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Bis zum Himalaya

Staub, Hitze, Schnee und Kälte: Bei der Engineering-Fahrt werden die Mercedes-GLC-Modelle aus chinesischer Produktion grundlegend getestet.

Jürgen Zöllter/mid

"Wir sollten umkehren", warnt Gao Meng, der sich um die sommerbereiften Fahrzeuge sorgt. Doch Thilo Fischer beruhigt: "So lange die Sattelzüge durchkommen, haben unsere Allradler allemal Traktion."

Derweil liegen zwei Teilnehmer unserer kleinen Expedition von Übelkeit geplagt auf den Rücksitzen. Die dünne Luft ab 5.000 Meter über Meeresniveau macht ihnen zu schaffen. Dennoch hält Fischer am Tagesziel fest: Auf Passhöhe soll das problemlose Start- und harmonische Ansprechverhalten der Turbotriebwerke geprüft werden.

Unbeirrt pflügen die neuen Mercedes-Benz GLC200 4matic durch den Schneesturm, der die Nationalstraße G109 in eine Matschpiste verwandelt hat. Sie stammen aus chinesischer Produktion.

Thilo Fischer leitet die Erprobungsfahrten der mit 350 Mitarbeitern besetzten Daimler-Außenstelle in China, Gao Meng ist verantwortlicher Erprobungsingenieur. Unser Team schraubt sich die Kunlun-Berge hinauf, einen Höhenzug des Himalaya, der den Transit auf der einzigen Nord-Süd-Verbindung zwischen Zentralchina und Lhasa in der chinesischen Provinz Qinghai erschwert. Das Thermometer sackt unter Minus fünf Grad Celsius, und unser Tagesziel liegt auf 6.200 Meter über dem Meeresspiegel.

Wir begleiten Ingenieure auf einer letzten Testfahrt der vom chinesischen Daimler-BAIC Joint-venture in China hergestellten Mercedes-Benz GLC-Baureihe. Ab Jahresende fahren die ersten Mittelklasse-SUV in Kundenhand.

"Wurde der neue GLC von Daimler-Ingenieuren aus Stuttgart nicht schon hinreichend erprobt?", wollen wir wissen. "Nicht die China-Version, die mit hohem Lokalisierungsanteil entsteht", erläutert Thilo Fischer. Obwohl viele dieser Teile in chinesischen Partnerwerken europäischer Zulieferer entstehen, sei deren Qualität in separaten Erprobungsreihen abzusichern.

Etwa die elektrischen Fensterheber, Türen und die Motorhaube. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Techniker Zhao Xiaojie ist bemüht, Betätigungszyklen einem akribischen Zeitplan folgend abzuarbeiten. Wofür er sogar im dichten Schneesturm den GLC verlässt, um Türen, Haube und Fenster zu öffnen und wieder zu schließen.

Abgesehen davon verlangt der chinesische Markt nach Anpassungen an lokale Vorlieben. So wünschen Kunden im Reich der Mitte weichere Sitzpolster und anschmiegsamere Kopfstützen als Europäer, was zuweilen an Kissenburgen in chinesischen Autos zu beobachten ist.

Mercedes hält nun ab Werk weichere Layer vor, deren Passung und Dauerhaltbarkeit die Ingenieure auf Testfahrten sicherstellen. In China schalten Zapfsäulen manchmal nach fünf Liter Betankung ab, weil dem System ein voller Tank vorgaukelt wird.

Tatsächlich aber ist meistens nur der Kohle-Aktivfilter mit Feinstaub verschmutzt. Im "chinesischen" GLC wird deshalb ein angepasstes Filtersystem verbaut, dessen Funktionalität durch täglich mehrmaliges Nachtanken kontrolliert wird.

Staub- und Wasserdichtigkeit zählt zu den umfangreichsten Themen dieser Erprobungsfahrt. Nach Ausflügen über unbefestigte Pisten, Tiefsand-Passagen und Wasserdurchfahrten lässt Thilo Fischer die Checklisten abarbeiten.

Sie schreiben überwiegend Sichtprüfung vor. An Details, wie den Wachsmanschetten an Dämpfer-Anschlagpuffern im Motorraum, an Dichtungsgummis von Türen bis zur Heckklappe. Auch, dass der Anpressdruck des rechten Scheibenwischers nicht hoch genug ist, fällt in einem Fahrzeug auf: Schlieren sollte es auf der Windschutzscheibe eines Mercedes nicht geben.

