USA-Serie | 15.03.2004
„Mir san mir“
Der zweite Teil unserer USA-Serie beschäftigt sich mit den kleinen aber feinen Details amerikanischer Kennzeichen - sehr aufschlussreich.
Hans-Jürgen Eberdorfer
„Eh klar – ein Wiener!“ Wir kennen diese erklärenden Worte aus der einen oder anderen haarigen Situation im Straßenverkehr. Vielleicht haben sie diese Worte ja schon selbst benutzt, zumindest in ähnlicher Weise, kann es sich doch beim Auslöser dieser Worte auch um einen Steirer, möglicherweise auch Kärntner oder sogar um jemanden aus Vorarlberg gehandelt haben.
Der Autor, bekennender Steirer, bleibt beim Wiener als Beispiel, obwohl er weiß: Wer von uns ohne Fahrfehler ist, werfe den ersten Stein…
Wie auch immer. Die (eigene) Erfahrung zeigt, dass jeder Erklärungsversuch eines oder mehrerer lästiger Lenk- oder Bremsvorgänge des uns nahen Verkehrsteilnehmers beinahe immer dessen Herkunft beinhaltet.
Wie schon gesagt: „Eh klar – ein Wiener!“. „Klar“ wird im Steirischen übrigens als „Kloar“ ausgesprochen.
Nummerntafe(r)ln
Die dazu notwendige Information beziehen wir seit jeher – nun in Form einer wunderschönen und farbigen Darstellung des Wappens des Bundeslandes, davor eher rustikal gehalten als Buchstabenkürzel – vom Nummernschild.
Und in irgendeiner Form sind wir ja alle stolz auf dieses kleine Emblem, spendet es doch ein wenig Zugehhörigkeit auf den Straßen in der Ferne.
Man mag das natürlich anfechten – der Autor sieht seinen imaginären Leser ein „mir is’ des wurscht“ ins Gesicht geschrieben – sollte dabei aber immer an die Blicke von Ortsansässigen denken, wenn vor ihrem Wirtshaus am Hauptplatz plötzlich nicht nur dieser fremde Mercedes mit schwarz getönten Scheiben steht, sondern dieser darüberhinaus noch aus Salzburg kommt…
Leser aus Salzburg mögen mir verzeihen, Wirtshausinhaber und Ortsansässige ebenso.
Doch warum nicht gleich aus dem Vollen schöpfen, wenn wir schon vorsätzlich Regional-Patriotismus betreiben? Warum sollen die anderen nur sehen, dass man herumkommt bzw. wo man herkommt, wenn man noch ganz bequem Eins draufsetzen könnte?
Eins draufsetzen?
Naja, die Wappen an sich sind schon in Ordnung, aber ein kleiner Zusatz wie „Wien. WIR sind die Bundeshauptstadt“ oder „Steiermark. Die anderen Bundesländer sind kleiner“ würde doch in der einen oder anderen Weise für ein kleines Kribbeln in der Magengegend des Betrachters sorgen. Ganz bestimmt sogar. Sie denken, das wäre zuviel? Die Amerikaner nicht, womit wir beim Kern der Sache angelangt wären.
Stolz
Fangen wir vorsichtig an. „The Sunshine State“. Das ist das sonnige Florida. Dort reifen leckere Orangen und viele – ebenso reife – Menschen genießen ruhige Tage. Man fährt um die 100 km/h auf der Autobahn und verflucht die Heerscharen jener Kids, die in den Frühlingsferien ausgerechnet hier die Party ihres Lebens feiern.
Oder Washington. „Nations Capital“. Hier befindet sich die Hauptstadt der Nation. Alles zutreffend. Und reizlos.
Gott sei Dank gibt’s da einige wenige, die mehr Gedanken daran verschwenden, wie man einen ganzen Staat in einem kurzen Satz zusammenfassen könnte.
The Big Apple
New York zählt zu diesen. Dieser Staat weist bekanntlich die gleichnamige „Stadt der Städte“ – so verlangt es zumindest der Mythos – auf, und kann darum auch dementsprechend herumprotzen.
Washington DC ist also die Hauptstadt des Landes? Na und wenn schon, dann ist New York eben das... das Imperium! „The Empire State“. Das ist Selbstvertrauen im großen Stil. Wagen sie es nicht, das Wort Bescheidenheit auch nur anzudenken. Denken sie besser, was in diesem Fall unter ein Wiener Kennzeichen passen würde.
Freiheit
Bleiben wir beim Prädikat „New“ und wenden uns an der gleichen Küste gegen Süden. New Hampshire heißt es dort, wo der Steuerzahler nicht ganz so hart getroffen wird wie anderswo. Dafür findet der Besucher schöne Berge, Seen, das Meer sowie Menschen, die man – ausreichend Potential zum Vorurteil hat der Verfasser ja weiter oben schon bewiesen – als „Hippieesk“ charakterisieren könnte.
