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Smartes Phänomen

Smart-Party: Zahlreiche Fortwo genießen das Scheinwerferlicht in der chinesischen Mega City Nanjing. Dort ist der Kleine ein hipper Topseller.

Text: Jürgen Zöllter/mid
Fotos: Zhao Di

Schriller geht's nicht: Tina Xu, Mo Zhang und Ashley Chang tragen rote, lila und gelbe Haarsträhnen, Ultra-Minis über Netzstrümpfen, High Heels oder Sneekers. Andere staksen zu leibhaftigen Manga-Figuren aufgebrezelt durch ein Meer von Pfützen.

Alle klammern sich an Handtaschen von Gucci, Prada, Ives Laurent - vermutlich sind diese sogar echt. In der anderen Hand glitzern Strass besetzte Smartphones. Gut aufgelegt erreichen junge Chinesinnen eine Party in der Millionenstadt Nanjing, die als Trendsetter-Metropole im volksrepublikanischen Speckgürtel gilt. Es ist Montagabend, und es regnet in Strömen.

Doch die Kraft ihrer obsessiven Gelassenheit wirkt so wasserfest wie die Mobiltelefone der jungen Menschen. Auf Teleskopstangen montiert, schießen sie fortwährend Selfies. Die sozialen Netzwerke von WeChat, QQ und Weibo müssen gefüttert werden. Junge Chinesen sind ständig online.

Viele Aufgehübschte haben Großfamilien im Schlepptau, darunter zahlreiche Kinder. Der Anlass zum Feiern scheint nebensächlich! Was zählt: Essen und Getränke sind frei, und man kann etwas gewinnen. Chinesen spielen und wetten für ihr Leben gern.

Die meisten fallen aus großen Limousinen und Geländewagen, von Chauffeuren außerhalb des Festgeländes geparkt. Denn Einfahren dürfen heute nur Gleichgesinnte einer kaum drei Jahre alten Bewegung, die sich über automobile Zwerge definiert und auf den ersten Blick so gar nicht ins Bild der chinesischen Mega City passen. Sie fahren Smart Fortwo, die so bunt und schrill dekoriert sind wie ihre überwiegend weiblichen Fahrer.

Ausgerechnet Smart! Denn im Riesenreich einer nach Status gierenden, in automobiles Großwild verliebte Eliten wirken die gestauchten Zweisitzer wie beräderte Insekten. Dass sie Lieblinge einer elitären Szene sind, hat nur vordergründig rationale Ursachen. Als Zweit- oder gar Drittwagen werden sie vielmehr gefahren, wenn es gilt, in der uniformen chinesischen Gesellschaft ein Statement zu setzen. Nur welches?

Wir mischen uns unter die Gäste der Smart-Party und lernen: Innerhalb nur eines Jahres hat die Kleinwagenmarke in Nanjing über 1.000 Zweisitzer verkauft. Das ist die größte Smart-Dichte pro zugelassener Autos weltweit. Anlass genug für Smart-Chefin Annette Winkler, eine Smart-Party auszurichten und eigens dafür einzufliegen. Sie begrüßt die Gäste als Helden einer neuen automobilen Bewegung.

Frau Winkler ist Mrs. Smart, jubelt und antichambriert: "Jiao wo Annette. Wo men shi jia ren!" (übersetzt: Nennt mich Annette. Wir sind eine Familie! Sie ruft es in Mandarin) An diesem Abend ist Frau Winkler Chinesin, richtet Gruppenspiele aus, posiert unermüdlich für Selfies und verlost am Ende einen Smart Fortwo der neuen Generation - für einen Monat.

Die Party-Gäste toben. Die Gewinnerin weint vor Freude. Annette bittet zu Gruppenfotos auf die Bühne. Der Vorhang fällt. Noch immer regnet es draußen Katzen und Hunde. Doch was soll's? Durchnässt, aber heiter springt Vuan Vumiao in ihren Smart voller Plüschfiguren, wechselt High Heels gegen Ballerinas und lässt den Dreizylindermotor schnattern. Es geht nach Hause - oder zur nächsten Party. Wer weiß?

Am nächsten Morgen frühstücken wir bei Familie Zhijun Yan. Der Smart des Universitätsprofessors parkt noch in der Tiefgarage von Nanda Heyuan, einer Wohnanlage am Stadtrand von Nanjing. Sie kostet umgerechnet 15.000 Euro im Jahr. Frau Mo Zhang serviert derweil im fünften Stock Grünen Tee mit Jiao zi, eine Art chinesische Dampfnudel.

Wir sind dem Phänomen Smart auf der Spur: Warum kaufen so viele Chinesen den Zweisitzer im Gegenwert einer ausgewachsenen Limousine? In 2011 sah Zhijun zum ersten Mal einen Smart Fortwo - im Film "Pink Panther". Dessen Wendigkeit faszinierte ihn und sein kindliches Gesicht. Er kaufte sofort.

