Rallye-WM: News | 24.04.2006
Manfred Stohl im motorline.cc-Interview, Teil 2
Über die schwierige Abstimmungsarbeit, die nonverbale Kommunikation mit Co-Pilotin Ilka Minor, das Verhältnis zu Vater Rudi und das Agieren in der Öffentlichkeit.
Michael Noir Trawniczek
Fotos: McKlein
Ich bin selber einmal als Beifahrer die Semperit-Rallye mitgefahren, das ist aber sicher mehr als 15 Jahre her. Das Aufregende waren die vier Trainingstage, da wurden die Sonderprüfungen einfach so abgefahren, da konnte einem auch jemand entgegenkommen. Und einmal verirrten wir uns und landeten nächtens in einem Vierkant-Bauernhof. Heute ist das schon ein wenig anders, oder?
Ja, ganz sicher, das Hin- und Herfahren beim Training beispielsweise gibt es nicht mehr und man kann auch nicht mehr so oft die Sonderprüfungen befahren wie damals. Aber dass man plötzlich in einem Vierkanthof steht oder man sich mal verirrt, das kann auch heute noch vorkommen. Und das Abenteuer, dass man permanent etwas Neues erleben kann - daran hat sich auch nichts geändert.
Viele Leute sagen aber auch, dass die FIA nicht nur die Formel 1, sondern auch den Rallye-Sport nieder reguliert hat. Die Rallyes werden immer kürzer...
Ich finde, das ist nicht nur die FIA - das ist die gesamte Wirtschaftslage, die Globalisierung. Und: Man muss die Akzeptanz der Bevölkerung respektieren. Früher ist man jede Prüfung zehnmal gefahren, an einem Wohnhaus sind die Autos zehnmal vorbeigerast - das gibt es heute nicht mehr. Man versucht, gemeinsam zu leben. Der Sport, die Anrainer, die Natur, die Landschaft.
In dieser Landschaft stehen manche Fans bedrohlich nahe.
Dazu muss man sagen: Es gibt überall schwarze Schafe, aber es ist so, dass sich die Lage doch deutlich gebessert hat.
Bei der Monte war es aber doch recht arg, oder?
Ja, bei der Monte war es extrem. Aber ansonsten kann man sagen, dass es die Veranstalter mittlerweile zu 90 Prozent im Griff haben. In Argentinien ist es auch immer recht arg, aber im Prinzip ist es besser geworden.
Wenn ein Fan so nahe an der Strecke steht, dann musst du dich darauf verlassen, dass er rechtzeitig weghupft, oder?
Ja. Es bleibt einem nichts anderes übrig. Da darfst du auch keine Bedenken haben. Wenn du dir Gedanken darüber machst, verlierst du die Konzentration. Und dann ist es noch gefährlicher.
Du hast vorhin [im ersten Teil des Interviews, d. Red.] über das oft recht schwierige Feedback gesprochen. Dass du also beispielsweise glaubst, du warst gut unterwegs, aber dann stimmt die Zeit nicht. Wenn ich jetzt also eigentlich ein gutes Gefühl habe, und es passt aber nicht, wie gehe ich dann bei der Abstimmungsarbeit vor?
Das musst du dann gemeinsam mit dem Ingenieur lösen. Du sagst dem dann: 'Ich hatte dort eigentlich ein gutes Gefühl, aber die Zeit passt nicht.' Dann schaut sich der das Datenblatt an und der sagt dir dann: 'Da schau her - da hast du den Fehler gemacht, dort müssen wir am Auto noch etwas verändern.' Dann versuchst du, mit allen Informationen das richtige Setup zu finden.
Aber dein natürliches Gefühl sagt dir, dass du dich wohl fühlst, während die Zeit etwas anderes sagt. Heißt das, dass du bei der Abstimmung riskieren musst, dass du dich beim nächsten Mal weniger wohl fühlst, du aber dafür schneller bist?
Ja, ganz genau, das ist Teil unseres Sports. Das ist so wie im Skisport. Ich bin mir sicher, dass kein Skifahrer seine Skischuhe mag. Die sind im Prinzip alle unangenehm, aber sie machen die Fahrer schneller. Und genauso ist es auch im Rallye-Sport. Du kannst nicht immer nur sagen: Ich will ein Auto, dass sich so und so verhält. Das Paket muss passen! Es kann nicht immer nur alles für den Piloten gut sein, es muss auch für das Auto, für die Technik passen. All das muss zusammenspielen.
