Rallye: Backstage | 24.12.2014
Im Gespräch mit Rallye-Cheftechniker Helmut Neverla
Helmut Neverla, Rallye-Cheftechniker der OSK, erzählt von seinen Abenteuern als Copilot und Techniker und nimmt Stellung zu aktuellen Fragen. Teil 1: Wie Jochen Rindt beim jungen Neverla einen bleibenden Eindruck hinterließ...
Eigentlich hatte Helmut Neverla das Kapitel Motorsport bereits für beendet erklärt – doch 2012 folgte er dem Ruf der Obersten Nationalen Sportkommission (OSK): Der gerichtlich beeidete Sachverständige für KFZ-Technik fungiert seither als OSK-Cheftechniker für Rallyeveranstaltungen in Österreich, mit Schwerpunkt auf der Österreichischen Rallye-Staatsmeisterschaft (ORM).
Neverla, dem im Jahr 2013 der Titel Kommerzialrat verliehen wurde, hat motorline.cc schon im Spätsommer ein ausführliches Interview vorgeschlagen. Nach dem Motto: „Ich habe das Gefühl, dass viele, vor allem jüngere Fahrer nicht wissen, dass ich sehr wohl auch über Erfahrungen auf der aktiven Seite verfüge. Ich möchte mich gerne den Fahrern, die ja unsere Kunden sind, und auch allen anderen näher vorstellen.“ Und weil so etwas nur gut sein kann im Sinne einer Klimaverbesserung zwischen Aktiven und Funktionären, haben wir daraus eine mehrteilige „Weihnachts-Serie“ gebastelt, deren Finale aus einem in den nächsten Tagen angesetzten Interview zur aktuellen Lage besteht.(Fragen-Vorschläge per Mail an die Redaktion)
Im ersten Teil unseres auf seiner gemütlichen Veranda geführten Gesprächs blickt Helmut Neverla zurück auf seine von der Liebe zum Motorsport geprägten Kindheits- und Jugendjahre. Zugleich gelingt es ihm, ein plastisches Bild der damaligen Zeit mitzuliefern – für viele motorsportverrückte Zeitgenossen waren es die „goldenen Jahre“, eine „Ära des Aufbruchs“, als noch die reine Begeisterung die treibende Kraft der Protagonisten war…
Helmut, du hast dieses Interview angeregt, weil du dich den Rallyefans und den Aktiven vorstellen möchtest…
Ja, es ist so, dass ich ja kein richtiger Quereinsteiger bin – ich hatte vielmehr das Glück, dass ich in den Siebzigerjahren immer von den besten Österreichern der Beifahrer war. Parallel dazu habe ich mich auch mit der Technik befasst, ich habe die Rallyeautos von Franz Wittmann gebaut, habe seine BMWs betreut, saß auch mit ihm im Auto. Ich weiß also auch, wie es auf der anderen Seite aussieht, wenn man im Auto sitzt. Ich weiß, was ein Rallyefahrer und sein Beifahrer können müssen, was von ihnen verlangt wird. Natürlich hat sich vieles im Laufe der Zeit geändert. Es wurde alles schnelllebiger – die Kameradschaft, wie ich sie im Käfer-Film von Helmut Deimel schildere, gibt es ja leider heute nicht mehr. Heute arbeitet jeder für sich selbst und schaut, dass er einen Vorteil daraus zieht.
Nachdem ich seit 2011 meine berufliche Tätigkeit mit dem Verkauf meiner Firma ziemlich klein halte, habe ich jetzt wieder viel mehr Zeit, meinem liebsten Hobby, dem Rallyesport nachzugehen. Es hat sich dann so ergeben, dass man bei der OSK daran gedacht hat, dass ich da früher einmal etwas im Rallyesport gemacht habe und man hat mich gefragt, ob ich behilflich sein kann. Es gab Meinungsverschiedenheiten unter den Technikern aber auch Spannungen zwischen den Technikern und den Aktiven – viele Fahrer hatten schon das Vertrauen in die Techniker verloren. Ich habe mir das dann über ein Jahr lang als Aspirant angesehen.
Als Aspirant?
