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Motorsport: Kommentar

Über HALOdris & die Sehnsucht nach Würde

Der Formel 1-Champion erklärt die Moto GP zur besseren Rennserie. Eine Rallye-Ikone will zurück zum Heckantrieb. Und Colin Chapman muss nicht mehr rotieren…

Kommentar von Michael Noir Trawniczek
Fotos: MotoGP, Photo4

Der amtierende Formel 1-Weltmeister erklärt öffentlich, warum seiner Meinung nach die Moto GP die bessere Rennserie sei - weil dort noch „mehr echtes Racing“ geboten werde. Wahrscheinlich befürchtet Lewis Hamilton, dass ihm der eigene Durchmarsch langweilig werden könnte, denn die zurzeit laufenden Testfahrten lassen für die bevorstehende Saison eine noch größere Überlegenheit von Mercedes befürchten…

Vielleicht meint Hamilton auch jenen Unterschied, den mittlerweile immer mehr Fans hervorstreichen: Die Moto GP braucht im Gegensatz zur Formel 1 keine eigenen „Überholzonen“. Tatsächlich mutet es seltsam an, wenn die „Königsklasse“ nur noch in den vordefinierten DRS-Zonen zum Überholen ansetzt.

Dabei wäre es so einfach: Man bräuchte das Drag Reduction System (DRS) nur freizugeben. Sobald ein Pilot weniger als eine Sekunde hinter dem Vordermann liegt, sollte er die Heckflügelklappe öffnen dürfen, wo immer er sich befindet – dann würde das System einfach nur den wegen der extremen Aerodynamik fehlenden Windschatten ausgleichen. Und den gab es auch früher an jeder Stelle der Rennstrecke…

Rotieren in Unwürde

Früher gab es auch Teams mit großen Namen. Lotus zum Beispiel. Der legendäre Lotus-Gründer Colin Chapman kam zuletzt, seit dem Jahr 2010 nicht mehr zur Ruhe, Jahr für Jahr musste er in seinem Grab rotieren. Erst kaufte ein peinvolles Hinterbänklerteam den geschichtsträchtigen Namen, dann gab es gar zwei Lotus-Teams in der Grand Prix-Startaufstellung, garniert mit einem abstoßenden Streit um die Namensrechte.

Heuer schließlich ist der Name schon wieder Schall und Rauch, Renault hat das Team zur Gänze gekauft und den Namen über Bord geworfen, Colin Chapman kommt endlich zur Ruhe – rückblickend kann man von einem Lotus-„Comeback“ sprechen, das so unwürdig war wie ein Hirschgeweih über einem Formel 1-Cockpit.

Hirschgeweih? Halo heißt das Gebilde, das ab 2017 als Kopfschutz zum Einsatz kommen soll. So wichtig die Sicherheit der Piloten ist – die von Kimi Räikkönen am Donnerstagmorgen getestete Einrichtung sieht einfach nur unwürdig aus. Der eingangs erwähnte Lewis Hamilton meinte nur vielsagend: „Von mir hört ihr dazu keinen Ton.“

Weniger zurückhaltend Nico Hülkenberg: „Man kann nicht alles sterilisieren und jedes Risiko vernichten. Das macht den Sport unsexy und unattraktiv. Optisch gefällt's mir überhaupt nicht - es sieht einfach falsch aus für mich. Wir dürfen nicht zu sehr verweichlichen.“

„Wir fahren bei jedem Wetter!“ – wirklich wahr?

Ganz anders denkt man wohl zurzeit in der Rallye-Weltmeisterschaft, dort möchte man nach Formel 1-Vorbild eine Fahrergewerkschaft ins Leben rufen – der Hintergrund: Bei der Schweden-Rallye sprachen sich einige Piloten für eine Absage aus, doch die Veranstalter zogen die Rallye durch. Was war geschehen? Die als Schnee-Event eingestufte Rallye litt im Vorfeld unter den zu warmen Temperaturen, sodass die Eisschicht aufzubrechen drohte und die Rallyeautos auf Schotter hätten fahren müssen.

Und das soll für Rallyeboliden ein Problem darstellen, fragen Sie? Eine berechtigte Frage, die den Kardinalfehler hinter der gesamten Aktion aufzeigt. Als die Formel 1 wegen Aquaplaning ein Qualifying absagen musste, verhöhnten die Rallyepiloten die F1-Fahrer mit den Worten: „Wir fahren Rallye – bei jedem Wetter!“ Doch so schnell ändern sich die Zeiten. Weil das Reglement bei Schnee-Events nur Spikereifen zulässt, haben die Reifenfirmen auch nur solche Pneus nach Schweden transportiert – mit diesen ist es freilich gefährlich, auf Schotter zu fahren. Eine Regel, die vielleicht Geld einspart – dem Image des Rallyesports jedoch hat die Affäre wenig geholfen…

Heckschleudertrauma oder Traumheckschleuder?

Die unter den Seriensiegen von Sebastien Ogier und Volkswagen ächzende Rallye-WM sucht nach Lösungen, um wieder an die alten „goldenen Zeiten“ anschließen zu können, als noch die großen Namen vom Schlage eines Walter Röhrl oder Colin McRae die Massen faszinieren konnten. Einer der damaligen Helden, Ari Vatanen, schlägt vor, die World Rally Cars wieder mit reinem Heckantrieb auszustatten: „Wenn alle mit Heckantrieb fahren – wo ist das Problem? Die Autos würden mehr driften, und es wäre viel billiger. Ein Allradauto ist gut ausbalanciert. Die Leute denken, du bist ein Zauberkünstler. Wenn sie nur wüssten, wie einfach es ist!"

Der Allradantrieb jedoch scheint im Rallyesport eine ähnlich „heilige Kuh“ zu sein wie die Aerodynamik in der Formel 1. Das „Killer-Argument“ ist stets das gleiche: Die Hersteller würden in der Weltmeisterschaft vorwiegend ihre Allradautos bewerben und verkaufen wollen, daher müsse man unbedingt mit Allradautos fahren…

Nur: Die Titelseite der jüngsten Ausgabe der ÖAMTC-Klubzeitschrift „Auto Touring“ zeigt ein selbstfahrendes Auto, in zehn oder spätestens 20 Jahren sollen diese via GPS gesteuerten Autos den Alltag auf unseren Straßen darstellen. Dann werden die Hersteller ihre selbstfahrenden Autos verkaufen wollen – heißt das nun, dass dann die Fahrer der Rallye-WM in die Frühpension geschickt werden, nur weil die Hersteller ihre selbstfahrenden Autos promoten wollen?

Ob selbstfahrende Rallyeautos diesen wunderbaren Sport endgültig von der Kippe stoßen oder ob man sich bis dahin doch noch der Eigenart dieser Motorsportart besinnt, wird die Zukunft zeigen. Dass sich vieles zum Negativen ändern kann, zeigt die Gegenwart – doch es ginge natürlich auch in die andere Richtung. Bislang scheint es schier unmöglich, dass die Formel 1 jemals ihren Königsklassenstatus verlieren könnte. Wenn jedoch bereits der aktuelle Formel 1-Weltmeister von der Moto GP schwärmt, während er die Formel 1 als „kaputt“ bezeichnet, scheint es nicht mehr ganz so unmöglich, dass die „Königsklasse“ dank Hirschgeweih und Flüstermotoren irgendwann doch überholt wird. Von jener Rennserie, die sich nicht an Verkaufskriterien der Automobilhersteller orientiert, sondern einzig und allein dem Geist des Rennsports und damit den Fans verpflichtet fühlt…

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