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Wir klopfen auf Holz...

motorline.cc-Talk mit Karl Wendlinger, Teil 2: Über 1994, den schweren Unfall in Monaco, das schwierige Comeback und Karls Zukunft im Motorsport.

Text/Fotos: Michael Noir Trawniczek

1994 - das Unglücksjahr der Formel 1. An einem schwarzen Wochenende, einem der traurigsten der F1-Geschichte, in Imola, starben Roland Ratzenberger und Ayrton Senna. Wenig später, in Monaco, verunfallte Karl Wendlinger, lag danach tagelang im Koma. Auch heute kann sich der Tiroler an nichts mehr erinnern - der Unfall wurde vom Gehirn gelöscht.

Im zweiten Teil unseres motorline.cc-Gesprächs blicken wir zurück auf diese schwere Zeit. Die Autos wurden noch sicherer, die Formel 1 hat seitdem keinen Fahrer mehr verloren - wir haben auf Holz geklopft, damit das auch so bleiben möge...

Wenn man die Autos des Jahrgangs 1994 betrachtet - ohne dem seitlichen Nackenschutz zum Beispiel - die sehen ja im Vergleich zu den heutigen Autos doch recht gefährlich aus. Man fragt sich, wieso man euch damals überhaupt damit rausgeschickt hat. War diese tragische Unfallserie 1994 Zufall oder war man längst über dem Limit?

Karl Wendlinger: Man war nicht über dem Limit. Es war einfach ein Aufeinandertreffen von ungünstigen oder unglücklichen Zusammenhängen. Es hat 1992, 1993 genau die gleichen Autos gegeben und es ist nichts passiert. Der Unfall von Ayrton Senna - da hätte auch der seitliche Nackenschutz nicht geholfen, weil da hat sich ja ein Teil der Aufhängung durch den Helm gebohrt. Es ist gut, dass in punkto Sicherheit etwas getan wird - die Ereignisse damals waren sicher ausschlaggebend dafür, dass die Autos heute um vieles sicherer sind - aber wie gesagt, es war damals nicht unbedingt so, dass man über dem Limit war. Ich kann mich noch gut erinnern, da war das Freitagtraining in Imola, da hat es den Barrichello überschlagen - der hat sich ein bisschen am Kinn weh getan. Und wir alle haben gesagt: In der Formel 1 kann dir nichts mehr passieren. Und am nächsten Tag war der Roland Ratzenberger tot. Eben. Wie man so sagt: Wenn's blöd läuft, dann läuft es blöd. Warum auch immer...

Meinst du, dass so etwas wieder kommen könnte?

Karl Wendlinger: Ich glaube, wir sind heute schon lange Zeit verschont vor Verletzungen...

Auf Holz klopfen.

Karl Wendlinger: Genau, auf Holz klopfen. (klopft auf seinen Kopf) Auf der anderen Seite, wenn es darum geht: Seitenaufprallschutz ja oder nein. Wenn dir einer mit 200 km/h frontal reinfährt, da nützt dir der auch nichts. Es ist immer noch weiterhin Gefahr gegeben. Wie immer im Motorsport, die Autos sind schnell, da kann dir auch etwas passieren.

Manche Piloten schildern, dass sie, beispielsweise nach einem Feuerunfall, beim ersten Einsteigen in den Boliden Gänsehaut bekommen haben, weil der Körper gespeichert hat, dass es beim letzten Mal so böse weh getan hat. Wie war das bei dir, als du wieder ins Auto gestiegen bist nach deinem schweren Unfall?

Karl Wendlinger: Bei mir war es eine große Freude. Ich bin im September das erste Mal wieder Formel 1 gefahren, in Le Castellet, bei einem Test - ich hatte eine große Freude, dass ich wieder fahren darf.

Du hast ja eine Erinnerungslücke und kannst dich an die Zeit vor dem Unfall und auch an den Unfall selbst nicht mehr erinnern - was glaubst du, war das eine Art Schutzfunktion des Gehirns, sodass man einfach wieder unbeschwert fahren kann?

