Nascar: News | 02.12.2005
Zurück in die Zukunft!
Nicht nur in der Formel überlegt man derzeit intensiv, die Show zu verbessern und die Kosten zu senken, auch die NASCAR-Serie tüftelt eifrig.
Johannes Gauglica
NASCAR und die Formel 1 könnten technisch nicht unterschiedlicher sein, dennoch machen sich die Verantwortlichen beider Serien ähnliche Gedanken. Leichteres Überholen verbessert die Show, niedrigere Einstiegskosten erleichtern den Zugang für neue Teilnehmer. Die Formel 1 hat als Rezepte den V8-Motor und den CDG-Flügel; NASCAR will mit einem neu geformten Auto auf den aerodynamischen Stand der 1980er-Jahre zurück.
In Concord, North Carolina unterhält NASCAR ein eigenes Forschungs- und Entwicklungszentrum; Außenstehende sind angesichts der klobigen V8-Radpanzer des Nextel Cup versucht zu fragen, was denn dort – und genauso bei den einzelnen Teams - geforscht und entwickelt wird.
Aber der Aufwand steckt im Detail, die engen technischen Cup-Regeln erfordern bei den Summen, um die es im beliebtesten Zuschauersport der USA mittlerweile geht, extragroßen Aufwand im Suche und Finden von Schlupflöchern und Grauzonen. Ähnlich wie sich Microsoft eigene Hacker hält, tüfteln parallel zu den Teams bei NASCAR Research &Development erfahrene Rennprofis, um den schlauesten Regelverbiegern auf die Schliche zu kommen.
Der Rennfahrer und ausgebildete Techniker Brett Bodine ist dort der Manager des Projektes „Car of Tomorrow“, das seine Anfänge bereits im Jahr 2000 hat. Damals war eine Serie von tödlichen Unfällen der Beginn für Überlegungen, die aktuelle Fahrzeug-Formel zu verbessern. Mit dem Tod von Superstar Dale Earnhardt sr. in Daytona 2001 wurde daraus das wichtigste NASCAR-Projekt, in das bald auch alle anderen Änderungswünsche einflossen. Heute geht es beim Auto von morgen längst nicht mehr nur um die Sicherheit.
Der erste Prototyp wurde bei NASCAR R&D auf die Räder gestellt, seit Anfang Oktober gibt es bereits auch von Teams gebaute Exemplare. Gemeinsam mit dem NASCAR-Prototypen, mit Chevy-Motor und gesteuert von Brett Bodine, drehten Kyle Petty mit dem Dodge-Modell aus seiner eigenen Werkstatt und Carl Edwards mit einem Roush-Ford ihre Runden am Talladega Superspeedway.
Das Auto ist breiter als seine aktuellen Vorgänger und hat ein höheres Dach, das größere „Glashaus“ sorgt für mehr Luftwiderstand und damit einen größeren Windschatten. Ein ähnliches Konzept bewährt sich bei den Craftsman Trucks; diese Fahrzeuge sind Pickups nachempfunden und haben deshalb klarerweise eine recht hohe „Kabine“.
Gemeinsam mit der Indy Racing League gelten die Trucks momentan als die nordamerikanische Serie mit der besten Renn-Action. Der Überrollkäfig in der Fahrgastzelle ist verstärkt, der Fahrer sitzt (noch) weiter in der Mitte als bisher. Und zum ersten Mal gibt es wieder austauschbare Aerodynamik-Teile an den Autos: Front- und Heckspoiler können ausgewechselt werden. Derzeit ist das nicht erlaubt.
Genau wie in der Formel 1 hadern die NASCAR-Chefs mit der Aerodynamik der jetzigen Autos. Die vorgeschriebene Einheitskarosserie der Nextel-Cup-Boliden ist mittlerweile von den Teams in tausenden Windkanalstunden optimiert worden. Eine Nebenerscheinung dieser unveränderlichen Silhouette ist, dass je nach aerodynamischem Erfordernis für verschiedene Kurse eigene Autos gebaut werden müssen.
Auch vom Chassis her gibt es Unterschiede; zum Beispiel sind die Autos für die Superspeedways in Talladega und Daytona weniger steif. Auf diesen beiden Strecken die Motorleistung mittels „restrictor plates“, also Luftmengenbegrenzern, empfindlich eingeschränkt.
Dort wird, weil die Autos zu schwach sind, um aus eigener Kraft an Konkurrenten vorbeizukommen, das Windschattenfahren bis zum Extrem des „bump drafting“ betrieben, es wird also regelrecht angeschoben. Ein flexibles Chassis verkraftet solche Erschütterungen, ohne sofort aus der Spur zu geraten und in die Mauer zu segeln.
