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Herzschlagfinale in China: Alte Alfas sterben nicht, aber der alte Champion ist auch der neue – doch ein lockerer Nachmittag war es für Andy Priaulx nicht.

Johannes.Gauglica@motorline.cc

Das Wetter in Macao: bewölkt und warm, mit bis zu 25 Grad - Bedingungen, die wir uns im "frühwinterlichen" Österreich auch wünschen würden. Im Warm-Up für das Grande Finale der Saison 2007 hielten sich die Titelfavoriten zurück; Außenseiter Jörg Müller im BMW war mit Platz 2 der flotteste, aber er hatte Startplatz 15.

Andy Priaulx schaffte nur die 25. Zeit - technische Probleme? Als einziges "Opfer" brachte Zanardi seinen BMW auf drei Rädern an die Box zurück, und die Herren Jourdain jr. und Couto waren als Non-Starter bestätigt.

An der Boxenmauer stand nicht der Wolfgang-Schüssel-Fanclub, sondern die Chevrolet-Truppe: Chevrolets Markenzeichen ist ja der „bow tie“, das Mascherl, und die Chevy-Boys um Eric Neve präsentieren sich bei einer Pole Position stolz mit ebensolchem unterm Kinn.

Der Pole-Mann Alain Menu ist damit der Quali-König des Jahres, mit fünf Pole Positions. Er bezeichnete seine schnellste Runde im Zeittraining als „meine vielleicht beste Runde im Tourenwagen“.

Alfa-Fahrer James Thompson bemerkte etwas süffisant, es sei doch bemerkenswert, dass er mit einem drei Jahre alten Chassis immer noch imstand sei, einige brandneue Autos hinter sich zu lassen. Alfa hat außerdem vor diesem letzten Rennen keine Testarbeit mehr gemacht: „Wir haben unser Auto nur entrostet…“

Dennoch hatte Thompson noch eine kleine Chance auf den WM-Titel. Alfa 156, ein Gebrauchtwagen-Geheimtip? - Vorneweg allerdings Yvan Muller, er sah bereits wie ein sehr sicherer WM-Sieger aus. Und Priaulx war mit Startplatz 12 praktisch nicht mehr im Bild.

Lauf 1: Einschläge und Umstürze

Am Start bereits das erste Fragezeichen: Frühstart für Yvan Muller? Der Zweitplatzierte war bereits neben (oder vor?) Polesetter Menu, als der rollende Start freigegeben wurde. Mit Diesel-Power stürmte der Franzose an die Spitze, Menu im Chevy jedoch nie weit entfernt.

Erste Sensation: Kein Massencrash in der Lisboa-Kurve! Das Rennen lief ungestört weiter, in Macao sicherlich die große Ausnahme. Muller und Menu kämpften in einem atemberaubenden Duell um die Führung – Millimeterarbeit zwischen den Leitschienen auf dem Stellenweise nur 7 Meter breiten Kurs, der eher einer Bobbahn ähnelt als einer Rennstrecke. Dahinter war Augusto Farfus der beste BMW-Fahrer, er hatte Gabriele Tarquini im Nacken.

Farfus hatte anfangs nicht ganz den Speed, den er für einen echten Angriff auf die Spitze gebraucht hätte, aber er war für den Moment BMWs Favorit im Rennen. Priaulx wiederum musste unbedingt zumindest einen Punkt einfahren, um überhaupt noch eine Chance zu haben. Und James Thompson im Alfa bewegte sich unauffällig, aber doch auf Kurs in eine sehr aussichtsreiche Meisterschaftsposition.

Favoritensterben

Die von der Konkurrenz erwarteten Reifenprobleme für die TDI-Seat, mit mehr Gewicht auf der Vorderachse und mehr Drehmoment, trafen nicht ein. Muller sah wie der sichere Laufsieger und wahrscheinliche neue Weltmeister aus – und dann blieb er in der vorletzten Runde des vorletzten Rennens stehen. Vor der engen Melco-Haarnadel krachten die Verfolger fast in den Seat, der urplötzlich ohne Vortrieb ausrollte.

Damit gab sich plötzlich ein ganz anderes Bild für den Fahrer- und auch den Markentitel. Denn auch in der Herstellerwertung trennten Seat und BMW nur wenige Punkte. Anfangs der letzten Runde gab es dann den Gegenangriff der Spanier, in nicht sehr nobler Weise.

Ausgangs der Lisboa-Kurve wollte der alte Tourenwagen-Haudegen Gabriele Tarquini mit dme Kopf durch die Wand – und schob Augusto Farfus aus dem Weg. Der BMW schlug heftig in die Barriere ein.

Tarquinis Version der Dinge: „Ehrlich gesagt ist er mir reingefahren. Ich war zwischen ihm und der Leitschiene. Er war sehr langsam aus der Lisboa heraus, ich war innen... - Ich kann mich ja nicht auflösen!“ – Die TV-Kameras zeigten allerdings ein etwas anderes Bild. Wie auch immer, damit waren die Chancen des Brasilianers auf den WM-Triumph nur mehr Makulatur.

