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Formula Student Austria 2010

"Wir haben Wege, sie einzubremsen!"

Blick hinter die Kulissen der Formula Student: Einer der Chef-Juroren erläutert für Motorline.cc die Hintergründe des Studenten-Contests.

Johannes.Gauglica@motorline.cc

Pat Clarke hatte für die Formula Student Austria am Wachauring die wohl weiteste Anreise. Wie viele andere auch absolvierte der Australier die Events in Hockenheim und Melk quasi als Doppelveranstaltung. Seine Rolle bei den Bewerben der Formula Student ist eine ganz besondere, nämlich die eines Moderating Judge:

"Wir stellen sicher, dass das Niveau der einzelnen Bewertungen gleichmäßig bleibt. Damit erreichen wir stets nachvollziehbare Resultate. Und weil dies ja ein neuer Event ist, erst in seinem zweiten Jahr und erst heuer ein offizieller Bestandteil der weltweiten Serie der Formula SAE und Formula Student, haben wir uns im Mai in Michigan darauf verständigt, herzukommen und mitzuhelfen. Ich selbst mache das seit 1994, mein Kollege Steve Fox seit 1998; somit haben wir einiges an Erfahrung und werden damit hoffentlich die Punkterichter dabei unterstützen, das richtige Bewerten zu erlernen."

Für diese Rolle bringt er viel Routine mit: "Ich bin auch der Chief Design Judge für den australischen Bewerb der Formula Student und war ein Senior Design Judge bei der Formula SAE in Michigan vorigen Mai; voriges Jahr war ich ein Moderating Judge bei der britischen Veranstaltung. Denn wenn man vier oder fünf verschiedene Gruppen von Punkterichtern hat, muss man deren Beurteilungen gegeneinander abwägen. Ich halte hier die Augen offen und bereite mich auch stets entsprechend vor. Vor dem Bewerb habe ich jeden Design-Report all dieser Studenten gelesen, jetzt weiß ich über jedes dieser Autos Bescheid. Das war, bevor ich nur einen Fuß auf dieses Gelände gesetzt habe. Ich hatte auf meiner Flugreise von Sydney nach Europa vierundzwanzig Stunden Zeit zum Lesen!"

Wie & Warum

Denn auf den Punkterichter lauern mannigfache Tücken: "Bei noch unerfahrenen Juroren sehen wir oft ein Problem: Sie lassen sich vom Auto blenden. Aber ums Auto an sich geht es nicht. Dies ist ein Technik- und Designwettbewerb; es geht um die Studentinnen und Studenten und ihr Design. Wir schauen uns natürlich das Auto an und sehen damit, was sie gemacht haben; aber wir wollen ja verstehen, weshalb sie es so gemacht haben, warum sie in ihrem Entwurf diese Entscheidungen getroffen haben. Was wir also nicht wollen, ist dass die Preisrichter womöglich sagen "wow, was für ein phantastisches Auto" – aber tatsächlich haben die Leute, die das Auto in Wahrheit entworfen haben, schon vor fünf Jahren ihr Studium abgeschlossen! Und keiner im Team weiß um das "Warum" der Designentscheidungen. Deshalb muss man auch immer dieses "Warum" hinterfragen."

Das macht den Bewerb für Außenstehende mitunter schwer nachvollziehbar: "Ein Nebeneffekt ist dann natürlich, dass Beobachter das nicht verstehen können. Die fragen dann, wie konnte denn dieses eine Auto jenes andere im Design-Wettbewerb schlagen; das da ist doch ein viel schöneres Auto. Dem stimme ich dann womöglich auch zu; aber die Leute, die es hierher gebracht haben, haben nicht gewusst, warum es so ausschaut, wie es ausschaut."

Denn es gilt es sicherzustellen, dass das Team, das das Auto herbringt, sich dieses Auto vorher auch ausgedacht hat: "Diese Fahrzeuge haben eine Lebensspanne von einem Jahr, während dessen sie in jedem unserer Bewerbe auf der Welt genannt werden können. Wenn also ein Auto spät im Jahr, beispielsweise in Japan im September oder in Australien im Dezember erstmals teilnimmt, kann es schon sein, dass die ursprünglich beteiligten Studenten beim ersten Auftritt des Autos in Europa bereits nicht mehr an der Hochschule sind. Und die Studenten, die das Auto "geerbt" haben, fragen wir dann: Warum habt Ihr das so gemacht? Wenn wir dann hören müssen: Wissen wir leider nicht, der Designer ist nicht mehr dabei, dann werden sie nicht viele Punkte machen, obwohl es vielleicht ein brilliantes Auto ist. Wenn sie sich dagegen genügend eingearbeitet haben und das Wissen innerhalb des Teams entsprechend weitergegeben wurde, werden sie Bescheid wissen und auch gute Punkte machen."

