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Weniger ist mehr als genug

Was man will und was man kauft (bzw. kaufen kann) ist oft nicht unbedingt dasselbe. Vor allem bei Autos. Aber Verzicht ist relativ. Zum Beispiel dann, wenn schon die "Basisversion" eines Autos zumindest am Papier ein äußerst attraktives Package darstellt. So wie beim Polestar 2.

Johannes Posch

Journalisten sind auch nur Menschen. Ebenso wie PR-Manager. Wenn also ein neues Modell eingeführt wird, haben in der Regel beide Partien irgendwie schon mehr Spaß dabei, diese in Top-Motorisierung mit „einmal alles bitte“ zu bestellen und zu testen, als es bei der Brot & Butter-Version mit „nur dem Nötigsten“ zu belassen. Der Haken: Gekauft wird letzteres deutlich häufiger; vor allem beim Polestar 2. Da überrascht es wenig, dass dessen aus dem Stand in 4,4 Sekunden auf 100 spurtendes Top-Modell, vulgo Long Range Dual Motor mit Performance-Paket, inklusive manuell verstellbaren Öhlins-Dämpfer und brutaler Power, zur Markteinführung in unserem Test eine tolle Figur gemacht hat. Spätestens seit der Modellpflege für das Modelljahr 2023 muss man aber zugeben: Das für Alltag und Geldbörse deutlich spannendere Modell ist am anderen Ende des Spektrums zu finden …

Einstiegs-Überperformer


Zu sagen „wir testen den Polestar 2 mit Einstiegs-Motor und der kleineren Batterie“, dürfte bei Nicht-Kennern vollkommen falsche Erwartungen wecken. Denn im Universum von Volovs Performance-Schwester bedeutet das alles andere als Sparkost. Es warten immerhin stramme, die Vorderachse antreibende 170 kW /231 PS und somit immer noch adäquate 7,4 Sekunden auf 100 km/h sowie 69 kWh Akkukapazität (67 kWh netto). Und das wiederum bedeutet einen durchaus erwähnenswerten Zuwachs im Vergleich zum bisherigen Äquivalent. Vor dem 2023er-Upgrade waren das nämlich noch 165 Kilowatt (224 PS) und 65 kWh brutto. So erhöhte sich auch die Reichweite von 440 Kilometern auf 474 Kilometer mit einer Ladung. Die maximale Ladegeschwindigkeit wuchs laut Hersteller ebenso auf bis zu 130 kW an, was unseren Messungen nach aber sogar noch etwas zu kleinlaut von Polestar ist. Tatsächlich erreichte unser Testwagen bei spätherbstlichen und somit sub-optimalen Bedingungen sofort nach dem Anstecken bei 10 Prozent SOC 131 kW, kletterte konstant bis rund 30 Prozent SOC auf über 135 kW Ladegeschwindigkeit, hielt lang und stabil die hohe Leistung und fiel erst über 60 Prozent unter 100 kW. So war die Ladung von zehn auf 80 Prozent in 27:30 Minuten erledigt. Also ebenfalls etwas schneller, als der Hersteller selbst angibt. Laut Datenblatt wären es 32 Minuten. Nach dieser Zeit war unser Testwagen allerdings schon gerade auf einen SOC von 87 Prozent umgesprungen. Respekt.

Auch in Sachen Effizienz haben wir nicht sonderlich viel zu meckern. 15,5 kWh auf 100 Kilometern standen am Ende unserer genormten Testrunde auf dem Display. Kein Ruhmesblatt – der Rekord liegt aktuell bei 12,0 kWh, der BMW i4 eDrive40 schaffte 13,8 und das Tesla Model 3 in Dual-Motor Long Range-Trimm 15,4 kWh/100km – aber einerseits ebenfalls unter der WLTP-Herstellerangabe von 16,7-17,9 kWh und auch sonst grundsolide. Vor allem, weil natürlich nicht außer Acht gelassen werden darf, dass der schicke Schwede sich auch hier mit suboptimalen Bedingungen konfrontiert sah. Acht Grad Außentemperatur und Winterreifen sind eben nicht unbedingt hilfreich, wenn man auf Reisen möglichst wenig Strom verbrauchen will. Dennoch sollten demnach im Alltag Reichweiten über 400 Kilometern durchaus realistisch sein.

Sparsam ungleich Spaßarm


Letzteres gilt aber natürlich nur, wenn man seinen Gasfuß unter Kontrolle hat. Denn auch ganz ohne Performance-Fahrwerk, Schmiedefelgen und Co. macht der Polestar 2 durchaus Spaß und induziert im Fahrer mehr als genug Zuversicht, um Kurven auch mal etwas dynamischer anzufahren. Das Standardfahrwerk ist nicht unkomfortabel, hat aber dennoch Wankbewegungen bestens im Griff und sorft für eine satte Straßenlage, die in drei Stufen Widerstands-justierbare Lenkung ist angenehm direkt übersetzt und ausreichend gefühlvoll und auch das Grip-Niveau geht in Ordnung, obgleich das massive Drehmoment der E-Maschine die Vorderräder durchaus einmal überfordert, wenn man es darauf anlegt. Sowohl an der Ampel, als auch in Kurven, wo der Schwede grundsätzlich sicher untersteuernd ausgelegt ist und das eine oder andere Ziehen in der Lenkung beim Herausbeschleunigen nicht ausbleibt.

