USA-Serie | 22.03.2006
"Bewerbungsgespräche"
Motorline.cc wirft einen Blick über den großen Teich, in den USA buhlen die Autohersteller massiv um Kundschaft, wir präsentieren ein paar Spots.
Hans-Jürgen Eberdorfer
Eine hausgemachte Theorie meinerseits besagt, dass Produkte, die auffällig oft beworben werden, sich vermutlich schlecht verkaufen dürften. Würde diese Theorie wirklich stimmen, müsste die amerikanische Autoindustrie am Rande der Verzweiflung stehen. Um die dortige Bierindustrie wäre es dann übrigens auch schlecht bestellt.
Immer zur jeweiligen Sendezeit, zu der sich dem Klischee brav folgend vorwiegend männliche Zuseher vor dem Fernseher positionieren – also vor, nach und vor allem unendlich oft zwischen den diversen Superbowls und Actionserien – beginnt eine wahre Werbeflut, die beinahe ausnahmslos aus, wie bereits erwähnt, Automobil- und Bierwerbungen besteht.
(Ein kleiner Einschub für jeden, der es wissen will: Spitzenreiter während der restlichen Sendezeit sind unangefochten Pharmazeutika. Ob sich diese mit Bier mischen lassen?)
Ich, ein mit österreichischen Wertvorstellungen aufgewachsener und daher nach vielen amerikanischen Gesichtspunkten wunderlicher Exil-New-Yorker will hier einfach das tun, was ich beim Durchleiden der amerikanischen TV-Landschaft reflexartig immer als erstes mache: eine Augenbraue weit nach oben ziehen und das gesehene nicht ganz wertfrei kommentieren.
Bevor ich mich aber hier mit Ihnen und einer Diät-Cherry-Vanilla-Cola (on the rocks) ins Sofa setze vorweg ein kurzer Erklärungsversuch, warum eigentlich Autowerbung hier so sein dürfte, wie sie ist:
Hier in Amerika hört man nicht minimale Elektronikmusik, sondern lauten Rock‚n Roll mit fettigen Haaren. Das Land ist scheinbar endlos groß, und die Ressourcen – zumindest nach wie vor in vielen Köpfen - grenzenlos.
Darum schöpft man aus dem Vollen: Verschwitzte E-Gitarren anstatt piepsende Laptops machen nun mal den besseren Soundtrack zur großen Freiheit, das Bier wird bis an den Rand des Glases eingeschenkt und die Steaks sind dick. Soll das etwa in der Garage aufhören?
Eben.
Und was darüber hinaus in Österreich (am Wörthersee) ein Nischendasein fristet, hat hier eigene Fernsehsendungen: Autotuning bedeutet neben dem, was uns geläufig ist auch: Plasmabildschirme, die groß genug für jedes Wohnzimmer wären, im Kofferraum zu montieren, um nach dem Playstation-Spielen am Parkplatz die in Wirklichkeit nie stattfindende Strassen-Party mit den Videos zur Musik versorgen zu können.
Aber genug davon. Die Neue Deutsche Welle hatte bereits eine sehr viel einfachere Antwort: Ich will Spaß – ich geb Gas.
Es geht los.
Während ich noch vorm Fernseher mit Kamera und Stativ handiere, läuft bereits der erste Werbespot. Ein roter Pick-Up brettert durch eine wunderschöne Berglandschaft. Bei einem Sprung über eine kleine Geländekante verabschiedet sich das auf der Ladefläche abgestellte Drehfussballspiel und überschlägt sich in Einzelteile zerbrechend beim Hinabrollen am Hang mehrere Male.
Der nächste Pick-Up hat ebensowenig Glück, nicht nur dass in einer scharfen Linkskurve (wir befinden uns noch immer im Naturschutzgebiet) der üppig dimensionierte BBQ-Griller von der Ladefläche geschleudert wird, nein, auch die Kühlbox öffnet sich (vermutlich vom Griller getroffen) und lässt den Truthahn durch Zerbersten im Staub ungenießbar werden.
Weitaus glücklicher darf sich letztendlich die Herrenrunde schätzen, welche nach vollendeter Fahrt - Drifts über alle vier Reifen sowie Sprünge in leichter Schräglage eingeschlossen – ihre Ladung (offenbar wird ein 10-Köpfiges Picknick angestrebt) verlustfrei entgegennehmen kann.
Das Geheimnis? Der neue Dodge Ram, jetzt noch besser weil mit verschließbarer Ladefläche. Sie haben es bestimmt erraten, die Melodie, welche beim Erscheinen des Doge-Logos ertönt, wird mit verzerrter e-Gitarre gespielt.
Mittlerweile ist meine Kamera montiert, ich suche mein Auslöserkabel, zu spät: Eine snobistische Runde spießiger Europäer feiert. Die Gäste in Form von Autos – Audi, BMW und Mercedes, offenbar war Frankreich ausgeladen worden – tanzen, oder besser fahren Walzer in einem prunkvollen Barocksaal zu Klängen von Mozart.