Innerhalb der weltweiten Gemeinde der Formula SAE bzw. Formula Student erfüllt Pat Clarke noch weitere Rollen, zum Beispiel die eines technischen Beraters für alle Teams der deutschen Formula Student: "Wenn sie technische Ratschläge haben möchten, wenden sie sich an mich; ich schreibe außerdem für das Website der Formula Student Germany in unregelmäßigen Abständen einen Technik-Newsletter."

Am Wachauring...

"Eine phantastische Location!", meint Pat Clarke zum Wachauring. Auch verglichen mit Hockenheim, Silverstone, et cetera? – Die klingen bei näherer Betrachtung aber gar nicht mehr so glanzvoll:

"Naja, in Hockenheim fahren wir am Parkplatz, dort ist es holprig und staubig; den Beschleunigungsbewerb fahren wird dort auf der Zielgeraden, und dort machen dann alle ihre Fotos... – in Silverstone gibt es einen kleinen Rundkurs bei den Esses, eine lustige Sache. In Australien sind wir auf einem Verkehrssicherheitszentrum ähnlich diesem, in Michigan sind wir am Parkplatz des Michigan International Speedway. Somit ist das hier viel besser, weil eine richtige Rennstrecke! Voriges Jahr war ich nicht hier, denn da war es noch kein offizieller Event. Aber man hat hier schon gute Arbeit geleistet."

Auch in Bezug auf das Teilnehmerfeld ist die Formula Student Austria um einiges überschaubarer als andere Events: "Hier haben wir knapp dreißig teilnehmende Teams, davon ungefähr fünfundzwanzig benzingetriebene Autos, die anderen Elektroautos. Letztes Wochenende in Deutschland hatten wir neunzig Autos, zwei Wochen vorher achtundsiebzig in Großbritannien. In Amerika waren es ungefähr achtzig – über hundert Nennungen, aber einige "no shows"."

Die Veranstaltung am Wachauring also eine weitaus intimere Angelegenheit; Clarke sieht das positiv: "Denn man kann sich für die einzelnen Teams die nötige Zeit nehmen, so wie wir es hier zum Beispiel mit dem indischen Team machen. Wir wollen ihnen etwas weiterhelfen, obwohl das streng genommen nicht so ganz korrekt ist. Aber weil hier hier weniger unter Druck stehen, können wir sie unterstützen, damit sie auch zum Fahren kommen und etwas lernen."

...und auf der ganzen Welt

Mit Bewerben in ganz Europa, Australien, Japan und natürlich dem Ausgangspunkt in Amerika hat sich dieses Phänomen Formula Student weltweit ausgebreitet, was macht den Wettbewerb für technische Hochschulen attraktiv? Für Clarke ist das ganz eindeutig:

"Die Industrie hat verlauten lassen, dass die Absolventen der technischen Hochschulen großes Wissen in der Theorie mitgebracht haben, aber weniger praktische Fähigkeiten. Unser Mentor der der schon verstorbene Renningenieur war Carroll Smith, der als erster Senior Design Judge uns alle persönlich ausgewählt hat; er hat gerne gesagt: Die Studenten können sämtliche Materialberanspruchungen in einer Schraubenmutter ausrechnen, aber sie wissen nicht, in welche Richtungen man den Schraubenschlüssel drehen muss."

Denn die ausgebildeten TechnikerInnen sollen dann in der Praxis auch Arbeit finden: "Die Industrie bevorzugt Absolventen, die ein solches Programm durchlaufen haben, gegenüber denen, die nur gute Noten mitbringen. Denn sie wissen, dass sie dann einige Jahre darauf verwenden müssen, aus denen richtige Ingenieure zu machen. Diese jungen Leute hier sind echte Ingenieure. Sie arbeiten mit Deadlines im Rücken, mit Budgetgrenzen, sie verstehen was vom Projektmanagement. All das sind wichtige Dinge."

