
GP2: Barcelona | 23.04.2008
"Das wäre mein wichtigstes Jahr gewesen..."
Trotz wasserfestem Vertrag wurde er von FMS wenige Tage vor dem Auftaktrennen vor die Tür gesetzt - ein schwer enttäuschter Andy Soucek im motorline.cc-Talk.
Michael Noir Trawniczek
Foto: GP2 Media Service
"Schon seit dem vergangenen Jahr werden Kontakte zur Formel 1 geknüpft - die Möglichkeiten sind im Moment jedoch nur sehr schwer abzuschätzen, denn vieles wird vom Ergebnis in der heurigen GP2-Saison abhängen." Andy Soucek vor rund zwei Wochen, bei seinem Gastauftritt bei GP Live, dem Echtzeitkommentar von motorline.cc, im Rahmen des 2. Freien Trainings für den Grand Prix von Bahrain.
Seit zwölf Jahren arbeitet der 23-jährige, in Madrid geborene, in Spanien lebende Österreicher Andy Soucek an seiner Motorsportkarriere. Im Jahr 2006 kämpft er bis zuletzt um den Titel in der "World Series by Renault", testet einmal sogar den Toyota-F1 - als Meisterschaftsführender geht der Serienrookie ins WSbR-Finale. Doch nach einer Kollision wird er zunächst "nur" Vizemeister - später wird das Ergebnis korrigiert, Soucek rutscht auf den vierten Gesamtrang ab. 2007 erlebt er ein steiniges Debüt in der GP2-Serie - wie viele andere Piloten muss er sich erst mit dem Einheitsboliden der Serie vertraut machen. Ein neuer Renningenieur erweist sich als hilfreich - die Lernkurve zeigt steil nach oben: Am Ende seiner Debütsaison erobert Soucek für das wenig erfolgreiche DPR-Team zwei Podestplätze. Für 2008 unterschreibt er bei Fisichella Motor Sports - bei den Testfahrten überzeugt Soucek mit Spitzenzeiten. Er möchte in die Top 3 der Jahresendwertung vorstoßen und um den Titel kämpfen, fiebert dem Saisonauftakt entgegen...
Coloni forderte neuen Vertrag
"Nachdem ich bereits sämtliche für das Rennen in Barcelona relevanten Unterlagen erhalten hatte, bat mich das Team zu einem Gespräch nach Italien zu kommen", erzählt Soucek im Telefonat mit motorline.cc. Obwohl dieses Ansinnen nur eine Woche vor dem ersten Rennen ein wenig seltsam erscheint, kommt Soucek dem Wunsch des FMS-Teamchefs Paolo Coloni nach. "Dort wurde mir unterbreitet, ich solle einen neuen Vertrag unterzeichnen. Doch dieser entsprach in keiner Weise der ursprünglichen Version. Es gibt keinen Grund, warum ein neuer Vertrag nötig sein sollte - wir haben alle Punkte erfüllt, der Vertrag ist wasserfest", erklärt Soucek - und man kann seine unbändige Enttäuschung spüren.
Fisichella Motor Sports gab bekannt, dass man die GP2-Saison 2008 mit Adrian Valles und Roldan Rodriguez bestreiten werde. Rodriguez ist der Mann mit dem Geldkoffer - was ihm an Speed fehlt, wird mit Barem ausgeglichen. Offenbar konnte Coloni nicht widerstehen - somit hatte er einen Piloten zu viel...
Zynismus pur: Dank an Soucek
In der jüngsten Presseaussendung des Teams bedankt sich FMS bei Andy Soucek für dessen Beteiligung an den Wintertests - Zynismus pur also. Mit dem "neuen Vertrag" wollte Coloni wohl nur eines: Soucek loswerden. Dass er damit die Karriere von Soucek zerstören könnte, scheint Coloni egal gewesen zu sein. "Das wäre mein wichtigstes Jahr gewesen", sagt Soucek - und seine Stimme bebt vor Wut.
"Ich habe seit zwölf Jahren an meiner Karriere gearbeitet. Jahr für Jahr habe ich an meinem Ziel, in die Formel 1 zu gelangen gearbeitet - ich bin in den verschiedenen Serien immer meinem Team treu geblieben, weil ich es auch bevorzuge, mit den Crewmitgliedern eine echte Beziehung aufzubauen, weil das auch der Arbeit gut tut", erzählt Soucek. "All das wird jetzt zunichte gemacht - meine Chancen, jetzt noch irgendwo ein Cockpit zu finden, sind gleich Null."
Soucek gehört zu jenen selten gewordenen Piloten, die sich viele Gedanken über ihren Job und auch darüber hinaus machen - und diese auch mitteilen. Er benötigt ein vertrautes und freundschaftliches Umfeld - dann, so konnte man auch 2007 erkennen, liefert er fehlerlose Rennen und Spitzenplätze. Piloten wie Andy Soucek fallen im Haifischbecken der oberen Motorsportliga positiv auf...
Soucek bleibt sich treu
Das Tragische an der Geschichte ist auch, dass Soucek im Grunde nur dann noch den Funken einer Chance hätte, wenn er ebenfalls aggressiv versuchen würde, sich nun einem anderen Team zu empfehlen. Schließlich kann der 23-jährige nicht nur Sponsoren, sondern auch seine Leistungen einbringen - das David Price Team, für das er im Vorjahr fuhr, war Soucek dankbar für dessen Einsatz beim Auftakt der GP2 Asia, wo er für das Team erneut das Podest erklimmen konnte. Doch es verwundert nicht, wenn Soucek abwinkt und sagt: "Nein, ich werde jetzt nicht versuchen, auf die gleiche Art und Weise mit dem Ellbogen woanders einen Piloten aus seinem Cockpit zu boxen - das tut man einfach nicht und ich möchte niemandem das antun, was mir gerade angetan wurde."
Wage Hoffnung
Selbstverständlich wird Andy Soucek auf sein Recht, auf seinen gültigen Vertrag pochen - doch es ist bekannt, wie langwierig solche Verfahren sind. Und selbst wenn Soucek irgendwann einmal Recht erhalten sollte - er steht dennoch wenige Tage vor dem Saisonauftakt ohne Cockpit da. Es bleibt nur noch die Hoffnung, kurzfristig als Ersatzpilot einspringen zu können - in welchem Team auch immer. Doch ob und wann sich eine solche Möglichkeit ergeben könnte, steht in den Sternen...
"Sicher - es kommt in der GP2 immer einmal vor, dass ein Sponsor eines Piloten nicht mehr zahlt oder ähnliches - dann würde ich natürlich einspringen", sagt Soucek, um gleich hinzuzufügen: "Doch es wäre wichtig gewesen, vom Anfang an mitzufahren - denn wir alle müssen uns noch an die neuen Einheitsboliden gewöhnen. Derzeit weiß ich nicht, wie es weiter gehen soll, ich bin wirklich sehr enttäuscht."