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Es gibt eine Moral, immer noch!

Ein Kommentar eines blauäugigen Schreiberlings, der von Fernando Alonso restlos enttäuscht ist und nicht akzeptieren will, dass ohnehin alle spionieren.

Michael Noir Trawniczek, noir@motorline.cc

Liebe motorline.cc-FreundInnen,

ich habe lang überlegt. Welche Meinung habe ich eigentlich zu dieser "Spionage-Affäre", zu dem Urteil des FIA World Council?

Positionierung

Als Journalist und auch privat habe ich kein favorisiertes Team und auch keinen favorisierten Fahrer - wenngleich ich eine kleine "Österreicherbrille" nicht verleugnen kann. In dem Sinn, dass ich nicht nachvollziehen kann, warum ein heimisches Medium bei der ersten Krise auf einen Landsmann eindreschen kann - es ist prinzipiell Vorsicht und Bedachtheit angebracht, die Piloten haben weniger Mittel der Macht als ihre Arbeitgeber, die Automobilkonzerne. Als ehemaliger aktiver Motorsportler sieht man sich auch den Piloten gegenüber verpflichtet, im Sinne von: ich will niemals Schuld an einem Karrierebruch sein.

Ich darf und soll und muss kritisieren und ich kann auch mal bei den "Tops & Flops" den strengen Lehrer mimen, ein bisschen auf die Finger klopfen - aber ich hüte mich, so gut es geht, vor Erkenntnissen wie: "Der wird es nie schaffen!" oder "Seine Zeit ist um!". Bei den heimischen Piloten gilt das ganz besonders, bei den anderen natürlich auch. Zudem sieht man sich gegenüber den Fans verpflichtet - schließlich steht man dort, wo auch sie stehen.

Dann gibt es noch die Automobilkonzerne - sie liefern Geld. Trotzdem müssen sie alle - die Konzerne, die FIA, die Teams, die Piloten - gleich behandelt werden, kritisch aber nicht unfair, mit bestmöglicher Neutralität, was nicht immer leicht ist!

Weil ich in einer Zeit diesen Sport zu verfolgen begann, als es noch packende Rad-an-Rad-Duelle gab, natürlich auch nicht immer, und vielleicht weil ich selber (Kart)-Rennen gefahren bin, steht für mich der Sport im Vordergrund. Dazu kommt ein Hang zur Technik, die Wingcars, die Saison 78/79 waren der zündende Funken.

Moral

Gibt es eine Moral im Motorsport? Gibt es so etwas wie Grundwerte? Gibt es Fairness nur auf dem Papier - und auch dort nicht? Es vermehren sich die coolen Stimmen, welche geradezu allwissend einem erklären wollen, dass es so etwas, wie es bei McLaren-Mercedes geschehen ist, sowieso überall gibt. Dass es das früher auch schon gab und dass es das immer geben wird - weil es ganz normal sei, dass alle Mittel angewendet werden - um zu siegen! Alle Mittel! Und weil dazu auch gehört, dass man den Gegner ausspioniert. Alles andere sei blauäugig und idealistisch.

Bin ich blauäugig? Bin ich idealistisch? Darf man als Journalist idealistisch sein? Ich sage ja. Meine Augen sind blau und ich bin idealistisch. Und ich frage: Warum sollte ein Journalist nicht idealistisch denken? Vielleicht ist das ja sogar seine Aufgabe? Irgendjemand muss ja auch ein bisschen idealistisch sein, denke ich mir. Und wenn der Journalist nur die Vision aufzeichnet, die ideal wäre - als ein Bild, das möglich wäre - während alles rundherum im Sumpf versinkt.

Dass man alles versucht, um den Gegner auszuleuchten, ist bekannt. Doch der Einsatz von vertraulichen, unrechtmäßig zugespielten Daten ist doch etwas anderes. Boxenstoppstrategien zu verraten, beispielsweise, kann schon sehr viel weiterhelfen. Irgendwo muss eine Grenze sein - irgendwann muss es beginnen, keinen Spaß mehr zu machen, weil man spürt, dass man zu weit gegangen ist.

Es gibt für mich keinen Grund zu sagen, dass es normal sei, wenn ein Fahrer den Chefingenieur um Abstimmungsdaten des Erzkonkurrenten bittet, die dieser illegal erworben hat.

