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„Es wurde immer stärker“

Teil 2 des Interviews mit Helmut Neverla: Wie er in der legendären Werkstatt von Karl Obrecht „richtig lancia-blöd“ wurde, was danach geschah…

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Archiv Neverla, motorline.cc

Parallel zu deiner nunmehr erfolgreichen Beifahrerkarriere hast du dich aber auch beruflich der Technik gewidmet, im gleichen Jahr hast du bei der legendären Firma Obrecht zu arbeiten begonnen.

Es war so, dass es wie bei einem Heroinsüchtigen immer stärker geworden ist (lacht). Ich hatte damals das Glück, dass im gleichen Jahr, in dem ich zu Karl Obrecht gekommen bin, im Jahr 1970 Lancia nach Österreich gekommen ist. Obrecht war damals die einzige Lancia-Werkstatt in Wien. Da hat die 1000 Minuten-Rallye erstmalig zur Europameisterschaft gezählt, vor allem aber auch zur italienischen Meisterschaft. Da kam Lancia mit drei Werksautos nach Österreich. In einem der Werksautos saß der Simo Lampinen – der Beifahrer musste in der damaligen Zeit auch das Roadbook erstellen und ich wurde abkommandiert, ich musste mit dem Mario Manucci das Roadbook für das gesamte Lancia-Werksteam erstellen. Ich habe dann alle kennengelernt: Daniel Audetto, Harry Källström – mit allen, die heute noch leben, habe ich immer noch Kontakt. Mit dem Mario Manucci, dem legendären Beifahrer von Sandro Munari habe ich bis zu seinem Tod immer Kontakt gehalten.

Dieser Kontakt hat dich ja auch wesentlich beeinflusst, nicht wahr?

Seither bin ich richtig Lancia-blöd. 1971 hat sich mein damaliger Chef einen Lancia gekauft, den haben wir präpariert für die Alpenfahrt 1971. Leider sind wir an zweiter Stelle liegend ganz knapp vor dem Ziel ausgeschieden – das war eine meiner schönsten Rallyes. Im Gegensatz zu den heutigen Rallyepiloten sind wir auch in der Nacht gefahren. Ich sage immer: Die jungen Buben heutzutage – wenn es finster wird müssen sie ins Bett schlafen gehen. Rallyefahren hatte damals eine andere Bedeutung als das heute der Fall ist. Damals ging es um das Durchhaltevermögen, heute geht es nur noch um Geschwindigkeit.

Wenn wir bei der Zeit, Anfang der Siebzigerjahre bleiben – da gibt es historische Fotos, wo du immer wieder als Fahrer auftauchst. Weltweit – wo sich die Menschen fragen: ‚Wer ist dieser Neverla?‘ Wie kam es dazu?

1971 kam Sandro Munari nach Österreich, als Führender der Europameisterschaft. Damals war das Reglement so, dass in jeder Klasse mindestens fünf Autos starten mussten, um volle Punkte zu erhalten. Da das speziell in der GT-Klasse Gruppe 4 nicht immer gegeben war, war Lancia vorsichtig und hat zwei Autos zusätzlich genannt. Mich haben sie in ein Trainingsauto hineingesetzt, mit dem Daniel Audetto als Beifahrer. Ich sage immer im Scherz: Nach mir ist er aufgestiegen und ist Lancia- und später auch Ferrari-Rennleiter geworden, auch in der Lauda-Ära war er das, ein guter Freund von Luca di Montezemolo. Ich habe heute noch Kontakt mit Audetto – wir sind in so vielen Büchern abgelichtet, Helmut Neverla und Daniel Audetto, aber keiner kennt mich. Aber ich bin in einem Werksauto gesessen.

Dabei hätte der Helmut Neverla auch ein erfolgreicher Fahrer werden können – da hat es ja 1980 einen Test gegeben, mit dem Heribert Werginz, der zu der Zeit als Pilot tätig war, für ihn hast du schnelle BMW gebaut. Bei diesem Test hast du das Auto ausprobiert – und warst prompt schneller als Werginz…

Damals war ich sehr stark beteiligt am Aufbau dieses BMW 635 – das war das erste Auto dieser Sorte, das es in Europa gegeben hat. Da haben wir in der laufenden Saison auf dem Salzburgring einen Test abgehalten – wir waren ja zu diesem Zeitpunkt allesamt Amateure und da nahmen wir uns Zeit, um den Wagen ausgiebig zu testen. Am Ende des Tages schlugen meine Mechaniker vor, dass ich den Wagen ausprobieren soll. Ich habe abgelehnt: ‚Das ist mir doch viel zu schnell! 350 PS! Um Gottes Willen!‘ Aber sie haben so lange auf mich eingeredet, auch der Herr Werginz hat das gutgeheißen – also bin ich halt gefahren. Am Anfang habe ich mich gefürchtet vor dem Auto, ich hatte damals einen BMW mit 130 PS, mit beinahe dreimal so viel Power war es am Anfang für mich wirklich furchterregend. Aber nach einigen Runden ging es und ich bin draufgekommen, dass es mit warmen Racingreifen viel leichter geht als mit normalen Straßenrädern.

Dann bin ich natürlich ein bisschen mutig geworden – ich bin auf dem Salzburgring, der fahrerisch jetzt nicht extrem anspruchsvoll ist, gefahren und nach einigen Runden habe ich gesehen, dass die Mechaniker an der Box auf und ab gesprungen sind. Wie so Hampelmänner – ich habe mir nur gedacht: ‚Okay, das ist halt mein Fanklub‘. Irgendwann wurde ich dann zu übermütig und es hat mich extrem quergestellt, wo ich im Anschluss die Hosen voll hatte.

Ich bin sofort an die Box gefahren – und die Mechaniker klatschen und sagen: ‚Du warst schneller als der Werginz!‘ Das habe ich zunächst gar nicht glauben können, ich war auch nur einen Hauch schneller als er. Der Heribert war damals nicht beleidigt, aber halt ein bisschen angefressen, dass ich schneller war. Vielleicht wäre er dann ja auch wieder schneller gewesen, ist ja nicht so wichtig – es hat Spaß gemacht. Und da ich immer schnelle BMW hatte mit tollen Fahrwerken, war es auch relativ leicht, sich an den starken BMW zu gewöhnen. Vielleicht hätte ich Talent als Fahrer gehabt – ob an mir ein Formel 1-Weltmeister verloren gegangen ist, weiß ich nicht, keine Ahnung.

Im gleichen Jahr, 1980, hättest du auch bei Audi arbeiten können, als Techniker, du hast dich aber für die Selbständigkeit entschieden. Im Vorgespräch hast du gemeint, das sei womöglich eine deiner größten Fehlentscheidungen gewesen. Warum?

Bis 1980 war ich in einer BMW-Werkstätte in Wien beschäftigt – doch dann habe ich mich mit meinem damaligen Chef wegen privaten Angelegenheiten überworfen. Ich habe diese Firma verlassen und einer der Mechaniker des Franz Wittmann, ein gewisser Max Ogrisek, sagte zu mir: ‚Wenn du Lust hast, komm zu Audi!‘ Porsche Salzburg hatte damals einen Vertrag mit Audi, weil der Wittmann ja einen Audi quattro gefahren ist – Audi musste damals drei Mechaniker auf Kosten von Porsche Salzburg anstellen.

Ich war schon im November bei Audi zu Besuch – und nach dem ersten Gesamtsieg von Wittmann bei der Jännerrallye bin ich noch einmal ins Werk gegangen, da wurde dort das Auto von Michele Mouton aufgebaut. Das war damals für meine Begriffe sensationell, wir hatten 64 Serviceautos – wir sind auf der Autobahn gefahren, von Ingolstadt in Richtung Frankreich, ich hatte damals ein Eisspion-Auto, einen neuen 80er-Audi, so etwas habe ich bis dahin noch nie erlebt.

Das Schlimme war aber, dass Audi damals eine sehr teure Laienspielgruppe war - alle wollten nur Geld verdienen. Das waren Leute, die Häuser gebaut haben und Schulden hatten, und da haben sie halt schnelles Geld verdient. Zugleich hatten sie eigentlich keine Ahnung von irgendwas, wirklich völlig ahnungslos. Ich habe ihnen halt geholfen dabei, Servicepläne zu lesen, Karten zu lesen und so weiter, doch das hat alles nicht funktioniert.

Damals war der Herr Ferdinand Piech der Technikchef von Audi. Er hat die gesamte Quattro-Geschichte ins Leben gerufen. Damals schon war der komplette Audi-Vorstand bei der Rallye Monte Carlo, alle mit weißen Anoraks mit dem Audi-Schriftzug ausgerüstet, also alles wunderbar. Die Mouton war schon lange draußen, da hat der Hannu Mikkola ziemlich überlegen geführt und dann hat er das Auto weggeworfen. Er ist mit drei Rädern ins Ziel gekommen, als Allradler konnte er das – für die Presse war das ein gefundenes Fressen. Bei der Monte war es damals so, dass man der Rallye immer nachfahren musste als Servicemann. Du hattest nie viel Zeit, maximal 25 bis 30 Minuten war die längste Zeit, um an den Autos zu arbeiten. Das Auto hatte aber mit der Breitseite diese kleinen französischen Steinmauern gefressen – vorne und hinten war das Auto verbogen. Sie haben auf der Etappe das Auto repariert und irgendwo haben sie dann die Lenkung getauscht. Mikola kam direkt nach der SP zu uns ins Service und er wird gefragt, ob das Auto nun gerade fährt. Und er sagt, dass es wesentlich besser ist, aber gerade fahren würde das Auto noch immer nicht.

Wir haben das Auto aufgehoben und haben entdeckt, dass die Hinterachse verbogen ist. Der hatte ja auch hinten Spurstangen, man hat ja die Vorderachse quasi hinten noch einmal eingebaut. Eine dieser Spurstangen war verbogen, die mussten wir wechseln und damit war das Problem gelöst. Die Herren vom Vorstand haben damals getankt und Fenster geputzt. Ich schmeiße mich unter das Auto und irgendeiner in einem weißen Anorak legt sich zu mir und gibt mir das Werkzeug – das war der Herr Piech persönlich. Er hat mir bei diesem Einsatz assistiert.

Vor einigen Jahren habe ich ihn in Salzburg bei einer Oldtimer-Messe gesehen, er ging mit seiner Frau durch die Halle und ich habe all meinen Mut gebraucht und ihn gefragt: ‚Sie wissen eh, dass wir schon gemeinsam im Dreck gelegen haben?‘ Da hat er gemeint, er könne sich zwar daran erinnern, aber nicht, dass ich es war, der da unter dem Auto lag, es war ja auch finster. Dann haben wir ein bisschen Smalltalk geführt und dann ging er weiter. Das war mein Erlebnis mit dem Herrn Piech, den ich sehr schätze, das ist in meinen Augen ein ganz toller Mann der Autobranche.

Trotzdem hast du aber das Audi-Angebot ausgeschlagen – warum?

Nach der Rallye fuhr ich nach Ingolstadt, das Serviceauto zurückbringen – da wurde ich gefragt, ob ich nicht bei Audi arbeiten will. Sie meinten, es wäre eine Bereicherung für sie. Und sie haben mir wirklich viel Geld angeboten. Sie haben mir ein halbes Haus angeboten. Es war wirklich ein tolles Angebot – aber aus familiären Gründen habe ich abgelehnt. Ich habe mir eingebildet, dass ich eine eigene KFZ-Werkstatt brauche. Die habe ich dann auch in Wien eröffnet und ich hatte sie danach auch 30 Jahre lang. Diese 30 Jahre gab es den Motorsport für mich nur noch am Papier.

Ich habe mir dann aber doch einmal einen Lancia gekauft und habe diesen in mühevoller Kleinarbeit in rund 1.000 Arbeitsstunden aufgebaut. Ich sage immer ich bin wie viele verkappten Rennfahrer Oldtimer-Rallyes gefahren, von der Ennstal-Classic abwärts alles, was es in Österreich gegeben hat, Alpenfahrt und so weiter. Ist natürlich nicht zu vergleichen mit einer modernen Rallye – aber es war halt eine Ersatzbefriedigung und es hat Spaß gemacht. Bis vor ein paar Jahren bin ich da regelmäßig gefahren – aber dieser Sport wird immer eigenartiger und deshalb habe ich das dann aufgegeben. Der Walter Röhrl sagt, dass Gleichmäßigkeitsrallyes eine ‚Zehntelsekundenwichserei‘ sind und genauso ist es auch.

Wie ging es dann nach der Werkstatt weiter? Wie bist du wieder in den Motorsport zurückgekehrt?

1998 bin ich hier her nach Niederösterreich gezogen und hatte noch sehr enge Kontakte mit dem Herrn Sepp Pointinger. Wir haben uns regelmäßig zum ‚Benzinreden‘ getroffen und dann kam eben die Idee mit der OSK. 2011 hatte ich bereits die Idee, dass ich mich zur Ruhe setze und da ging es eben darum, ob ich künftig bei der OSK arbeiten möchte.

Im dritten Teil, am 30. Dezember auf motorline.cc, lesen Sie, wie es Helmut Neverla in seiner ersten Zeit als OSK-Rallye-Cheftechniker ergangen und wie zufrieden er mit dem bislang Erreichten ist. Warum die OSK ein Nachwuchsproblem hat. Warum die Reglements immer komplizierter werden und zugleich niemand die Ausschreibung liest. Und: Warum es beim Thema „Abgelaufene Rennsitze“ keine Toleranz geben kann…

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