Formel 1: News | 20.01.2009
Klien will wieder mehr Rennen fahren
Christian Kliens Rennwochenenden als Ersatzpilot sind genau durchgetaktet, sein Einsatz als Langstreckenpilot bringt Abwechslung.
Was macht eigentlich ein Test- und Ersatzpilot an einem Rennwochenende, während seine Teamkollegen auf der Strecke um jede Hundertstelsekunde kämpfen? Christian Klien lächelt verschmitzt und stellt die Gegenfrage: "Wie viel Zeit haben wir denn für die Antwort?" Der Österreicher, der im Februar 26 Jahre alt wird, erzählt: "Manche Leute glauben, dass ein Testfahrer das ganze Wochenende nur in der Sonne sitzt und darauf hofft, dass sich die Einsatzpiloten beim Abendessen den Magen verderben."
"Die Wahrheit ist: Der Ablauf eines Rennwochenendes ist heute so durchgetaktet, dass er nur von drei vollwertigen Formel-1-Fahrern bewältigt werden kann. Zumindest wenn man die Sache ernst nimmt." An seine Rolle hat sich Christian Klien, der auch schon drei Jahre als Einsatzpilot in der Formel 1 vorweisen kann, längst gewöhnt. "Für mich macht es wenig Unterschied, ob ich zum Grand Prix anreise, um Rennen zu fahren oder eben meine Testfahrerrolle im BMW Sauber F1 Team auszuüben."
Allzeit bereit
"Ich trainiere genauso intensiv, und ich muss auch im Kopf genauso stark sein wie die anderen beiden. Denn es kann ja immer etwas passieren. Und dann musst du halt zeigen, dass du Profi bist. Unvorbereitet oder körperlich nicht fit einspringen zu müssen, kann schwer nach hinten losgehen." Im heimischen Vorarlberg arbeitet er jede freie Minute an seiner Fitness. Unter Anleitung seines persönlichen Betreuers wird Abwechslung beim Training groß geschrieben.
"Wir gehen Mountainbike und Ski fahren, trainieren am Ergometer oder schärfen das Balancegefühl mit trickreichen Spezialübungen. Als Formel-1-Fahrer brauchst du ja auch dein ganzes Sensorium." Die Top-Werte beim Fitnesscheck, den das Betreuerteam mit den Fahrern mehrmals im Jahr durchführt, bestätigen Kliens Kondition.
Ein Rennwochenende bedeutet ein intensives Programm an technischen Briefings und Debriefings, Medienterminen und Strategiebesprechungen. Schon donnerstags vor den Rennen beginnen die Meetings mit der Reifenfirma und den Ingenieuren. Die ersten Interviews mit Zeitungen und Fernsehen sind Fixpunkte im Programm, ebenso teaminterne Meetings, um alle Eventualitäten des kommenden Wochenendes abzuklären oder das Abgehen der Rennstrecke, um jede Bodenwelle kennen zu lernen.
Klien ist, genau wie die beiden Einsatzpiloten, in alle Abläufe eingebunden. Ab dem ersten Training hört er den Boxenfunk des Teams mit. Selten hat ein Arbeitstag unter zwölf Stunden, oft auch mehr. Und bis zum Beginn des Qualifikationstrainings muss der Ersatzpilot jederzeit bereit sein, für einen Stammfahrer einzuspringen. Helm, Overall und Sitzschale liegen immer bereit.
Jugend und Erfahrung im Kombipack
Klien hat nach offizieller Zählweise 47 Grands Prix bestritten (48, wenn man Indianapolis 2005 dazuzählt, als er wie fast das gesamte Feld nach der Formationsrunde wegen Reifenproblemen in die Boxengasse abbiegen musste). Sein F1-Einstieg war kometenhaft schnell passiert. Nachdem er durch die Ausbildung der Formel BMW gegangen war, fuhr er mit 19 Jahren seine Rookie-Saison in der Formel-3-Euroserie und tat rasch das, was er auch in allen anderen Nachwuchsformeln beherrscht hatte: Er gewann ein Rennen nach dem anderen.
Beim prestigeträchtigen Marlboro-Masters in Zandvoort zeigte der Newcomer wieder allen den Auspuff und sicherte sich damit seine Eintrittskarte in die Formel 1 - als erster unter den Kollegen Rosberg, Hamilton, Kubica, Piquet oder Glock, gegen die er alle in der Formel Renault und Formel 3 gekämpft hatte. Von 200 Formel-3-PS in die Formel 1 in nur wenigen Wochen, das war eine Riesenaufgabe.