Karl Wendlinger: Das hatte damals sicher nicht nur mit dem Fahren zu tun, weil ich ja auch wenn ich nicht mehr gefahren wäre nichts mehr gewusst hätte. Ich glaube einfach, dass der Körper den Schock, den man bei einer solch schweren Verletzung erleidet, verdrängt und deshalb kann man sich an nichts erinnern. Das war ein gewisser Selbstschutz, um einfach diesen Augenblick zu vergessen. So ist es mir auch von den Ärzten erklärt worden. Damals war es mir sehr Recht, dass ich mich an nichts erinnern kann. Heute denk ich mir schon öfter, dass es gut wäre, wenn ich mich an etwas erinnern könnte - dann wüsste ich, warum es passiert ist.

Kehren da nicht zumindest kleine Momente zurück, mit der Zeit?

Karl Wendlinger: Gar nichts. Keine einzige Sekunde, nichts.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass du nach dem Unfall langsamer warst...

Karl Wendlinger: Ja. Eine gewisse Zeit war ich sicher langsamer, weil die Nachwirkungen einer solchen Verletzung schon drastisch sind. Es ist ja nicht nur so, dass es um die Verletzung ging - sondern es ging auch um das Konzentrationsvermögen, Koordination und so weiter - das war alles stark gestört.

Hast du das deutlich gespürt, dass du noch nicht hundertprozentig am Damm warst?

Karl Wendlinger: Ja, ich habe das gespürt, weil ich mich einfach nicht mehr konzentrieren konnte. Als ich dieses Comeback in der Formel 1 hätte schaffen sollen, da hatte ich Konzentrationsprobleme. Und wenn du dich beim Bewegen eines Formel 1-Autos nicht mehr konzentrieren kannst, dann bist du auch nicht schnell. Dann irgendwann waren die Konzentrationsprobleme wieder weg - nur: Da war auch kein Formel 1-Auto mehr da. (lacht).

Wäre es aus heutiger Sicht besser gewesen, eine längere Pause zu machen?

Karl Wendlinger: Ja. Das wäre sicher besser gewesen. Nur hätte es dann auch keinen Einstieg mehr gegeben. Wenn ich gesagt hätte, ich brauche jetzt ein Jahr zur Rehabilitation, dann hätten sie gesagt: 'Naja, dann viel Glück!'

Danach bist du FIA-GT Weltmeister geworden. Und dann warst du auch in der DTM unterwegs. Da gibt es doch diese Diskussion - die einen sagen, die DTM-Autos sind wunderbar, die anderen sagen, das sind keine Tourenwagen sondern quasi Retortenautos. Du bist zwei Jahre mit einem solchen Boliden gefahren - deine Meinung?

Karl Wendlinger: Das sind hochentwickelte Rennautos, gute Rennautos, schnelle Rennautos. Und eine starke Serie, hart umkämpft.

Du bist als Berufsrennfahrer schon mit fast allen Autos gefahren - nur in Amerika, im Nudeltopf, hat man dich noch nicht gesichtet. Wie schaut's aus mit IRL, Champ Car?

Karl Wendlinger: Nein, so ein Oval sagt mir nicht zu, daran habe ich kein Interesse.

Und Rallye?

Karl Wendlinger: Auch nicht.

Wist du wie der Dieter Quester auch mit 66 noch deine Runden drehen?

Karl Wendlinger (lacht): Nein, auch nicht. Ich werde noch einige Jahre in der Rundstrecke bleiben und dann werde ich es irgendwann einmal sein lassen.

Kannst du dir vorstellen, in einer anderen Rolle im Motorsport zu bleiben? Beispielsweise als Teamchef oder etwas in der Art?

Karl Wendlinger: Naja, das kommt immer darauf an, welche Betätigung ich im Motorsport hätte.

Alles klar - danke für das Gespräch und viel Glück bei den letzten beiden Saisonrennen in Dubai und Bahrain!

Karl Wendlinger: Danke, gern geschehen.

Den ersten Teil des Gesprächs mit Karl Wendlinger finden Sie in der Navigation rechts.

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