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Überholen soll wieder schwieriger werden - ein weiterer Schildbürgerstreich?

2006 gab es mehr Überholmanöver als zuvor. Einige Regeländerungen könnten zur Folge haben, dass es 2007 diesbezüglich wieder ruhiger wird, befürchten Experten.

Michael Noir Trawniczek

Vielleicht wird man mit der Zeit genügsam - dennoch muss man feststellen: Die Formel 1-Saison 2006 bot ein hohes Maß an Spannung und es gab auch zahlreiche, elektrisierende Überholmanöver zu beobachten - und zwar nicht nur auf den superbreiten Hermann Tilke-Rennstrecken, sogar auf der Rumpelpiste von Sao Paulo wurde hart gefightet. Ob sehr streng oder sehr milde betrachtet - eines ist unbestritten: Es gab 2006 eindeutig mehr Überholmanöver als in den Jahren davor.

Jene 86 Prozent der weltweiten Formel 1-Fans, welche in der jüngsten Umfrage der Sportbehörde FIA angaben, die "Königsklasse" brauche mehr Überholmanöver, müssen diese Entwicklung mit Wohlgefallen vernommen haben. Doch bevor diese nun Dankesbriefe an FIA-Präsident Max Mosley schreiben, sollten sie die folgenden Zeilen zu Ende lesen...

Denn es sind ausgerechnet kleine "Fußnoten" im Anhang des Sportlichen Regelwerks für 2007, welche bei Formel 1-Experten Besorgnis auslösen. Einmal mehr setzt die FIA an zum großen "Schuss ins Knie". Einige Modifikationen des Regelwerks, die den großen Automobilkonzernen beim Sparen helfen sollen, könnten dazu führen, dass im kommenden Jahr die Anzahl der Überholmanöver wieder auf das bereits vertraute Maß aus den Jahren 2003 oder 2004 absinkt.

Drehzahllimit

Einen wesentlichen Beitrag zur Senkung der Überholmanöver könnte die so genannte "Motoreneinfrierung" erwirken. Craig Scarborough, seines Zeichens Technikexperte bei den britischen Kollegen von Autosport, hat in einem Essay seine große Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass es im kommenden Jahr gleich aus mehreren Gründen weniger Überholmanöver geben könnte.

Bekanntlich mussten die Hersteller (und nur diese stellen zurzeit F1-Motoren her, weil im Zuge der "Kostenreduktion" der einzige Privatier Cosworth zusperren musste - zu diesem Schildbürgerstreich lesen Sie bitte die köstliche Kolumne unseres Starautors Helmut Zwickl: "Todesstoß für Cosworth") schon in Monaco erste Sample-Motoren abliefern, am Saisonende mussten weitere Exemplare zur Homologation eingesandt werden - die Aggregate werden nicht nur auf dem aktuellen Stand eingefroren, mit dem Entwicklungsstopp wurde auch ein Drehzahllimit von 19.000 Umdrehungen pro Minute installiert. Bis zum 15. Dezember müssen die Teams ihre Motoren dahingehend "zurückrüsten", zugleich dürfen sie das Motorenumfeld hinsichtlich ihrer neuen Boliden umgestalten.

Im abgelaufenen Jahr haben die Motoren unglaubliche Drehzahlen bis zu 20.000 U/min erreicht - es war ausgerechnet der besagte Cosworth-Motor, der die höchste Drehzahl schaffte. Die Piloten hatten auf diese Weise im Rennen eine Art "Boost-Button" zur Verfügung, indem sie vor einem geplanten Überholmanöver die Drehzahl erhöhen konnten. Auf diese Möglichkeit müssen sie im kommenden Jahr verzichten. Hinzu kommt: Die Teams werden keine Probleme dabei haben, die 19.000 U/min stets auszunützen - somit wird es auch weniger Motorschäden geben, was zudem auch weniger Rückversetzungen in der Startaufstellung zur Folge haben wird. Womit also ein weiteres Element, welches potentiell für mehr Überholvorgänge sorgt, abhanden kommt. Fazit dieser Maßnahme: Die "armen" Automobilwerke sparen bei der Stückzahl ihrer Aggregate, dafür wird es weniger Überholmanöver geben.

Einheitsreifen

Große Kosten hat auch der so genannte "Reifenkrieg", das Duell der beiden Pneu-Ausrüster Bridgestone und Michelin, verschlungen - weshalb ab 2008 der Einheitsreifen vorgeschrieben wurde. Weil sich Michelin aber bereits zum Jahresende aus der Formel 1 verabschiedet hat, gibt es mit Bridgestone nur noch einen Reifenausrüster in der Königsklasse des Automobilrennsports.

BMW-Pilot Nick Heidfeld, der schon bei den kommenden Testfahrten auf die japanischen Pneus umsteigen muss, erklärte: "Wenn du verschiedene Reifen hast, dann ist es wahrscheinlicher, dass die Autos verschiedene Kurven in verschiedenen Geschwindigkeiten durchfahren werden. Wenn man diesen Umstand berücksichtigt, erwarte ich, dass Überholen noch schwieriger wird."

CDG-Wing

Dass die Fans mehr Überholmanöver wünschen, weiß die FIA bereits seit ihrer ersten Umfrage im Jahr 2005, als man in Paris das Internet als Werkzeug zur Publikumsbefragung entdeckte. In der Folge wurde gemeinsam mit Computergigant AMD eine Studie angefertigt. Das Ergebnis war der so genannte "Central Downwash Generating-Wing" - ein zweigeteilter Heckflügel, der die gefürchtete "Dirty Air", welche die hinterherfahrenden Fahrzeuge instabil macht, reduzieren hätte sollen. Allerdings gibt es mittlerweile immer mehr Stimmen, welche behaupten, der CDG-Wing würde das Problem nur noch verschlimmern. Noch wehren sich die Teams gegen dessen Einführung, suchen nach eigenen Lösungen.

Zyniker würden sagen: Die FIA arbeitet Schritt für Schritt an einer Reduktion der 2006 unabsichtlich gestiegenen Überholmanöver...

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