"Außerdem sehen die Universitäten, dass ein solches Programm von sich aus qualitativ bessere Studenten anzieht. Sie verwenden es also als Marketingwerkzeug für ihr Bildungsangebot, vor allem natürlich, wenn sie erfolgreich sind. Man zieht also bessere Studenten an, und wegen der Begeisterung, die sich mit den Teams verbindet, haben sie auch weniger Dropouts. Noch ein Aspekt, den die Universitäten selbst nicht so gern zugeben: Das Auto als Ganzes ist ja eigentlich ein Paket an Themen für Abschlussarbeiten. Das macht es den Professoren leicht, zu sagen: Deine Magisterarbeit ist die Entwicklung des Kühlsystems für das Auto; deine ist die Kalkulation für die Lenkung, oder was auch immer. Universitäten, die sich auf ein solches Projekt nicht einlassen, tun weder sich selbst noch der Industrie ihres Landes noch auch den Studenten selbst einen Gefallen."

Elektrische Formula Student: Ein neuer Aspekt

Der erfahrene Techniker und auch im Kartsport hat Benzin im Blut, und es spricht aus ihm bei seiner Einschätzung der Formula Student Electrid, die stark im Kommen ist: "Wir haben den ersten rein elektrischen Bewerb in Hockenheim abgehalten. Ich selbst weiß nicht so recht, was ich davon halten soll - okay, es ist wahrscheinlich in puncto Lärmbelastung und Emissionen die Zukunft, aber es lässt den Nervenkitzel etwas vermissen. Den Lärm und Gestank und all das! Wir sehen auch, dass die Studenten, die es in den elektrischen Bewerb zieht, eher die Elektrik- und Elektronik-Spezialisten sind. Aber ein Auto besteht natürlich aus mehr als der Elektronik. Man muss immer noch die Kraft auf die Straße bringen, man muss immer noch durch die Kurven kommen, das Auto braucht die nötige Verwindungssteifigkeit, es muss kontrollierbar und manövrierbar sein. Wir haben erkannt, dass einige der Elektroautos in diesen Bereichen hintennach sind. Sie mögen dann vielleicht vorbildliche elektronische Steuerungssysteme haben, aber sie fahren sich nicht sehr gut..."

Diese Autos sind also hirnlastiger als die anderen. Haben die Elektrofahrzeuge ihre eigenen Bewerbe oder beurteilt man sie gemeinsam mit den konventionellen Autos?

"Hier nehmen sie gemeinsam mit den anderen teil, denn es sind nur vier da. In Deutschland hatten wir knapp zwanzig Teilnehmer bei den Elektroautos, da war ein separater Bewerb möglich. Was interessant war: Nur drei elektrische Autos haben dort den Endurance-Bewerb beenden können. Wenn man sich das aus der Praxis überlegt: In einem Kanister Benzin steckt eine ganze Menge mehr Energie als in einem Akku. Man bringt die Energie schwerer hinein, kann sie schwieriger verwalten, und holt sie schwerer wieder heraus. Und währenddessen ist es auch gefährlicher, denn diese Systeme laufen mit ungefähr 600 Volt. Wir kontrollieren die Sicherheitseinrichtungen an den Autos für Nieder- und Hochspannungssysteme. Alle Elektro-Boxen haben auch Warnhinweise, Defibrillatoren sind griffbereit, und so weiter. Ich bin dennoch im Umgang mit den Fahrzeugen vorsichtig."

Apropos Vorsicht: Gibt es in der Formula Student eine Geschwindigkeitsbeschränkung? - "Es gibt kein fixes Limit, aber wir lassen keinen Platz fürs Schnellfahren. Die Formel ist an sich sehr frei. Der Motor darf maximal 610 ccm groß sein, mit 20 Millimeter großem Ansaugrestriktor, und ansonsten: Macht, was Ihr wollt! Aus diesem Hubraum und mit diesem Restriktor ergibt sich eine natürliche Leistungsgrenze von maximal 75 Kilowatt. Die Einzylindermotoren haben weniger, sie kommen vielleicht auf 60 Kilowatt. Die Autos wiegen nicht nicht viel weniger als 250 Kilogramm samt Fahrer."

Die Elektroautos sind schwieriger einzubremsen; "Ich war in die Organisation für den Elektro-Wettbewerb nicht involviert. Aber ich weiß, dass der Elektro-Sieger in Hockenheim, das Auto der Universität Stuttgart, zwei Motoren mit je 55 kW hatte, einen an jedem Hinterrad. Das konnten sie dann elektronisch steuern und bekamen damit sogenanntes Torque Vectoring, also ein Mitlenken der Hinterräder über die Motorkraft - sehr clever. Aber generell werden diese Autos nie schneller fahren als vielleicht 110, 120 km/h. Und wenn die Strecke uns zu schnell vorkommt, machen wir halt die Kurven enger! Wir haben unsere Wege, sie einzubremsen..."

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