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Le Mans 2005: das Jahr der Amerikaner

Am Schluß war zwar alles wie gehabt, aber die 73. Auflage des Grand Prix d’Endurance war ein echter Krimi, Motorsport vom Feinsten.

Johannes Gauglica

Das detaillierte Ergebnis sowie Fotos finden Sie in der rechten Navigation!

Bereits im Training hatten die Seriensieger Audi und Corvette gegen ihre Herausforderer, salopp gesagt, keinen Auftrag. Der verregnete Mittwoch wurde von den meisten Teilnehmern im Hinblick auf das erwartete Schönwetter am Wochenende abgehakt und das Auftrumpfen der französischen Lokalmatadore um Henri Pescarolo als Publicityaktion gesehen.

Tatsächlich vermeldeten die Lokalzeitungen Donnerstag früh stolz: „POLE FÜR SEB“, obwohl Rallyestar Sebastien Loeb wenig mit den wirklich flotten Runden zu tun hatte. Im Donnerstag-Qualifying waren die Zeiten eine satte Minute schneller als am Mittwoch, und der Trend des Vortages setzte sich fort:

die Audi litten unter dem strengen Handicap für „Auslaufmodelle“ nach dem alten Reglement, die zwei Pescarolo-Prototypen mit V10-Motor aus dem Hause Judd diktierten das Tempo. Audis Darbietung blieb eher blaß, Champion Racing Nr. 2 sicherte sich immerhin den dritten Platz, inmitten von Autos, denen man noch voriges Jahr nur beim Überrunden begegnet ist.

Die beiden anderen Audi R8 nur auf dem fünften und achten Rang, beim Top-Speed hatten die Ingolstädter Prototypen sogar mit den schnellsten GT1-Autos ihre Probleme - Besorgnis bei Audi? „Nicht wirklich“, meinte Werksfahrer JJ Lehto, „es macht keinen Unterschied, wo wir das Rennen starten – und wir haben einen Plan...“

Die kleineren Prototypen waren ebenfalls fest in französischer Hand, Paul Belmondo Racing mit dem Courage-AER hatte die Klasse unter Kontrolle, in der sich die meisten Dramen abspielten: nach Unfällen und Technik-Zores schrammten einige Autos knapp an der Nichtqualifikation vorbei.

Ein ähnliches Bild bei den „voitures Grand Tourisme“: hier beruhigte Corvette-Manager Doug Fehan die V8-Fans: „we are right on plan“ - Zweckoptimismus? Team Corvette hielt sich merklich zurück, die neue C6.R machte nicht allzu viele Kilometer, die Konzernschlacht GM (Corvette) gegen Ford (Aston Martin) endete 0:2.

„Aber das Qualifying bedeutet garnichts“, sagte Thomas Enge verschmitzt, nachdem er mit dem brandneuen DBR9 die gelbe Konkurrenz niedergemacht hatte. Der Tscheche spielte bei Aston die Rolle des Vollstreckers: die Astons waren bereits kommod auf den ersten Plätzen, als sie sich am Donnerstag gegen Mitternacht das Vergnügen gönnten und die 3:50-Schallmauer locker demolierten – die Nr. 58 am 18. Gesamtrang, Nr. 59 auf Position 20.

In der GT2-Klasse war weiterhin alles Porsche, die Amerikaner von Alex Job Racing/BAM! schnappten den favorisierten Landsleuten Flying Lizard die Pole weg, dahinter aber schon der erste der vielversprechenden neuen Panoz mit Ford-V8. Horst Felbermayr Sr. nahm mit dem zuverlässigen Seikel-Porsche das Rennen aus der vorletzten Reihe in Angriff.

Am Samstag pünktlich um 16:00 Uhr, bei prächtigem Wetter und 35 Grad im Schatten, gehen 48 Autos in die erste Runde (ein Auto startet mit fast einer Stunde Verspätung aus der Box nach), und die beiden französischen Prototypen ziehen vorne weg; die Audi haben im direkten Fight nichts entgegenzusetzen.

