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Vom Floskelmonster zum Charakterkopf

Teil 4 des motorline.cc-Backstage-Gesprächs mit Gerald Enzinger: Vom Floskelmonster über einen entrückten Serienweltmeister hin zu einer neuen Formel 1 - mit Charakter und Fahrstil...

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Marcus Kucera, Red Bull/Houdek für Sportmagazin

Im dritten Teil des Gesprächs mit Gerald Enzinger (stellvertretender Chefredakteur der Sportwoche) für unsere motorline.cc-Serie "F1-Backstage - Österreichs Formel 1-Reporter" wenden wir uns zunächst dem nicht nur in der Welt der Formel 1 umherirrenden Floskelmonster zu - und den von PR-Abteilungen maßgeschneiderten und inhaltsleeren Worthülsen.

Im Finale jedoch kehrt Optimismus ein - Gerald Enzinger, auf der Suche nach den wahren menschlichen Empfindungen der F1-Protagonisten und an den trockenen Floskelfrüchten kauend, sieht eine Trendwende. Einen Generationswechsel. Auch dank Red Bull, die einen neuen Lifestyle, einen frischen Wind in die Formel 1 tragen. Gerald Enzinger sieht eine neue Formel 1 - in der die Fahrer wieder einen Charakter und auch einen eigenen Fahrstil haben dürfen...

Machen wir einen kleinen Schnitt. Kehren wir noch einmal zurück zu dem Problem der Worthülsen. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass in der Formel 1 - abgesehen von Floskelmaterial - so wenig gesagt wird?

Gerald Enzinger: Das liegt an verschiedenen Faktoren. Erstens haben die meisten Fahrer deshalb wenig zu sagen, weil sie sich eben nie als Persönlichkeit haben entwickeln können und weil sie wie der Herr Schumacher schon seit ihrem vierten Lebensjahr nichts anderes im Kopf haben als Kart zu fahren. Wenn du heute einen Schulkollegen von Schumacher fragst, erzählt der dir, dass der Schumacher damals ein Außenseiter war, weil er eben nur ans Rennfahren dachte.

Und dann erhalten sie einen Manager und werden durch das Leben betreut.

Gerald Enzinger: Werden durch das Leben betreut und haben daher wenig zu sagen. Der zweite Faktor ist sicherlich der, dass sie mittlerweile alle für Werkteams fahren und eben Top-Angestellte von Megakonzernen sind und man ihnen ständig sagt, dass sie nichts sagen sollen. Drittens haben sie Medienleute, die quasi ein Image kreieren. Medienleute, die meistens ziemlich fad sind. Also in Wahrheit war der Villeneuve, wie er 1996 in die Formel 1 gekommen ist, das Aufregendste, was in den letzten zehn Jahren passiert ist.

So aufregend ist der JV im Grunde ja auch wieder nicht. Ein bisschen die Haare färben...

Gerald Enzinger (lacht): Genau - es ist ja ein Zeichen, dass der immer noch als Revoluzzer gilt, obwohl er eigentlich auch nicht so aufregend war. Oder dass der Montoya nach einer frechen Aussage schon als der Anarchist schlechthin betrachtet wird. Das Problem beginnt meiner Meinung nach wirklich bei Michael Schumacher.

Weil der Schumacher nämlich wirklich in den letzten Jahren von seinen Medienleuten zu einem totalen Null-Aussage-Typen hin entwickelt wurde und dass sich alle anderen an dem orientieren. Der Schumacher sagt ja zu gar nichts mehr etwas, mittlerweile. Der ist in einer eigenen Welt. Der hat die letzte politisch interessante Aussage im Jahr 1999 gemacht. Und seitdem wird er darauf gedrillt, nichts zu sagen. Damit er mit niemandem aneckt.

Ein Widerspruch. Die Medienabteilungen wollen doch eigentlich Aufmerksamkeit. Wenn ich so nichtssagend daherkomme, dann hört mir doch niemand mehr zu?:

Gerald Enzinger: Ja, aber das ist dem Schumacher eigentlich egal.

Aber es geht ja auch um die anderen Fahrer. Da muss man doch mal erkennen, dass das irgendwann einmal niemanden mehr interessieren wird?

Gerald Enzinger: Ja. Und eben deshalb glaube ich, dass hier Potential vorhanden ist für ein Umdenken. Der Formel 1 fehlt derzeit einfach ein Hermann Maier. Der Schumacher ist glaube ich schon ein schlechtes Beispiel für alle anderen. Weil er das wirklich kultiviert, dieses Nichts-Aussagen. Ich finde es einfach total traurig - ich kann mich erinnern, im Jahr 2004, als Max Mosley kurzzeitig zurückgetreten ist und wie Schumacher dazu in der Pressekonferenz einfach nichts zu sagen hatte. Er sagte: 'Dazu habe ich keine Meinung.'

