Formel 1: Interview | 06.02.2006
"Ohne V8-Motor hätten wir heute über 1000 PS!"
Im Toyota-Mediengespräch erklärte Ralf Schumacher gegenüber motorline.cc, warum seiner Meinung nach die Formel 1 dringend eingebremst werden musste.
Michael Noir Trawniczek
Fotos: Robert May (Rally & more / motorline.cc)
Ralf Schumacher bestreitet in diesem Jahr seine zweite Saison bei Toyota. Bei den Tests in Spanien wirkte er entspannt und locker - motorline.cc war zu Gast beim traditionellen Frage und Antwort-Spiel am Ende eines anstrengenden Testtages.
Wie geht es dir mit dem neuen Toyota TF 106?
Ralf Schumacher: Der neue Wagen läuft gut, sicher gibt es noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Natürlich gibt es vor dieser Saison auch sehr viele Fragezeichen - der neue V8-Motor, die für uns neuen Bridgestone-Reifen, eine neue Aerodynamik und schließlich wieder einige neue Regeln.
Schon beim TF 105B hat Jarno Trulli geklagt, er würde mit der neuen Vorderradaufhängung zu wenig Response über die Lenkung erhalten. Diese Probleme hatte er auch mit dem TF 106, zumindest am Anfang. Habt ihr einen unterschiedlichen Fahrstil, sodass man in punkto Fahrzeugentwicklung von einer Art Richtungsstreit sprechen kann?
Ralf Schumacher: Nicht wirklich. Jarno ist jetzt sehr glücklich mit dem TF106. Das war vielleicht schon auch eine Frage der Gewöhnung. Und was unseren Fahrstil betrifft, gab es da nie so große Unterschiede. Sicher hatte ich bereits Teamkollegen wie Damon Hill, wo es wirklich so war, dass wir in verschiedene Richtungen entwickelt haben. Aber bei Jarno Trulli - oder auch bei Juan Pablo Montoya, meinem damaligen Teamkollegen bei Williams - trifft das nicht zu.
Jedes Jahr gibt es neue Regeln - dient das wirklich der Verbesserung des Sports?
Ralf Schumacher: Viele der Änderungen sollen den Sport für die Aktiven, für die Piloten sicherer machen, was schon in die richtige Richtung geht. Sicherlich gingen manche der Regeländerungen in die falsche Richtung. Aber solche Dinge passieren - es werden Entscheidungen getroffen, und dann gab es Dinge wie das Qualifying-Format, die sich als nicht perfekt erwiesen haben. Aber was die Sicherheit betrifft, hat man die richtigen Entscheidungen getroffen - wie zum Beispiel die Einführung der V8-Motoren. Denn wir haben nun eine verbesserte Sicherheit, weil die Autos nun langsamer sind.
War diese Einbremsung in diesem Ausmaß notwendig?
Ralf Schumacher: Oh ja, das war sicher notwendig. Wir werden jedes Jahr stärker und schneller, bewegen uns immer mehr an das Limit und auch darüber hinaus. Ich bin mir sicher, dass wir ohne Einführung der V8-Motoren heute mehr als 1000 PS hätten.
Du hast vorhin gesagt, dass es wesentlich sicherer sei, wenn man die Boliden um rund eine Sekunde pro Runde langsamer macht. Macht das bei einem Unfall wirklich einen so großen Unterschied aus?
Ralf Schumacher: Ja, wenn du diese Sekunde aufteilst auf die Kurven, jeweils abhängig von der Strecke, bist du dann in jeder Kurve um sagen wir eineinhalb Zehntelsekunden langsamer - das bedeutet, dass du um 3 oder 4 km/h langsamer bist. Mit dem V8 sind wir nun sogar um rund vier Sekunden langsamer - man spürt auch wirklich den Unterschied. Und wenn du einen Unfall hast und mit 3 oder 4 g weniger einschlägst, macht das schon einen großen Unterschied aus.
Welche Regeländerungen würdest du persönlich einführen?
Ralf Schumacher: Ich weiß es nicht - vielleicht würde ich wieder die profillosen Slickreifen einführen. Generell muss ich sagen, dass ich die Maßnahmen in punkto Sicherheit als sehr gut einschätze.
Wenn du nur noch Testfahrer sein könntest, würdest du damit klarkommen?
Ralf Schumacher: Nur noch Testpilot? Das hängt vom Stadium der Karriere ab. Ich mag es wirklich sehr, mit einem Formel 1-Auto zu fahren. Aber irgendwann kommt man vielleicht in eine Phase, in der man nicht mehr so konkurrenzfähig ist, und dann könnte es interessant sein, nur noch einige Tests durchzuführen. Aber diese Frage stellt sich derzeit nicht bei mir.
Das Leben des Testpiloten unterscheidet sich ja schon deutlich von dem eines Grand Prix-Fahrers.
