
Kundensport-Programm am Beispiel Audi | 19.03.2010
Symbiose aus Serie und Sport
Gesamtfahrzeugleiter Romolo Liebchen erläutert die Verflechtung von Serie und Motorsport, Technik und wirtschaftliche Interessen.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Automobilherstellers Audi hat sich das Unternehmen entschlossen, nicht nur einen Mittelmotor-Sportwagen für die Straße zu entwickeln, sondern damit auch als Kundensport-Modell in den Rennsport einzusteigen.
Sportliche Fahrzeuge hat Audi schon seit langem im Programm, herausragend in der Geschichte fällt das Quattro-Coupé auf, das in den 80er Jahren zahlreiche Rallye-Erfolge einfahren konnte. Sowohl in den USA (z.B. in der Trans-Am-Serie, s. Bild links) als auch in Europa feierte Audi Meisterschaften in der IMSA und der ersten DTM, später bei den Supertourenwagen Ende der 1990er Jahre.
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Marke mit den vier Ringen die Siegerautos verschiedener 24h-Rennen in Le Mans mit der FSI- und TDI-Technik gestellt und Meisterschaftserfolge in der neuen DTM errungen.
Wurden im Laufe der Zeit zwar ehemalige Werkswagen an Importeure zum weiteren Einsatz verkauft, so hat Audi doch nie ein reines Kundensport-Programm mit Entwicklung, Vertrieb, Logistik und Marketing betrieben.
Keine Gallardo-Kopie
Als sich 2002 die Audi-Verantwortlichen für die Entwicklung eines Sportwagens entschieden, wurde das Rennsportmodell des R8 in das Projekt von Anfang an mit eingeplant. Als Profitcenter geplant bekam ein Produktplanungsteam bestehend aus Serien- und Motorsportmitarbeitern den Auftrag zur Entwicklung eines Mittelmotor-Sportwagens.
Während im deutschen Ingolstadt die Projektleitung ihren Sitz hat, bekamen die europäischen Audi-Standorte die Aufgabe der Entwicklung und Produktion.
In Györ befindet sich die Motorenproduktion, in Neckarsulm die Fahrzeugproduktion und in Ingolstadt wiederrum die Verbindung zu Audi Sport. Des weiteren nutzte das Produktplanungsteam noch die Technische Entwicklungsabteilung der Audi-Gruppe.
Als Projektleiter GT- und Kundensport wurde Romolo Liebchen eingesetzt, der seit 1989 für die Rennsportentwicklung bei Audi tätig ist. So nahm das Entwicklungsteam beim Serienfahrzeug bereits Bezug auf aerodynamische- und fahrwerksspezifische Anforderungen die beim späteren Rennfahrzeug entscheidend sein sollten.
Aufgrund der Konzerninternen Verflechtung zum italienischen Unternehmen Lamborghini nutzte man zudem das Modell Gallardo um bereits ausgetestete Komponenten in die Entwicklung des R8 einfließen zu lassen.
Allerdings ist der R8 keine Kopie des Gallardo, sondern eine eigenständige Interpretation des Mittelmotor-Sportwagenkonzeptes. So wurde der Radstand um 60mm verlängert, die Spurlänge und Raumhöhe vergrößert, was den Komforteigenschaften deutlich zugutekommt.
GT3-Entwicklung von Anfang an geplant
Die Entscheidung den R8 für die GT3-Kategorie zu entwickeln, beruht auf den technischen Möglichkeiten in Bezug auf das Reglement und die zu erwarteten Absatzzahlen der attraktiven GT3-Serien. Während sich die GT2-Klasse stark am Serienfahrzeug orientiert und die Fahrwerksgeometrie dadurch zwingend erhalten bleiben muss, kommt den Teilnehmern die FIA in der GT3 deutlich entgegen.So lässt das technische Regelwerk Änderungen an der Fahrzeugbreite zu, sodass die Anlenkpunkte des Fahrzeugs verschoben werden können, dadurch Fahrwerkskomponenten vom Serienfahrzeug übernommen werden und eine renntaugliche Kinematik hergestellt wird.
Im GT2-Reglement dagegen müssen aufwändig hergestellte Spezialteile auf die Serienvermassung Anwendung finden was zur Verteuerung der Bauteile führt:
„Aufgrund der technischen Freiheiten des GT3 Reglements lassen sich die erforderlichen Änderungen zur Anpassung an den Renneinsatz kostengünstig umsetzen“, erklärt Liebchen. Auch konnte die zentrale Kühleranordnung konnte umgesetzt werden.
Durch diese Maßnahme wurde die Kühleinheit erheblich vereinfacht und zusätzlich die Crashempfindlichkeit deutlich verbessert.