Und dann wächst man zusammen mit dem Auto...
Na klar.
In wie weit ist deine Co-Pilotin Ilka Minor in die Abstimmungsarbeit involviert?
Sie spielt eine wichtige Rolle. Es ist so, dass wir zum Beispiel sehr viel über Gefühle reden. Außerdem kann der Beifahrer unabhängig von dir sehr gut abschätzen, ob du gut oder schlecht gefahren bist. Weil dann sag ich zu ihr: 'Du, warum war die Zeit jetzt schlecht? Ist das Auto scheiße oder bin ich scheiße gefahren?' Und dann sagt sie: 'Naja, ich hatte schon das Gefühl, du bist nicht gut drauf gewesen.' Oder sie sagt: 'Du bist super gefahren und ich weiß auch nicht, warum die Zeit so schlecht ist.'
Sie spürt ja sicherlich auch das Fahrverhalten.
Ja, bei der Ilka ist das überhaupt speziell. Die ist schon so verbunden mit dem Auto und mit dem, was ich tue. Da gibt es oft Szenen, wo sie in manchen Kurven schon im Voraus sagen kann, ob ich schnell genug, zu langsam oder zu schnell bin. Das merke ich schon an ihrer Mimik und daran, wie sie sich bewegt - an ihr sehe ich, ob ich gut oder schlecht fahre - aber schon im Voraus, schon am Kurveneingang, beim Bremsen und Runterschalten.
Du siehst also im Augenwinkel, ob sie das Gesicht verzieht oder so?
Man kann das gar nicht so leicht definieren, das sind so kleine Dinge. Aber um ein Beispiel zu nennen: In Australien sind wir zu einer Ecke hingekommen und sie sagte: 'Links, 4-, kurz, schnell.' Und ich habe noch einen Gang raufgeschalten und da habe ich schon gemerkt, wie sie auf einmal ein Stück zu mir rübergerutscht ist, weil sie wusste: Das ist zu schnell! Und tatsächlich: Am Kurvenausgang haben wir die Böschung getroffen. Aber man muss sich das in ganz kleinen Dimensionen vorstellen, sie rutschte da nur wenige Millimeter rüber, es sind ganz kleine Gesten, die viel aussagen. Das alles spielt sich ja innerhalb von Zehntelsekunden ab.
Da bleibt gewissermaßen ja die Zeit ein bisschen stehen. Diesen Zustand erleben 'Normalsterbliche', sag ich mal, nur bei einem Unfall. Den erlebt man dann auch quasi in Zeitlupe. Da sind dann auch Zehntelsekunden realisierbar. Und im Rennsport ist man ja quasi andauernd in diesem Zustand.
Ja, ganz genau.
Eigentlich müsste man dann ja jünger werden, wenn man so oft in diesem Zustand ist? (lacht)
Sozusagen, ja (lacht). Es ist so, dass du dann eben schon merkst, wenn du einen Profi als Beifahrer hast. Das ist so, als ob der mit dir zusammengewachsen wäre. Der weiß ganz genau, was passiert und was nicht passiert. Und ein großer Teil der Kommunikation läuft über ganz kleine Gesten, über die Mimik ab.
Zum Reden ist ja auch keine Zeit, weil Ilka ja den Schrieb lesen muss.
Ja, da gibt es keine andere Möglichkeit.
Du bist schon einmal ein Rundstreckenrennen gefahren - wie war das für dich?
Ich bin einmal mit einem FIA-GT-Auto, einem Crysler Viper, ein Rundstreckenrennen gefahren, auf dem A1-Ring. Das war eine nette Geschichte, das hat Spaß gemacht - aber das ist einfach nicht meines.
Das Überholen reizt dich nicht? Das ist ja das Element, das es im Rallye-Sport nicht gibt.
Nein, nein. Man kann nicht einfach alles probieren - und das Überholen ist mit den heutigen Autos einfach auch sehr schwierig. Und dann fahren sie dir ins Auto rein und weiß der Kuckuck - da kann ich ja gleich Rally-Cross fahren. Ich möchte aber auch dazusagen: Ich bewundere die Rundstreckenfahrer, die Formel 1-Fahrer. Die machen ihren Job sehr, sehr gut.
