Kolumne: Sinn und Unsinn der Rallye-Dakar | 13.01.2005
Sinnfrage
Die jüngsten zwei Todesfälle bei der Dakar-Rally werfen zwangsweise die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Events auf, wir beleuchten die Hintergründe.
Johannes Gauglica
Hat die "Dakar" eine Zukunft? Die Manier, in der diese Frage jetzt aufgeworfen wird, erinnert an die Formel 1 des Jahres 1994. Auch damals hätte der Tod eines Nachzüglers allein kaum den Ruf nach Änderungen inklusive auflagenheischender Schlagzeilen "Stoppt den Wahnsinn" ausgelöst.
Jose Manuel Perez starb weit weg vom Rallye-Tross, den Journalisten und den Kamerahubschraubern, die uns Fabrizio Meonis leblosen Körper in die Wohnzimmer lieferten. Sein Name wäre eine Fußnote in der Geschichte der Dakar geblieben. Meoni musste sterben, um einerseits (was nicht gut ist) die Sensationsjournaille auf den Plan zu rufen und andererseits (was nicht schlecht ist) bei den Aktiven Überlegungen zur Sicherheit auszulösen.
Aus Thierry Sabines Abenteuer von 1979 ist längst ein Rennen geworden. Ein Rennen allerdings, das sich immer noch unter abenteuerlichen Bedingungen abspielt - weil es nicht anders geht. Gerade die eisenharten Offroader von Meonis Schlag haben eine Verwässerung der prestigeträchtigsten Marathonrallye abgelehnt.
Wenn man sich jedoch weiter einen Weg quer durch die karge Landschaft bahnen will, bleibt auf dieser Strecke auch die Sicherheit zurück, die man sich anderswo im modernen Motorsport erwartet. Dies ist nicht moderner Rennsport, sondern archaischer Rennsport mit modernen Mitteln.
Die Trucks haben bereits ihre zulässige Höchstgeschwindigkeit (ein mit dem Gedanken des reinen Rennfahrens eigentlich unvereinbares Konzept). Aber tatsächliche Geschwindigkeitsübertretungen sind nicht zu verhindern, nur nachträglich zu ahnden. Strafen können wegprotestiert werden (wie es z.B. Meoni noch kurz vor seinem Tod getan hat), verlorene Zeit nicht. Logik des Rennfahrens: solange nur ein Konkurrent auf das Speedlimit pfeift, werden die anderen mitziehen, weil der eine ungestraft damit durchkommen KÖNNTE.
Die Gefahr in der Sonderprüfung bleibt unverändert. Und: wie gut die Werksteams im Umgehen solcher Beschränkungen mit gerade-noch-legalen oder durch politischen Druck legal gemachten technischen Mitteln sind, muss nicht erwähnt werden. In dieser Beziehung sind die Marathon-Raids Rennen wie alle anderen. Auch von außen lässt sich ein Tempolimit in diesem Terrain nicht erzwingen: Bremsschikanen in der Wüste?
Eine Geschwindigkeitsbeschränkung "per Gesetz" erscheint also realistischerweise als nicht machbar. Die Autos sind (wenn man sie ansieht, fällt einem das nicht auf den ersten Blick auf) bereits technisch gezähmt, würden aber mittlerweile wieder wunderbar in die Zeit des süßen Gruppe-B-Wahnsinns passen. Das angedachte Hubraumlimit für Motorräder von 550ccm wird von David Fretigne ins rechte Licht gerückt, der mit seiner 450ccm-Maschine recht unbekümmert bei der Spitze mitfährt.
Vernünftiger ist der Gedanke, die Teilnehmer zu verpflichtenden Notfallkursen zu verdonnern, damit sie auf den Ernstfall besser vorbereitet sind. Schaden kann das auf keinen Fall. Wie intensiv darf dann der medizinische Crash-Kurs sein, den man einem Laien zumuten kann?
Wer partout nicht ins Klassenzimmer will, nimmt eben an der "Dakar" nicht mehr teil. Sofern eine solche Vorbereitung nicht für alle derartigen Rennen normiert wird, werden viele sich den Wüstenkick woanders holen. Dass sie dann schlimmstenfalls auch woanders sterben, ist nur der „Dakar“-Statistik dienlich.
Und: wollen und werden alle dieses Wissen im Ernstfall auch anwenden? Letztendlich kann niemand gezwungen werden, für einen verunfallten Konkurrenten sicherheitshalber stehen zu bleiben. Sanktionen können wiederum erst hinterher gesetzt werden, wenn es vielleicht bereits zu spät ist und ganz sicher dem Verunfallten nichts mehr nützt.
Die Reaktionszeit des Notarzthubschraubers von 20 Minuten beim Meoni-Unfall wurde kritisiert. Der Aufwand, der dahinter steckt, diese 20 Minuten in einer an sich gottverlassenen Gegend zu erzielen, lässt sich aber kaum mehr steigern. Jedenfalls muss irgendjemand die Kosten dafür tragen. "Dakar-Rallye vor dem Aus: Auflagen zu streng" wäre eine mögliche Schlagzeile der Zukunft. Und die würde zweifellos Empörung auslösen.
Was will man also? Mehr Sicherheit. Wie ist die zu erreichen? In letzter Konsequenz wahrscheinlich gar nicht. Hat die "Dakar" also eine Zukunft? Es kommt darauf an, ob Veranstaltungen - Abenteuer - wie diese grundsätzlich noch akzeptabel sind. Vielleicht sind sie es nicht mehr. Falls doch, dann bleibt für den einzelnen Teilnehmer nur der in diesem Zusammenhang vielleicht zynische Leitspruch, dass sich von der Küche fernhalten soll, wer die Hitze nicht erträgt. Und auch vermeintlich Feuerfeste können verbrennen.
Perez wie Meoni wollten sich nach 2005 von der "Dakar" zurückziehen; Meoni war eigentlich bereits zurückgetreten. Sinnlose Tode, meinen viele. Eine Antwort darauf könnten nur Jose Manuel Perez und Fabrizio Meoni selbst geben,
meint Ihr
Johannes Gauglica