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Formel 1: Analyse

Droht in Spa das große Chaos?

Ab dem Grand Prix von Belgien liegt die Verantwortung für den Start wieder in der Hand der Fahrer – die Meinungen dazu sind geteilt.

Die Formel-1-Piloten machen derzeit auf unterschiedliche Art von ihrer vierwöchigen Sommerpause Gebrauch. Wenn sie am 23. August um 14 Uhr den Grand Prix von Belgien unter die Räder nehmen, steht ihnen jedenfalls die Premiere der neuen Startprozedur ins Haus. Die FIA hat die Teams vor wenigen Wochen darüber informiert, dass die Starts ab in Spa-Francorchamps wieder einzig und allein in der Verantwortung der Fahrer liegen sollen.

So darf der Schleifpunkt für die Kupplung künftig erst nach dem Start manuell vom Cockpit aus verändert werden. Der Start jedoch muss mit jener Einstellung erfolgen, die beim ersten Verlassen der Box am Freitag Vormittag adjustiert war. Jegliche Änderung des Schleifpunkts zwischen der ersten Ausfahrt aus der Box und dem Rennstart ist von nun an untersagt.

Boxenfunk ab sofort eingeschränkt

Zudem wird die Funkkommunikation zwischen Fahrer und Team in den Minuten vor dem Start deutlich eingeschränkt. Während der Formationsrunde dürfen Funksprüche seitens des Teams nur noch dann abgesetzt werden, wenn sie sicherheitsrelevante Gründe haben oder es ein technisches Problem am Auto gibt. Ein solches Problem muss jedoch kritisch sein, wie die FIA in ihrer Mitteilung an die Teams wissen läßt. In diese Kategorie fallen beispielsweise Reifenschäden oder Hinweise eines anderen Fahrers auf ein Problem am Auto.

Probleme wie etwa eine zu niedrige Reifentemperatur während der Einführungsrunde fallen nicht in die Rubrik "kritisch" und dürfen somit vom Team nicht mehr per Funk angesprochen werden. Weiterhin zulässige Funksprüche sind indes Hinweise auf Öl in einer bestimmten Kurve oder auf gelbe oder sogar rote Flaggen. Auch der Hinweis auf einen Positionstausch ist zulässig, sollte sich ein Fahrer auf der Runde in die endgültige Startaufstellung, aus welchem Grund auch immer, nicht an die richtige Reihenfolge halten.

Alle Funksprüche während der Einführungsrunde, die über die genannten Ausnahmen hinausgehen, stellen nunmehr einen Bruch von Paragraph 20.1 des sportlichen Reglements dar und haben eine Strafe zur Folge. Wie diese Strafe ausfällt, liegt dann stets im Ermessen der Rennkommissare.

Start in der Verantwortung des Fahrers

"Die Formationsrunde ist ein ununterbrochenes Gequassel von Sachen, die ich machen muss, von Anfang bis Ende", bezieht sich Nico Rosberg auf den bisherigen Stand der Dinge und spannt den Bogen zur Neuerung ab Spa: "Das wird jetzt alles gestoppt, muss ich alles selbst machen. Das ist eine große Änderung, in die man sich reinarbeiten und an die man sich gewöhnen muss. Da können auch Fehler passieren."

Sein Teamkollege, WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton, stimmt zu: "Es wird eine Herausforderung werden. Im Simulator habe ich die Sequenz und alles, was dazu gehört, schon geübt. Es scheint aber kein Problem zu sein." Zuletzt bekam Hamilton von der Pole Position zwei Mal keinen optimalen Start hin. In Silverstone musste er Williams-Pilot Felipe Massa in der ersten Kurve den Vortritt lassen; auf dem Hungaroring bogen sogar beide Ferrari-Piloten und Mercedes-Teamkollege Rosberg vor ihm in die erste Kurve ein.

Während Motorsportchef Toto Wolff anmerkte, dass Mercedes in Vorbereitung auf die Neuerung ab Belgien bereits am Ungarn-Wochenende Starts geprobt hat, gab Niki Lauda als Aufsichtsratsvorsitzender des Mercedes-Teams lediglich zu Protokoll: "Es kann nicht sein, dass wir zweimal hintereinander nicht so gut wegkommen. Das darf nicht passieren." Folgt in Spa angesichts der neuen Prozedur der dritte misslungene Mercedes-Start in Folge?

