Formel 1: News | 06.09.2004
„Das Concorde-Abkommen funktioniert nicht mehr“
In einem ausführlichen Interview mit der Welt am Sonntag nahm Bernie Ecclestone zu den akutesten Problemen der heutigen Formel 1 Stellung.
Michael Noir Trawniczek
Wenn FIA-Präsident Max Mosley diese Woche in der Hoffnung, dort Regelvorschläge der Formel-1-Teams vorzufinden, seinen Briefkasten öffnet, wird dieser höchstwahrscheinlich gähnend leer oder ausschließlich mit Werbematerial gefüllt sein. Dieses Bild ist nur ein weiteres Symbol für die politische Stagnation der Formel 1 – sie ist gelähmt, erstarrt in ihrer Selbstgefälligkeit, die Entscheidungsträger der Rennställe denken nur an ihren sportlichen und finanziellen Profit. Der Sport an sich ist ihnen, so scheint es, egal.
Bernie Ecclestone hat diesen „Zirkus“ mühsam aufgebaut – er hat die Formel 1 weltweit zur „Königsklasse“ gemacht, hat sie um gutes Geld an sämtliche TV-Sender rund um den Erdball verkauft und damit letztlich auch dafür gesorgt, dass die Formel 1 für die großen Automobilkonzerne ein „Must“ geworden ist. Er hat sich dafür auch einen großen Teil des Kuchens gesichert und mit seinem diktatorischen Ansatz für böses Blut gesorgt. Jetzt fürchtet der 73jährige Brite, dass „seine Formel 1“ zugrunde gehen könnte. Es gibt mehrere Krisenherde...
Die jahrelange sportliche Dominanz des Ausnahmetalents Michael Schumacher und seiner Scuderia Ferrari ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Menschen gelangweilt fragen: „Und? Wieder Schumacher, oder?“ Sie brachte den Begriff „Formel Schumacher“ oder „Formel Schlaftablette“ in die Medienwelt. Es ist jener Krisenherd, der nach außen hin am ehesten sichtbar erscheint.
Schumacher-Dominanz als das geringste Problem
Für Bernie Ecclestone ist dies jedoch das geringste Problem – in einem ausführlichen Gespräch mit der Welt am Sonntag versichert er, dass er hier „kein Problem“ sehe, schränkt aber ein: „Michael sollte nicht alle Rennen gewinnen, vielleicht nur sechs in einem Jahr, oder das eine oder andere, sonst erschreckt man sich ja auf die Dauer, wenn er mal nicht gewinnt. Das ist mir doch tatsächlich in Monte Carlo passiert.“
Das „Problem Schumacher“ ist ein zeitlich begrenztes, der 35jährige, mittlerweile siebenfache Formel-1-Weltmeister, kann nicht ewig fahren – für Bernie Ecclestone liegt die wahre Bedrohung in der gegenwärtigen politischen Lage der Königsklasse. Immer noch drohen die Hersteller mit einer eigenen Rennserie nach Ablauf des Concorde-Abkommens nach 2007. Ecclestone sagt: „Ich bezweifle, dass alle Entscheidungsträger - Banken, Berater und auch die Hersteller - in der Lage sind, eine solche Serie erfolgreich zu veranstalten. Das Problem ist, wenn in drei Jahren die Formel 1 durch eine solche Initiative am Boden liegt, werden diese Leute nur mit den Schultern zucken und sich einfach anderen Dingen zuwenden. Diese Konsequenz macht mir große Sorgen.“
Bernie Ecclestone möchte die Hersteller nicht verlieren – zugleich gibt Ecclestone zu, dass eben jene Hersteller letztlich dafür gesorgt haben, dass die Formel 1 in sich erstarrt ist. Das Concorde-Abkommen wäre Anfang der Achtzigerjahre etabliert worden, um es den Teams zu ermöglichen, ihre gemeinsam erstellten Regelvorschläge der FIA zu präsentieren und von ihr absegnen zu lassen. Dieses System funktioniere aber nicht mehr, klagt Ecclestone. Der Grund: „Die Teams blicken nicht auf das große Bild, sondern denken nur kurzfristig. Sie verhandeln eigenhändig und individuell mit der FIA, weil sie sich so Vorteile erhoffen. Zum zweiten existieren bei den Teams Organisationen mit fast grenzenlosen Budgets, solche mit begrenzten Mitteln und einige, die um ihre Existenz kämpfen. Das bedeutet schon im Ansatz eine völlig verschiedene Interessenlage.“
Wegen diesen unterschiedlichen Interessen ist die FIA geradezu gezwungen, den Teams ein Regelwerk vor die Nase zu stellen – denn ansonsten würde es überhaupt kein Regelwerk geben. Die FIA wiederum könnte wegen des Concorde-Abkommens nicht so autoritär agieren, würde sie sich nicht auf die Sicherheit berufen. Die schweren Unfälle der letzten Zeit spielten Max Mosley in die Hände. Das sieht auch Bernie Ecclestone nicht anders: „Weil das für ihn eine Sicherheitsfrage ist, kann er das Reglement ändern. Das wiederum finden einige Hersteller nicht korrekt und sind verärgert.“ Doch: „Die schweren Unfälle der letzten Rennen hatten mit hohem Tempo überhaupt nichts zu tun. Wenn da PS-schwächere Motoren in den Autos gewesen wären, hätte das überhaupt keinen Unterschied gemacht. Das Problem ist, dass zurzeit Leute in Sachen eingreifen, die sie gar nicht richtig zu Ende denken.“
Was dabei herauskommt, sind zum Teil haarsträubende oder zumindest dem Geist des Rennsports widerstrebende Lösungen wie die Parc-Fermé-Regel oder die Haltbarkeitsmotoren oder eben ein Qualifikationsmodus, mit dem fast niemand etwas anfangen kann. Den Spargedanken, der zum Teil hinter diesen Lösungen steckt, kann auch Bernie Ecclestone nicht nachvollziehen: „Wegen der Kosten verlässt kein Hersteller den Formel-1-Ring. Das passiert nur, weil das Image der Veranstaltung nicht mehr attraktiv ist.“ Und: „Niemand sollte den Teams oder den Konstrukteuren vorschreiben, wie sie ihr Geld ausgeben.“ Es wäre wie beim Poker, sagt Ecclestone – wer nicht mithalten könne, müsse eben aussteigen...
