
Vor 70 Jahren: Silberpfeile in Österreich | 13.08.2009
Lang der Berge
"Ostmärkisches" Gipfeltreffen: im Jahr 1939 borgte sich Deutschland von uns zwei Bergrennen – der große Star der Saison wäre heuer 100.
Johannes.Gauglica@motorline.cc; Fotos: Audi, Daimler; Quellen; Archive Audi, Daimler, Verfasser
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In der gern als "Goldene Ära" bezeichneten Vorkriegszeit des Grand-Prix-Sportes geigten über weite Strecken nur zwei Hersteller groß auf.
Propaganda auf Rädern: Mercedes-Benz und die Auto Union konnten sich dank großzügiger staatlicher Förderung die High-Tech-Boliden leisten. Mangels internationaler Gegner blieb man meistenteils unter sich.
In der Zeit von 1935 bis 1939 ging nur ein einziger Grand Prix nicht an einen der Herren in Silber: am Nürburgring 1935 siegte Tazio Nuvolari im Alfa Romeo. Alfa, Maserati und die Konkurrenz wanderten langsam in die „Voiturette“-Klasse für Autos bis 1,5 Liter Hubraum (samt Aufladung) ab. Die sollte ab 1940 zur Königsklasse aufsteigen, dazu kam es aber de facto erst nach dem Kriegsende.
Ein propagandistisch wichtiger Nebenschauplatz für die zwei deutschen Rennabteilungen war sozusagen die „Heimatfront“, die deutsche Bergmeisterschaft. Im Jahr 1939 wurden zwei Rennen gewertet, beide fanden auf österreichischem Boden statt.
Die Wiener Höhenstraße und die Hochalpenstraße auf den Großglockner waren Vorzeigeprojekte des Ständestaates, jetzt erfüllten sie die germanische Nation mit geborgtem Stolz:
Sterne, Stars und Primadonnen
1939 war das Jahr des Hermann Lang (Bild). Er war in dieser Saison im Zentrum der „Neidgenossenschaft“ bei Mercedes-Benz; denn seine Siegesserie zog den Unmut der arrivierten Piloten auf sichRudolf Caracciola, seit 15 Jahren die unumstrittenen Nummer 1 im Team, sah seinen Status in Gefahr und witterte die Schwaben-Connection: Lang kam aus der Benz-Heimat Bad Cannstatt.
Manfred von Brauchitsch, Spross der Militär-Elite, konnte die Standesdünkel des Herrenfahrers nicht ablegen: Lang kam aus einem gänzlich anderen Milieu - nicht Herrenfahrer mit privatem Hintergrund in der "upper class", sondern ehemaliger Rennmechaniker.
Wenige Jahre zuvor war der damalige Motorrad-Profi Lang nach der Pleite seines Arbeitgebers einer der vielen Arbeitslosen der Wirtschaftskrise, dann schraubte er in der Mercedes-Rennabteilung. Lang und Brauchitsch reisten für Mercedes in die "Ostmark".
Die Piloten konnten zwischen verschiedenen Autos wählen:
Neben den damals aktuellen Autos mit aufgeladenen Drei-Liter-Motoren standen auch die Boliden der bis Ende 1937 gültigen 750-Kilogramm-Formel zur Verfügung.
Die mussten eben jene 750 Kilo wiegen, ansonsten gab es keine Beschränkungen – Hubräume und Leistungsdaten waren dementsprechend höher.
Mercedes-Benz hatte den W125 des Jahres 1937 mit Sechsliter-Motor und über 570 PS ebenso im Gepäck wie den aktuellen W154, der ungefährt 150 Kilo schwerer war und 90 PS weniger Leistung mitbrachte.
Dennoch entschied sich Lang in Wien für dieses Auto, Brauchitsch für den älteren Boliden. Am Glockner wählten beide den Sechs-Liter-Wagen.