Absolut top ist hingegen, wie auch schon beim Top-Modell, die Verzögerung gelungen. Abgesehen davon, dass auch die Standardbremserei selbst bei längeren Bergabpassagen mit dynamischerer Herangehensweise keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigte, funktioniert auch ihr Zusammenspiel mit der Rekuperationsfunktion erstklassig. One-Pedal-Driving ist einfach ein- oder auszuschalten und ermöglicht sodann butterweiche Anhaltemanöver und bietet ohne Bremspedal-Drückerei genug Verzögerungswirkung um im Alltagsverkehr bestens mitzuschwimmen.

Mit Ziel und Verstand


Auch beim Kapitel Ausstattung entpuppt sich der „Einstiegs-Polestar 2“ als guter Deal. Die Display-Größen hinterm angenehm dicken Volant und für das Infotainment-System sind etwa immer die selben. Auch die Software selbst, also das Google Automotive-System, büßt im Basis-Trimm keine Features ein und gehört nach wie vor zu den besten, die aktuell in einem Neuwagen zu haben sind. Aber keine Sorge, liebe Apple-Fans: Carplay ist auch an Bord. Ebenso wie das grundsolide Soundsystem, 19 Zoll-Felgen, Metallic-Lackierung, Parkpiepserl rundum, Rückfahrkamera, LED-Scheinwerfer, E-Heckklappe samt Handsfree-Funktion, Regensensor, 2-Zonen-Klimaautomatik, Sitzheizung und Tempomat. Nix mit „nackte Basisversion“, also.

Für vertretbare 2.800 Euro empfehlen wir dennoch noch das Pilot lite-Paket dazu zu ordern. Dieses fügt dem Mix nicht nur 360°-Kameras, sondern vor allem einen aktiven Spurhalteassistenten samt Abstandstempomat und weitere Sicherheitsfeatures hinzu, die auch tatsächlich richtig gut funktionieren und nicht durch unangenehme Übermotivation auffallen, auf Wunsch vor allem auf der Autobahn aber dennoch einen verlässlichen Job machen.

Das mit 4.800 Euro dann schon recht happige Plus-Paket fällt dagegen schon unter „Luxus“ und bringt natürlich nette, größtenteils aber verzichtbare Extras wie ein Harman Kardon-Soundsystem, ein Panoramaglasdach, erweiterte Ambientebeleuchtung, induktives Handyladen, elektrisch verstellbare Sitze samt Memory-Funktion und zusätzliche Heizmöglichkeiten für Rückbank und Lenkrad mit. Einzig, dass man einzig über dieses Paket eine Wärmepumpe ins Auto gebaut bekommt, ist irgendwie schade. Immerhin hätte ja eben eine solche dafür gesorgt, dass man bei den zuvor erwähnten Verbrauchmessungen doch gegen Tesla und BMW hätte anstinken können.

Sei’s drum. Weiter zum Innenraum. Auch hier offenbart sich der „Basis-2“ wenig überraschend als ebenso kompetent wie das Top-Modell. Materialien und Verarbeitung, obgleich hier beim erwähnten Premium-Paket noch ein Upgrade im Sinne von veganem oder echtem Leder und Holzeinlagen möglich wäre, sind tadellos und auf absolutem Premium-Niveau. Auch die Platzverhältnisse passen. Vorn, wo man ja eigentlich den Mitteltunnel hätte weglassen können, packt Polestar seine Fahrer bewusst sportlich ein, ohne sie zu beengen, während man sich hinten über reichlich Beinfreiheit und ausreichend Luft nach oben freut. Will heißen: Ab 1,80 m Körpergröße hat man am besten schon beim Einsteigen eine flache Frisur, nachher ist sie es nämlich bestimmt. Aber immerhin sagt die Statikstik, dass somit ein Großteil der Österreicher:innen auch hinten bequem sitzen können sollte.

Auch für Gepäck ist für Limo-Verhältnisse reichlich Platz, zumal Ladekabel und Co glücklicherweise im nicht überbordend, aber vernünftig dimensionierten Frunk Platz finden. Sportler dürfen sich zudem über eine Skidurchreiche sowie eine 60:40 geteilt umlegbare Fondlehne freuen, durch die der Kofferraum eben erweitert werden kann.

FAZIT


Im Großen und Ganzen wird der aufmerksame Leser gemerkt haben, dass wir vom Basis-Polestar 2 sehr angetan waren. Der Haken an der Sache: Mit der sehr positiven Meinung dazu sind wir offensichtlich nicht allein. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist er nämlich ausverkauft und erst ab Anfang 2023 wieder bestellbar. Fest steht: Auch ohne Premium-Paket inklusive Edel-Stoffen, Wärmepumpe und mehr ist der Polestar 2 ein hochwertiges, effizientes und einfach clever zusammengestelltes Auto mit hohem Style-Faktor und einem der besten Infotainment-Systeme am Markt. Also sein Geld allemal wert und unsere klare Kaufempfehlung für alle, die auch ohne Allrad und die Möglichkeit auskommen können, an der Ampel zum Porsche-Schreck zu avancieren.

Technische Daten:
Leistung | Drehmoment: 231 PS (170 kW) | 330 Nm
0–100 km/h | Vmax: 7,4 s | 160 km/h
Getriebe | Antrieb: 1-Gang aut. | Vorderrad
Reichweite (max.) | Batterie: 474 km (WLTP) | 69 kWh
Ø-Verbrauch: 16,7 kWh/100 km (WLTP)
Ladedauer DC (10-80%): 35 min (max. 130 kW)
Leergew. | zul. Gesamtgew.: 1.940 kg | k.A.
Kofferraum | Zuladung: 405-1.095 + 41 L | k.A.
Garantie Fahrzeug | Batterie: 2 Jahre | 8 J. / 160.000 km
Basispreis: 50.390 Euro

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