
Rallye: Backstage | 30.12.2014
„Wir brauchen junge Leute“
Im dritten Teil spricht Helmut Neverla über seine Tätigkeit als Rallye-Cheftechniker der OSK. Über falsches und richtiges Abwiegen, fehlende Jugend und neue Wege…
Du hast dann wie eingangs erwähnt als Aspirant ein Jahr als technischer Kommissar bei der OSK gearbeitet. Im Vorgespräch hast du gemeint, wer alle Homologationsformen des Mitsubishi Lancer Evo kennt, der sei ‚Gott‘. Wie schwierig war es für dich, da wieder rein zu finden, was Reglements und so weiter anbelangt?
Es war ganz schwierig. Man darf nicht vergessen: Als ich 1981 bei Audi aufgehört habe, gab es die Gruppen 1, 2, 3 und 4. Dazwischen gab es für mich nichts. Da ist dann die Gruppe A gekommen, die Gruppe B ist gekommen, dann wiederum die Gruppe N. Es hat sich also alles geändert. Ich habe das zwar immer mitbekommen, ich habe stets Bücher gelesen, die habe ich meterweise hier rumliegen, zum Beispiel auch alle Jahrbücher vom Klein.
Und auch immer alle Homologationsblätter gelesen?
(lacht) Nein, die habe ich nicht gelesen. Die musst du teuer kaufen bei der OSK, ich hatte ein paar von einem Stratos. Als es dann jedoch ernst wurde mit meiner OSK-Funktion, habe ich mich natürlich eingelesen – und zunächst waren das nur spanische Dörfer für mich. