Formel 1: EXKLUSIV | 03.12.2010
Die F1 mutiert zur Bezahlformel - Andy Soucek gibt noch nicht auf...
Bezahlfahrer stürmen die F1, die Cockpits so teuer wie noch nie. Andy Soucek im Gespräch mit motorline.cc: Schafft er es noch? Oder war’s das bereits?
Die Formel 1 – für viele Jungpiloten immer noch der Olymp, den es zu erreichen gilt. Nur: Die „Königsklasse“ scheint sich derzeit mehr denn je ihren Ruf als Sammelbecken für die weltbesten Formelpiloten abzugraben.
Die Wirtschaftskrise macht beispielsweise aus britischen Traditionsteams wie den Stall von Sir Frank Williams so etwas wie „Edelprostituierte“, welche dann schweren Herzens einen Jungpiloten namens Nico Hülkenberg, welcher das Mittelfeldauto auf Poleposition stellen konnte, ziehen lassen müssen – weil man die Millionen eines Pastor Maldonado dringend benötigt.
Toto Wolff, der als Teilhaber im Williams-Vorstand sitzt, erklärte erst unlängst gegenüber motorline.cc, dass er Hülkenberg als „den Besten von den Jungen“ schätzt und fügte klipp und klar hinzu: „Wenn er es nicht schafft, das Cockpit zu halten, dann ist das ein Armutszeugnis für alles was da kommt.“
Es kommt Maldonado, er wird von seinem venezolanischen Staatschef Hugo Chavez unterstützt – in seinem bereits vierten Jahr in der GP2-Serie wurde Maldonado endlich Meister. Freilich ist auch die offizielle Nachwuchsserie der Formel 1 längst von den Paydrivern unterwandert worden.
Auffangbecken für Paydriver
Die Serie wurde zu einem Bernie Ecclestone’schem Auffangbecken für Jungpiloten mit Millionenbackground - hier wird kräftig eingezahlt, um in die Nähe der Formel 1 zu gelangen. Der Mexikaner Sergio Perez wird vom Telefonmultikonzern Telmex unterstützt, er konnte mit seinem Geld sogar einen Nick Heidfeld aus dem Sauber-Team vertreiben…
Der Alltag eines Jungpiloten besteht neben dem sportlichen Training zu einem großen Teil aus Türklinkenputzen und Millionenaufstellen. Andy Soucek, in Spanien aufgewachsen, mit österreichischem Reisepass versehen, kommt zwar nicht aus einem armen Haus, doch Millionärsbackground hatte er keinen.
Andy Soucek & das Haifischbecken
Soucek kann ein Lied singen vom Auf und Ab im Leben eines Formelpiloten. In der World Series by Renault dominierte er, verlor 2006 den Titel aber im letzten Rennen.
In der GP2 hat er brav eingezahlt, zahlte dort 2008 ein bitteres Lehrgeld: Kurz vor dem ersten Rennen wurde er bei einem italienischen Rennstall kurzerhand durch den längst in Vergessenheit geratenen Hinterherfahrer Roldan Rodriguez ersetzt, weil der noch mehr Geld im Koffer hatte. Damals ärgerte sich Soucek: „Das wäre mein wichtigstes Jahr gewesen!“
Die Karriere schien ernsthaft in Gefahr zu sein, doch Soucek konnte bald schon wieder ein Cockpit erlangen und das schwierige Jahr mit einem zweiten Platz beim Finale abschließen.
2009 wechselte Soucek in die neu geschaffene und weitaus günstigere Formel 2, beherrschte in dem Jahr seine Gegner wie man es selten zu sehen bekommt. Soucek erzielte fast doppelt so viele Punkte wie der Vizemeister Robert Wickens.
Als erster F2-Champion der neuen Generation wollten die Serienbetreiber Soucek in der Formel 1 haben. Beim „Young Drivers Test“ fuhr Andy prompt die schnellste Zeit, auf einem Williams. Für 2010 erhielt er im neuen Virgin F1 Team einen Vertrag als dritter Pilot respektive Ersatzfahrer.
