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Treffen der Generationen

Der Porsche 911 feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Doch wie hat sich der Sportwagen in dieser Zeit tatsächlich weiterentwickelt?

mid/tl

Die Antwort auf die Frage kann nur ein direktes Aufeinandertreffen der Generationen liefern. Somit begegnet ein Porsche 911 L aus der ersten Serienproduktion ab 1964 dem 911 Carrera von 2013.

Liegen die beiden Datenblätter nebeneinander, könnten die Unterschiede nicht größer ausfallen. Der 911 L bot seinem Käufer ein 1.095 Kilo schweres, 4,16 Meter langes Coupe mit 2,21 Metern Radstand. Der Sechszylinder-Boxermotor im Heck entwickelte luftgekühlt aus zwei Litern Hubraum 96 kW/130 PS bei 6.100/min. Im Trockensumpf zirkulierten neun Liter Öl und zwei Dreifachvergaser arbeiteten auf 100 Kilometern rund 15 Liter Benzin zu zündfähigem Gemisch auf. Ein Sprint in neun Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 unterstrich vor fünf Jahrzehnten ebenso ein überragendes sportliches Leistungsvermögen wie die Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h.

Der aktuelle Elfer hält beeindruckend dagegen: Der Hubraum des Sechszylinder-Boxers ist bei 3,4 Litern angelangt. Das reicht für 257 kW/350 PS bei 7.400/min. Und auf 4,49 Meter Länge gewachsen mit nunmehr 2,45 Metern Radstand ist es kaum ein Wunder, dass das Gewicht auf 1.400 Kilogramm angewachsen ist. Der aktuelle 911 Carrera passiert aus dem Stand bereits nach 4,6 Sekunden die Marke von 100 km/h und schafft 287 km/h Höchstgeschwindigkeit. Der Praxisverbrauch pendelt sich bei 9,5 Liter auf 100 Kilometer ein.

Stehen die beiden Sportwagen Frontstoßstange an vorderem Stoßfänger gegenüber, offenbart sich schlagartig die Genialität des Designs, das von Ferdinand Alexander Porsche stammt, dem damals 28-jährigen Enkel von Ferdinand Porsche. An dieser Form haben sich fünf Jahrzehnte lang alle Zähne der Zeit ausgebissen. Die Proportionen, die flach bis zum Stoßfänger abfallende Dachlinie, die gerade Gürtellinie - die vorne über ausgeprägte Kotflügel in steil stehenden Rundscheinwerfern mündet - ist selbst mit dem Attribut "unsterblich" nur euphemistisch beschrieben.

Die filigranen Dachsäulen mit ihren dezenten Chromeinfassungen verleihen dem Auto eine sportliche Leichtigkeit, die unübertroffen ist. Schon weil der Ur-ur-Enkel direkt daneben doch deutlich massiger daherkommt. Nicht allein wegen reiner Muskelmasse durch den Leistungszuwachs von 220 PS, sondern auch wegen des einen oder anderen Pfündchens, das das Wohlstandwachstum hinterlassen hat. Dennoch überzeugt gerade der jüngste Elfer durch die stärkere Betonung der klassischen vorderen Kotflügel und der ausgeprägten Rundscheinwerfer, die der Carrera von 2013 trägt, als wolle er ausdrücklich Stolz und Respekt vor dem Ahn bekunden.

Die Sitzprobe im 911 L verdammt jegliche nostalgisch verklärte Schnurre, von wegen "früher war alles besser" zum puren Unfug. Nichts gegen den Minimalismus von dünnen Türinnenpolstern, filigranen Griffen und Fensterkurbeln und schon gar nichts gegen das unverändert gültige Instrumenten-Layout mit den fünf Runduhren und dem dominanten Drehzahlmesser in der Mitte. Aber Sitze, Sitzposition, Lenkradgröße und Bedienung stammen eindeutig aus einer Zeit, in denen der Begriff "Ergonomie" so unentdeckt war, wie der amerikanische Kontinent im finsteren Mittelalter.

Der direkte Platzwechsel unterstreicht den Erfolg von 50 Jahren Entwicklungsarbeit. Im jüngsten Elfer umschmiegt ein perfekt konturierter Sportsitz den Körper. Einstellmöglichkeiten und Seitenführung garantieren jedem Piloten die optimale Sitzposition vom zierlichen Mädchen bis zum durchtrainierten Zehnkämpfer. Bedienungselemente und Schalter sind wohlgeordnet auf der Mittelkonsole platziert und der zentrale Drehzahlmesser begrüßt die Insassen wie ein guter alter Bekannter.

Der Punkt für den Motorsound geht an den 911 L. Der Boxer röhrt heiser, dreht agil, artikuliert sich akustisch dabei noch selbstbewusster. Da muss sich der aktuelle "Elfer" mit seinem wassergekühlten und durch Abgasgrenzwertbestimmungen gezähmten Antrieb stimmlich eher mit gebremsten Schaum durchs Leben schlagen. Bei der Drehfreude herrscht Gleichstand. Beide Boxer stürmen durchs Drehzahlband, als hätten 50 Jahre keine technische Neuerung gebracht. Doch die gibt es natürlich. Zwischen den Fahrwerken, den Bremsen, und vor allem den Kraftübertragungen liegen Welten. Der störrische Handschalter von Anfang 1964 kann nicht einmal mit dem Hinweis auf Tradition und Nostalgie einen Trostpunkt sammeln, wenn dagegen bei aktuellen Modell die Wippen am ledernen Volant durch sieben Gangstufen zippen. Das Fahrwerk reifte von der Schrecken verbreitenden "Heckschleuder" in 50 Jahren zum narrensicheren Kurvenräuber.

Schon nach wenigen Wechseln zwischen den beiden Steuern gibt der 911 das Geheimnis seines Erfolgrezepts preis. Der Ahn debütierte mit perfekter Form und stimmigem Grundkonzept, technisch war er dagegen unvollkommen genug, dass er von Generation zu Generation reifen durfte. Am Ende der Begegnung neigt sich das Haupt ehrfurchtsvoll vor dem ersten 911 und übernimmt dann die Präsens mit einem breiten Grinsen über den jüngsten. Auch das gehört zu 50 Jahren Modelltradition: Der neueste Elfer ist immer der Beste!

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