Seit der Vorstellung des R8 LMS-Rennfahrzeugs auf der Essener Motorshow 2008 wurden 12 Entwicklungs-Fahrzeuge verkauft, die von Phönix Racing, Team Rosberg, Abt Sportsline, Oreca, ARGO Racing und Audi Sport Italia in Serien wie der FIA GT3, ADAC GT Masters, Italienischen GT-Meisterschaft, der deutschen VLN am Nürburgring sowie den 24h-Rennen am Nürburgring und in Spa-Francorchamps eingesetzt werden. Zwei weitere Fahrzeuge gehören der Audi Driving Experience
Lediglich ein Jahr hat sich Audi zum Ziel gesetzt, die R8 LMS-Renner auf einen weltweit verkaufsfertigen Stand zu bringen. Bevor die ersten Fahrzeuge ab 2010 in weltweite Kundenhände abgegeben werden, erarbeitet man noch eine Evo-Variante die den Wagen in vielen Punkten weiter verbessen soll. Unter anderem stehen Getriebe und Elektronik im Lastenheft der Entwickler.
Weltweites Vertriebsnetz geplant
Um die Erfolgsgeschichte des R8 LMS auch generalstabsmäßig innerhalb und außerhalb des Konzerns vorzubereiten, sollen die 14 beteiligten Mitarbeiter des Programms alle Länder mit GT3-Meisterschaften und Klassen ins Auge nehmen.Für Europa wird das Programm aus dem bald fertig gestellten Kundensportzentrum in Ingolstadt aus betrieben. Für den wichtigen US-Markt aber müssen eigene Vertriebsgesellschaften auf der anderen Seite des großen Teiches aufgebaut werden.
Sowohl die IMSA mit der American Le Mans Serie (ALMS), als auch die Grand Am befassen sich intensiv mit dem Gedanken, die GT3-Kategorie mit Modifikationen in ihre Serien zu integrieren. Das würde Audi einen politisch wichtigen Markt eröffnen, den man mit dem LMP1-Diesel-Prototypen in der ALMS jahrelang erfolgreich bearbeitete, und jetzt mit dem R8 LMS auch nach unten hin ausweiten möchte.
Porsche beispielsweise ist in beiden Märkten schon seit vielen Jahren integriert und nutzt das Motorsport-Programm intensiv zur Imagepflege der Marke in den USA. Doch dafür muss Audi erst seine Hausaufgaben in punkto Ersatzteillagervorhaltung, Kundenberatung, Logistiknetz und Marketing erledigen.
Aus diesen Gründen gehen die Ingolstädter von einer Marktoffensive Richtung USA nicht vor 2011 aus, um sich 2010 auf Europa zu konzentrieren. Liebchen prognostiziert, dass ab 2011 mit einer Rennfahrzeugproduktion von 30 bis 40 Stück pro Jahr geplant wird und geht für 2010 von der Hälfte aus.
Was kostet das?
Von der Leistung auf der Rennstrecke abgesehen wird sich Audi auch mit dem Preis an der Konkurrenz messen lassen müssen.Aktuell liegt der Preis für den Audi R8 LMS bei 262.000 Euro zzgl. MwSt., für die verbesserte Evo-Variante wird der Preis noch steigen. Zum Vergleich: Porsche verlangt für den aktuell vergleichbaren Heckmotor-911 GT3 Cup S ganze 250.000 Euro, Reiter Engineering für den Lamborghini Gallardo in der 2009er-Version knapp 200.000 und in der 2010er Version 265.000 Euro.
Für die Zukunft plant die deutsche Marke ihr Motorsport-Programm auf drei Säulen aufzubauen. Neben den beiden Werksprojekten im 24-Stunden Rennen von Le Mans mit dem LMP1-Prototypen und der DTM mit dem Audi A4 soll der Kundensport-R8 LMS die Basis bieten. Auch den Clubsport-Markt hat man im Auge, sportliche Straßenmodelle hat das Unternehmen einige im Programm.
Die bisherige Vorstellung auf der Strecke zeigt, dass Audi mit dem R8 ein großer Wurf gelungen ist. Bereits im ersten Jahr konnte Phönix Racing mit dem von Bilstein unterstützten R8 LMS in der VLN den ersten Sieg verzeichnen, ihm folgten weitere in anderen Serien, ein herausragender dritter Gesamtrang beim 24h-Rennen von Spa gegen GT1 und GT2-Sportwagen und der zweite Platz im 24h-Rennen auf dem Nürburgring. Eine Fortsetzung der Erfolgsstatistik scheint auch in Zukunft nicht ausgeschlossen.