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World Council 29.4.2009

Alle wollen in die neue Formel 1

Der FIA-Weltrat könnte am Mittwoch das Comeback der Privaten erwirken! USGPE, iSport, sogar Lola und andere hoffen auf ein Budgetlimit…

Michael Noir Trawniczek
Fotos: www.lolaheritage.co.uk, GP2 Media Service, PHOTO4

Die für Mittwoch angesetzte außerordentliche Sitzung des FIA-Motorsportweltrats wird mit Spannung erwartet – nicht nur wegen des Urteils in der „Lügenaffäre“ rund um Lewis Hamilton und McLaren-Mercedes. Denn das Gremium der Obersten Sportbehörde könnte in dieser Woche für weitaus mehr Zündstoff sorgen – auf der Agenda stehen die Regeln für 2010, darunter auch die umstrittene „freiwillige Budgetlimitierung“!

Vor einigen Wochen hat FIA-Präsident Max Mosley eine optionale, freiwillige Budgetlimitierung von 30 Millionen Dollar in den Raum gestellt – jene Teams, die sich diesem Limit unterwerfen, würden technische Freiheiten sowie unter anderem einen aerodynamisch mehr effizienten Unterboden erhalten. Demnach würde es, möglicherweise schon ab 2010, zwei parallele Regelwerke in der Formel 1 geben: Ein restriktives für jene Teams über der Budgetgrenze, ein offenes für Teams mit limitiertem Budget. Eine Zweiklassengesellschaft also…

Viele Formel 1-Teams, vor allem die Hersteller, wollen sich mit dieser Lösung nicht anfreunden – 30 Millionen sei als Limit ohnehin viel zu niedrig, damit könne man kein Formel 1-Team betreiben, heißt es. Andere wiederum, wie Toro Rosso-Teamchef Franz Tost, reagierten besonnen: „Man muss das durchrechnen – erst dann kann man sagen, ob eine solche Lösung für ein Team wie Toro Rosso Sinn macht.“ Angeblich soll die FIA einen Kompromiss mit der Teamvereinigung FOTA anstreben: Das Budgetlimit soll schrittweise reduziert werden – 80 Millionen im Jahr 2010, 50 Millionen im Jahr 2011 und schließlich 30 Millionen im Jahr 2012.

Doch die Rechnung von Max Mosley ist bereits aufgegangen – zahlreiche Teams haben ihr Interesse an einem Formel 1-Einstieg erklärt. Der FIA-Präsident wünscht sich wieder mehr Privatteams in der Königsklasse des Formelrennsports.

Und während die Automobilbranche weiterhin an der weltweiten Finanzkrise laboriert, bekunden immer mehr Privatiers ihr Interesse an einem Formel 1-Einstieg – dem 30 Millionen-Budget stehen schließlich weltweite TV-Bilder gegenüber, die immer noch einen immens hohen Wert haben. Erst unlängst hat Mercedes-Rennleiter Norbert Haug erklärt: „Die Formel 1 ist immer noch die beste Werbeplattform, weltweit!“ Man müsse sich nur ausrechnen, was die Sendezeit, die der F1-Berichterstattung gewidmet wird, im Normalfall kosten würde…

USGPE

Trotz der schweren Krise der amerikanischen Automobilbranche wurde das USF1-Team gegründet, welches später auf Wunsch von Bernie Ecclestone auf USGPE (US Grand Prix Engineering) umgetauft wurde – die Betreiber Ken Anderson und Peter Windsor wollen schon 2010 in der Formel 1 antreten. Anderson, der bereits bei Ligier und Williams Formel 1-Erfahrungen sammeln durfte, will den Rennstall von North Carolina aus betreiben – man wolle Synergien mit den lokalen Technologieunternehmen aufbauen. Das Motto: „Made in the USA!“ Man verfüge sogar über den „besten Windkanal der Welt“, hieß es im Februar…

