Formel 1 Exklusiv | 23.05.2003
"Tieffliegende, verrückte Rasenmäher"
Der steirische F1-Konstrukteur spricht über den minimalen aerodynamischen Unterschied zwischen Minardi und Ferrari sowie weitere unglaubliche Details.
Sie waren vor dem Wechsel zu Toyota für Minardi tätig, die absoluten Underdogs der Formel 1. Wie war der Umstieg zum Riesen Toyota?
Nun, es haben die Dinge meistens zwei Seiten, so ist es auch hier. Bei Minardi war man allein auf Grund der Größe flexibler, wenn es galt, Entscheidungen zu treffen. Du bist um 08:00 Uhr ins Büro gekommen, hast deinen Kaffee getrunken und um 08:05 Uhr entschieden, was wie und von wem umgesetzt wird.
Bei Toyota werden viele Leute in alle Entscheidungen eingebunden, zumeist wird in Gruppen beraten. Das kostet natürlich mehr Zeit und macht die Sache etwas unflexibler. Andererseits machen die unglaublichen Ressourcen von Toyota diese Dinge mehr als wett, wir haben eine gigantische Entwicklungsabteilung mit hunderten von Leuten, da geht die Umsetzung natürlich ungleich schneller.
Das heißt, das Auto ist eigentlich nicht mit dem Minardi zu vergleichen, oder?
Viele Leute glauben, bereits am Äußeren des Wagens zu erkennen, warum ein Auto schnell ist, oder nicht. Auch wenn es mir vielleicht niemand glaubt, aber der aerodynamische Unterschied zwischen einem Minardi und einem Ferrari beträgt nicht mehr als ein Prozent! Es geht vielmehr um tausend kleine Details, die da und dort Bruchteile bringen, aber in Summe das Auto schneller machen.
Ein kleines Beispiel: Wir arbeiten seit vier Monaten an der Änderung der vorderen Bremsbelüftung, da diese frontal im Fahrtwind steht, ist sie aerodynamisch gesehen sehr schlecht.
Nun haben wir den Belüftungs-Kanal kleiner gemacht und damit sogar bessere Kühlungswerte erzielt, andererseits wurde dadurch die Strömung zum hinteren Flügel dermaßen gestört, dass der Einsatz dieses Teils dem ganze Paket geschadet hätte. Wenn wir den "Stein der Weisen" finden, bringt uns das in der Startaufstellung um fünf Plätze nach vorne!
In der Formel 1 geht's ja zu wie bei der NASA...
Nein, die NASA ist technisch gesehen heute dort, wo die Formel 1 vor zehn Jahren war. Würde ich einen NASA-Ingenieur anstellen, er würde wahrscheinlich keine zwei Tage überstehen...
Hat man mit dem strengen Reglement der Formel 1 eigentlich noch viel Spielraum?
Wir reizen das Reglement zu 100 Prozent aus. Es gibt zum Beispiel bei der Bodenplatte eine genau definierte Breite, Schwankungen von plus/minus einem Millimeter. Und selbst hier gehen wir an die absolute Grenze, vorne ein Millimeter schmäler als der Richtwert, hinten ein Millimeter breiter - und das ist bei vielen Teilen ähnlich.
Vielfach wird davon gesprochen, dass der neue Toyota dem Vorjahres-Ferrari sehr ähnlich sieht, was sagen Sie dazu?
Es ist kein Geheimnis, dass man sich an erfolgreichen Kontrahenten orientiert. So einfach wie die Sache vielleicht scheint, ist es aber auch wieder nicht. Es ist unmöglich, ein anderes Auto zu kopieren, selbst mit Milliarden von Dollar. Man kann sich Ideen holen, die aufwändige Entwicklungsarbeit bleibt einem aber nicht erspart.
Können Sie uns sagen, in welchem Verhältnis sich Flügel und Unterboden auf die Aerodynamik auswirken?
70 Prozent leisten die Flügel, 30 Prozent der Unterboden. Das mit dem Piloten 600 kg schwere Fahrzeug wird mit dem 2,5 fachen des Gewichts auf die Fahrbahn gedrückt, aber einer Geschwindigkeit von 180 km/h könnten wir theoretisch an der Decke fahren. Ich nenne die Autos immer tieffliegende, verrückte Rasenmäher…
Herr Brunner, wir danken für dieses äußerst interessante Interview und wünschen für den weiteren Saisonverlauf alles Gute!