Wie wir allerdings alle wissen bekommt aber immer nur der wilde, langhaarige Rebell an solchen Abenden das Mädchen. Dieser Logik folgend wird das große Bogentor aufgetreten und ein roter Cadillac kommt mit angezogener Handbremse auf der Tanzfläche zu stehen.
Die allesamt in schwarz gekleideten Deutschen huschen ehrfürchtig weg, um Platz zu machen. Vielleicht liegt es auch daran, dass nun Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ und nicht mehr Amadeus das Haus rockt.
Das Auslöserkabel ist angeschlossen. Mit nervösen Händen stelle ich Belichtungszeit und Schärfe ein. Ich muss schneller werden:
Ein wiederum roter Wagen steht vor einem bedrohlich wirkendem Himmel auf einer Landstrasse. Ich will mir noch die Automarke aufschreiben, da passiert es schon: Ein Blitz zuckt aus den purpurnen Wolken und schlägt im Auto ein.
Der erschrockene Fahrer muss hilflos zusehen, wie weitere kleine Blitze außen am Auto herumzucken und sich dadurch (oder ist es nur Zufall?) das Auto zum eindeutig besseren wandelt: Ein Heckspoiler erscheint am Kofferraumdeckel, die Felgen dehnen ihren Radius unaufhaltsam und der Lack nimmt den Violettton der Wolken an.
Der Fahrer – ich denke er möchte von nun an vermutlich als Pilot angesprochen werden – nimmt das mit Wohlgefallen hin und lächelt auch weiter selbstsicher, als die Stereoanlage beginnt, sich über das Armaturenbrett herzumachen und als enormes silbernes Panel mit einer ungeraden Anzahl an Knöpfen ein neues, besseres Leben beginnt. Es war im Übrigen ein Chevrolet, der hier beworben wurde.
Ich bin bereit. Die nächsten Werbungen werden meiner Kamera nicht entgehen. Als auf einen Budweiser-Spot ein Heineken-Spot folgt werde ich nervös. Habe ich alles versäumt? Während ich diesen Gedanken noch im Kopf habe, baut sich am Fernseher in idyllisches Bild auf.
Ich sehe eine Gebirgskette im Hintergrund, ein blitzblauer See und tadellose Natur soweit das Auge reicht. Reflexartig drücke ich ab und hätte damit auch das Profil des Nissan Pathfinder auf meine Compact-Flash-Karte verewigt, wäre da nicht die Giraffe gewesen, welche gerade den Nissan auf der rechten Seite überholt hat.
Dieses Vorgehen sei der Giraffe aber zu verzeihen, da es sich offensichtlich um Kolonnenverkehr handelt, denn plötzlich sieht man an die zehn der Langhälse neben dem Auto entlangtraben.
Wie friedlich, denke ich mir noch, als ich bereits im nächsten Spot einen Subaru Outback einen ungewöhnlich steilen Hang mit einem Sprung über die Kante hinter sich lassen sehe. Ja, nun wird wieder gelebt. Es wird wieder gedriftet, der Dreck bewegt sich in einer elliptischen Bahn Richtung Kamera und das Wasser spritzt.
Und trotzdem wird hier natürlich niemand auch nur in den wildesten Träumen daran glauben, jemals im Grand Canyon oder auf Südhängen des Glocknermassivs nur für eine Sekunde den Wagen mutwillig abseits der Straßen zu bewegen.
Jeder versteht die filmische Übertreibung und weiß natürlich, dass der Hummer höchstens durch zu häufiges Waschen Lackschäden davontragen wird.
Aber trotzdem gibt’s ein kleines Funkeln in den Augen des Betrachters.
Ich schlürfe an den Resten meines Mineralwassers – die Cherry-Cola habe ich, wie in der Werbung eben, aus reiner Effekthascherei erfunden – und lasse mich von den letzten Spots vor der Rückkehr zum Programm berieseln. Welche Sendung durch die Werbung unterbrochen wurde, habe ich ohnehin längst vergessen.
Ich beobachte wie ein mutiger, roter, neuer SUV einem feigen, blauem, altem Truck gegenübersteht und nach einigen Anbellen mittels Drehzahlerhöhung der Angehörige des blauen Teams etwas Kühlflüssigkeit lässt. Die Allegorie muss nicht weiter erklärt werden.
Ich beobachte einen Jeep beim Rennen gegen BMW und Audi als Sieger hervorgehen, einen Audi A4 bei einer Vierteldrehung mit blockierten Hinterrädern, einen 2005er Chevy, der sogar beinahe eine Dreivierteldrehung daraus macht und weitere, unzählige Verstöße gegen Verkehrsregeln, Umweltschutzauflagen und gute Manieren im allgemeinen. (Bild 03)
Aber was macht das schon? Soll es doch so sein.
Würden wir nicht alle hin und wieder gerne ein wenig gegen alle Verantwortung und Erwartungen, so richtig, ohne Hemmungen, einfach so…
Eben.
Und in der Zwischenzeit kann man ja wohl zumindest beim Zusehen etwas Spaß haben...