Epsilon Euskadi

Über eine funktionierende Infrastruktur verfügt auch Epsilon Euskadi – die spanische Sportwagenschmiede möchte unter der Führung des früheren Benetton-Teamchefs Joan Villadelprat ebenfalls schon im Jahr 2010 in die Formel 1 einsteigen. Als Konstrukteur fungiert ein Mann mit F1-Knowhow: Sergio Rinland, der bereits für Sauber gearbeitet hat. Villadelprat erklärte gegenüber Motorsport Total: „In eineinhalb Monaten wird die neue Firma eingeweiht und dann wären wir bereit. Wir haben sogar schon mit potenziellen Partnern gesprochen. Es gibt ein großes Interesse an der Formel 1, auch sehr konkret.“

Und: Epsilon Euskadi soll als europäische Außenstelle von USGPE fungieren – auf der Website der Amerikaner findet man derzeit jedoch nur den Satz: „Coming soon.“ Viel wird davon abhängen, ob die FIA das Budgetlimit absegnet…

i sport International

In diesem Falle würde auch das GP2-Team isport International über einen Formel 1-Einstieg nachdenken. Das Team, in dem Andi Zuber 2007 seine bislang erfolgreichste GP2-Saison absolvieren konnte, welches im gleichen Jahr mit Timo Glock Meister wurde und im Vorjahr mit Bruno Senna den Vizemeister stellte, wartet auf den Beschluss des Weltrats.

Teamchef Paul Jackson erklärte gegenüber Autosport: „Seit Jahren sage ich, dass wir in die Formel 1 einsteigen würden, wenn die Konditionen stimmen. Die Budgetlimitierung wäre die perfekte Möglichkeit für uns – doch so lange wir die magische Budgetgrenze nicht kennen, können wir nicht sagen, ob ein Formel 1-Einstieg machbar ist.“ I sport International operiert in der GP2 mit einem Budget von rund 3 Millionen Pfund – der Sprung in die Formel 1 ist also auch mit Budgetlimit nur mit potenten Sponsoren zu schaffen – allerdings kann diesen Sponsoren ein weitaus größeres Publikum angeboten werden…

Comeback von Lola?

Nicht nur neue Teams werden von der Budgetlimitierung angelockt – mit Lola könnte eine in der „Königsklasse“ zwar nicht besonders erfolgreiche, aber sehr bekannte Marke in die Formel 1 zurückkehren. Die britische Rennwagenschmiede debütierte im Jahr 1962 in der Formel 1. Fahrzeuge des Typs MK4 wurden an das Bowmaker Yeoman Racing Team ausgeliefert. John Surtees konnte damit beim Debüt in Zandvoort die Poleposition und bei einem nicht zur WM zählenden Rennen in Mallory Park sogar einen Sieg erringen. Lola hat immer wieder Boliden an Kundenteams ausgeliefert – nur zweimal trat man als Werksteam auf, jedes Mal scheiterte man kläglich. Zuletzt im Jahr 1997 – Ricardo Rosset und Vincenco Sospiri pilotierten beim Auftakt in Melbourne die Fahrzeuge vom Typ T97/30, scheiterten jedoch beide bereits im Qualifying an der 107 Prozent-Marke. Beim nächsten GP in Brasilien war die Luftfracht von Lola im Paddock, doch die Kisten wurden nicht mehr ausgepackt…

Jetzt könnte die Marke, die in jedem Jahrzehnt zumindest zeitweise in der Formel 1 als Wagenlieferant vertreten war, ein Comeback wagen. Martin Birrane, der Vorstand der Lola Gruppe, erklärte, die mögliche Budgetlimitierung habe bewirkt, dass „wir derzeit die Möglichkeit in Betracht ziehen, ein Fahrzeug für die Formel 1-Weltmeisterschaft zu entwickeln“. Birrane fügte hinzu: „Lola verfügt über die technischen Ressourcen, die Kapazität und das Knowhow, um Fahrzeuge zu entwickeln, welche auf höchstem Level im internationalen Motorsport antreten können, auch in der Formel 1. Wir erwarten daher die Entscheidung des Weltrats und arbeiten an einer Machbarkeitsstudie für ein relevantes F1-Programm – mit der Möglichkeit, in den kommenden Wochen formal für die F1-WM zu nennen.“