Die ersten Gehversuche waren beeindruckend: "Ich hatte meinen ersten Test im Jaguar mit 19. Plötzlich schieben hinten 900 PS an, und das Lenkrad hat so viele Knöpfe, dass du eigentlich 500 Seiten Bedienungsanleitung lesen musst. Aber die Ingenieure waren zufrieden. In Mark Webber hatte ich einen sauschnellen Teamkollegen und jeder Vergleich mit ihm war eine Herausforderung."
"Ein paar Wochen später war ich, der Formel-3-Grünschnabel aus Vorarlberg, in Melbourne, und die ganze Stadt schien mich zu kennen. Da dämmerte mir langsam, was da auf mich zukommen würde." Fehlende Erfahrung war zu Beginn ein Manko. Trotzdem konnte Klien sein Talent aufblitzen lassen, indem er Rennen zu Ende fuhr, kaum etwas kaputt machte und auch Punkte holte. "Das Debütjahr war unglaublich schwierig. Es herrschte der absolute Rundengeiz wegen des Reglements."
"Oft hatte ich nur 15 oder 20 Runden, um einen Kurs kennen zu lernen und irgendwie ein Set-up hinzubekommen. Dann ging's ins Qualifying." Auch in Bezug auf das Material lernte Klien die Formel 1 auf die harte Tour kennen. Rückblickend sieht er es als lehrreiche Erfahrung: "Mein erstes F1-Auto fuhr sich im Vergleich zum BMW Sauber F1.08 ungefähr wie ein Autobus. Dazwischen liegen Welten. Aber genau diese Erfahrung macht einen guten Piloten aus. Wenn man nie die dunklen Seiten des Jobs durchgemacht hat, dann tut man sich manchmal schwerer, den Weg zum Licht selbst zu finden."
Langstreckenrennen als Ausgleich
Im Augenblick erlebt die Formel 1 jenen Christian Klien, den er selbst scherzhaft als "Version 2.0" bezeichnet. Nach zwei weiteren Jahren in den Diensten von Red Bull hatte Version 1, der talentierte Newcomer, ausgedient. Turbulente Jahre in einem sehr wechselhaften Umfeld hatten ihn schnell reifen lassen. Mit 23 noch deutlich zu jung für die Pension, verdiente er sich seine ersten Testfahrer-Lorbeeren im Werksteam von Honda, eher er Anfang 2008 zum BMW Sauber F1 Team kam.
"Die Zeiten für Testfahrer sind heute nicht so rosig", gesteht er unverblümt. Die Anzahl der Testtage ist streng limitiert. "Noch vor ein paar Jahren gab es Testfahrer, die dreißigtausend Kilometer und mehr abspulen durften. Heute müssen wir uns jede Runde gut einteilen. Umso wichtiger ist es daher, dass ein Mann mit Erfahrung im Auto sitzt. Denn jeder vergeudete Kilometer tut beim Testen heute richtig weh."
Seine Dosis Rennfeeling holt sich Christian Klien an freien Wochenenden als Langstreckenpilot. So debütierte er 2008 bei den legendären 24 Stunden von Le Mans gleich mit einem Podestplatz. Er hatte zwischenzeitlich sogar geführt. Eine willkommene Abwechslung, um im Training zu bleiben: "Die Langstreckenrennen sind das Zweitbeste nach der Formel 1. Alleine in meinem Team wurden in Le Mans acht aktive oder ehemalige F1-Fahrer eingesetzt."
"Es ist eine unglaublich gute Erfahrung, um die Reflexe auf höchstem Niveau zu halten. Bei einem 24-Stunden-Rennen kommen pro Auto 6.000 Kilometer zusammen - mehr als in der Formel 1 in einem ganzen Jahr. Ich bin dem BMW Sauber F1 Team sehr dankbar für die Möglichkeit, anderswo wichtige Rennkilometer zu sammeln. Es ist gut, dass Mario Theissen nichts dagegen hat, wenn sein Ersatzmann zwischendurch mal 600 bis 700 Überholmanöver pro Rennen bei bis zu 350 km/h erledigt."
Das Hauptaugenmerk ist und bleibt aber die F1. "Ich bin in einem Topteam und habe eine sehr wichtige Rolle, mit der ich im Moment absolut glücklich bin. Aber der Beruf des Rennfahrers hat mit 'Rennen fahren' zu tun. Ich werde weiter mit hundert Prozent Einsatz um meine Formel-1-Chance kämpfen."