Underdogs mit Heckmotor
Bei der ostdeutschen Auto Union zehrte man gewissermaßen noch von den Porsche-Jahren, und man versuchte sich vom großen Verlust des Jahres 1938 zu erholen. Spätestens seit dem Tod von Bernd Rosemeyer im Jänner 1938 war man fahrerisch im Hintertreffen.Deshalb wurde der Italiener Nuvolari für die internationalen Rennen verpflichte; daneben profilierte sich Hermann ("H.P.") Müller als Top-Pilot (Bild).
Er kam genau wie Lang aus der Motorradszene und ging später wieder dorthin zurück; 1955 war er 250ccm-Weltmeister.
Am Kahlenberg und am Glockner ging Müller gemeinsam mit dem Senior der Auto Union an den Start, dem knapp 40jährigen "Bergkönig " Hans Stuck. Er war 1930 und 1932 Berg-Europameister, das erste Mal mit der österreichischen Marke Austro-Daimler.
Das Team der Auto Union gönnte sich ein spezielles Auto für die Bergrennen mit dem Besten der beiden Formeln: das kürzere Chassis des aktuellen Grand-Prix-Wagens Typ D wurde mit einem mächtigen Sechzehnzylinder-Motor aus dem Vorgängermodell Typ C bestückt.
Aus sechs Litern Hubraum samt Kompressor holte man 530 PS, das waren über hundert mehr als beim Drei-Liter-Zwölfzylinder des Typ D.
Von Grinzing zum Glockner
Außer der Tatsache, dass es bergauf geht, haben diese beiden Schauplätze rein gar nichts gemein. Die Strecke am Rand von Wien mit dem Start in Grinzing und Ziel am Kahlenberg war 4,1 Kilometer lang und mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestens zu erreichen.
Eine prächtige Kulisse boten am 11. Juni 1939 also nicht nur der Ausblick auf die Bundeshauptstadt und das schöne Sommerwetter, sondern über 100.000 Zuschauer am Streckenrand.
Im ersten Lauf kassierte Lang fast eine Sekunde Defizit auf Müller, danach hatte er eineinhalb Stunden Zeit zur Fehlersuche.
Und im zweiten Anlauf rauchte er der Konkurrenz aus Chemitz, und auch seinem Stallkollegen Brauchitsch, sozusagen eine gewaltige an.
1,7 Sekunden nahm er Müller ab, das bedeutete in der Addition beider Läufe die Gesamtzeit von 4:38,6 Minuten. Müller lag insgesamt acht Zehntel zurück, Brauchitsch hielt als Dritter mit 1,1 Sekunden Rückstand noch halbwegs den Anschluss.
Stuck büßte 4,9 Sekunden ein, das reichte mangels ähnlich starker Konkurrenz für Platz 4, war aber ein Zeichen der Zeit – der Generationenwechsel war in vollem Gang.
Langs Durchschnittstempo am Kahlenberg: 106,8 Kilometer pro Stunde. Von einer Nachahmung wird abgeraten!
Der Erfolg in Wien war Langs vierter Sieg en suite in der Saison 1939, die komplett nach seinem Wunsch abzulaufen schien. Er setzte seinen "Lauf" auch beim belgischen Grand Prix in Spa-Francorchamps fort, allerdings unter tragischen Begleitumständen.
Denn dort kam sein Teamkollege Richard Seaman ums Leben. Er kämpfte um den Durchbruch im Mercedes-Team bei den internationalen Rennen – im Regen von Spa ging er übers Limit und segelte von der Strecke.
Mit einer Spritmenge von bis zu 420 Litern in den Tanks waren diese Autos rollende Bomben, Seaman starb an seinen Brandwunden. Damit blieb, bittere Ironie, dem Briten in deutschen Diensten etliche persönliche Unbill erspart. Er war das einzige Todesopfer im Vorkriegsteam von Mercedes-Benz.
Gipfeltreffen
Bei den zur EM zählenden Grands Prix in Reims und am Nürburgring setzte es für Lang Ausfälle, dort gewannen Müller – sein einziger Sieg des Jahres - und Caracciola. Und am 6. August wurde die deutsche Bergmeisterschaft am Großglockner entschieden."Großer Bergpreis von Großdeutschland" am Großglockner: zumindest dem Namen nach war damals alles XXL.