Ralf Schumacher: Ja, das ist ein anderes Leben - aber es ist eine sehr wichtige Rolle, welche die Testfahrer innehaben, vor allem sind sie für uns Einsatzfahrer enorm wichtig. Aber am Ende lebt man ja doch vom Wettkampf - ich bin mir sicher, dass ich die Rennen sehr stark vermissen würde. Im Moment würde ich einen reinen Testfahrerjob ablehnen - aber man soll je niemals nie sagen und man weiß ja nie, was noch kommt (lacht).
Ein berühmter Landsmann von mir, Niki Lauda, ist der Ansicht, dass es aufgrund der Wiedereinführung der Reifenwechsel wieder in der Art weitergehen könnte, wie es Ende 2004 aufgehört hat - also mit einer Ferrari-Dominanz. Was sagst du dazu?
Ralf Schumacher: Gut, die Wiedereinführung der Reifenwechsel scheint natürlich für Bridgestone besser zu sein als für Michelin, wenn man das letzte Jahr betrachtet. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass beide Reifenhersteller in die neue Richtung hin entwickeln und sehr gute Resultate erzielen können. Aber für Bridgestone dürfte die Wiedereinführung der Reifenwechsel doch ein bisschen vorteilhafter sein.
Nach nur einem Jahr hat man wieder die Reifenwechsel erlaubt - in der kommenden Saison werden wieder alle 20, 30 Runden neue Pneus ausgefasst. Warum kam hier nach so kurzer Zeit die Kehrtwende?
Ralf Schumacher: Allem voran ist es eine Sicherheitsfrage. Wir haben ja im letzten Jahr gesehen, was alles passieren kann - daher denke ich, dass wir hier den richtigen Weg beschreiten. Im nächsten Jahr werden wir hoffentlich nur noch einen Reifenhersteller haben, was die Sicherheit weiter verbessern wird. Vor allem aber kann man auf diese Art auch sehr viel Geld einsparen - 40 oder gar 50 Prozent der absolvierten Testkilometer werden nur für die Entwicklung der Reifen zurückgelegt. Wenn man sich vorstellt, dass es dann nur noch einen Reifenhersteller gibt, kann man gut nachvollziehen, dass dann Kosten reduziert werden, dass die Reifen steifer und härter und somit auch langsamer und sicherer werden. Für den Zuschauer wird das trotzdem keinen Unterschied ausmachen. Wenn du pro Runde eine Sekunde oder eineinhalb Sekunden langsamer bist, ist das ja nicht mit dem freien Auge ersichtlich. Der Sport wird deshalb nicht weniger spektakulär sein. Daher denke ich, dass wir uns hier in die richtige Richtung bewegen.
Und die technische Herausforderung? Michelin reklamierte, dass es dann keinen Wettkampf mehr auf dem Gebiet der Reifen geben wird...
Ralf Schumacher: Mir ist schon klar, dass es hier auch um die Frage des Konkurrenzkampfs geht. Aber ein Formel 1-Auto ist eine derartige technologische Herausforderung, es gibt so viele Hersteller, so viele Teile an jedem Auto. Man kann es aus verschiedenen Perspektiven betrachten - wenn du 200 oder 300 Millionen Dollar in einem Jahr ausgibst und du verlierst die Weltmeisterschaft, weil du den falschen Reifen am Auto hattest, kann das auch problematisch sein.
Aber ist das dann - mit dem Einheitsreifen - noch der Spirit der Formel 1?
Ralf Schumacher: Als ich begonnen habe, gab es den Goodyear-Einheitsreifen und erst dann kam Bridgestone [Goodyear stieg Ende 1998 als alleiniger Reifenausrüster aus, 1999 und 2000 übernahm Bridgestone diese Rolle, 2001 stieß dann mit Michelin ein zweiter Gummigigant hinzu, d. Red.]. Und ich denke, dass die Formel 1 in dieser Zeit sehr interessant war. Sicher ist es gut, wenn man zwei rivalisierende Firmen hat - aber es kann auch sehr frustrierend sein.
Eine persönliche Frage: Du wirkst bei Toyota viel lockerer als in den Jahren zuvor bei Williams. Worauf führst du das zurück?
Ralf Schumacher: Bei Toyota konzentrieren wir uns auf unseren Job, auf den Wettkampf - dennoch versuchen wir auch, an unserem Job Freude zu haben. Die Philosophie in diesen beiden Teams ist doch recht unterschiedlich. Es wird auf den Sport und den Wettkampf geachtet und nicht darauf, welche Geschichten über die Fahrer in deren Heimatland kursieren.
Man sieht dich viel öfter lachen. Man sieht dich lachen, wenn du mit deinen Ingenieuren sprichst, wenn du in der Box stehst...
Ralf Schumacher: Naja, ich habe mich verändert, mich dem Team angepasst. Und ich musste mich halt auch bei Williams an das Team anpassen (lacht). Im Ernst, Toyota ist wirklich ein feines Team - es ist wirklich schön, hier zu arbeiten.