Also wenn der wichtigste Motorsportler aller Zeiten keine Meinung dazu hat, wenn der Präsident der Obersten Motorsportbehörde seinen Rücktritt erklärt, dann ist das traurig. Und noch trauriger ist, dass er vielleicht wirklich keine Meinung dazu hat. (Gelächter) Und dass er danach auch noch Lob von seiner Medienberaterin erntet, weil er nichts gesagt hat.

Absurd.

Gerald Enzinger: Das ist absurd. Es geht aber weiter. Abgesehen davon, dass ich glaube, dass der Schumacher eine persönliche Krise hat, ist mir in dieser Indianapolis-Diskussion aufgefallen, dass der wirklich entrückt ist.

Der Mosley oder der Schumacher?

Gerald Enzinger (lacht): Der Schumacher. Im Sinne davon, dass dem die Tragweite von Situationen nicht mehr klar ist.

Da hat Schumacher ja schon beim Comeback der Formel 1 in Indy viel Feingefühl bewiesen, als er anstatt von dem legendären Motorspeedway von einem Rennen wie jedes andere auch sprach und damit die amerikanische Presse ziemlich vor den Kopf gestoßen hat.

Gerald Enzinger: Ja genau, wo er gemeint hat: 'Indianapolis ist nichts besonderes.' Da kommt eben dazu, dass es bis auf Marc Gené wahrscheinlich keinen Formel 1-Fahrer gibt, der sich auch nur ansatzweise für das Land interessiert, in dem er gerade fährt. Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber es gibt auch Formel 1-Fahrer, die nicht einmal wissen, in welchem Land sie gerade sind. (Gelächter) Bei einer anderen Pressekonferenz hatte der Schumacher wieder einmal nichts zu sagen, während der Tiago Monteiro sehr viel gesagt hat.

Ja, genau, der Monteiro ist mir auch schon sehr angenehm aufgefallen.

Gerald Enzinger: Der ist auch vom Level her ein bisschen weiter als die anderen, denn der ist glaube ich ein studierter Tourismus-Experte oder etwas ähnliches. Das ist der einzige von den sechs oder zehn Fahrern, die zu Indianapolis etwas gesagt haben, der sich darüber Gedanken gemacht hat, warum dort die Zuschauer vor Ort nicht informiert worden sind. Das Hauptproblem dort war ja auch, dass der Streckensprecher nichts kommuniziert hat und dass dort um 13 Uhr Ortszeit niemand gewusst hat, was los ist. Und der Monteiro hat sich da zumindest einmal Gedanken dazu gemacht.

Jetzt gab es ja diese Internetabstimmung, da hat man ja jetzt entdeckt, dass man da mit diesem Internet auch Abstimmungen machen kann und dass man die Meinung der Leute einholen kann. Und wenn man die Leute jetzt fragen würde, was sie zu den Presseaussendungen, Fahrer-Statements und so weiter sagen und wenn die Verantwortlichen also dann erkennen würden, dass das die meisten Leute ja gar nicht mehr interessiert - dann könnte ja ein Umdenken eintreten. Und dann kann man die Formel 1 ja vielleicht wieder interessanter präsentieren - denn so uninteressant, wie sie sich gerade präsentiert, ist die Formel 1 ja eigentlich nicht. Siehst du da eine Chance, dass ein Umdenken eintritt?

Gerald Enzinger: Ja, schon. Die Formel 1 befindet sich prinzipiell in einem Umbruch. Die Grundsatzfrage ist: Wie geht es weiter? Dominieren die Werke oder dominiert die Formel 1 im alten Stil? Und wer redet in Zukunft? Das Problem gibt es ja bei allen Serien - wenn die Werke zu viel mitreden, wenn sie sich die Regeln so zurechtbiegen, wie sie das wollen, dann funktioniert es eben nicht mehr.

Fest steht jedenfalls, dass die Formel 1 ein starres Spitzenmanagement braucht, das relativ unabhängig agiert und auch leicht diktatorische Züge hat. Ähnlich wie in der NASCAR-Serie, die jetzt auch das Werke-Problem haben, brauchst du wirklich jemanden, der unabhängig die Regeln vorgibt. Und der nicht darauf Rücksicht nimmt, ob jetzt für die eine Marke ein 2,4 Liter-Motor besser ist oder ein 2,8 Liter-Aggregat. Darum kann ein gewisses diktatorisches Führungsprinzip in diesem Fall nicht schaden.

Befürchtest du eine Spaltung der Formel 1?

