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Wir waren Helden

Auf dem IAA-Stand von Audi rieben sich 1983 die Besucher die Augen. Kantig wie ein Hackklotz, 32 Zentimeter kürzer als ein Quattro, mit 225 kW/306 PS stärker als jedes andere deutsche Auto:

mid/tl

Der Sport Quattro war ein Homologations-Auto für die Rallye-WM. 30 Jahre später ist die Faszination des extremsten Audis aller Zeiten ungebrochen.

Der Tag hätte eigentlich nicht besser verlaufen können. Passfahrten durch die österreichischen Alpen mit dem neuen Audi RS Q3, makelloses Spätsommerwetter, tiefblauer Himmel, Fernsicht und eine Mittagsjause mit einem riesigen Wiener Schnitzel und Kaiserschmarren. Doch dann nähert sich ein Audi-Mitarbeiter und fragt, ob denn die Weiterfahrt am Nachmittag mit einem Sport Quattro angenehm wäre.

Während der Puls beschleunigt, die Handflächen einnässen und Schnappatmung einsetzt, rekapituliert das Autogedächtnis im Stenogramm: Audi Sport Quattro, 220 Einheiten für die Homologation der Gruppe B zur Rallye-WM produziert, 2.104 ccm Hubraum, Alu-Motor, vollelektronische Einspritzung, Turbolader von KKK (Kühnle, Kopp & Kausch), Ladedruck bis 2,04 bar, 0 bis 100 in 4,9 Sekunden. Blöde Frage. Natürlich wäre eine Fahrt mit einem Autohelden des persönlichen Sturm und Drangs angenehm.

Nur 15 der 220 Exemplare erhielten damals eine Lackierung in Malachitgrün. Der Sport Quattro aus dem Audi-Fundus präsentiert sich äußerlich makellos, als wäre er gerade bei Baur in Stuttgart zusammengefügt worden. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, dieses Auto ist eigentlich so hässlich, dass es schon wieder Kultstatus generiert. Der 4,16 Meter lange Keil ist im Prinzip nichts anderes als ein um 32 Zentimeter verkürzter Ur-Quattro. Die höhere Motorhaube mit zusätzlichen Luftöffnungen trägt ebenso wenig zu ausgewogenen Proportionen bei wie die noch deutlicher ausgestellten Radkästen: Die Gehäuse mussten die für damalige Zeiten extrem breiten Michelins der Dimension 235/45 VR 15 aufnehmen. Die Reifen sind auf weiß eloxierten 9Jx15-Leichtmetallrädern aufgezogen. Dach, Haube und Schürzen bestehen aus Kevlar, das Leergewicht beträgt 1.300 Kilo.

Innen dokumentiert milde Patina eine Laufleistung von 87.000 Kilometer. Die grau belederten Sportsitze von Recaro wirken ein wenig grobschlächtig, könnten aber in puncto Seitenführung für Oberkörper und Oberschenkel auch heute noch auf hohem Niveau reüssieren - einschließlich der perfekten Einstellmöglichkeiten. Für die Öffnung der Seitenfenster ruhen Kurbeln in der Seitenverkleidung. Das Lenkrad mit seinem dünnen Kranz stammt aus dem Audi 80 und wirkt so sportlich wie ein großer Eisbecher mit Sahne. Der Armaturenträger ist aus schwarzem Hartplastik, das heute nicht einmal mehr als Badeente aus nordkoreanischer Produktion akzeptabel wäre. Frei von jeglicher gestalterischer Ambition weist der Träger die gut ablesbare Rundinstrumente und Großserienschalter für die Bedienung von Licht oder Heckscheibenheizung auf.

Das Briefing des Audi-Spezialisten beschränkt sich auf den Hinweis, beim Warmfahren verhalten zu agieren, bis sich die 18 Liter feinsten Schmierstoffs im Trockensumpf auf verträgliche 90 Grad erwärmt haben. So zuckelt der Sport Quattro brav wie eine Großserienlimousine die ersten 20 Kilometer über Landstraßen, hält sich tapfer an die 50 km/h-Grenze durch malerische Ortschaften und brummelt kaum vernehmbar mit dem unverwechselbaren sonoren Sound eines Reihen-Fünfzylinders. Nach dem vierten Ortsschild darf der rechte Fuß dann erstmals das Gaspedal in den Boden pressen. Und schon verwandelt sich Dr. Jekyll in den sinistren Mr. Hyde. Das digitale Verhalten des Turboladers aus den frühen Tagen dieser Motortechnik erfordert eine gute Gedenksekunde, bis sich die Drehzahl hechelnd der Marke von 4 000/min nähert. Dann explodiert der Bolide förmlich. Da 2,22 Meter Radstand einen achtbaren Geradeauslauf per se physikalisch ausschließen, gebärdet sich der Sport Quattro wie ein hyperaktives Kind nach zehn Litern Red Bull.

Infernalisch aufbrüllend prescht der Bolide nach vorne, verlangt gespannten Bizeps in beiden Armen beim Bändigen des Volants und überschwemmt die Großhirnrinde mit dem inneren Aufschrei: Ist das geil! In der ersten Biegung zum nächsten Pass offenbart der Sport Quattro dann seine wahre Mission. Er nimmt engste Biegungen mit einer Agilität, die noch heute Bestwerte setzten kann. Die Lenkung ist ausreichend präzise, die Fünfgang-Schaltung exakt und beim Verzögern vermitteln die Bremsen stets eine beruhigende Belastbarkeit. Die Kraftentfaltung suggeriert gefühlte 500 bis 600 PS, die der Allradantrieb ohne jeden Schlupfverlust souverän verwaltet.

Ab der Serienauslieferung des Sport Quattro Ende 1984 erfreuten sich prominente Fahrer wie Franz Beckenbauer oder Rosi Mittermaier regelmäßig dieses Fahrvergnügens. Ferdinand Piech als damaliger Vorstandsvorsitzender bei Audi sicherte sich gleich zwei Exemplare und ließ sie schwarz lackieren. Nach dem Abstellen vor dem Hotel soll der Motor laut Anweisung noch ein zwei Minuten im Leerlauf drehen, damit der rotglühend gefahrene Lader abkühlen und entspannen kann. Zeit zu googeln, was ein Sport Quattro aktuell kostet. Sollte überhaupt eines der raren Exemplare auf den Markt kommen, läuft in gepflegtem Zustand unter 85.000 Euro gar nichts. Diese Fahrt wird somit ein einmaliges Erlebnis bleiben.

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