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Formel 1: Jerez-Test

Die erste Testwoche

Die zurückgelegten Distanzen sprechen eine klare Sprache: Mercedes führt deutlich vor Ferrari, während Renault jener kapitale Fehlschlag unterlief, vor dem sich alle gefürchtet haben…

Michael Noir Trawniczek

Noch nie zuvor waren Rundenzeiten unwichtiger. Auch die Reifen rückten komplett in den Hintergrund. Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery hatte so ruhige Tage, wie schon lange nicht. Der Brite meinte nur: „Bei dem Tempo, mit dem hier gefahren wird, werden die Reifen nicht so belastet, wie es später in der Saison der Fall sein wird. Sie sind einfach zu langsam. Das ist so, als würden wir die Reifen auf GP3-Autos ausprobieren. Außerdem werden zu wenig Runden am Stück gefahren, als dass man Rückschlüsse ziehen konnte.“

Im Vordergrund standen – logischerweise – die Motoren respektive die Motor-Pakete einschließlich ERS. Im Vordergrund standen keine Rundenzeiten, sondern lediglich das Abspulen von Kilometern.

Und hier ist die Analyse kinderleicht: Es gibt drei Motorenhersteller: Mercedes, Ferrari und Renault. Der „Sieger“ heißt Mercedes: Die vier von den Deutschen ausgerüsteten Teams (McLaren, Williams, Force India und das Werksteam) haben zusammen 875 Runden respektive 3.874 Kilometer absolviert. Das Werksteam konnte die meisten Runden drehen: 309 Runden bzw. 1.368 Kilometer.

Damit konnten vier Mercedes-Teams rund doppelt so viele Runden abspulen als die drei mit Ferrari-Motoren ausgerüsteten Teams Ferrari, Sauber und Marussia – wobei letztere beim Test erst später hinzustießen. Die Ferrari-Teams absolvierten 444 Runden bzw. 1.966 Kilometer. Das Ferrari-Werksteam brachte es auf 251 Runden und 1.111 Kilometer.

Welch ein Desaster Renault in der ersten Testwoche erlebte, wird von den Zahlen auf dramatische Weise zum Ausdruck gebracht: Die drei Renault-Teams Red Bull Racing, Toro Rosso und Caterham spulten zusammen nur 151 Runden ab, absolvierten nur 668 Kilometer. Dazu konnte RBR nur lächerliche 21 Runden beisteuern.

Renault hat ein massives Problem zu bewältigen: Vereinfacht ausgedrückt spielt die Motorsteuerung bei großer Hitze verrückt. Am wenigsten betroffen war das konservative Caterham-Team. Und wer Adrian Newey kennt, den wundert es nicht, dass RBR am heftigsten unter der Misere zu leiden hatte – der Brite ist bekannt dafür, in punkto Kühlöffnungen besonders geizig zu sein und dass er stets versucht, die Bauteile auf engstem Raum unterzubringen.

Der RB10 ist nicht das erste Newey-Auto, das bei den Tests an massiven Überhitzungsproblemen leidet. Man erinnere sich nur an den McLaren MP4-18 oder an jenen Red Bull Racing-Boliden, mit dem einst Christian Klien beim Test nur jeweils drei Runden zurücklegen konnte. Angeblich sollen Newey und Renault-Techniker Rob White in einem hitzigen Gespräch einander die Schuld gegeben haben, wer denn nun der größere „Übeltäter“ sei. Wie so oft sind wohl beide für das Mega-Desaster verantwortlich.

Dass RBR wegen dieser missglückten Testwoche als Top-Favorit für den Sieg in Melbourne nicht mehr in Frage kommt, ist jedoch an den Haaren herbeigezogen. Schon beim nächsten Test in Bahrain in zwei Wochen könnte Vettel schon wieder der Konkurrenz "um die Ohren" fahren. Wenngleich die Mercedes-Teams natürlich einen Erfahrungsvorsprung mit den neuen Geräten herausfahren konnten.

Hinzu kommt eine wesentliche Innovation: Die als Flügelelement geformte Hinterradaufhängung von McLaren könnte dem Team einen ähnlichen Vorteil einbringen, wie es 2009 bei Brawn GP der Doppeldiffusor war. So gesehen führt Kevin Magnussen nicht ohne Grund die Zeitenliste an. Wie groß der Vorteil jedoch wirklich ist, wird sich erst in Bahrain zeigen – und es wäre keine große Überraschung, wenn dort bereits erste Kopien dieser Innovation auftauchen würden. McLaren profitiert derzeit gleich doppelt: Die eigene Innovation gepaart mit dem verlässlichen Mercedes-Triebwerk könnte das Team wieder an die Spitze bringen.

Die Mercedes-Verantwortlichen Toto Wolff und Niki Lauda dürfen mit ihrer Arbeit mehr als zufrieden sein. Als Werksteam und als Motorenlieferant. Sogar Williams konnte einen guten Eindruck hinterlassen und es sieht so aus, als könnte der britische Traditionsrennstall endlich wieder dem Status entsprechend auftreten. Vielleicht blüht ein Felipe Massa tatsächlich noch einmal auf? Vielleicht kann er tatsächlich die vielen Jahre als geschmähter Wasserträger vergessen und sich seines Grundspeeds besinnen?

Begeistert zeigten sich viele Zeugen an der Strecke von Rookie Kevin Magnussen. Er habe den McLaren richtig fliegen lassen, fühlte sich offenbar pudelwohl in dem noch ziemlich aggressiven Fahrzeug. Man sah ihn quer, mit ausbrechendem Heck, man sah ihn gegenlenken – doch all das in einer Ruhe und Gelassenheit, wie man das von einem Formel 1-Neuling nicht erwarten würde.

Die zusammengefassten Testzeiten der Jerez-Testfahrten sind angesichts der unterschiedlichen Bedingungen und der riesigen Zeitabstände nur unwichtiges Beiwerk dieser Analyse. Dennoch zeigt der erste Blick dramatisch auf, was in dieser Woche vor sich ging: In den Top 11 sind bis auf die beiden Werks-Ferrari nur Mercedes-Piloten zu finden. Umgekehrt bilden die Renault-Teams das Schlusslicht – mit Rückständen weit außerhalb einer 107 Prozent-Marke.

Dass es Renault möglich sein wird, den Fehler komplett zu beheben, beweist die gute Performance von Mercedes. Denn die „Silbersterne“ haben gezeigt, dass dieses Reglement umzusetzen ist. Die Renndistanz von Nico Rosberg legt die Messlatte dort an, wo man sie von einer Formel 1 erwartet. Was Mercedes schafft, muss auch Renault schaffen können. Und wenn nicht, gibt es massiven Ärger.

Ein Fragezeichen bleibt das Lotus-Team. Die Taktik, an der ersten Testwoche nicht teilzunehmen, könnte auch mit der revolutionären Nase zu tun haben – denn noch gibt es keine Detailfotos. Man könnte auch sagen: Allzu viel versäumt hat die Mannschaft aus Enstone nicht – denn angesichts der Renault-Problematik wäre man ohnehin nicht viel gefahren. Sollte Renault den Fehler finden, wovon eigentlich auszugehen ist, wird Lotus keine Nachteile haben. Offen bleibt hier lediglich, wie es um das eigene „Paket“, die Einpflanzung des Motors und seiner Aggregate steht. Vorgewarnt ist man auf jeden Fall...

Lesen Sie hier:
Die zusammengefassten Zeiten/Distanzen der ersten Testwoche

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