Rosberg macht sich keine großen Sorgen. "Fehler werden nur dann passieren, wenn die Kupplung anders greift als erwartet. Da muss man jetzt abwarten, inwiefern die Variabilität der Kupplung größer wird. Wenn die komplett konstant ist, dann werden die Starts nach wie vor so sein wie immer, denn der Ablauf ist ja gleich", meint der Mercedes-Pilot und begrüßt die Neuerung: "Ich finde es gut, denn jetzt haben wir Fahrer den Start wieder hundertprozentig in der Hand. Das bringt mehr Variabilität in die Starts."

"Wenn die Starts stärker manuell gesteuert werden, ist das eine gute Sache", findet auch Valtteri Bottas. "Ich freue mich darauf, es wird interessant", sagt der Williams-Pilot, der genau wie das Mercedes-Duo Hamilton/Rosberg während der freien Trainings in Budapest schon Testläufe absolviert hat.

Rosberg hatte noch nie das Kommando

Auf die Frage, wann er in der Formel 1 das letzte Mal selbst das Kommando über den Start hatte, antwortet Rosberg: "Noch nie." Zwar mussten die Fahrer schon bisher gewisse Einstellungen selbst vornehmen, aber die Ingenieure hätten dabei stets geholfen, merkt der Deutsche an, der seit 2006 in der "Königsklasse" antritt.

Während Rosberg der Premiere der neuen Startprozedur entspannt entgegenblickt, hält sich Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen mit einem Urteil noch zurück. "Wir werden in Spa sehen, ob es wirklich einen Einfluss darauf hat, wer gut und wer weniger gut startet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch schwer abzuschätzen. Eines ist aber klar: Für die Teams und für die Fahrer wird es komplizierter. Die Chance, etwas falsch zu machen, ist sicherlich größer", so der Finne.

Lotus-Pilot Pastor Maldonado ist überzeugt, die Starts würden auf jeden Fall weniger konstant werden: "Man wird einfach nicht wissen, wo der Schleifpunkt der Kupplung ist. Diese Informationen haben wir vom Team bislang immer bekommen. Das selbst herauszufinden wird unmöglich sein, weil das alles elektronisch passiert".

Kimi Räikkönen hinterfragt Änderung

Räikkönen hinterfragt, dass die Startprozedur überhaupt geändert werden musste. "In einer idealen Welt sollte es solche Änderungen gar nicht geben, doch leider gibt es diese bei uns in der Formel 1 recht häufig. Es liegt an uns Fahrern, auch künftig so gut wie möglich von der Linie wegzukommen. Inwiefern das eine oder andere Team darunter leidet oder eben davon profitiert, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen."

Maldonado glaubt, dass sich die Änderungen langfristig gesehen vor allem auf die Teams auswirken werden: "Für die Fahrer werden die Starts gleich bleiben, aber das Auto ist nicht dafür konzipiert, den Start so durchzuführen, wie es die FIA jetzt will. Deswegen wird es mehr auf die Teams ankommen und nicht die Fahrer."

Drohen in Spa "Katastrophenstarts"?

Drohen deshalb auf der Ardennen-Achterbahn in Spa "Katastrophenstarts" mehrerer Fahrer und Teams? "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon", will sich Maldonado überraschen lassen, ist aber überzeugt: "Keiner wird für Spa das Auto umbauen, denn es müsste schon eine bedeutende Veränderung am Getriebe vorgenommen werden."

Niki Lauda bestätigt das. "Der Fahrer muss jetzt das auswendig machen, was ihm normalerweise gesagt wird. An der Technik hat sich aber nichts verändert", so der dreimalige Weltmeister gegenüber RTL in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender des Mercedes-Teams.

So kommt Williams-Pilot Felipe Massa, der in Silverstone von Startplatz drei geradewegs in Führung ging und im vergangenen Jahr sogar eine Trophäe für den besten Start bekam, zum Schluss: "Ich glaube, dass ich beim Start auch weiterhin konkurrenzfähig sein werde. Ich hatte immer großartige Starts. Ich denke nicht, dass es viel ändern wird. Man hat zwar weniger Informationen, aber die Abläufe sind immer noch die gleichen."

Der Start zum Grand Prix von Belgien wird zeigen, ob Massas Überzeugung gerechtfertigt ist oder ob sich die vorsichtigen Bedenken von Maldonado und Räikkönen bewahrheiten werden ...

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