Spätestens beim ersten Boxenstop wird das Bild zurechtgerückt; die Audi können zwei Runden länger auf der Strecke bleiben. Über die gesamte Distanz bedeutet das zwei Boxenstops weniger – der entscheidende Vorteil? Die Pescarolos können nicht nur schnellere Rundenzeiten hinlegen, sie werden es das ganze Rennen hindurch tun müssen.

In der GT1-Klasse wird noch härter gekämpft: Aston Martin und Corvette sind fast die ganze Distanz über ineinander verbissen. Aston hat die Doppelführung, aber nur bis die Offiziellen zuschlagen: Aston-Fahrer Darren Turner fasst zweimal hintereinander empfindliche Zeitstrafen aus und ist knapp an der Disqualifikation – „wenn er das macht, bringe ich ihn um“, lächelt Teamkollege David Brabham; bei mörderischen Innentemperaturen in den Astons wäre das Rennen mit nur zwei Fahrern nicht durchzustehen.

Aston Nr. 59 reiht sich hinter den gelben GM-Werksautos und dem privaten Cirtek-Ferrari ein, der Star der Briten ist der Tscheche Thomas Enge in der Nr. 58 - auch für uns somit indirekt einen Grund zum Daumendrücken. Und auch er klagt über die Hitze im Frontmotorauto, dennoch macht er sich bald in den Top Ten breit, die Corvettes nicht weit dahinter.

Den ersten Kratzer im Pescarolo-Lack gibt es nach zwei Stunden: Nr. 17 fällt nach einer Kollision auf den sechsten Platz zurück. Dreißig Minuten später parkt Nr. 16 in der Garage: Getriebedefekt. Erst jetzt übernehmen die Audi geschlossen die Führung.

Nach einer halben Stunde hinter dem Safety Car erlaubt sich Emanuele Pirro kurz nach 19 Uhr einen seltenen Fehler und setzt den führenden R8 in die Wiese; die Audi-Phalanx zerbricht wieder. Der britische Rollcentre-Dallara trumpft mächtig auf, fährt lange auf dem dritten Platz, in diesem Auto fährt die Tochter des Sechsfachsiegers Jacky Ickx, Vanina. Die Pescarolos sind außerhalb der Top Ten – geschlagen?

Die kleineren Klassen bieten ein anderes Bild: LMP2 ist vom Beginn weg ein Ort der Tragödien, darunter auch der MG EX264, der die längste Zeit an den Boxen verbringt: Getriebeschaden. Die Autos von Paul Belmondo Racing setzen sich alsbald and die Spitze der Wertung und geben sie vorerst nicht mehr her.

GT2 wird kurzzeitig vom Duell Porsche gegen Panoz bereichert, das V8-Strohfeuer verglimmt jedoch nach drei Stunden; ab da wird die Klasse zum Schaulaufen für Porsche. Die Schlacht tobt zwischen Alex Job Racing/BAM!, Flying Lizard und dem dritten amerikanischen Team Petersen/White Lightning, dahinter der im Warmup verschrottete und hastig wieder zusammengeschraubte 996er des Lokalteams von Raymond Narac.

Langsam werden die Schatten länger - gegen 21:00 Uhr gibt die nächsten größeren Änderungen: nach einem längeren Stop der Nr. 58 übernimmt erstmals eine Corvette die Klassenspitze, Jan Magnussen in der Nr. 63 zieht vorbei. Dann bricht am Oreca-Audi nach einem Fahrfehler von Ortelli die Radaufhängung, Champion Racing übernimmt die Doppelführung.

Von diesem Moment an spielt Oreca keine unmittelbare Rolle mehr, das Duell heißt Champion gegen Pescarolo. Die Pesca-Fahrer Eric Helary, später Emanuel Collard (Nr. 16) und Eric Comas (Nr. 17) sind auf der Mission Impossible, die Audi im Visier.

Die Temperaturen fallen, und mit ihnen die Rundenzeiten; die französischen Tiefflieger umrunden den Kurs fünf, sechs, sieben Sekunden schneller als ihre Gegner. Vorneweg zieht recht unbeirrt Audi Nr. 3 seine Kreise, bislang das einzige Auto der Spitzengruppe ohne Probleme. Seriensieger Tom Kristensen hat die Chance auf den historischen siebenten Triumph an der Sarthe.