Gerald Enzinger: Nein, denn dann wären beide Serien nicht überlebensfähig. Man muss einfach einen gemeinsamen Nenner finden. Man darf auf keinen Fall den Fehler, der im amerikanischen Motorsport begangen wurde, dieser Fehler darf nicht wiederholt werden.

Du hast im Sportmagazin eine Zukunftsvision in Sachen Formel 1 skizziert - worauf muss man in Zukunft achten?

Gerald Enzinger: Ich habe unlängst wieder mal ein Buch, ein Formel 1-Comic aus den von mir sehr geschätzten Siebzigerjahre aufgeschlagen. Da schaut jeder Fahrer nach was aus. Da kannst du dir unter einem Herrn Hunt etwas vorstellen und unter einem Herrn Fittipaldi. Aber den Unterschied zwischen Trulli und Massa als Menschen hätte ich jetzt nicht erkannt.

Dabei bist du doch wegen der Menschen in die Formel 1 gekommen...

Gerald Enzinger (lacht): Ja. Genau. Ich bin jetzt verloren. (kurze Pause) Wobei man jetzt an der Stelle schon sagen könnte, dass Red Bull da für mich schon viel Hoffnung darstellt. Einfach auch was den Lifestyle in der Formel 1 betrifft. Die haben da schon wirkliche Akzente gesetzt - die sind auch wieder draufgekommen, dass halt auch Mädels in eine Boxenstraße gehören und dass die auch eine Akkreditierung brauchen. Dass man sich bemühen muss, dass hin und wieder auch ein A-Klasse-Star kommt und nicht irgendwelche C-Movie-Darsteller.

Das ist für die Formel 1 also eine Chance...

Gerald Enzinger: Eben, da tut sich schon was. Der Liuzzi als Typ - und er ist auch kein schlechter Fahrer - tut der Formel 1 sicher gut. Die kennen vom Extremsport her das Handwerk, wie man eine Sportart glorifiziert, quasi. Und diese Energy Station ist sicher ein erster Schritt, dass das auch nach mehr ausschaut.

Und dass man halt auch mehr preisgibt.

Gerald Enzinger: Mehr preisgibt. Und man muss schon sagen: Die Red Bull-Fahrer stehen sicher eher für irgendetwas als andere Piloten.

Und da gibt es ja auch einen Zusammenhang mit der Technik. Helmut Zwickl sagt, dass die Fahrer nicht mehr von dem Wahnsinn einer schnellen Runde berichten. Sie können es nicht, aber es ist auch nicht mehr solch ein Wahnsinn, wie er es einmal war. Und ab 2008 sollen sie ja wieder knüppelschalten, kuppeln und ohne Traktionskontrolle fahren, da ist dann wieder mehr los im Cockpit, da haben sie dann auch wieder mehr zu erzählen. So gesehen ist also auch Optimismus angesagt...

Gerald Enzinger: Wenn du dich heute in eine Kurve stellst - da fahren einfach alle gleich gut. Und noch vor einigen Jahren war das anders - der ist so quer gestanden, der andere hat sich sonst wie vertan. Also das würde ich sehr begrüßen, wenn das wiederkommt. Dass ein Fahrer dann also nicht nur für einen Charakter, sondern auch für einen gewissen Driving Style steht.

Das heißt: Du bist noch nicht wirklich verloren, du stehst nur kurz davor. Aber es gibt die Chance...

Gerald Enzinger (lacht): Es gibt die Chance zum Durchstarten, ja. Es gibt schon Zeichen. Es gibt auch einen Generationswechsel. Man darf nicht vergessen, die Formel 1 wird seit 20 oder 30 Jahren von den gleichen Leuten gemacht. Die sich halt auch abnützen, natürlich sind die Herren Ecclestone und Mosley nicht die großen Visionäre. Ich hoffe eben auf die Generation Horner - auf Leute, die eben auch mit einem gewissen Marketing-Empfinden aufgewachsen sind.

Naj, dann war das ja jetzt ein guter Schluss. Optimistisch und so. Herzlichen Dank sag ich.

Gerald Enzinger (lacht): Ja, passt, gern geschehen.

Die Teile 1 bis 3 des motorline.cc Backstage-Gesprächs mit Gerald Enzinger finden Sie in der Navigation rechts.

Lesen Sie am Mittwoch auf motorline.cc: Teil 2 des "F1-Backstage"-Sommergesprächs mit Helmut Zwickl (Motorsport Aktuell, Kurier,...) - über den "Petit Prix der USA" und vieles mehr. Teil 1 finden Sie in der Navigation rechts unter "H. Zwickl Sommer 2005, Teil 1".

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