Ja, wie ein Lehrling sozusagen. In dem Jahr habe ich vor allem viel beobachtet, viel gelernt und viel gesehen– nach dem Jahr hat man gesagt: ‚Okay, jetzt machst du es!‘ Ich habe gesagt, ich mache es nur dann, wenn ich Kollegen habe, die mir helfen – und das war auch so.
Und wie lief es am Anfang?
Es waren viele Dinge nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Weil einfach der Organisationsablauf eine Katastrophe war. Das habe ich versucht, zu verbessern und ich habe es nach einigen Jahren hinbekommen. Und ich bin immer noch dabei, es weiter zu verbessern.
Noch bevor ich damit begonnen habe, habe ich das Gespräch mit den zwei besten Piloten des Landes gesucht, das waren damals Raimund Baumschlager und Beppo Harrach. Ich habe ihnen gesagt, was ich vorhabe und ich habe ihnen gesagt: ‚Streiten braucht ihr bei mir nicht!‘ Da zitiere ich den ehrenwerten Willy Löwinger, der immer gesagt hat: ‚Aufregen könnt ihr euch am Salzamt, aber nicht bei mir!‘ Die Lage zwischen den beiden hat sich dann tatsächlich beruhigt – auch wenn Harrach dann verletzungsbedingt weniger fuhr, heuer fährt er gar nicht mehr.
Aber wir versuchen eben, es nach allen Seiten fair zu gestalten. Fairer Motorsport ist uns ein Anliegen. Man darf nicht vergessen: Wir wollen alle, egal ob Journalisten, Veranstalter oder die OSK, alle wollen fairen und schönen Motorsport sehen. Umso schöner und fairer es ist, desto mehr Leute werden es sich ansehen. Wenn es unter fairen Bedingungen abläuft, dann macht es allen Beteiligten viel mehr Spaß.
Wir kommen ja später wieder in die Gegenwart zurück – jetzt aber springen wir viele Jahre zurück in deinem Leben, sehr viele: Stichwort Jochen Rindt – da gab es eine Begegnung, die für den jungen Helmut Neverla offenbar sehr von Bedeutung war?
1964 oder vielleicht auch schon 1963 hat mich meine Mutter mitgenommen nach Zeltweg, zu den Autorennen am Flugplatz, auf der Rumpelpiste, wie es immer geheißen hat. Der Motorenlärm hat mich fasziniert, der Geruch – wahrscheinlich habe ich schon mit der Muttermilch Benzin ins Blut bekommen. Auf jeden Fall habe ich beschlossen: Ich will Mechaniker werden – das bin ich dann auch geworden.
1965 hatte ich dann ein Schlüsselerlebnis: Ich bin in Wien-Hietzing aufgewachsen, da gab es hinter der Kirche eine kleine Tankstelle. Wie das nach dem Krieg üblich war: Ein kleines ‚Hütterl‘ mit zwei Zapfsäulen, fertig. Da gab es einen alten Tankwart, dem habe ich immer geholfen. An einem Juni-Abend kommt ein weißer Ford Mustang. Ich gehe raus und beginne mit Scheibenwaschen und Luftdruck messen – da steigt einer aus und ich denke mir: ‚Den kenne ich doch von irgendwo her‘. Ich gehe zum Tankwart und sage ihm, dass da jemand ist, der mir bekannt vorkommt, aber ich wisse nicht woher. Da geht er hin zu ihm und sagt: ‚Grüße Sie, Herr Rindt!‘ Da bin ich vor Ehrfurcht zerflossen, den Jochen Rindt kannte damals schon jeder. Ich betanke sein Auto und er erzählt mir, dass er jetzt, also gleich im Anschluss, nach Le Mans fährt. Und dass er dort mit einem Ferrari fahren wird. Er hat mir noch ein Programm gegeben mit einer Widmung - wir haben noch ein paar Minuten geplaudert, dann ist er ins Auto gestiegen und losgefahren. Heute weiß jeder: Er hat das 24 Stunden-Rennen gewonnen, mit Masten Gregory, Startnummer 21, Ferrari 250LM.
