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Mit dem neuen Bentayga baut Bentley den eindrucksvollsten Geländewagen für das Luxus-Segment. Wir testen die 608 PS starke Naturgewalt.

Jürgen Zöllter/mid

Mit dem neuen Bentayga baut Bentley den aktuell eindrucksvollsten Geländewagen für das Luxus-Segment. Mit 447 kW/608 PS heizt sein 6,0-Biturbo-W12-Aggregat stärker ein, als die aufgeladenen V8-Triebwerke eines Porsche Cayenne S oder Range Rover Sport SVR.

Seine Leistung ermächtigt zu einer Spitzengeschwindigkeit von 301 km/h, die selbst den Dynamik-Meister Porsche Cayenne Turbo S blass aussehen lässt.

Ob man mit ihm so schnell unterwegs sein möchte, ist eine Frage des Piloten-Temperaments und der Kapazität seiner Bremsanlage. Die beißt zwar kräftig zu, dennoch kann man die Stahlbremse in Sachen Standfestigkeit an die Grenzen ihrer Kapazität treiben. Eine Keramik-Bremse, so ist zu hören, werde später angeboten.

Mit mindestens 2.440 Kilo qualifiziert sich der Bentayga nämlich als Sumo-Ringer - das gilt auch in Bezug auf sein Blechkleid. Denn trotz des leicht schrägen Heckabschlusses und seiner muskelbepackten Flanken, die den Fünftürer dynamischer wirken lassen sollen, gleicht seine Erscheinung einem Ringkämpfer der Königsklasse.

Und der neue Bentley-Bulle muss Qualitäten zeigen, die sich auf den ersten Blick nicht erschließen. Um sie aufzuspüren, treiben wir den Bentayga einen Tag lang über Stock und Stein, und natürlich über Asphalt.

Beeindruckt sind wir nach dem Einstieg durch die weit öffnenden Türen, der dem Aufstieg in eine Kommando-Zentrale gleicht. In edles Leder gefasstes Sitzmobiliar erwartet uns dort, gut konturiert und mit Sitzauflage im Chefsessel-Format.

Die vorderen 22-fach verstellbaren XXL-Sitze können nahezu jedem Körperbau angepasst werden. Schließlich sollen hier zierliche Chinesinnen wie gut genährte Scheichs ein Zuhause finden.

Wer die Einzelsitzanlage im Fond wählt, kann auch Auflagen und Lehnen vielfach verstellen, was die Vermutung nahelegt, dass hier nicht nur Familienmitglieder des Bentayga-Besitzers Platz nehmen werden, sondern mitunter auch der "Hausherr" selbst. In Asien und dem Mittleren Osten gehört in den besitzenden Kreisen ein Chauffeur bekanntlich zum Inventar.

Die Kommando-Zentrale mit Multifunktions-Lenkrad folgt stilistisch betrachtet der Vielvölkerkultur des aktuellen Automobilbaus: Das Layout mit geschwungenen Wülsten spiegelt das bekannte Bentley-Muster wider.

Im Verein mit aus dem Vollen gefrästen Alu-Luftauslässen, üppig verlegtem Holzfurnier und in Chrom eingefassten Schalteinheiten bedient es den Geschmack des britischen Jagd-Adels - oder derer, die gern dazu gehören würden.

Im Detail erkennt man logisch gruppiert Funktionseinheiten, die der Ratio des Mutterhauses Volkswagen folgen. Daran ist nichts verkehrt. Höchstes Lob indes gebührt jenem Bentley-Verantwortlichen, der die beiden analogen Rundinstrumente im Cockpit durchgesetzt hat.

Wie Inseln im Meer digitaler Flachanzeigen stehen sie für die Hochwertigkeit skulpturhafter Dinge, die in modernen Autos zunehmend den Erbsenzählern des Controlling zum Opfer fallen.

Per Knopfdruck auf den "Charisma"-Schalter, über den man auch die Fahrdynamikregelung vorwählt, erwacht das 6,0-Zwölfzylinder-Aggregat. Seidenweich und tief frequent summend erwartet es den ersten Gasstoß, nimmt ihn spontan an, hebt die Stimme und wuchtet mit Unterstützung zweier Turbolader ein Kraftpaket auf die Kurbelwelle, das verblüffende Fahrdynamik spendet.

Mächtige 21-Zoll-Walzen beißen sich in den Asphalt und schieben den 5,14 Meter langen, zwei Meter breiten und 1,74 Meter hohen Bentayga so nachhaltig an, dass man kaum glauben mag, in einem 2,4-Tonner zu sitzen.