Team Corvette liegt gegen 22 Uhr zum ersten Mal geschlossen an der Klassenspitze, aber Aston Nr. 58 ist in der selben Runde, die Positionen wechseln praktisch mit jedem Boxenstop. Das Rennen ist völlig offen. Der Seikel-Porsche von Horst Felbermayr Sr. fällt nach einem Ausritt des Teamkollegen David Shep und anschließenden Reparaturen erst einmal weit zurück und fährt später auf Durchkommen.

Um Mitternacht liegt das Seikel-Auto am siebenten Klassenrang; vorneweg sind AJR/BAM! und Petersen/White Lightning – nach acht Stunden Fahrzeit - nur durch 14 Sekunden getrennt. Bis knapp vor Schluß wird es in dieser Tonart weitergehen, der GT2-Kampf wird eine regelrechte Rauferei.

Der bemerkenswerte Auftritt der Rollcentre-Truppe nimmt vorderhand ein enttäuschendes Ende: die Servolenkung ist defekt, speziell Vanina Ickx findet die Arbeit im Cockpit immer mühsamer. Der Dallara verschwindet in der Garage. Warren Hughes im Aston Martin fasst die dritte Zeitstrafe aus, Teamkollege Sarrazin büßt sie nach dem Fahrerwechsel ab, Hughes drückt sich um die Disqualifikation. Für die Nr. 59 sind die Siegchancen dahin.

LMP2 wird immer mehr zur Zombie-Klasse, hinter den beiden Belmondo-Autos spielen sich Technikdramen ab; der MG holt auf. Fahrer Warren Hughes klagt über schlechte Sicht: er war nicht auf den Triple-Turn gefasst, hat noch sein getöntes Tagesvisier am Helm.

Pescarolo Nr. 17 hat das Pech gepachtet, zuerst ein Reifenplatzer, dann genau um Mitternacht nach einem Crash auf der Hunaudiéres ein langer Aufenthalt. Damit hat auch Loeb keine unmittelbaren Siegchancen mehr. Ein Defekt kündigt sich an: die Judd-Motoren in den französischen Autos beginnen zu überhitzen, die Lufteinlässe verdrecken immer mehr. Loeb muß unplanmäßig zur Reinigung an die Box.

Der nächste Schlag gegen die Audi-Truppe folgt um sechs Uhr früh: Alan McNish setzt die Nr. 2 in den Kies. Tom Kristensen baut mittlerweile den Vorsprung der Nr. 3 auf das Schwesterauto mit schnellen Runden etwas aus; Pescarolo Nr. 16 liegt nur mehr drei Runden zurück, immer noch im Schnellgang.

Am Beginn eines weiteren prächtigen Tages hat der Aston Martin Nr. 58 die Führung bei den GT wieder übernommen und ist gesamt in den Top 6, die Corvettes dicht dahinter. Auch in der GT2-Klasse ist der Fight zwischen den Porsche Nr. 71 und Nr. 90 völlig offen, während sich ringsum reihenweise Konkurrenten in die Landschaft befördern. Xavier Pompidou legt mit einem mehrfachen Überschlag bei Arnage den Unfall des Wochenendes hin, sein Porsche ist Schrott.

Audi Nr. 3 in Führung, aber der Rundenzeit nach eigentlich wehrlos gegen Pescarolo Nr. 16, und ein weiteres Problem kündigt sich an: die Offiziellen bemängeln das Fehlen ausreichender Beleuchtung am Audi – mindestens zwei Scheinwerfer müssen (auch bei Tag) funktionieren, ansonsten droht die Disqualifikation. Eine Reparaturpause kann sich Champion nicht leisten. Mit Glück und Nachsicht der Marshals schwindelt sich das Team durch, bis die Xenonlampen wieder ihre Arbeit aufnehmen.