"Damals war ich einer von zehn Smart-Besitzern in Nanjing.", erinnert er sich. Als Mann am Smart-Steuer ist er noch heute in der Minderheit. Auch im Kollegenkreis mit vier weiteren Smart. "Viele Passanten fragen, ob ich ein Elektromobil fahre. Obwohl der Smart längst zum Stadtbild gehört."

Es ist 7 Uhr. Der sechsjährige Sohn Yuezhang Yan hat seine Reissuppe geschlürft, muss zur Schule. Für 30 Minuten Schulweg nimmt seine Mutter den Honda CR-V. Zhijuns Englisch-Vorlesung beginnt später. Er fährt 15 Minuten im Smart. Der verbrauche wenig Treibstoff, flitze wie eine Maus durch den Berufsverkehr und finde auf dem Campus hinter jeder Hecke einen Parkplatz. Zhijun argumentiert rational. Sein nächster Smart werde elektrisch fahren, weiß er schon heute: "China braucht unbedingt bessere Luft!"

Bo Zhang stellt sich als "Office Lady" vor. Seit einem Jahr besitzt die Mittdreißigerin einen Führerschein. Zum Mittagessen gibt's Nudelsuppe, wie für etwa eine Milliarde anderer Chinesen. "Fünf Mal bin ich mit dem Chery-Viertürer meines Mannes gefahren und konnte keinen Parkplatz finden. Dann sah ich beim Händler den Smart. Zwei Stunden später fuhr ich ihn heim", so ihre Entscheidung, die scheinbar nebenbei zur Flucht aus der Uniformität taugt.

Ihr Smart ist weiß, "Damit meine bunten Sticker besser sichtbar sind." Und er ist ihr Prinz: Per Zündschlüssel wachgeküsst, hübscht er die schlichte Frau aus der Wohnanlage zum Blickfang im Straßenverkehr auf. Für eine Stunde am Morgen und eine zweite am Abend chauffiert er sie als Primadonna durch die Welt. Zwischendurch lebt die chinesische Arbeitsbiene auf spärlich beleuchteten Fluren mit dunkelbraunen Holztüren. Sie unterrichtet Chinesen, die ins Ausland wollen.

"Mein Mann baute vier Unfälle allein im vergangenen Jahr", schmunzelt sie und fügt stolz hinzu: "Ich hatte noch keinen!" Dass Autowäscher für Smart Rabatt geben, hebt ihr Lebensgefühl: 20 Yuan, umgerechnet 3 Euro fürs Putzen innen und außen. "Da zhe" (Rabatt) ist in China ein magischer Begriff. Dass ihr Smart in der Anschaffung vergleichsweise teuer sei, spielt keine Rolle: Dafür trinke er nicht viel! In Wahrheit liebt sie ihn als Prinz.

Eine glamouröse Figur ist Zhang Nubai. Der drahtige Thai-Boxer unterrichte einst Michael Jacksons Fitness-Coach. Zhang eröffnet in Najing ein Fitness-Studio nach dem anderen, derzeit das achte. Er kämpft in der Landesmannschaft und ist durch zahlreiche Filme bekannt.

Seinem Fuhrpark, der unter anderem einen Mercedes-AMG C63 umfasst, wuchs vor einem Jahr ein Smart Fortwo zu. Als i-Tüpfelchen! Doch meistens gefahren von seiner Frau. Die Einstellung junger Chinesen zum Luxus ändere sich aktuell, sagt er. Man beginne, den Pelz nach innen zu tragen! Sein Smart sei Ausdruck einer gewissen Extravaganz: "Die Menschen wissen, dass er wegen seines Formats nicht mein einziges Auto sein kann." In Nanjing gilt der Smart als subtiler Hinweis auf Wohlstand.

So entwickelt der kleine Zweisitzer in der chinesischen Metropole Nanjing ein bemerkenswertes Eigenleben. Während er in Europa eher im Schneckentempo in Garagen westlicher Vernunftsmenschen fährt, stürmt er in Nanjing geradezu in die Herzen jener Gesellschaftsgruppe, die gegen staatlich verordnete Uniformität aufzubegehren versucht.

Zwar preist Bo Zhang die passive Sicherheit und Zhang Nubai lobt kürzere Wartezeiten an der Tankstelle aus: Im C63 müsse er täglich für Benzin anstehen, während ihn der Smart nur einmal pro Woche an die Zapfsäule zwinge.

Doch die Argumente klingen vordergründig. Zur Kaufentscheidung taugt vielmehr das Identifikationspotenzial: In Kreisen der chinesischen Mittelschicht übernimmt der Smart Fortwo deshalb zunehmend eine Rolle, die das bedruckte T-Shirt auf Teenager-Oberkörpern spielt: er dient als Kommunikationsträger, spricht stellvertretend für seine Fahrer die Sprache einer Gesellschaftschicht, die sich individueller artikuliert als die breite Masse. Selbstbewusster, offenherziger und ein wenig revolutionär.

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