
Formel 1: Affäre Mosley | 03.04.2008
Mosley verliert die Akzeptanz - seine Gesinnung bleibt trotz Klarstellung umstritten
Vier Hersteller distanzieren sich offiziell von Mosley. Bahrain will ihn nicht sehen. Manche berufen sich auf Nazi-Inhalte, doch diese bleiben strittig. Mosley reagiert...
Michael Noir Trawniczek, noir@motorline.cc
"Die Inhalte der Veröffentlichungen sind abstoßend. Wir distanzieren uns als Unternehmen ausdrücklich davon. Der Vorgang betrifft Max Mosley in Person und als Präsident der FIA, der weltweiten Dachorganisation der Automobilclubs. Die Tragweite geht damit über den Motorsport hinaus. Wir erwarten eine Reaktion der relevanten FIA Gremien" - diese Mitteilung haben BMW und Mercedes am Donnerstagvormittag als offizielle Presseaussendung bekannt gegeben und damit als erste in der Formel 1 vertretene Hersteller öffentlich auf die Sexaffäre rund um FIA-Präsident Max Mosley reagiert.
Wenig später veröffentlichte auch Toyota eine Aussendung: "Toyota Motorsport erlaubt keine Benehmen, welches dem Image der Formel 1 Schaden zufügen könnte - vor allem aber jedwedes Benehmen, welches als rassistisch oder anti-semitisch verstanden werden könnte. Die Entscheidungsträger jedes Geschäfts oder Sports, inklusive des Motorsports, müssen ein Benehmen an den Tag legen, welches besonders hohen Standards unterliegt. Wenn alle Fakten bekannt sind, wird die FIA entscheiden müssen, ob Herr Mosley den moralischen Verpflichtungen entsprochen hat, die einem FIA-Präsidenten entsprechen."
Schließlich hat auch Honda eine offizielle Stellungnahme abgegeben: "Es ist notwendig, dass hochrangige Figuren im Sport und im Geschäft in ihrem Verhalten höchsten Standards nachkommen, um ihre Aufgaben mit Integrität und Respekt erfüllen zu können. Das Honda-Formel-1-Team ist extrem enttäuscht über die jüngsten Ereignisse um Herrn Mosley und wir sind besorgt, dass die Reputation der Formel 1 und all ihrer Teilnehmer geschädigt wird. Wir verlangen, dass die FIA dieses Thema sorgfältig in Betracht zieht und eine sofortige Entscheidung im besten Interesse der Formel 1 und des Motorsports fällt."
Bahrainische Königsfamilie will Mosley nicht sehen
Zudem hat die Times ein Schreiben von Kronprinz Scheich Salman Bin Hamad Al-Khalifa veröffentlicht - das Mitglied der Bahrainer Königsfamilie schrieb in einem direkt an Mosley adressierten Brief: "Angesichts der Anschuldigungen denke ich, dass Sie über ihren geplanten Besuch beim Grand Prix in Bahrain sorgfältig nachdenken sollten. Mit großem Bedauern halte ich fest, dass es für sie zum jetzigen Zeitpunkt unangemessen wäre, nach Bahrain zu kommen." Eine Kopie des Briefes soll auch an Bernie Ecclestone ergangen sein.
Unterdessen verlangen auch immer mehr Personen aus der Formel 1-Welt den Rücktritt von Max Mosley. Paul Stoddart, bekanntlich einer der größten Mosley-Gegner, erklärte gegenüber der BBC: "Er muss zurücktreten. Niemand kann in einem öffentlichen Amt so einen Skandal überleben. Er zieht die FIA in den Abgrund. Er ist Präsident der FIA. Jemand, der Führungspersönlichkeiten aus aller Welt treffen muss, darf sich so etwas nicht erlauben."
Nazi oder Opfer?
Niki Lauda meinte dazu, dass er akzeptieren würde, wenn Mosley die Sexorgie als Privatsphäre betrachten würde, schränkte jedoch ein: "Problematisch wird es, wenn es mit Nationalsozialismus zu tun hat.". Wenn sich ein Nazi-Zusammenhang als Fakt herausstellen sollte, wäre Mosley als FIA-Präsident nicht mehr tragbar, sagte Lauda - womit er aussprach, was die große Mehrheit ebenfalls denkt. "Diese Bilder wären ein Schock für jeden jungen Rennfahrer", fügte Lauda hinzu.
Genau diese Frage, ob die versteckt auf Video festgehaltene und via News of the World veröffentlichte Sadomaso-Aktion des Präsidenten, die er in einem Londoner Sexklub mit fünf Prostituierten abhielt, tatsächlich nationalsozialistische Inhalte hatte oder Mosley damit Nazi-Gedankentum äußerte oder gar begrüßte, bleibt jedoch weiterhin strittig. Offenbar scheint das auch eine Frage der Interpretation zu sein, zumal bislang keine weiteren Beweise aufgetaucht sind, die Max Mosley eindeutig als bekennenden Nazi identifizieren würden.
