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Thema Batterie-Kapazität
Audi

Der Trick mit echten Zahlen

Wie gut ein E-Auto ist, hängt primär von seinem Akku ab. Dessen Fassungsvermögen wird von den Herstellern aber teils sehr unterschiedlich angegeben. Dass es Brutto- und Netto-Kapazitäten gibt, hat nur zum Teil mit notwendigen Maßnahmen zu tun.

Roland Scharf

Ach, immer diese Reichweite. Die ultimative Messlatte für die Güte eines Elektroautos. Wer hier vorn liegt, kann auf dem Markt punkten. Und was einst das Kofferraumvolumen und noch früher die Beschleunigung von null auf 100 km/h war, ist nun eben eine schlichte Kilometeranzahl, die aber nur scheinbar leicht zu überprüfen ist. Nimmt man nämlich die Größe der Batterie und den Durchschnittsverbrauch des jeweiligen Modells aus dem Prospekt, müsste man eigentlich sehr schnell herausfinden können, wie weit man mit den versammelten Kilowattstunden kommt, oder? In der Praxis gab es auch bei den Tests von electric WOW immer wieder Diskrepanzen zwischen dem, was auf dem Papier errechnet und dem, was auf der Straße erfahren wurde. Natürlich vermutet man hier am Anfang wieder eine Gaukelei, wie es die Industrie zu NEFZ-Zeiten auch mit den Normverbräuchen bei Benzin- und Dieselautos so gerne – aber legal – gemacht hat. Hier aber liegt die Wahrheit ein wenig anders. Denn streng genommen hat ein Akku zwei Werte, wobei nach Gutdünken der Hersteller der eine oder der andere angegeben wird, mitunter werden beide genannt. Auch wenn ersterer eigentlich überhaupt nichts aussagt und vor allem zweiterer von Marke zu Marke stark variieren kann.

Begriffsbestimmung
Sowohl bei Brutto als auch bei Netto geht es immer um die im Akku gespeicherten Kilowattstunden. Der Brutto-Wert ist der All-in-Wert eines Stromspeichers. An ihm ist nichts zu rütteln oder zu beschönigen, gleichzeitig aber von rein theoretischer Natur, denn er beziffert die maximale Energiemenge, die eine Batterie speichern kann. Gerne wird hier vom sogenannten SoC geredet, dem State of Charge. Dieser Ladezustand liegt, wenn vollgeladen, bei 100-Prozent, der in der Praxis aber genau so zu vermeiden ist wie null Prozent, also die völlige Entladung des Akkus. Beides ist für die Speicherzellen nicht gesund und schlägt sich auf die Lebensdauer, noch dazu wäre es für die Bordelektronik ziemlich blöd, wenn wirklich absolut kein Strom mehr in den Traktionsakkus vorhanden wäre. Also verwendet man schon allein aus dieser puren Notwendigkeit nie das gesamte Potenzial des Akkus. Man greift zu seiner eigenen Sicherheit also ein paar Prozente seiner Kapazität nicht an, pumpt ihn also nie ganz voll und behält immer ein paar Ampereschweinchen in den Zellen. Was nach dem Abzug dieser übrig bleibt, also die dann effektiv nutzbare Menge an Kilowattstunden, ist der sogenannte Netto-Wert. Diesen nennt man auch nutzbaren SoC, sprich: Egal wie groß ein Akku auch ist, er ist nie zu 100 Prozent nutzbar, sondern eher nur zu 80 bis 90 Prozent. Hier aber fangen die Unterschiede der Hersteller erst an.

Individuelle Puffer
Es ist nämlich nicht näher festgelegt, wie groß diese Sicherheitsbereiche ausgelegt sein müssen. Manche Firma geht auf Nummer sicher und sperrt mehr Zellen elektronisch weg. Andere hingegen bewegen sich im absoluten Mindestbereich. Oft sind die Werte nur schwer zu bekommen und neben der puren Notwendigkeit, einen Teilbereich der Zellen zu
reaktivieren, kann man diese Technik auch dazu benutzen, die Haltbarkeit virtuell ein wenig zu dehnen. Man hält bewusst ein paar Prozent zurück, die erst im Laufe der Zeit
freigeschaltet werden, damit man die gesetzlich vorgeschriebene Haltbarkeit über den Garantiezeitraum auch wirklich gewährleisten kann. Sprich: Im Prospekt können beispielsweise 50 kWh Fassungsvermögen stehen. Der Akku hat in Wahrheit aber 60. Fünf werden jetzt aus Sicherheitsgründen abgezogen und die restlichen fünf kWh spart man sich deswegen auf, damit auch noch nach acht Jahren genügend Potenzial im Stromspeicher vorhanden ist. Diese Taktik ist zwar nicht weit verbreitet, aber dennoch Praxis. Hier mit erhobenem Zeigefinger auf einzelne Modelle zu deuten, ist bei der Verschwiegenheit manch Konzerns aber praktisch unmöglich. Aber es muss nicht einmal so weit kommen, um über
das wahre Potenzial einer Batterie Bescheid zu wissen.