Das Wetter ist prachtvoll, vor Hitze bricht an einigen Stellen der Asphalt auf. Die Viertelmillion Zuschauer an der Strecke (30 Prozent mehr als 2004) sehen weiterhin ein spannendes Rennen: vier Stunden vor Schluß feuert Soheil Ayari den Pescarolo Nr. 17 in der ersten Schikane der Hunaudiéres-Geraden in die Reifenstapel.

Das gemarterte Auto geht am langen Rückweg endgültig aus dem Leim, für Ayari eine gröbere Blamage. GT1 sieht wieder wie eine Beute der Astons aus, Nr. 58 führt bis halb elf, dann biegt Enge mit schleifendem Unterboden in die Garage, Corvette Nr. 64 ist wieder vorne.

Aston Nr. 59 schließt mit Fabelzeiten auf, zieht sich dann einen Reifenplatzer zu; die Ereignisse überschlagen sich im Minutentakt. Corvette-Manager Doug Fehan sieht sein Auto in Führung, aber er weiß: „uns steht noch eine Menge Racing bevor“. Corvette-Fahrer Oliver Gavin bestätigt: taktiert wird nicht, alle fahren so schnell sie können.

Die Jagd hat um 14:35 ein Ende: Aston Martin Racing löst sich auf. Die drittplatzierte Nr. 59 kommt mit kochendem Motor an die Box, der Kühler muß getauscht werden, gleichzeitig geht Enge auf der anderen Seite der Strecke der Sprit aus. Vermutet wird ein „vapour lock“ - die Hitze hat den Treibstoff in der Leitung verdampfen lassen.

Während Nr. 59 weiterfahren kann, scheidet der stärkste Herausforderer der Corvettes jedenfalls endgültig aus. Die britischen Fans sind genauso fassungslos wie kurz darauf auch die französischen Fans: Henri Pescarolo sieht mit steinerner Miene, wie seine Mannschaft das Rennen verliert.

Die Nr. 16, mittlerweile in derselben Runde mit dem Führenden, wird in die Garage geschoben; der Motor steht vorm Hitzekollaps, die mit Dreck und Wrackteilen völlig blockierten Lufteinlässe müssen gesäubert werden. Sowohl Pescarolo als auch die Audi-Leute wissen: es ist vorbei.

Die letzten Dramen spielen sich in der LMP2-Klasse ab. Dort bestimmen die rollenden Untoten das Bild. Der MG EX264 liegt in Führung, dann bricht die Aufhängung. Thomas Erdos fängt das Auto ein, glücklicherweise in Rufweite der Boxen; nach einer Grundsanierung rollt der MG wieder auf die Strecke, drei Runden hinter den beiden Autos von Belmondo.

Diese zerbröseln innerhalb der letzten 90 Minuten, und der waidwunde MG schleppt sich als Sieger ins Ziel. Ein trauriger Triumph für eine Marke, die eigentlich gar nicht mehr existiert.

Bei den kleinen GT erreicht das Seikel-Team mit Horst Felbermayr Sr. am siebenten Klassenrang das Ziel. Der Schlagabtausch um den Sieg bringt die knappste Entscheidung, der BAM!-Porsche in den Farben des Baseballklubs „New York Yankees“ setzt sich gegen das White Lightning-Team mit einer Runde Vorsprung durch.

Damit gehen drei von vier Klassensiegen nach Amerika, ein noch nie dagewesener Erfolg. Ein Rekordwochenende wird es auch für Tom Kristensen: der Däne wird mit sieben Siegen der erfolgreichste Fahrer aller Zeiten in Le Mans. Ein guter Teil dieses Erfolges geht aufs Konto des Audi R8, dieses Auto geht nach fünf Gesamterfolgen in Pension. Hinter dem Program steht ein Österreicher: Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich.

Dieser ist, wie alle anderen Beteiligten auch, die der Siegerehrung sind alle Beteiligten „fertig“, die Emotionen groß. Am Ende haben wieder die „üblichen Verdächtigen“ wieder gewonnen, aber es war ein hartes Stück Arbeit, im spannendsten Rennen der letzten Jahre. Hoffentlich geht es 2006 in Le Mans so weiter.

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