Die 14 Seiten

Ich habe mir die 14 Seiten der Urteilsbegründung ausgedruckt, sie die letzten Stunden überall hin mitgenommen. Und es stimmt: Die Möglichkeitsform kommt sehr oft vor - und es ist absolut nicht sicher, dass auf dem aktuellen McLaren irgendein Teil einer Ferrari-Idee zugrunde liegt. Aber darum geht es nicht, meiner Meinung nach.

Der Schlüssel ist für mich: Ich lese schwarz auf weiß Emails von einem Testpiloten und dem einzigen Weltmeister im Feld, die sich aktiv um Daten aus fremdem geistigen Eigentum bemühen. Ich kann mir vorstellen, dass Pedro de la Rosa nicht allein im Simulator tätig ist, die Anlage muss betrieben werden - es ist also wahrscheinlich, dass neben Mike Coughlan und den beiden Fahrern auch andere Teammitglieder die Ferrari-Informationen erfahren haben. Sie haben die Daten eingesehen und wollten sie anwenden. Dass sie danach offenbar, wie sie behauptet haben, in vielen Fällen bemerkt haben, dass die Daten nicht 1:1 übertragbar sind und daher nicht einmal eine Simulation Sinn gemacht hätte, gilt nicht. Die Absicht war da, die Mappe wurde geöffnet und es ist allgemein bekannt, dass es allein schon ein großer Vorteil ist, zu wissen, was der Gegner weiß. Siehe die Informationen über Boxenstopps von Ferrari.

Der einzige Weltmeister im Feld wurde vor den Rennen in Australien und Bahrain darüber informiert, wann die Ferrari-Piloten ihren Boxenstopp einlegen werden. De la Rosa schreibt zum Beispiel klipp und klar: "Stepney ist jener Mann, der uns vor Australien gesagt hat, dass Kimi in der 18. Runde reinkommen wird." Alonso wusste also zumindest zu diesem Zeitpunkt, dass sein Team oder zumindest Mitglieder seines Teams über illegale Quellen über die Strategie seines Gegners Bescheid wusste.

Und da frage ich mich:
Ist es so abwegig, dass ich dann als Pilot sage: Burschen, seid's ihr wahnsinnig? Ich will meine Siege und Titel ehrlich einfahren und will, dass ihr diesen Scheißdreck sofort stoppt! Ich will nicht wie Michael Schumacher ewig als "Schummel" bezeichnet werden (unabhängig davon, ob diese Bezeichnung gerecht ist, wird der siebenfache Weltmeister von einem Teil der Menschheit als unfairer Pilot betrachtet, das ist Fakt - hier soll und muss nicht geklärt werden, ob er wirklich unfair war).

Hinzu kommt, dass einem der kleine Teil des Gehirns, den man bekanntlich verwendet, folgendes sagen könnte: Diese Daten bringen in Wahrheit sehr wenig und sie sind es nicht wert, damit herumzuexperimentieren, quasi mit dem Feuer zu spielen. Feuer deshalb, weil es tatsächlich ein Reglement und, jawohl, auch eine Moral gibt, die so eine Handlungsweise prinzipiell als verwerflich betrachten und auch klipp und klar verbieten. Man weiß also, was man riskiert. Solche Gedanken wären auch im Gehirn des Fernando Alonso möglich gewesen.

Aber was kam von ihm? Was kam, als am Freitag alle Welt erfahren hat, dass er eiskalt mitgespielt hat, er ohne mit der Wimper zu zucken diese Daten bereit war einzusetzen. Es hätte kommen können: "Liebe Fans, es tut mir leid, ich glaube ich habe da einen Fehler gemacht, mich verleiten lassen - und was hätte ich denn tun sollen in dieser Situation, ich wollte auch das Team nicht verraten." Kam so etwas? Nein. Gar nichts kam. "Wir müssen die Entscheidung akzeptieren", sagt er eiskalt. Und insgeheim freut er sich wohl wie ein Kaiser, dass er ungeschoren davonkam, dass die Rechnung aufging.