Aston Martin/Prodrive

Einen Tag nach der Bekanntgabe von Lola gab Prodrive-Chef David Richards bekannt, dass er ebenfalls an einen Formel 1-Einstieg denken würde – wieder einmal. Prodrive ist auch die Mutterfirma von Aston Martin Racing – unter dem Banner der Edelmarke haben Prodrive und Lola kooperiert, Lola belieferte das Team mit Le Mans-Prototypen. Doch die beiden Parteien krachten wegen Urheberrechten aneinander. Jetzt möchte Richards mit Aston Martin oder Prodrive den Formel 1-Einstieg wagen. Zuletzt scheiterte er an der Kundenautoregelung – Prodrive wollte mit Kundenautos von McLaren-Mercedes in der Formel 1 antreten. Mit der Budgetlimitierung und dem vermehrten Einsatz von Standardbauteilen sollen künftig auch kleine Teams in der Lage sein, ein Formel 1-Auto zu bauen.

ART & DAMS

So haben auch die französischen GP2-Teams ART Grand Prix und DAMS ihr Interesse an einem Formel 1-Einstieg bekundet. Das von Jean Paul Driot und dem früheren Formel 1-Fahrer René Arnoux gegründete DAMS-Team (Driot Arnoux Motor Sport) wollte bereits im Jahr 1995 mit einem von Reynard entwickelten Boliden in die Formel 1 einsteigen, konnte aber letztlich nicht die nötigen finanziellen Mittel aufstellen. DAMS durfte am letzten Wochenende in Bahrain feiern: Toyota-Tester Kamui Kobayashi eroberte für das Team den GP2 Asia-Titel.

Vorgezogene Nennfrist?

All die genannten Bewerber warten nun gespannt auf die Beschlüsse des Motorsportweltrats, während die etablierten Teams gegen die Budgetlimitierung wettern. Doch laut den gewöhnlich gut informierten britischen Kollegen von Grandprix plant Max Mosley einen Schachzug, den er bereits im März 2006 erfolgreich angewandt hat: Die FIA könnte die Nennfrist für die WM 2010 empfindlich vorverlegen, sodass die FOTA-Teams keine Zeit haben, gegen Beschlüsse wie das Budgetlimit oder auch die Einführung eines Standard-KERS vorzugehen – schon am Freitag könnte demnach die letzte Nennmöglichkeit für die kommende WM sein!

Im Jahr 2006 hat Mosley die Nennfrist für die WM 2008 binnen einer Woche angesetzt, sodass es sage und schreibe 22 Bewerber gab. Zwei neue Teams wurden schließlich ausgewählt, doch keines der neuen Teams trat am Ende wirklich an – damals konnte Mosley mit diesem Schachzug die Pläne für eine Konkurrenzserie der Hersteller im Keim ersticken, denn die Teams waren gezwungen, für die WM 2008 zu nennen – andernfalls hätten sie ihren Slot verloren…

Zuletzt hat Max Mosley mehrfach angedeutet, dass die maximale Bewerberanzahl in der Formel 1, derzeit bei zwölf Teams, durchaus angehoben werden könnte, falls dies mit der Sicherheit auf der Rennstrecke vereinbar sei.

Es ist also durchaus möglich, dass in dieser Woche die Weichen gestellt werden für ein vergrößertes, farbenfrohes Formel 1-Feld ab 2010. Mosley könnte in dieser Woche für das große Comeback der Privatteams sorgen. Allerdings bleibt die Frage offen, wie man zwei parallele Regelwerke einführen und kontrollieren möchte, ohne dabei völlig den Überblick und die Überschaubarkeit zu verlieren. Man darf jedenfalls gespannt sein…

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