Akustisch untermalt wird das Spektakel vom leisen Rauschen der abrollenden Räder und dem bösen Grollen aus Richtung Abgasanlage. Für Außenstehende mehr präsent als für Passagiere, erinnert der Sound weniger an einen Sportwagen, als an den rollenden Donner eines herannahenden Gewitters.

Nur 4,1 Sekunden vergehen, bis 100 km/h erreicht sind. Damit liegt der große Wagen gleichauf mit einem Porsche 911 Carrera, was allein schon bemerkenswert ist.

Dass der Bentley-Dampfhammer dem Sportwagen am Ende der Beschleunigung sogar den Schneid abkauft, zählt zu den Widersprüchen der modernen Automobilwelt. Wenn der Bentayga 301 km/h Höchstgeschwindigkeit erreicht, ist dem Porsche bereits die Puste ausgegangen.

Mehr noch beeindruckt seine Leichtigkeit und Wendigkeit. Ein Luftbett verlängert Federwege oder reduziert die Bodenfreiheit in Schritten ab 80, 160 und über 240 km/h.

Dafür duckt sich der Bentayga vorn und hinten unabhängig voneinander zum Asphalt, um die Balance des Fahrzeugaufbaus im Fahrtwind zu optimieren. Nicht minder beeindruckend ist die stoische Ruhe, mit der das Luftfederfahrwerk die Straßen-Unebenheiten glattbügelt.

Die großkalibrigen Geländewagen oft eigene Schwammigkeit ist dem Bentayga fremd. Verantwortlich dafür zeichnet die gefühlvoll abgestimmte geschwindigkeitsabhängige Lenkung.

Traktionsprobleme kennt der Bentayga sogar auf den bei Arabern so beliebten Spielplätzen - den malerischen Wanderdünen - keine. Ein spezieller Dynamik-Modus justiert Bodenfreiheit, Gasannahme, Schaltstufen der Achtgang-Automatik und optimiert die Kraftverteilung fürs wilde Treiben im schwersten Terrain für automobiles Großwild.

Wer hier nach einem Untersetzungs-Getriebe sucht, lernt rasch, warum der Bentayga darauf verzichten kann. Mit bis zu 900 Nm Drehmoment, das bereits ab 1.350/min anliegt, wird Dünen-Surfen mit 2,4 Tonnen Eigengewicht zum leicht kontrollierbaren Treiben.

Einzig die Gasannahme bei langsamem Kriechen über Felsstrecken könnte weicher sein. Die Kontrolle über so unbändige Kraft fällt schwer.

Natürlich ist die Frage nach dem Treibstoffhunger dieses gewaltigen Bentayga erlaubt. Obwohl sie nur von jenen gestellt wird, die sich den Bentley nicht leisten werden. Dass die offizielle Angabe von durchschnittlich 13,1 Liter je 100 Kilometer in der Praxis kaum erreichbar ist, darf niemanden verwundern.

Obwohl die Entwickler mit kombinierter Direkt- und Saugrohr-Einspritzung, Zylinderabschaltung und Start-Stopp-Automatik möglich machen, was aktuell geht.

Für den Bentayga greift Bentley auf den weiterentwickelten Modularen Längsbaukasten (MLB) der Volkswagen-Gruppe zu. Doch 80 Prozent Eigenanteil sichern Bentley-Exklusivität, wie Entwicklungsvorstand Rolf Frech erklärt.

In den gleichen Baukasten greift Audi für den neuen Q7 und den kommenden Q8. Erstmals im Bentayga kommen zudem Baugruppen des neuen Modularen Elektrik-Konzernbaukasten (MIB) zum Einsatz. Das System wird von einer 48-Volt-Einheit für sehr kurze Reaktionszeiten gesteuert.

Mit dem mindestens 270.340 Euro (Deutschland: 208.500 Euro) teuren Bentayga baut Bentley ein Leittier für die rasch wachsende Herde multifunktioneller Allradler, dem Schwestermodelle folgen werden.

Etwa ein Bentayga mit 4,2-l-V8-Dieselaggregat aus dem Regal von Audi für europäische Märkte und einer mit Plug-in Hybridantrieb aus dem Technik-Baukasten von Porsche für amerikanische und asiatische Märkte.

Sie mögen auf der Straße nicht ganz so leistungsstark wie das Leittier sein, werden der britischen Marke aber zu einer in ihrer fast 100-jährigen Geschichte nie dagewesenen Strahlkraft verhelfen.

Bereits mittelfristig könnte Bentley jährlich 20.000 Einheiten absetzen. Dass die Marke wachstumsbegleitend demnächst eigene Wälder für den Furnierbedarf und Nutztiere zur Belederung bewirtschaften werde, ist indes nur ein Auswuchs des britischen Humors.

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