Doch die restriktive Testbeschränkung, welche sich die Formel 1 angesichts der Wirtschaftskrise auferlegt hat, sorgt für absurde Situationen. So war Soucek bei Virgin bei zehn Grand Prix-Wochenenden anwesend – doch hinter den elektronischen Drehkreuzen blieb Soucek stets in Zivilkleidung, der Rennoverall blieb im Koffer. Der ersehnte Einsatz im ersten freien Training kam nicht – denn dafür hätte Soucek wohl noch weitere Millionen aufstellen müssen. Soucek und Virgin einigten sich auf eine vorzeitige Vertragsauflösung...
All die Mühen für die Ersatzbank?
War’s das also schon? All die Mühen und Sorgen, um am Ende bei zehn Formel 1-Grand Prix auf der Ersatzbank gesessen zu sein? Mit dem Wissen, dass man vom Speed her einige der Stammfahrer überflügeln könnte?
Wir erreichen Soucek telefonisch, er ist in Valencia als Fahrinstruktor tätig. Soucek erklärt: „Das ist ein Kurs für Privatleute mit starken Autos, sie werden von aktuellen Rennfahrern aus verschiedenen Rennserien unterrichtet, die ein bisschen Geld dazuverdienen wollen.“
Ein guter, ein nützlicher Job, der im Interesse der Verkehrssicherheit steht, Soucek weiß: „Oft ist das Auto besser als der Fahrer – und man sollte immer nur so schnell fahren wie man wirklich kann, man sollte nie über das eigene Limit hinausgehen.“
Geld verdienen oder Geld einzahlen?
Geld verdienen, das eigene Können umsetzen in einen Verdienst. Erst unlängst erklärte der Österreicher Richard Lietz im Rahmen seiner Ehrung als „Motorsportler des Jahres“ der OSK, dass er sich schon früh gedanklich von der Formel 1 verabschiedet habe, da er es vorzog, mit dem Rennfahren Geld zu verdienen anstatt einzuzahlen.
Sein Engagement als Porsche-Werkspilot gibt ihm Recht. Nach dem neuerlichen Gewinn der GT2-Klasse der Le Mans Series und dem GT2-Sieg beim 24 Stunden-Klassiker hat Lietz einen mehrjährigen Vertrag unterschrieben, er kann also wirklich als Beruf „Rennfahrer“ angeben - und nicht „Einzahler“.
Andy Soucek sagt dazu mit einem leicht melancholischem Unterton: „Lietz ist ein sehr guter Fahrer – vielleicht hat er auch im richtigen Moment gesagt, dass er die Formel 1 nicht einmal versuchen will. Denn es ist eben sehr schwer, in die Formel 1 rein zu kommen.“
Was bleibt ist die Hoffnung
Doch dann wird die Stimme des Austrospaniers wieder erhellt von der unbändigen Hoffnung, das Ziel doch noch zu erreichen: „Aber ich sag dir was: Wer es nicht versucht, wird es auch nicht schaffen. Ich möchte es auf jeden Fall weiter versuchen – wenn ich dann meine hundert Prozent gegeben habe und es klappt trotzdem nicht, dann kommt vielleicht der Moment, in dem ich dann mehr ans Geld denken sollte als an meinen großen Traum von der Formel 1.“
Soucek erklärt, dass er mit verschiedenen Formel 1-Teams im Gespräch sei. Freilich wäre es wenig vorteilhaft, jetzt Namen zu nennen. Seine Chancen schätze er jedoch „eher als gering“ ein, gibt sich der Austrospanier realistisch. Denn: „Dass es schwer ist, in die Formel 1 zu kommen, wissen wir schon seit langem – aber heuer ist es noch schlimmer.“
Die Cockpits so teuer wie noch nie
Der Hintergrund: Einige der Paydriver haben ganze Staaten und deren Industrie im Rücken. Vitaly Petrov wird in seiner Heimat als erster Russe in der Formel 1 bereits mit Alexejewitsch Gagarin, dem ersten Russen im Weltall verglichen, hat mit Lada die Industrie im Rücken, schließlich wird bald schon der erste Grand Prix von Russland abgehalten.