Jetzt wurde bekannt, er habe gar versucht, Ron Dennis zu erpressen, er habe in Ungarn nach dem Qualifying-Theater den Nummer eins-Status verlangt und damit gedroht, die Sache auffliegen zu lassen. Das wurde nun bestätigt. Ron Dennis hat ausgesagt, er selbst habe am Sonntagmorgen in Ungarn die FIA von der neuen Beweislage in Kenntnis gesetzt. Max Mosley berichtete, dennis habe ihm von Alonsos Drohungen erzählt.

Erkenntnisse

Muss ich als Idealist akzeptieren, dass, wie so viele Experten jetzt sagen, jeder diese Daten genützt hätte? Nein, muss ich nicht. Ich sage: Fernando Alonso und Pedro de la Rosa haben etwas Verbotenes und auch etwas Verwerfliches getan und wurden dabei erwischt. Wir haben es schwarz auf weiß. Dass Mike Coughlan und Nigel Stepney in der nächsten Zeit oder auch für immer aus der Formel 1 entfernt gehören, ist jedem klar.

Doch meiner Meinung nach ist es unverständlich, warum man Alonso und De la Rosa verschont hat. Die "Kronzeugenregelung" war ein fauler Kompromiss - man hätte auch anders an die Daten herankommen können respektive gab es beschlagnahmtes Material. Man wollte den einzigen Weltmeister im Felde nicht bestrafen, weil dann ein Teil der Fans (in Spanien werden 2008 gleich zwei Läufe abgehalten) auf die Barrikaden gestiegen wäre. Zumal man dann auch die Position von Lewis Hamilton näher beleuchten hätte müssen - dieser scheint, so weit man das beurteilen kann, wenig bis gar nicht beteiligt gewesen zu sein.

Vielmehr sieht es nach einer Achse der Spanier aus - Alonso wollte vielleicht die illegalen Daten nützen, um sich gegen den Sensationsneuling Lewis Hamilton durchzusetzen. Um sich nicht zu blamieren.

Doch er hat sich blamiert. Es tut mir leid, das schreiben zu müssen, aber ich halte nicht mehr viel von der Moral eines Fernando Alonso. Die Aktion in Ungarn war also kein Einzelfall. Erinnern Sie sich, als Alonso in Monza 2006 gesagt hat, er werde die Formel 1 nicht mehr als Sport betrachten? Vielleicht ist er einfach auch nur ein frustriertes Opfer? Egal, man ist für sein Tun und Handeln verantwortlich. Jedenfalls ist der nächste Mehrfachweltmeister befleckt. Ein trauriges Zeugnis für diesen Sport.

In der Rallye-WM verabschiedet sich gerade ein wirklich Großer. Marcus Grönholm wird als Sportsmann in die Geschichte eingehen - als sportlicher Pilot, der erst unlängst in Neuseeland gemeinsam mit seinem Dauergegner Sébastien Loeb das knappste Duell in der Geschichte der Rallye-WM geliefert hat.

Meiner Meinung nach gehört Alonso bestraft. Aber vielleicht bestraft ihn ja Lewis Hamilton, indem er ihn einfach besiegt und Weltmeister wird.

Das McLaren-Mercedes-Team? Wusste Ron Dennis wirklich nichts davon? Oder hat man nicht auch dann noch das Unschuldslamm gespielt, als man es längst schon wusste? Hat man beim ersten Hearing die Wahrheit gesagt? Viele Zweifel, keine klaren Antworten. Die Schuldigen waren zumindest McLaren-Teammitglieder und einige davon sind es noch heute, während Nigel Stepney mit Ferrari auf Kriegsfuß steht und er doch eher zu diesen frustrierten, karrieregeilen Menschen zu zählen ist - einer, der einfach trotzig war, weil er nicht aufgestiegen ist.

Dass der Sport weiter beschädigt wurde, steht außer Frage. Und wer es als normal betrachtet, dass geistiges Eigentum der Konkurrenz verwendet wird, den frage ich: Wozu dann überhaupt eine Konstrukteurs-WM? Wären dann nicht gleich Einheitsboliden die günstigere Variante? Ich bleibe dabei: es ist nicht okay, wenn ich geheime Informationen, die mir zugespielt werden, einfach verwende. Einem Sportsmann müsste das weh tun, er müsste bereits aufschreien vor Schmerz, wenn er so ein Kuvert öffnet - er müsste ein solches Dossier fallen lassen wie ein Stück glühendes Eisen,

meint Ihr blauäugiger
Michael Noir Trawniczek

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