Und wie drückt man ein derartiges paradiesisches Dasein am besten in Worten aus?
Genau: „Live Free.“ Sehr schön. Der Zusatz, der aus dem Motto dann „Live Free or Die“ macht, legt die Folgerung nahe, dass die Fusion von John Lennon und Ernesto Che Guevara nicht länger ein erdachtes Gebilde bleiben muss.
Mitten im Nirgendwo
Idaho geht das viel entkrampfter an. Die Leute vom Land tragen ihre Coolness dort, wo sie hingehört, nämlich im Herzen. Im mittleren Westen braucht man nicht den Lässigen mimen, denn dort, wo sich Fuchs und Hase mit „see you“ eine gute, mit Sternen reich bedeckte Nacht wünschen, ist alles halb so wild.
Und die Menschen dort bringen es gut zum Ausdruck, dass sie sich neben anderen Dingen auch nicht um einen törichten Spruch am Kennzeichen kümmern.
Mir persönlich hätte „Whatever“ besser gefallen, aber auf seine Weise ist „Famous Potatoes“, „berühmte Kartoffeln“ also, auch außerordentlich. Damit ist höchstwahrscheinlich sichergestellt, dass keiner der Leser Idaho jemals wieder ernst nehmen wird.
Alles nur geklaut
Und dann gibt es Staaten, die ihre Unverwechselbarkeit damit kundtun, indem sie so ähnlich Handeln, wie Programmdirektoren privater Fernsehsender: Zuerst wird geschaut, was die Anderen machen.
South Carolina und South Dakota haben so ein Problem. Dass ihre Namen mit dem gleichen Prädikat beginnen, hat eine einfache geographische Ursache. Dass sich die einen aber „Smiling Faces – Beautiful Places“, die anderen „Great Faces – Great Places“ ans Banner heften, erscheint suspekt.
Man mag South Carolina etwas mehr Sympathie entgegenbringen – lächelnden Gesichtern kann etwas mehr abgewonnen werden, als großartigen Gesichtern, was immer Letzteres auch aussagen mag.
Einerlei, denn Tatsache ist: Die Landschaft ist super und jeder dort dürfte offensichtlich aussehen wie ein Topmodel im Frühling. Klingt nach einem Reisetipp.
Gut und viel
Bei Michigan und Minnesota verhält sich die Sache ähnlich, obwohl ich in diesem Fall niemanden des Diebstahls bezichtigen möchte. Beide Staaten liegen einfach auf einem Boden, der das Abfließen von Wasser etwas verkompliziert.
Und darum finden sich dort viele Seen – den Michigan See würde der gemeine Europäer vermutlich schon als Meer bezeichnen. Dennoch setzt Michigan auf Qualität statt Quantität und schreibt „Great Lakes“.
Minnesota geht die Sache etwas technischer an und bezeugt seine Individualität nach genauer Abzählarbeit durch die Darstellung: „10000 Lakes“. Enorm.
Geistreich
Weiter oben im Norden zählen geistige Tugenden offensichtlich mehr, darum fordert North Dakota den aufmerksamen Leser auf, den „Spirit“ zu entdecken: „Discover the Spirit“.
Massachusetts, das Land an der Ostküste mit Boston als Hauptstadt, nutzt diese Situation frech aus und bezeichnet sich in einem Geniestreichs des Marketings als „The Spirit of America“.
Damit ist die Suche, die North Dakota fordert, in Massachusetts beendet. North Dakota selbst scheint leer auszugehen. Ich befürchte, diese bedeutende Tatsache hat bisher noch kein Amerikaner entdeckt. Und diesen Gedankengang würde er sowieso als sonderbar bezeichnen. Verkehrte Welt.
Und der Rest?
Es gäbe noch beinahe fünfzig weitere Beispiele, das Gros beschäftigt sich (lobenswerter Weise) hauptsächlich mit seiner Natur: Es gibt den „Natural State“, „Natures Finest“, den „Beach-“, den „Ocean-“ und auch den „Green Mountain State“.
Eine Handvoll anderer Staaten wiederum legt sich ziemlich genau fest und setzt auf Fakten – Arizona: „The Grand Canyon State“, Illinois: „Land of Lincoln“.
In Österreich wird es wohl nicht so schnell dazu kommen, dass wir diesen Zusatz am Kennzeichen unser eigen nennen können. Aber es gibt Hoffnung. Viele Autohändler nutzen den schmalen Streifen, den die Kunststoffhalterung des Kennzeichens bietet als Werbeträger und hinterlassen ihre Firmendaten auf diesen.
Und hie und da findet sich sogar ein Spruch auf diesen Halterungen, der – unabhängig der Herkunft und besonders im Straßenverkehr – wirklich etwas bekundet: Seid nett zueinander.