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WEC: Silverstone

Saisonstart in eine ungewisse Zukunft

Die Langstrecken-WM geht mit nur zwei LMP1-Herstellern ins Jahr ihrer größten Bewährungsprobe; Kubica sagt Rundstreckencomeback ab.

Der Enthusiasmus im Fahrerlager der Langstrecken-WM war zweifellos schon einmal größer als anno 2017. 27 Autos und damit deutlich weniger als in den Vorjahren wagen die Reise nach Silverstone, darunter nur noch vier Werks-LMP1. Das Championat geht in das kritischste Jahr seines Bestehens. Es ist der Moment der Wahrheit: Kann das Tief mit nur zwei Herstellern überwunden werden, oder sind die Boomjahre dauerhaft vorbei? Die Zukunft muss es zeigen.

Sportlich könnte es durchaus Grund zur Vorfreude geben: Porsche und Toyota haben sich bei den offiziellen Testfahrten in Monza auf Augenhöhe präsentiert, doch nun hat Porsche verkündet, das Aerodynamikpaket mit viel Abtrieb erst beim vierten Saisonlauf auf dem Nürburgring einzusetzen. Das bringt mehr Entwicklungszeit für den weiteren Verlauf des Jahres, sorgt aber auch dafür, dass Porsche das Silverstone-Rennen komplett opfern dürfte, weil das Le-Mans-Setup für den mittlerweile kurvenreichen ehemaligen Flugplatzkurs eher ungeeignet ist.

Die Strategie von Porsche, wesentliche Fortschritte erst für die letzten beiden Saisondrittel einzuplanen, ist riskant. Sollte Le Mans nicht nach Plan laufen, könnte der Punkterückstand bereits unaufholbar sein. Klar ist: Komplettausfälle sind in dieser Saison schwerer zu kompensieren als in den vergangenen Jahren, da selbst ein technisch angeschlagenes LMP1-Werksauto heuer wohl kaum weiter hinten als Rang vier ins Ziel kommen wird. Zuverlässigkeit ist also Trumpf.

Bei Porsche erhalten Timo Bernhard und Brendon Hartley mit Earl Bamber einen neuen Teamkollegen als Ersatz für Mark Webber. Sie werden teamintern mit dem Weltmeisterauto von Neel Jani, André Lotterer und Nick Tandy eine harte Nuss zu knacken haben. Toyota darf sich in den ersten Rennen keine Schwächen erlauben. Spannend wird, wie sich der dreifache Tourenwagenweltmeister José María López als Neuzugang beim Saisonauftakt an der Seite von Mike Conway und Kamui Kobayashi schlagen wird. Das andere Fahrzeug teilen sich wie in den Vorjahren Sébastien Buemi, Anthony Davidson und Kazuki Nakajima.

Gegenüber dem Vorjahr wurde die Leistung der LMP1-Boliden erneut begrenzt. Nun gilt für alle Strecken, dass die Fahrzeuge nur noch maximal 300 Kilowatt aus dem Hybridsystem abrufen dürfen. Die Leistung wird damit auf ungefähr 1.000 PS gedeckelt. Der Benzindurchfluss für die Verbrennungsmotoren wurde gegenüber 2016 von 80,6 auf 80,2 Kilogramm pro Stunde verringert. Der Rückzug von Audi bedeutet, dass mit den Selbstzündern auch die Diskussionen um die "Equivalence of Technology" wegfallen. Darüber hinaus wurde die Anzahl der Reifensätze von sechs auf vier reduziert; Doppelstints werden somit zur Regel. Die größte Änderung betrifft die Aerodynamik, die weiter beschnitten wurde.

Nicht an den Start gehen wird indes Robert Kubica, weder beim Saisonauftakt noch zu einem späteren Zeitpunkt. Der Pole, der seit einem schweren Rallyeunfall im Jahr 2011 körperlich beeinträchtigt ist, bestätigte seinen Rückzug aus dem Kolles-Team via Facebook, ohne jedoch genauere Gründe dafür anzugeben. In Silverstone wird der LMP1-erfahrene Österreicher Dominik Kraihamer die beiden CLM-P1/01-Piloten James Rossiter und Oliver Webb ergänzen.

LMP2-Markenpokal verspricht Spannung

Die LMP2-Kategorie ist derweil stärker zur Einheitsklasse geworden als von ACO und FIA beabsichtigt: Neun Oreca-07-Chassis mit dem Einheitsmotor von Gibson haben die Kategorie zu einem Markenpokal gemacht, obwohl eigentlich vier Hersteller zugelassen wären. Mit dem Vorteil, die alten Oreca 05 per Upgradekit aufrüsten zu können, haben sich die Franzosen für diese Saison eine Monopolstellung in der LMP2-Klasse der Langstrecken-WM gesichert. Die kleinen Prototypen sind dabei mittlerweile so schnell wie vor wenigen Jahren nur die LMP1.