Die Profiteure: Einerseits Seat, mit mehr Punkten für die Markenwertung, und andererseits James Thompson. Er kassierte Punkte für Platz 5. Hinter ihm gab es gelungene Teamstrategie bei BMW: Gastfahrer Duncan Huisman ließ sich elegant auf Platz 9 zurückfallen – damit kassierte ein anderer BMW Platz 8, einen Punkt und die Pole Position für das letzte Rennen des Jahres: Andy Priaulx war auf einmal wieder sehr groß im Bild!

Lauf 2: Ungleicher Kampf

David gegen Goliath, Andy gegen „Tommo“, BMW gegen Alfa Romeo – und brandneuer BMW 320si gegen den drei Jahre alten Alfa 156. Das Team N.Technology fährt mit Alfa-Werksnennung, bekommt aber vom Werk keine Unterstützung mehr, vor Macao standen die Rennautos sechs Wochen lang still. Urplötzlich war also Priaulx wieder der große Favorit, und - völlig bizarr - Thompson sein größter Herausforderer!

Der stets gut gelaunte Alfa-Brite vor dem Start: „Wir sind jetzt dritte in der Meisterschaft, es wäre toll, wenn wir das halten könnten – und ein Wunder, wenn’s doch noch ein besserer Platz würde!“ – Mit 9 Punkten Defizit musste Thompson gewinnen und auf Pech von Priaulx hoffen.

Diesen Gefallen tat der Mann aus Guernsey seinem Landsmann allerdings nicht. Den stehenden Start erwischte Thompson exzellent, aber Priaulx hielt die Führung und verteidigte sie die ersten Runden souverän. Wo immer sich der Speed des BMW in den vergangenen Tagen versteckt hatte, im entscheidenden Moment war er jedenfalls wieder da.

Thompson wiederum kam unter Druck von Nicola Larini im Chevrolet, der ihn nach rundenlangem Kampf dann auch überholte. Und zu guter Letzt wollte auch Tiago Monteiro noch aufs Podium; der Portugiese im Benziner-Seat lieferte eines seiner besten Rennen der Saison.

Der Stoff, aus dem Legenden sind

Vor Lauf 1 von der Bildfläche verschwunden, am Ende von Lauf 2 wieder formatfüllend da: Der alte und neue Weltmeister heißt Andy Priaulx. Die Last auf den Schultern des Titelverteidigers muss immens gewesen sein. Auf jeden Fall sollte er heuer auch besonders nette Weihnachtsgrüße nach Holland schicken, Empfänger: Duncan Huisman. Dieser eine Punkt rettete Priaulx’ Weltmeistertitel.

„To finish first, first you must finish“, diese alte Weisheit kam dem sichtlich gerührten Priaulx nach dem Rennen in den Sinn, „wir haben einige technische Widrigkeiten gehabt und mussten uns halt durcharbeiten.“ – Hat ihn nach der schlechten Quali-Leistung der Mut verlassen: „Ehrlich gesagt war da noch ein Hoffnungsschimmer…“

Dank etwas Glück (bzw. Pech für Seat) holte BMW dann auch mit ganzen 8 Punkten Vorsprung die Markenwertung, und Stefano d’Aste holt auch den Privatierstitel für die Bayern. Seat geht mit leeren Händen heim, das muss schmerzen. Die mutige spanische TDI-Kampagne hat aber auch andere Hersteller dazu gebracht, sich für 2008 ein Dieselprojekt zu überlegen.

Nicola Larini muss heuer auf den so heiß ersehnten Sieg verzichten, und er war trotz Platz 2 auch etwas enttäuscht. Ein lachender, oder zumindest breit grinsender, Dritter war jedenfalls James Thompson: „Jeder kennt unsere Situation; wenn uns wer gesagt hätte, dass wir WM-Dritte werden, mit einer Titelchance im letzten Rennen, hätten wir gelächelt und gesagt, nie und nimmer!“

Yvan Muller bleibt letztlich Vizeweltmeister, Thompson sichert sich „nur“ Platz 3, wohl auch mangels Unterstützung durch einen Teamkollegen, nach André Coutos glanzlosem Abgang im Training.

Der Beste?

Erfreulich: Im Gegensatz zu anderen Weltmeisterschaften gab es hier eine Entscheidung ohne politisches Tamtam und kindische Streitereien - es gaht also auch anders. Schöne Grüße an die Formel 1!

Damit wandert die vierte FIA-Trophäe in Folge auf die britische Kanalinsel Guernsey – nach dem EM-Titel 2004 jetzt die dritte Weltmeisterschaft für Priaulx.

Damit ist er endgültig im Olymp der Tourenwagenpiloten angelangt, gleichberechtigt neben Größen wie Roberto Ravaglia, Steve Soper, Dieter Quester oder Klaus Ludwig.

Vielleicht ist Andy Priaulx sogar der beste Tourenwagenfahrer aller Zeiten.

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