Für diesen Effekt beschäftigen die Teams eigene Metallurgen, die nach den geeignetsten Legierungen für die verschiedenen Zwecke suchen. Auch in anderen Bereichen ist die Metallkunde gefragt ist, zum Beispiel bei den Getriebeübersetzungen: mit Speziallegierungen holen die Teams aus den standardisierten Getrieben Umdrehung für Umdrehung heraus, bis jenseits der 10.000er-Marke. Auch hier will NASCAR zur Kostensenkung in Zukunft stärker reglementieren, wenngleich auch zumindest vorerst noch nicht bis hin zu Einheitsmotor und -getriebe.
Und so hat jedes Team für jeden Fahrer eigene Autos für die gossen Ovale, die mittleren Ovale, die kleinen Ovale und natürlich die beiden Straßenrennen des Jahres; Fahrer wie Tony Stewart haben die Wahl zwischen acht bis zehn Chassis. NASCAR möchte daher auch die Zahl der Autos pro Fahrer und Saison längerfristig auf vier bis fünf Chassis begrenzen.
Die Schwierigkeit dabei ist das Eigentümer-Prinzip: Autos werden von Teams eingesetzt, gehören aber individuellen Eigentümern. Somit könnte eine Beschränkung pro Eigentümer noch mehr dazu führen, dass sämtliche Familienmitglieder eines Teambetreibers oder Investors ein Rennauto einsetzen, das sie in Wirklichkeit vielleicht nie gesehen haben.
Der verstorbene Alan Kulwicki war 1992 der letzte „owner-driver“, der den Cup-Titel geschafft hat. Der letzte Sieg für ein Ein-Auto-Team datiert aus 2003. Und der letzte signifikante Neuzugang eines Teams in den Nextel Cup war Racing-Multi Chip Ganassi, der heute ein Dodge-Team betreibt.
Neueinsteiger in den Cup betätigen sich heute zumeist nicht mehr als Teambetreiber, sondern investieren bei einem bestehenden Team. Damit werden die „Großen“, also die erfolgreichen Renn-Konzerne wie Roush, Penske oder Dale Earnhardt Inc., noch größer. Mit fünf Autos der insgesamt zehn Autos in der Chase 2005 und einem de-facto-Monopol auf das Ford-Motortuning hat das Unternehmen von Jack Roush die kritische Masse erreicht, um auch dem NASCAR-Management unheimlich zu werden.
Bereits Anfang 2006 könnte es in Daytona das erste Testrennen mit 25 bis 30 Autos geben. Spätestens 2007 wird der Nextel Cup (oder wie immer er dann heißen wird) auf das neue Fahrzeug umgestellt sein. Die derzeitige Auto-Generation verschwindet allerdings nicht volständig aus dem Rennsport, dafür stehen in den Garagen der Teams zu viele Werte herum.
Die Cup-Autos wandern in die Busch Series, wo momentan Fahrzeuge mit einem kürzeren Radstand gefahren werden. Diese wiederum dienen dann als Arbeitsgeräte in neu zu schaffenden „Grand National“-Serien in Kanada, Mexiko und Großbritannien. In all den genannten Ländern gibt es ähnliche Meisterschaften, in die NASCAR investiert hat bzw. dies vorhat.
Was sagen die Teams dazu? Die Kleinen zeigen sich über die Tendenzen zur Kostensenkung zufrieden, fürchten sich aber vor den Kosten der neuen Autos - pro Fahrzeug immerhin ca. 150.000 Dollar. Den Großen wird von NASCAR zwar attestiert, nicht falsch gespielt, sondern nur die bestehenden Regeln clever ausgenutzt zu haben; dennoch fühlen sie sich zum Teil ungerecht behandelt und würden die kommenden Änderungen lieber abbremsen.
Ganz leise im Hintergrund schwingt auch im NASCAR-Universum die Angst vor einer Spaltung der Meisterschaft mit, wie es den IndyCars und den Sportwagen bereits widerfahren ist, und auch der Formel 1 zumindest theoretisch noch immer droht. Mit Rennstreckenmagnat und NASCAR-Intimfeind Bruton Smith stünde auch jemand bereit, eine Rebellenserie zu unterstützen und durchzuführen.
NASCAR hat zwar die Kraft, solche Rebellionen niederzuschlagen, aber das kostet Geld, Kraft und Ansehen. Gerade in Anbetracht der Expansionspläne Richtung Kanada und Mexiko (und längerfristig sicher auch Europa) können sich France & Co. einen solchen Kleinkrieg nicht leisten.