Die Nennliste macht Freude: Mit Nicolas Lapierre, Nelson Piquet junior, Vitaly Petrov, Bruno Senna oder Jean Éric Vergne finden sich dort klingende Namen, die wohl genauso gut die LMP1-Klasse repräsentieren könnten. Die amtierenden Meister Signatech Alpine (Lapierre, Menezes, Rao) treffen auf neue Konkurrenten wie Rebellion. Ein Eingewöhnungsjahr werden die Schweizer kaum absolvieren wollen, schließlich ist für 2019 der Wiederaufstieg in die LMP1-Klasse angedacht.

Von der Fahrereinstufung her muss Rebellion als Favorit gelten: Mit jeweils zwei Platinfahrern und einem aus der Silberkategorie stehen die beiden Boliden stark wie kein zweiter Rennstall da. Beche, Heinemeier Hansson und Piquet junior sowie Canal, Prost und Senna werden alles dafür geben, gleich im ersten Anlauf den WM-Titel zu erobern. Dabei müssen sie auch ein neu organisiertes G-Drive-Team auf der Rechnung haben. Roman Rusinov trägt sein Banner zum vierten Team in fünf Jahren. Nach Jota Sport im Vorjahr ist diesmal Pierre Thiriet mit seinem TDS-Team der Auserwählte.

Der Franzose hat in der ELMS bewiesen, dass er zu den besten Fahrern der Silberkategorie zählt. Verstärkt werden die beiden durch Alex Lynn, der heuer die 12 Stunden von Sebring gewonnen hat. Manor geht in seine zweite LMP2-Saison, die Finanzierung ist dank eines chinesischen Investors gesichert. Mit den Paarungen Graves, Hirschi und Vergne sowie Gonzales, Petrov und Trummer wird man Jagd auf den Sieg beim Heimrennen machen. Dazu gesellen sich zwei Orecas des DC-Teams und ein weiterer Oreca von TDS. Beim Saisonauftakt noch nicht am Start wird das zweite Auto von Alpine sein.

Porsche heuer wieder mit GT-Werkseinsatz

Nach einjähriger Auszeit kehrt Porsche auf die GTE-Pro-Bühne zurück. Bei den 24h von Daytona hat der 911 RSR mit neuem Mittelmotor einen zweiten Platz erobert; bei den Testfahrten in Monza legten die Deutschen die besten Rundenzeiten vor. Das italienische Ferrari-Urgestein Gianmaria Bruni wurde in der Winterpause aus seinem Vertrag bei AF Corse herausgekauft, darf zunächst aber nur in der IMSA-Serie zum Einsatz kommen. In der WM setzt Porsche vorerst auf Lietz/Makowiecki und Christensen/Estre. Bei AF Corse bildet Sam Bird ein Team mit Davide Rigon; neben James Calado erhält Alessandro Pier Guidi endlich sein GTE-Pro-Cockpit.

Nach der Debütsaison inklusive (nahezu geschenktem) Le-Mans-Sieg ist Ford bereit, auch in der Gesamtwertung zuzuschlagen. Stefan Mücke und Olivier Pla bleiben zusammen und werden von William Johnson verstärkt. "Wir haben uns für die neue Saison ein klares Ziel gesetzt: den Gewinn der Weltmeisterschaft", betonte Mücke. Im zweiten Fahrzeug wird der bisherige LMP2-Star Pipo Derani an der Seite von Andy Priaulx und Harry Tincknell sein GTE-Debüt geben.

Titelverteidiger Aston Martin hat sich gerade erst für fünf weitere Jahre zur WM bekannt. Marco Sörensen und Nicki Thiim werden in dieser Saison von Richie Stanaway unterstützt. Das Fahrzeug wird diesmal direkt von Prodrive eingesetzt, nachdem das Young-Driver-Team seinen Rückzug erklärt hat. Im zweiten Vantage GTE gibt es mit Daniel Serra einen Neueinsteiger. Beim Monza-Test hielt sich Aston Martin auffällig zurück, doch die Streckencharakteristik in Silverstone ist eine andere.

Wie die LMP1- muss auch die GTE-Pro-Kategorie mit vier Reifensätzen pro Rennen auskommen. Die erforderlichen Doppelstints könnten zusätzliche Würze in die GTE-Pro-Klasse bringen, indem sie für taktischen Spielraum sorgen. Hinzu kommen fünf Fahrzeuge in der GTE Am, in der die Favoritenrolle bei Ferrari liegt. Die älteren Porsche 911 RSR mit technischem Stand 2015 hoffen auf einen Ausgleich durch die Balance of Performance. Mit dabei sind auch wieder Pedro Lamy und Mathias Lauda im Vantage GTE von Paul Dalla Lana.

Der Saisonauftakt zur Langstrecken-WM 2017 in Silverstone startet am Sonntag um 13 Uhr MESZ, die Renndistanz beträgt wie üblich sechs Stunden.

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