kleineren Restriktor, denn im direkten Duell zwischen WRC und R5 wird nach FIA-Reglement der PS-schwächere R5 zusätzlich mit weniger Luftmenge bestraft.“Ein R5+-Restriktor sei schon um 2.500 Euro zu haben, fügte Harrach hinzu – doch Experten zufolge sollen für die Umrüstung weitere kostspielige Maßnahmen, darunter auch ein neues Motormapping, von Nöten sein. Auf der Website von M-Sport heißt es: „Das R5+-Paket beinhaltet einen modifizierten Turbo, ein neues Lufteinlasssystem und einen 34mm-Restriktor.“ All das würde einen Gewinn von rund 30 PS ergeben. Die aktuellen World Rally Cars werden auf 350 bis 380 PS geschätzt, ein R5 hat nach FIA-Homologation 290 PS und würde mit R5+ also schon deutlich näher an die WRC herankommen.
Allerdings hat die Oberste Nationale Sportkommission derzeit keine Pläne, das R5+-Paket in Österreich zuzulassen. Willi Singer, der Vorsitzende der OSK-Rallyekommission erklärte diesbezüglich gegenüber motorline.cc: „Mit R5+ würden wir die Kosten noch weiter nach oben schrauben, zudem könnte man mit einem solchen Paket nur in Österreich mit einer nationalen Homologation fahren. Wir bleiben daher bei der Zulassung von R5- und WRC-Autos nach FIA-Homologation.“
Raimund Baumschlager meinte gegenüber motorline.cc, dass er nicht vorhabe, sich für die Zulassung von R5+ einzusetzen, das würde zum einen nur die eigenen Kosten weiter in die Höhe treiben und zum anderen wiederum die S2000-Fahrzeuge benachteiligen. „Irgendwo muss einfach Schluss sein, wir haben jetzt ein Reglement und mit dem sollten wir arbeiten“, sagte Baumschlager. Bedenken sollte man auch, dass die R5-Klasse seriennah gebaut und auf den Betrieb nach FIA-Homologation ausgelegt wurde…
Besondere Challenge
Baumschlager hat noch keine konkreten Pläne für 2016, wie er im Rahmen der Racingshow in einem Telefoninterview verriet. In den nächsten Tagen sei ein Meeting geplant, bei dem die Projekte für das kommende Jahr besprochen werden. Einen Wechsel auf WRC hat Baumschlager bislang de facto ausgeschlossen – somit bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass sich der Rekordchampion der ORM auf den ungleichen, für Medien und Fans jedoch spannungsverheißenden Wettkampf einlassen wird.Mit dem von Grössing gemessen Zeitunterschied zwischen WRC und R5 könnte es tatsächlich einen spannenden Kampf um den Sieg geben – und selbst wenn sich die Baumschlager-Einschätzung bewahrheiten sollte, müssen Grössing und Neubauer erst einmal fehlerfrei ins Ziel kommen und auch die weitaus komplexer gestaltete Abstimmungsarbeit eines WRC muss erst einmal von der ersten Prüfung an ohne Irrläufe bewerkstelligt werden.
Franz Wittmann senior erklärte gegenüber motorline.cc: „Die fünf bis sieben Zehntel, die Grössing gemessen hat, wird Raimund locker mit seiner Routine wettmachen, zudem ist er mit dem Skoda Fabia R5 und seinem erfahrenen Team extrem gut aufgestellt. Ich glaube, dass Raimund weiter gewinnen wird.“
Die Prognosen der Rallyeszene sind jedenfalls weitreichend – vom Ende der Baumschlager-Ära bis hin zum weiteren Staatsmeistertitel. In Wahrheit wird es wohl niemand wagen, im Vorfeld des ORM-Saisonauftakts im Rebenland einen wirklich hohen Geldbetrag auf einen der Protagonisten zu setzen, weil einfach alles möglich ist – genau das hat der ORM in den letzten Jahren gefehlt...
Im Grunde gibt es kein größeres Kompliment, das man Raimund Baumschlager hätte machen können: „Auf R5-Ebene ist er unschlagbar, bitte erlaubt uns World Rally Cars!“ Lässig-süffisant kann der Rekordstaatsmeister die Herausforderung annehmen – der als Sponsor fungierende Energy Drink-Hersteller könnte nach Jahren des nahezu vorprogrammierten Titelgewinns und nach der Erringung der meisten Staatsmeistertitel in Österreich die Saison 2016 als ganz besondere Challenge verkaufen.
Wird Baumschlager beim großen Angriff der World Rally Cars in den Schatten gestellt, kann man auf die technische Überlegenheit der WRC-Autos verweisen – setzt er sich im R5 jedoch gegen World Rally Cars durch, werden er und auch der Skoda Fabia R5 die gefeierten Helden sein. Baumschlager kann somit eigentlich nur gewinnen – und mit ihm die gesamte Meisterschaft.