Dazu kommen der erwähnte Sergio Perez, Pastor Maldonado oder beispielsweise der sagenhaft langsame Fairuz Fauzy aus Malaysia, der im Gegensatz zu Andy Soucek heuer bei Lotus als Freitagspilot den letzten Platz für sich beanspruchen durfte…
Die Folge dieses Andrangs aus bisher nicht in der Formel 1 vertretenen Ländern erklärt Soucek pragmatisch: „Momentan sind die Sitze sehr teuer. Das kostet bis zu neun Millionen Euros, was für einen Privatfahrer, obwohl ich Sponsoren habe, nur sehr schwer aufzustellen ist.“
Doch erneut wird Soucek von einem Anflug von Optimismus heimgesucht: „Mit der Zeit wird es immer besser - denn es gibt derzeit nur vier Piloten, die neun Millionen Euros haben, der Rest hat nur drei, vier oder maximal fünf.“
Drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Millionen Euros – zu den Euromillionensuchenden gehört neben Soucek auch Christian Klien, der heuer dank eines neuen Managers immerhin drei Renneinsätze im spanischen HRT-Team erringen konnte und sich dabei sogar auf sportlicher Ebene empfehlen konnte.
Das Problem von Soucek, Klien und vielen anderen schnellen Piloten besteht wohl auch darin, dass sie aus Europa kommen. Hier gibt es keine Ölscheichs, die mit ihren Millionen alles erkaufen und sogar ganze Fußballweltmeisterschaften an sich reißen. Im Falle von Soucek kommt dazu, dass Spanien mit Fernando Alonso und Santander, einer der größten Banken weltweit, ohnehin bereits gut positioniert ist in der Formel 1. Und in Österreich gibt es Red Bull. Und sonst relativ wenig bis gar nichts.
“Will noch nicht nein sagen zur F1“
Soucek will aber noch nicht aufgeben: „Momentan befinde ich mich in einer Position, wo ich noch nicht nein sagen will zur Formel 1. Ich bin erst 25 Jahre alt und habe bereits eine gute Karriere hinter mir. Und ich war heuer der dritte Fahrer im Virgin F1-Team – das heißt, ich bin nicht schon vor fünf Jahren in die Formel 1 gekommen und bereits wieder draußen, sondern meine F1-Karriere ist noch ganz frisch.“
Noch also versucht Andy Soucek, der übrigens unsere Reporter-Legende Heinz Prüller an „den jungen Jochen Rindt“ erinnert, alles, um seinen Traum von der Formel 1 doch noch zur Realität zu machen.
Ansonsten würde er eben versuchen, in der Indycar-Serie oder der DTM einen Job, also einen bezahlten Job als Rennfahrer zu erlangen. Man kann ihm eigentlich nur die Daumen drücken, dass er in der Formel 1 zumindest eine Chance erhält…
Und zwar auch im Interesse der Formel 1. Denn es stellt sich die Frage: Wann kam zuletzt ein echter Durchstarter in die „Königsklasse“? Kamui Kobayashi ist wohl ein solcher. Doch der kam mehr oder weniger durch Zufall in die F1 und konnte sich mit seiner kämpferischen Art einen Platz, wohl auch in den Herzen der Fans sichern, die GP2-Saison 2008 beendete er jedoch nur auf Gesamtrang 16.
Wann hat es zuletzt einer der schnellen Europäer in die Formel 1 geschafft? Hier muss man bereits zurückblicken auf das Jahr 2007, als Kaliber wie Vettel oder Hamilton den Olymp erreichten.
Bezahlformel als „Königsklasse“?
In Wahrheit ist die Formel 1 derzeit in Gefahr, zu einer reinen Bezahlformel zu verkommen – richtig schneller Nachwuchs scheint derzeit nicht in Sicht zu sein, weil es nur noch auf das Geld ankommt. Mehr denn je zuvor. Irgendwann stellt sich dann die Frage: Was sind WM-Titel wert, wenn man sie gegen irgendwelche Zweitklassefahrer mit Millionenbackground erzielt hat?
Sollten dem erwiesen schnellen Andy Soucek am Ende tatsächlich nur diese paar Wochenenden auf der Ersatzbank der Formel 1 als Highlight seiner mühevollen Karriere bleiben, wäre das ein wirkliches Armutszeugnis für die so genannte „Königsklasse“. Einflussreiche Leute wie Bernie Ecclestone sollten sich ernsthaft Gedanken darüber machen, ob es tatsächlich nur noch darauf ankommen sollte, wie viele Millionen man in die „kleine Welt der Zirkusaffen“ (Zitat Niki Lauda) bringt…