Der nahende Krieg machte sich aber mit Treibstoffmangel bereits spürbar, der Sprit war rationiert, die Teams hatten auf der Anreise Mühe, Benzin für die Weiterfahrt zu bekommen.
Die Strecke zog sich über 12,6 Kilometer und ging bis zum Fuscher Törl. Der Glocknerkönig des Jahres 1938 hieß Stuck, er brauchte 20 Minuten und 40 Sekunden. Der Altmeister hatte im April bereits in La Turbie ein Bergrennen gewonnen, nach der Pleite in Wien sann er auf Revanche.
Lang und Brauchitsch hatten also die 750kg-Mercedes in speziellem Berg-Trimm zur Verfügung, und trainiert wurde damals genau wie heute mit allen Mitteln. Lang reiste zehn Tage vor dem Rennen an und unternahm "Ausflugsfahrten" auf den Glockner, Müller brachte zwecks zusätzlichen Trainings ein Motorrad mit.
Die verantwortlichen Flachlandgermanen übersahen bei der Streckenwahl eine kleine Nebensache, nämlich die wechselhafte alpine Witterung.
Die spielte an diesem Tag ihre gesamte Klaviatur. Bei den Trainingsläufen schien noch die Sonne, akkurat zu Rennbeginn zog der Himmel zu.
In Lauf 1 gab es noch Trockenheit für alle; die Rekordzeit am Glockner gehörte Hermann Müller, der seinen ersten Lauf in 8:54.3 absolvierte. Lang sah sich wieder um eine Sekunde abgehängt und seinerseits von Stuck (nur 0,1 zurück) angegriffen.
Für Lauf 2 gab es, wie bestellt, einen Wolkenbruch und als besonderes Zuckerl dichten Nebel. Müller schmiss den Meistertitel mit einem Dreher weg, er musste auf ähnliches Pech bei Lang hoffen.
Der ging in "die anstrengendste Fahrt, die ich je erlebte", mit einer Sichtweite von weniger als zwanzig Metern. Erst nach über elfeinhalb Minuten blieb für ihn die Uhr im Ziel stehen – und er war dennoch der Schnellste, drei Sekunden vor Stuck und mit satten 23 Sekunden Vorsprung auf Müller.
Finis
Der frischgebackene Bergmeister Lang und die anderen Silberpfeil-Stars reisten noch zum Grand Prix der Schweiz in Bern-Bremgarten am 20. August, wieder siegte Lang. Und am 3. September 1939 endete mit dem Rennen in Belgrad der Grand-Prix-Sport in Europa für viele Jahre, denn an diesem Tag brach der 2. Weltkrieg aus.Nochmals betrat die Mercedes-Crew "ostmärkischen" Boden, als man sich auf Schleichwegen bis nach Wien durchschlug. Zitat aus Langs Erinnerungen: "In Wien verlebten wir die erste Nacht in einer verdunkelten Stadt und begannen zu begreifen, dass ein Lebensabschnitt zu Ende ging."
Geschichtliche Fußnote: Dem Krieg fiel auch ein für Ende 1939 zumindest angedachter "Grand Prix" zum Opfer, der die Silberpfeile nochmals nach Österreich geführt hätte. Die Strecke hätte sich wahrscheinlich im Wiener Prater befunden, über Absichtserklärungen kam man aber nicht mehr hinaus.
Die Silberpfeile Mercedes-Benz sah man erst 1951 wieder auf argentinischen Rennstrecken, die Wagen der Auto Union gingen nie mehr an den Start.
Kleines Revival im September 2009
Das Rennen auf der Höhenstraße ist bis heute das größte Sport-Einzelereignis, welches je im Raum Wien stattgefunden hat. (Und bei den Erfolgen unserer aktuellen Fußball-Nationalmannschaft wird dies wohl auch noch eine Zeit so bleiben.)Am 27. September 2009 spürt der Verein der Freunde des Automobils diesem Ereignis mit einer Gleichmäßigkeitsprüfung auf der identen Strecke nach. In drei Durchgängen für Automobile, Motorräder und Motorräder mit Beiwagen will man das Erlebnis der 189 Teilnehmer von 1939 rekonstruieren.