Bei Ford-Ausstieg: Nur noch sieben Formel-1-Teams?
Doch das wiederum ist eine weitere Bedrohung für die Königsklasse. Ecclestone sieht eine Apokalypse auf die Formel 1 zukommen, er befürchtet, dass schon im Jahr 2005 drei Teams die Formel 1 verlassen könnten: „Wenn Jaguar, also Ford, über diesem ganzen Gerangel aussteigen würde, dann würde auch ihr Motorenhersteller Cosworth stoppen. Das hätte zur Konsequenz, dass Jordan und Minardi kurzfristig ohne Motor dastehen. Delikaterweise wären dann erst mal nur 14 Autos am Start.“ Dann müssten laut Concorde-Abkommen Ferrari, Renault, Williams, McLaren und British American Racing jeweils ein drittes Fahrzeug einsetzen. Ecclestone fragt: „Nach dem jetzigen Stand der Dinge hätten wir dann immer drei Ferrari-Fahrer auf dem Podium stehen. Würden Sie das toll finden?“
Die Ferrari-Dominanz ist also doch ein Problem? Auch für Bernie Ecclestone? Es scheint so. Für ihn gibt es derzeit keinen Schumacher-Herausforderer am Grid und auch niemanden, der Ferrari gefährden kann. Ecclestone spricht aus, was viele Formel-1-Fans denken: „Nach meiner Einschätzung dürfte so eine Frage in Bezug auf Mercedes oder BMW gar nicht diskutiert werden. Beide Hersteller müssten Ferrari fest im Griff haben, statt so extrem weit von Ferrari entfernt zu sein.“
Und weil die großen Konzerne derart vorgeführt werden, wird jeder Regel-Vorschlag akribisch zerlegt und als erstes die Frage erörtert, ob sich daraus ein Vorteil oder ein Nachteil ergeben würde. Und da es immer einen Grund gibt, dagegen zu sein, kommt es zu keiner Einigung. Und da es zu keiner Einigung kommt, diktiert die FIA die Regeln. Seit dem Jahr 2002, in dem die Scuderia Ferrari das Feld nicht nur beherrscht, sondern die Fans auch mit überheblichen Aktionen düpiert hat, tobt bei der FIA eine Art Reformwut. Die größte Formel-1-Reform aller Zeiten konnte nichts ändern an der Dominanz der Scuderia, da diese mit ihren Ressourcen und der Stabilität ihrer Mannschaft am besten auf die unzähligen Änderungen reagieren konnte.
Die Formel-1-Katze beißt sich in den eigenen Schwanz
Und so beißt sich die Formel-1-Katze immer wieder in den eigenen Schwanz, ein Teufelskreis. Bernie Ecclestone deutet eine Lösung an. Er würde den Herstellern einerseits erlauben, dass sie beispielsweise in punkto Motor „technisch machen können, was sie wollen“ und andererseits sie zugleich dazu verpflichten, jeweils ein anderes Team mit einem erschwinglichen Motor zu versorgen. Ein Gedanke, der bei vielen Formel-1-Fans auf Gegenliebe stoßen könnte – eine Formel 1 mit verschiedenen Motorenkonzepten wäre attraktiv, die Hersteller könnten ihre Technologie in die Auslage stellen, zugleich wäre die Existenz der Privatteams gesichert.
Auch beim Qualifying liefert Bernie Ecclestone wieder einmal einen Vorschlag – denn die aktuelle Lösung sei „kompletter Unsinn, das muss weg. Mein Vorschlag lautet: 60 Minuten Qualifying, geteilt in zwei Halbzeiten von jeweils 25 Minuten mit einer Zehn-Minuten-Pause. Die beste Zeit der beiden 25 Minuten wird addiert. Das ergibt die Startposition. Das produziert alles, was wir brauchen: schnellste Rundenzeiten, und auf der Strecke passiert was für das Publikum.“
Das Publikum – ja, Bernie Ecclestone denkt auch an das Publikum. Er weiß: Ohne Publikum kann die Formel 1 nicht existieren. Das aktuelle Qualifying wird von einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt, sollte die Formel 1 dieses Format 2005 mitschleppen, wäre das ein weiteres Armutszeugnis der „Königsklasse“. Die Entscheidungsträger sollten bedenken: Irgendwann wird sich auch der treuste Fan abwenden und sein Heil in einer anderen Rennserie suchen. Was die Rennen betrifft, steht die Formel 1 immer noch in der Gunst ihrer Fans, die Quoten scheinen zurzeit stabil zu sein. In diesem Jahr, in dem Michael Schumacher den fünften Titel und Ferrari den sechsten Titel in Folge erringen konnten, produzierte die Formel 1 immerhin drei wirklich spannende Rennen. Noch ist es nicht zu spät...