Variable Größen
Ob und wie starr die notwendigen Sicherheitszonen in der Elektronik nämlich hinterlegt sind, ist auch wieder nicht einheitlich geregelt. Bits und Bytes sind schließlich noch geduldiger als Papier, zudem aber variabler, und so gibt es Fälle, die im Alltagsbetrieb, dem tagtäglichen Pendeln von Stau zu Stau zu Ladestation, die Pufferbereiche besonders großzügig auslegen. Die Laufleistung ist gering, selten fällt einem hier diese digitale Beeinträchtigung auf. Der Akku aber bleibt immer im für ihn optimalen Ladebereich von circa 30 bis 80 Prozent.

Man kennt das ja vom Smartphone, bei dem ja im Prinzip die gleiche Lithium-Ionen-Technik drinsteckt, und entsprechend darf man das nicht unbedingt negativ sehen. Wer sein E-Mobil nämlich lang nur in der Stadt bewegt, kann dank dieser Maßnahme die Lebensdauer des Akkus deutlich erhöhen. Benötigt man mehr Reichweite, switcht die Elektronik schnell auf ein anderes Kennfeld, gibt also mehr Reichweite frei, indem sie die nutzbare Kapazität der Batterie erhöht. Ob es hierbei aber nach Gaspedalstellung, GPS-Daten oder gewählter Geschwindigkeit geht, bleibt ein weiteres großes Geheimnis diverser Hersteller.

Je größer, desto stabiler
Dann gibt es noch den Fall der Batteriegrößen, die es noch schwerer machen, einen exakten Netto-Wert bestimmen zu können. Deren Fassungsvermögen hat nämlich großen Einfluss darauf, wie groß die SoCBereiche ausgelegt sein müssen. Grundsätzlich geht es meist darum, die Speicherkapazität über den gesamten Garantiezeitraum im erlaubten Bereich zu halten. Das heißt also: Nach einer bestimmten Zeitdauer und/oder Laufleistung muss immer noch eine vertraglich zugesicherte Menge an Speicher in den Batterien vorhanden sein. Nachdem die Lithium-Ionen-Akkus vor allem während des Ladens altern (der so genannte zyklische Alterungsprozess), ist die Zahl der Ladezyklen also der kritische Wert. Hier sind kleine Batterien natürlich im Nachteil: Wer weniger fassen kann, muss häufiger nachtanken. Sprich: Bei gleicher Laufleistung können kleinere Batterien einen höheren Verschleiß aufweisen. Somit ist es meist so, dass große Traktionsbatterien einen kleineren Puffer einprogrammiert haben als ihre schlankeren Kollegen. Das ist besonders tricky, wenn es für ein und dasselbe Modell unterschiedliche Batteriegrößen gibt, da bedarf es also mehrerer Brutto-Netto-Angaben. Generell ist zu sagen: Je mehr kWh ein Akku fasst, desto höher ist sein Netto-Wert.

Unbekannte Größe
Wo die gewieftesten Konzerne kaum Einfluss haben und was man wirklich nirgends nachlesen kann, ist der Bereich, den die Zellproduzenten freigeben. Dabei handelt es sich meist um eine ziemlich eng abgegrenzte Spannungsregion, die man auf keinen Fall verlassen sollte. Sinkt man zu weit ab (wird also zu stark entladen), bildet sich in den Zellen aus den Lithium-Ionen metallisiertes Lithium, was zu unschönen Kurzschlüssen führen kann. Überschreitet man die vorgeschriebene Volt-Zone, überlädt man den Akku also, könnte es zu Feuergefahr kommen. So gesehen gibt es also schon bei den Zellen an sich einen Brutto- und Netto-Wert. Das, was die Autohersteller also als technischen Brutto-Wert angeben, ist in Wahrheit das, was für die Zellhersteller eh schon nur der Netto-Wert ist. Kapazität auf Knopfdruck Bleibt natürlich noch die Frage, warum einige Hersteller so gerne den Brutto-Wert in ihren Prospekten verkünden, wenn der doch so wenig aussagekräftig ist. Ganz einfach: Es klingt nach mehr! Reichweite ist schließlich Trumpf, da machen entsprechend beeindruckende Zahlen natürlich schwer Eindruck. Noch spannender wird es, wenn manch Firma dank dieser Brutto-Netto-Trickserei Modelle mit unterschiedlichen Reichweiten anbietet, die jedoch immer den gleichen Akku verbaut haben. Interessanterweise handelt es sich hier um den oder die gleichen, die dann auch wie von Zauberhand über Over-the-Air-Updates die Kapazität erhöht haben …

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