
Happy Birthday Helmut Zwickl | 23.10.2009
Kritiker aus Leidenschaft
Unser Stargastautor Helmut Zwickl feiert heute seinen 70. Geburtstag – Michael Noir Trawniczek hat versucht, eine Laudatio zu schreiben…
Michael Noir Trawniczek
Fotos: Archiv Alexander Zwickl, Ennstal Classic, Marcus Kucera
„Und übrigens: Der Quester ist 70“, hat Helmut Zwickl in seiner Rede im Rahmen der Ennstal Classic-Abschlussfeier 2009 mehrfach wiederholt – und jedes Mal setze ein Lachsturm ein. Zuvor nämlich erzählte Helmut, dass ihn Dieter Quester beiseite genommen hat: „Du, dass ich 70 bin, musst du nicht so an die große Glocke hängen.“ Mindestens 20-mal hat es Helmut an diesem Abend „ganz beiläufig“ erwähnt – doch böse wird ihm sein alter Freund ganz sicher nicht gewesen sein. Denn die kleinen „Bösartigkeiten“ des Helmut Zwickl sind in Wahrheit eine Liebkosung – und wer das verstanden hat, fühlt sich auf der Zwickl’schen Schaufel nicht unwohl…
„Der Boxenwolf“ hat Herbert Völker seine Laudatio in der RB-Pastille Speedweek getitelt, denn manchmal könne Zwickl „dreinschauen wie ein böser, alter Wolf“, obwohl er sonst „meist drahtig, gelegentlich sogar heiter daher kommen“ würde – Zwickl habe „von Anfang an den direkten Stil des amerikanischen New Journalism“ gepflegt, noch „bevor wir wussten, was das ist“. Und: „Die kräftigen Wortbilder durften ruhig auch überzogen sein. Bei aller Faszination bewahrte er sich das Erschrecken über die Bruchstellen in den Heldengeschichten. Zu Jim Clark- und Rindt-Zeiten waren die Kerle und ihr Zirkus ja wirklich okay, da war bloß dieses groteske Sicherheitsmanko….“
Helmut Zwickl hat quasi die Gründerzeit miterlebt, als Jochen Rindt einen noch nie erlebten Formel 1-Boom in diesem Land auslöste. Zwickl war gut befreundet mit Rindt – eine gewisse kritische Distanz in Sachen Monopostorennsport war in so ferne von Beginn an vorhanden, als dass Rindt von seinen ersten Runden in einem offenen Formelrennwagen ganz und gar nicht angetan war, wie Zwickl in einem motorline.cc-Interview verriet – demnach sagte Rindt, nachdem er aus dem Boliden stieg: „Das ist ein Schas. Ich seh nix. Und Rennwagen überhaupt, ein Blödsinn…“
Einschnitt
Aus dem „Schas“ wurde der erste Sieg im ersten Rennen, der Rest ist Geschichte, Jochen Rindt wurde zum Volkshelden. Und Zwickl immer hautnah am Geschehen. 1970 der absolute Höhepunkt – und dann, in Monza, das schreckliche Ende. Ich glaube nicht, dass sich jemand den Grad an Verzweiflung oder vielmehr Vernichtung vorstellen kann, den Leute wie Zwickl oder auch Heinz Prüller mit dem Tod von Jochen Rindt erlebt haben. Sie waren ganz nahe – und mussten jetzt Berichte für die in Tränen aufgelöste Heimat schreiben. Wenn dann das Wort „Kriegsberichterstattung“ fällt, ist das nicht nur symbolisch gemeint. Diese Verzweiflung führte auch zu einem echten Zwickl-Klassiker, dem Buch „Hinrichtung eines Champions“.
Den Tod des Freundes könnte man als erste echte Prüfung der Zwickl’schen Motorsportliebe verstehen, auch als ersten Schritt einer Distanzierung – Zwickl reagierte, indem er den Flugschein machte. In die Lüfte zog es ihn, weit weg von den filigranen Papierautos, die man damals gebaut hat, mit den Fahrerbeinen als Knautschzone. Es sind noch einige mehr in der Formel 1 gestorben – aber man kann davon ausgehen, dass keiner dieser Todesfälle Zwickl mehr angetan hat als der Tod von Jochen Rindt.
Aus dieser Distanz heraus beobachtete Zwickl die weitere Entwicklung der Formel 1. Während er früher lässig mit Colin Chapman und Bernie Ecclestone auf der Boxenmauer sitzend plaudern konnte, musste er mitverfolgen, wie elektronische Drehkreuze Einzug hielten und die Verantwortlichen inklusive der Piloten nur noch zu Presseterminen erschienen, um dort hohle Floskeln von sich zu geben.
Konservenkost
Der große Meister der Worte, der oft aus kleinen Gesten Großes herauslesen konnte, der einen mit seinen Worten mitnahm an den Ort des Geschehens, musste sich immer mehr mit Konservenkost begnügen – verständlich, dass er begann, sich angewidert abzuwenden. Denn auch ein Helmut Zwickl kocht mit Wasser – und auch er braucht einen Input, um einen Output liefern zu können.