Was die hohe Kunst des Autofahrens betrifft, ist der Rallye-Sport für dich eindeutig näher dran, oder?
Mir persönlich gibt der Rallye-Sport mehr. Es geht um die Elemente Schotter, Asphalt, Eis und Schnee. Es geht um Regen oder nicht Regen. Und es sind Straßen, die du mit dem normalen Auto auch befährst. Die Schotterstraßen, die wir in Argentinien befahren - das sind für die dortigen Einwohner ganz normale Straßen. Die haben halt nicht so viele Asphalt-Straßen wie wir.
Und wieso stehst du eigentlich mehr auf Schotter, Österreich ist ja eher ein typisches Asphalt-Land?
Ich stehe deshalb mehr auf Schotter, weil das einfach mehr dem Rallye-Sport entspricht. Asphalt ist eher Rundstrecke, da kann ich gleich auf die Rundstrecke gehen.
Dann wäre ja Schnee noch extremer, oder?
Schnee mag ich auch sehr gerne - nur: Schnee gibt es einfach zu wenig. Auch in der Rallye-WM - aber es soll ja künftig mehr Schnee-Rallyes geben. Schnee gefällt mir grundsätzlich auch sehr gut, den mag ich sehr.
Dein Vater Rudi war ja ein Rallye-Pionier. Sprichst du oft mit ihm über den Sport?
Naja, wir sehen uns sehr wenig. Wenn wir uns sehen, sprechen wir schon auch darüber, aber derzeit sehen wir uns sehr selten.
Er ist ja noch mit ganz anderen Autos gefahren. Gibt er dir Tipps oder ist das wegen der Veränderungen im Sport gar nicht mehr möglich?
Das hat eigentlich nichts mit den anderen Autos zu tun - wir sprechen da eher über grundsätzliche Ideen und so weiter. Tipps geben ist schwierig, weil er mir nicht direkt im Zusammenhang mit dem Auto einen Tipp geben kann. Aber er kann mir schon gewisse Richtungen sagen. In dem Sinne, dass dieser Weg ein guter ist und der andere ein weniger guter sei. Grundsätzlich versucht man jedoch, auf den eigenen Füßen zu stehen.
Du hast vorhin die F1-Piloten erwähnt. Ich habe mit dem Christian Klien gesprochen und er sagte, dass er dir prinzipiell alles zutraut - auch dass du am Ende WM-Dritter sein kannst.
Das freut mich natürlich, dass er ein solches Vertrauen in mich hat. Und ich werde versuchen, all das Vertrauen, welches die Leute in mich stecken, auch mit guten Resultaten zurückzugeben.
Der Christian wird in der Öffentlichkeit schon sehr beobachtet, er hatte da auch Probleme in einer Vorarlberger Diskothek. Wie ist das bei dir? Du bist ja ein Teil der Rallye-Weltelite. Kannst du noch ungehindert in der Öffentlichkeit agieren oder wirst du dann von Fans belagert?
Belagert werde ich nicht, da gibt es in Österreich keine Probleme. Du wirst nicht belagert, aber du wirst schon beobachtet. Wenn ich einkaufen gehe und ich mir einen Liter Milch kaufe, dann schauen mir die Leute zu und sie fragen sich, warum ich die billigere Milch nehme und nicht die teure.
(lacht) Wirklich? Das fragen sich die Leute? Oder denkst du dir das nur?
Nein, nein - das ist wirklich so. Das ist extrem (lacht).
Und Autogrammwünsche?
Ja, die gibt es schon.
Auf der Milchpackung?
Nein, das nicht. Aber der Baumarkt ist zum Beispiel so ein Problem, wo ja mehr die Männer vertreten sind. Das ist jetzt nicht wirklich unangenehm, aber du fühlst dich halt ständig beobachtet.
Naja, wir werden auch beobachten - nämlich wie es dir bei der Argentinien-Rallye, bei deinem 100. WM-Lauf ergeht. Und dazu wünschen wir dir ganz viel Glück.
Dankeschön.
Den ersten Teil des Gesprächs mit Manfred Stohl finden Sie in der Navigation rechts.