Das war aber nur Teil 1 der Jochen Rindt-Geschichte, der zweite Teil ist ja noch viel geiler. Im gleichen Jahr gab es die erste Jochen Rindt-Ausstellung, im Messepalast, dem heutigen Museumsquartier. Da war eine Halle Jochen Rindt-Ausstellung, der Rest war leer. Da waren aber so viele Leute, dass sie bis auf die Gasse hinaus angestellt waren. Nur wenn einer rausging, durfte ein anderer reingehen. Ich war 15 Jahre alt und bin im Anzug hingegangen – nach langem Warten durften wir endlich rein. Alles, was in Wien Rang und Namen hatte, hat dort ausgestellt, auch ein Formel Vau war dort. Und in einer Ecke gab es eine Bar, mit roter Kordel abgetrennt, und dort saß der berühmte Jochen Rindt.
Auf einem Hocker saß er also da – mir kam es so vor, als würde der ‚liebe Gott‘ dort sitzen. Plötzlich dreht sich dieser ‚liebe Gott‘ um, deutet mit dem Finger auf mich und sagt: ‚Hey du, komm her einmal!‘ Ich wusste nicht, ob er tatsächlich mich gemeint hat, da sagt er: ‚Ja dich meine ich!‘ Und ich frage: ‚Meinen Sie wirklich mich?‘ Und er: ‚Bist du der von der Tankstelle in Hietzing?‘ Ich frage: ‚Ja, warum?‘ Sagt er: ‚Du hast mir Glück gebracht, ich lade dich auf etwas zu trinken ein‘. Also bin ich unter der Kordel durchgeschlüpft und habe mich neben Jochen Rindt auf einen Barhocker gesetzt. Ich bin glaube ich zwei Meter groß geworden und habe mir gedacht: ‚Sehen mich eh alle?‘ (lacht) Dann haben wir fünf Minuten lang einen Smalltalk abgehalten…
Ich habe seine Karriere dann natürlich sehr genau verfolgt. Er hat ja den Motorsport in Österreich quasi erst populär gemacht. Als er dann am 5. September 1970 gestorben ist, war ich gerade trainieren für die Herbstrallye. Ich habe es im Radio gehört – eigentlich wollte ich daraufhin aufhören…
Aber du hast zu diesem Zeitpunkt eigentlich erst richtig angefangen…
Ja, es war der Beginn meiner Karriere – aber wenn der ‚liebe Gott‘ stirbt, ist das fürchterlich. Ich bin extra mit einem Freund runtergefahren zu seinem Begräbnis nach Graz – denn das war ich ihm eigentlich schuldig, er war halt damals der Größte in Österreich. Auch heute noch wird er, so glaube ich, sehr verehrt, die meisten Menschen kennen ihn. Er hat den Motorsport in Österreich salonfähig gemacht. Und so habe ich damals meinen Einstieg in den Motorsport erlebt.
Wie ging es weiter?
1970 habe ich meine Beifahrerkarriere begonnen. NSU TT, das kann sich heute keiner vorstellen, mit 65 PS. Aber wir waren unter den Schnellsten. Der Chauffeur hatte rund 125 Kilogramm Körpergewicht, das hat beim Bergabfahren wahrscheinlich geholfen. Diese Strecke gibt es heute noch in anderer Form, jeder kennt sie: Gföhl-Kronsegg. Waldviertel-Rallye. Da haben wir 1971 auf einer Sonderprüfung vier Konkurrenten überholt und sind eine Bestzeit gefahren, die bis heute keiner schlagen konnte. Aufgrund dieser Bestzeit hat mein Chauffeur, Willi Bisek, einen Werks-Käfer bekommen. Ich habe damals gar nicht so mitbekommen, dass er eigentlich österreichische Motorsportgeschichte geschrieben hat, im Nachhinein war ich sehr stolz darauf. Das war etwas Besonderes, solche Autos durften nur ganz wenige Piloten fahren.
Am Sonntag, den 28. Dezember folgt Teil 2 des Helmut Neverla-Interviews: Wie er in der legendären Werkstatt von Karl Obrecht „richtig lancia-blöd“ wurde. Wie es zu den Fotos mit Neverla als Fahrer und Copilot Daniel Audetto kam. Wie er bei einem Test im Tourenwagen schneller als Pilot Heribert Werginz fuhr. Warum er trotz faszinierender Quattro-Ära ein Angebot von Audi ablehnte und sich stattdessen für eine eigene PKW-Werkstatt entschied. Und wie er schließlich nach vielen Jahren wieder zurück in den Rallyesport fand…