Formel-1-Testfahrten | 29.01.2006
Wenn die Formel 1 ihre Boliden schärft...
motorline.cc besuchte die F1-Tests in Montmelo. Von Stellwänden, Alonso-Girlies, interessanten Gesprächen und dem spanischen Winter.
Text und Fotos: Michael Noir Trawniczek
Als am Mittwochmorgen in der Boxengasse des Circuit de Catalunya der brandneue Honda RA106 für die Fotografen enthüllt wird, hat es noch Minusgrade. Im kurzärmeligen Teamshirt stehen Rubens Barrichello, Nick Fry, Geoff Willis und Tester Anthony Davidson neben den noch zugedeckten Boliden - alles wartet bibbernd auf einen Mann - Jenson Button. Später, bei den Fahrer-Interviews im kreisrunden Honda-Zelt, beschwor man den Teamgeist - doch die Mimik von Button und Barrichello verriet auch anderes: Beide kämpfen um eine Vormachtstellung - unterliegt einer dem anderen deutlich, sinkt sein Marktwert rapide.
Erst als die Sonne über die Haupttribüne gekrochen ist, lassen die Temperaturen ernsthafte Testrunden zu. Ab 11 Uhr dann ist es angenehm warm und windstill.
Geht man die Boxengasse von der Scuderia Toro Rosso bis zu Weltmeister Renault entlang, erfährt man eine Art von Stellwand-Evolution. Das Versteckspiel wird mit jeder Box ein wenig mehr perfektioniert...
Plötzlich öffnen sich zwei Garagentore und die gelb-blauen Raketen von Fernando Alonso und Giancarlo Fisichella kommen, quasi aus dem Nichts geschossen - weil die Fotografen auch über die Stellwände hinaus schießen, arbeitet Renault hinter verschlossenen Toren. Die McLaren-Box präsentiert sich als Labyrinth an Stellwänden - doch der spitznasige MP4-21 von Kimi Räikkönen und Juan Pablo Montoya fährt derzeit noch hinterher.
Tischgespräche
Dominiert werden diese Testtage von Felipe Massa im Ferrari - Toyota-Pilot Ralf Schumacher beunruhigt das überhaupt nicht, in der Toyota-Hospitality erklärt er: "Das ist ein F2004, der aerodynamisch nach dem günstigeren 2004er-Reglement gebaut ist." Dass Massa eine bessere Aerodynamik zur Verfügung hatte, meinte man draußen auf der Strecke mit dem bloßen Auge feststellen zu können.
Toyota- Tester Ricardo Zonta erklärt, dass man mit den neuen V8-Motoren "ruhiger und sauberer fahren" müsse. Und: "Du steigst beim V8 bereits in der Kurvenmitte wieder aufs Gas." Der zweite Testpilot des Teams, Olivier Panis, vermisst immer noch die Power, obwohl er bereits im Sommer mit den V8-Tests begonnen hat. Noch mehr aber vermisst Panis die Rennen - jetzt zieht er daraus die Konsequenzen: "Ich höre Ende 2006 als Testpilot auf - ich möchte wieder Rennen fahren. Vielleicht mit Toyota in einer anderen Rennserie..."
Schumi-Auflauf & Alonso-Traube
Nicht nur Rennen fahren, sondern diese auch wieder gewinnen möchte Ex-Weltmeister Michael Schumacher - am Donnerstag gab es den großen Schumi-Auflauf. Vor der Ferrari-Box hat sich auf der Boxengasse eine Fotografen-Traube gebildet. Hinter den Stellwänden ragt das Hinterhaupt des Siebenfachweltmeisters empor, er steht vor seinem neuen Arbeitsgerät - minutenlang scheint er den Ferrari 248 F1 zu beschwören, bevor er Feuerschutzhaube, HANS und Helm anlegt und sich schließlich auf die Installationsrunde begibt.
Aber nicht nur vor der Ferrari-Hospitality bildet sich zu jedem Zeitpunkt des Tages eine Traube aus Fotografen, Journalisten und Fans. Spanische Girlies, aber auch Bubis, säumen den Weg zwischen Renault-Hospitality und Renault-Box. Dort mussten Eisengitter aufgestellt werden, nur so kann Alonso halbwegs ungehindert die Seite der Paddockstraße wechseln. Und wenn das passiert, dann kreischen sie. Ein paar von den Alonso-Fans zeigen Flexibilität - als Kimi Räikkönen für 2,37 Sekunden vom Paddock-Balkon aus zu sehen ist, stürmen sie nach vor und das "Kimi, Kimi" übertönt für einen Augenblick sogar die Motorengeräusche.
Nicht ganz so umkreischt werden beispielsweise Rubens Barrichello oder David Coulthard. Temperamentvolle und große Spanier krallen sich ohne zu fragen den Honda-Piloten, umarmen ihn fürs Foto, er lächelt geduldig - jeder "Normalbürger" würde sich entweder verärgert aus der Zwangs-Umklammerung befreien oder laut um Hilfe schreien.
David Coulthard wollte eigentlich nur von der Red Bull-Station wieder rüber in die Box - auch hier wieder das gleiche Spiel. DC lächelt fürs Foto, schreibt geduldig Autogramme - aber man spürt: Er möchte nur eines, wieder rüber ins Auto. Dort hat er wenigstens seine Ruhe, auch wenn es noch viel Arbeit gibt. [Siehe "Klien: 'Können nur 3 Runden fahren!'" in der Navigation rechts. ]
Viel Arbeit, ja sogar die Herausforderung seiner Karriere, wartet auf den Österreicher Walter Totschnig, er soll die beiden Red Bull-Teams gleichschalten - am Ende könnten beide Ställe von Österreich aus operieren.
Nach zwei prächtigen Sonnentagen kehrte am Freitag der Winter in Montmelo ein - in Form von Regen aber auch Schnee. Anthony Davidson warf seinen Honda auf seiner Installationsrunde in Kurve 3 in die Reifenstapel - man wartete zu. Doch das Wetter besserte sich nicht mehr - die Teams packten...
Ausnahmen
Eine österreichische Tageszeitung war ebenfalls vor Ort und schrieb einen bitterbösen, aber sehr gelungenen Bericht über die Geheimniskrämerei in der modernen Formel 1, zudem erfuhr Redakteur Wolfgang Nowak mit einem kurzen "Nein" eine Abfuhr von Red Bull-Stratege Dr. Helmut Marko.
Dennoch kann man auch hier nicht alle über einen Kamm scheren - eine britische Fotografin erzählt: "Ich darf sogar bei McLaren ungehindert fotografieren. Sie sagten mir, diese und jene Teile dürfe ich nicht fotografieren - und solange ich mich daran halte, kann ich ungehindert meine Fotos schießen." Es gibt ihn also sehr wohl, den Stellwandwahnsinn - aber es gibt auch Ausnahmen.
Walter Totschnig lud motorline.cc spontan in den Cosworth-Transporter, das Toyota-Team bietet seit Jahren kleine Tischrunden mit Piloten und Technikern an, Honda gewährt unkompliziert Einlass in die Team-Hospitality. Christian Klien nahm sich Zeit für ein ausführliches Interview für motorline.cc und die Zeitschrift "Rally and more". [Das Klien-Interview, das Gespräch mit Walter Totschnig, die Tischgespräche mit Ralf Schumacher, Olivier Panis, Ricardo Zonta, Mike Gascoyne und Pascal Vasselon sowie eine kuriose Geschichte mit Weltmeister Fernando Alonso finden Sie in den nächsten Tagen auf motorline.cc.]