Wohl aber erinnert die sexuelle Fantasie des Präsidenten, in der er zunächst das Opfer, dann den Täter spielt, auch an die schreckliche Zeit der Judenverfolgung, zumindest stellt das gezeigte Szenario eine Haftanstalt dar, in der die körperliche Züchtigung praktiziert wird - was jedoch in Zusammenhang damit stehen könnte, dass Mosley seine Kindheit unter einem besessenen Faschistenführer als Vater erleben musste und er wohl auch im Alter von fünf Jahren über die fürchterlichen Deportationen Bescheid wusste - und zwar im Wissen, dass seine Eltern diese Massenvernichtung nicht nur billigen, sondern sogar begrüßen. Angeblich soll der junge Mosley auch von seinem Vater misshandelt worden sein.
Ob ihn all diese Erlebnisse zu einem Nazi gemacht haben - das ist die Frage, welche offensichtlich die Meinung spaltet. Viele sehen in seinem autoritären und mitunter heftig umstrittenen Führungsstil als FIA-Präsident einen Hinweis auf Nazi-Gedankentum und interpretieren die gezeigten sexuellen Handlungen als eine Bestätigung dieser Vermutung - nicht wenige wiederum sehen Mosley hingegen als Opfer, dem diese Gesinnung in seiner Kindheit und Jugend brutal aufgezwungen wurde und er im Nacherleben der Grausamkeiten der Kindheit seine sexuelle Befriedigung sucht und findet.
Mosley selbst hat sich in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme nach Aufflammen des Skandals entschieden dagegen verwehrt, dass seine ausgeprägte S/M-Neigung mit einer Nazi-Gesinnung in Zusammenhang stehen würde. Es sei "vollkommen falsch", aus den gezeigten Bildern zu schließen, dass er ein Nazi-Sympathisant sei, erklärte Mosley. Er sei von einer Spezialeinheit bereits seit zwei Wochen beschattet worden, er habe dies von einer gut informierten Quelle erfahren, fügte der 67-jährige Brite hinzu. Wer die Auftraggeber dieser Beschattung sein könnten, sei ihm noch nicht bekannt, erklärte er.
Reaktion auf BMW und Mercedes
Mosley hat auch umgehend auf die Stellungnahmen von BMW und Mercedes reagiert - der FIA-Präsident erklärte gegenüber Reuters: "Angesichts der Geschichte von BMW und Mercedes, speziell vor und während des Zweiten Weltkriegs, kann ich verstehen, warum sie wünschen, sich klar von etwas abzugrenzen, was von ihnen richtigerweise als beschämender Inhalt der entsprechenden Publikation bezeichnet wird. Leider haben sie mich nicht kontaktiert, bevor die Stellungnahmen veröffentlicht wurden, um zu prüfen, ob der Inhalt eigentlich wahr ist. Keine Frage, dass die FIA ihnen bald antworten wird, während ich der fraglichen Zeitung antworten werde."
Fazit/Kommentar
Die Formel 1-Welt wird derzeit mit für sie vermeintlich neuen Themen konfrontiert und hat daher auch die Möglichkeit, sich klar zu positionieren. Schon vor einigen Wochen hat sich die Formel 1 im Zuge der Beschimpfungen von spanischen Fans gegen Lewis Hamilton eindeutig dazu bekannt, entschieden gegen Rassismus vorzugehen. Im Fall Mosley geht es offensichtlich zum einen um die Frage hinsichtlich der Bewahrung oder Veröffentlichung von Privatem in der heutigen Medienlandschaft sowie zum anderen auch um die Akzeptanz von sadomasochistischen Sexualpraktiken und um eine klare Abgrenzung zwischen S/M und Nationalsozialismus. Mit Motorsport hat all das natürlich nichts mehr zu tun - dennoch ist das Interesse der F1- und Motorsport-Fans an diesen Fragen immens, zumal es letztlich auch "nur" Menschen sind, die im "Formel 1-Zirkus" agieren...
Was jedoch die Frage nach der Gesinnung von Herrn Mosley anbelangt, sollte man sorgfältig und mit größtmöglicher Gerechtigkeit agieren. Er selbst hat sich von dieser Gesinnung distanziert - um Mosley als Nazi ins Geschichtebuch einzutragen, muss erst einmal ein klarer Beweis erbracht werden - das betreffende Video lässst nur Interpretationen zu. Solange es keinen Beweis dafür gibt, dass Max Mosley ein Sympathisant der Nazis ist, gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung.
Max Mosley war bereits vor dem Skandal in und wegen seiner Amtsführung umstritten, es gab sehr viel Kritik aber auch Zustimmung. Angesichts der aktuellen Lage ist es jedoch nur noch schwer vorstellbar, dass Max Mosley noch lange seine Position als FIA-Präsident halten kann. Es ist offensichtlich, dass er unter diesen Umständen nicht mehr die nötige Akzeptanz finden wird, die ein solches Amt benötigt. Es sieht danach aus, dass jene, die ihn bespitzelt und sein für viele Menschen irritierendes Sexualleben öffentlich vorgeführt haben, ihr vermeintliches Ziel wohl erreichen werden: Den Rücktritt von Max Mosley als FIA-Präsident.
In Bezug auf den Kommentar vom 31. März 2008 ("Subtilität ist wieder einmal Mangelware") erreichten uns zahlreiche Emails unserer LeserInnen - an dieser Stelle nochmals vielen Dank für das Feedback. Viele dieser Zuschriften zeigten sich zum Teil sehr kritisch in Bezug auf die Amtsführung des FIA-Präsidenten - doch sämtliche dieser Zuschriften verwehrten sich dagegen, Max Mosley aufgrund der zurzeit vorliegenden Fakten als Nazi abzustempeln.