Auf Störgeräusche durch fahrdynamische Anregungen reagiert das Testteam besonders allergisch. Dann gilt es, Vibrationen im Cockpit-Bereich zu lokalisieren und zu protokollieren. Ein Speichergerät im Kofferraum zeichnet darüber hinaus akribisch alle Daten auf.

Sie helfen den Experten im Daimler R+D Center von Peking später genau zu definieren, bei welchen Fahrzuständen die Auffälligkeiten eintreten und ob Material- oder Verarbeitungsschwächen zu beheben sind.

Auch entscheidende Hinweise, die zur optimalen Kraftstoffaufbereitung und zum direktem Ansprechverhalten des Turboladers in der sauerstoffarmen Luft hochgelegener Gebirgsregionen führen, werden so gewonnen.

Derweil geben die schweren Lastwagen im heftigen Schneetreiben auf. Einige haben sich festgefahren, andere parken einfach auf der Fahrbahn. Thilo Fischer wird einsilbig, sucht auf schneeglatter Fahrbahn nach Schneisen zwischen den unbeleuchteten Kolossen. Seine Techniker folgen auf Sichtweite.

Schließlich verständigen sich die Ingenieure über Sprechfunk: Es werde zu gefährlich, noch höher aufzusteigen! Unser Konvoi biegt nach links auf eine Nebenstraße ab. Acht Kilometer später erreichen wir den Yuzhu Gletscher. Der Blick auf die namensgebende Gipfelhöhe in 6.200 Meter überm Meeresspiegel bleibt uns verwehrt. Wir stecken in dichten Wolken.

Die Triebwerke der Mercedes GLC verstummen, kühlen ab. Wir atmen schwer, Kopfschmerzen hämmern im Schädel, die dünne Höhenluft fordert Tribut. Doch bevor das Kaltstartverhalten nicht aufgezeichnet ist, bleibt Thilo Fischer hart: "Wir müssen sicherstellen, dass chinesische Kunden auf dem Weg nach Lhasa später keinen Grund zur Beanstandung haben!"

Insgesamt vier Erprobungstouren absolvieren Thilo Fischer und sein Team mit den neuen, lokal gefertigten GLC. Neben der Höhenanpassung im Himalaya müssen sich diese in tropischer Hitze der südchinesischen Insel Hainan, in der trockenen Kälte von Heihe nahe der sibirischen Grenze und natürlich im Smog-belasteten Stop-and-Go Verkehr Pekings bewähren.

Der Rückweg ins "Basislager" Golmud dauert wesentlich länger als der Aufstieg. Es gilt Staus in Folge von Unfällen zu erdulden, Kreuzungen zu passieren, in die ungeduldige Autofahrer mehrspurig einfahren, sich gegenseitig blockieren und abdrängen.

Auch auf Bergstraßen inszenieren chinesische Autofahrer ein Verkehrschaos, das an den Straßenverkehr in Fahrräder übersäten Megacities der neunziger Jahre erinnert: Wer eine Lücke erkennt, muss sie geradezu zwanghaft besetzen.

Weil neben Baugruppen für Achsteile, Nebenaggregate des Motors, die Zylinderköpfe und auch das komplette Interieur für alle Modellvarianten des neuen Mercedes GLC aus lokaler Herstellung stammen, seien diese chinaspezifischen Erprobungsprogramme zur Qualitätsabsicherung unerlässlich, begründet Thilo Fischer den hier betriebenen Aufwand.

Der chinesischen Markteinführung des GLC 200 4Matic Ende des Jahres wird 2016 der GLC 260 4Matic und GLC 300 4Matic folgen. "GLC 260?", haken wir ein, und Fischer lacht. Dass dieses Modell in China nicht wie im Rest der Welt GLC 250 heißt, folgt einer weiteren lokalen Eigenheit. Die gesprochene Zahl 250 ("Er bai wu") bezeichnet im Chinesischen einen "Dummkopf". Und wer möchte auf chinesischen Straßen als solcher auch noch mit einem Typenschild etikettiert sein?

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