Früher haben die Piloten ihre Erlebnisse aus dem Grenzbereich in blumiger Sprache zum Ausdruck bringen können – die Qualifyingrunde in Monaco als „Steptanz auf den Pedalen“, das bereits etwas abgelutschte „Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer“ möchte ich hier lieber nicht als Beispiel anführen, aber warum eigentlich nicht? Es ist immer noch besser als vieles, was heutzutage gesagt und geschrieben wird…
Doch auch das Fahren selbst hat sich verändert. Zwickl: „Früher hast du Schalten lernen müssen, Zwischengas lernen müssen. Du hast dich verschalten, du hast Motoren gekillt. Die Formel 3-Burschen steigen heute in den Formel 1 und sind schnell - früher haben sie gebraucht eine Saison, und noch eine Saison.“
Austern
Und: „Die heutigen Rennfahrer werden ja gezüchtet wie Austern. Wenn der mit 18 in die Formel 1 kommt, hat er bereits 12 oder 13 Jahre Motorsport hinter sich. Das muss man sich einmal vorstellen. Früher hast du mit 18 deinen Führerschein gemacht, bist vielleicht ein Rennen gefahren, im Tourenwagen und bist irgendwann, mit 25, 26 oder 27 in die Formel 1 gekommen. In diesem Alter scheiden sie dich heute bereits wieder aus.“
Die Onboardaufnahmen erinnern an Videospiele, natürlich sind die heutigen Piloten Perfektionisten, sie fahren auf die Zehntelsekunde genau immer gleiche Runden. Genau das ist aber das Problem der Medien – es gibt keine ausbrechenden Fahrzeuge, keine Chaosrunde mehr. Es gibt nur noch die perfekte Runde – und die sieht bei allen gleich aus…
Weil mit dem Erfolg auch die Geheimhaltung immer größer wurde, die Piloten bis auf wenige Ausnahmen zu austauschbaren Marionetten mit Maulkorbverträgen mutierten, war für Helmut Zwickl im Grunde nicht mehr viel zu tun in der Formel 1 – umso größer die Freude, wenn dann doch wieder eine Mail in die Redaktion flattert: „Hab mir mal wieder einen Kommentar abgezapft…“ Ein Schreibender kann wohl kaum mehr erreichen, als dass er nur noch dann, wenn ihm etwas „auf der Zunge“ oder besser in den Fingern brennt, zur Tastatur greifen muss. Helmut Zwickl schreibt nur noch, wenn er etwas zu sagen hat.
Gröbming
Dieser Rückzug aus dem journalistischen Alltag ist langsam, Schritt für Schritt vonstatten gegangen, und er hat auch etwas Positives gebracht: Denn aus dieser Not heraus wurde die Ennstal Classic geboren – als Veranstalter dieser mittlerweile Kultcharakter genießenden Oldtimer-Rallye versuchen Zwickl und sein Partner Michael Glöckner die Antithese zur Formel 1, nach dem Motto: Publikumsnähe statt Großbildschirme. Die gesamte Zwickl-Family geht da ans Werk – jene Familie, der Zwickl sein jüngstes Buch „Die Eroberung des Sinnlosen – die wilden Jahre der Formel 1“ widmete, weil er früher so oft fort war…
Nach ein paar Jahren Pressearbeit für die Ennstal Classic muss ich hinzufügen: Nirgendwo sonst konnte ich derart entspannte Interviews mit Größen wie einem Emerson Fittipaldi oder einem Peter Sauber, einem Stirling Moss und vielen, vielen mehr führen als in Gröbming, beim Helmut. Nirgendwo sonst konnte ich die ärgsten und lustigsten Geschichten und Anekdoten hören (die man natürlich nicht schreiben aber dafür diese schräge alte Zeit besser nachvollziehen kann) als beim Helmut und seinen alten Kumpanen Otto Burkhart und Michael Glöckner…
Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es je als Herausforderung betrachtet hätte, über so etwas wie Motorsport zu schreiben, hätte ich nicht schon in jungen Jahren, als ich selbst noch als Kartfahrer an eine Rennfahrerkarriere geglaubt habe, die Artikel von Helmut Zwickl gelesen. Für mich als später Quereinsteiger in diese Branche war bzw. ist seine Arbeit sicher richtungweisend – mit dem Unterschied, dass sich diese kritische Distanz bei Helmut aufgrund von schmerzhaften Verlusten und später aufgrund der praktizierten Medienpolitik ergeben hat. Während die Journalisten der Gegenwart nichts anderes kennen als diese Distanz.
Zukunft
Über seinen großen Schatz, den er in sich trägt, ist sich Helmut Zwickl völlig im Klaren: Er sei „glücklich, die tollen, bösen und romantischen Jahre der Formel 1 miterlebt zu haben“, sagt er in dem oben erwähnten Artikel von Herbert Völker. Und wenn ein Helmut Zwickl sagt, die neue Formel 1 werde nach dem „Abgang der Dinosaurier“, also dem Abgang von Flavio Briatore, Ron Dennis und auch Bernie Ecclestone „zwar nicht liebenswerter, aber wieder anschauenswert“, dann ist das ein sehr großer Hoffnungsschimmer für alle, die wie Helmut Zwickl dem Rennvirus verhaftet sind. Kritisch, zynisch und manchmal auch ein bisschen "bösartig" ist man nämlich nur dann, wenn einem etwas an der Sache liegt.
Übrigens, hab ich es schon erwähnt? Der Zwickl ist 70…
Schnappschüsse aus dem Leben von Helmut Zwickl finden Sie in der Navigation rechts oben unter "Schnappschüsse aus 70 Jahren Zwickl" - dort finden Sie auch jene Interviews, die wir mit Helmut Zwickl in den Jahren 2004, 2005 und 2008 geführt haben.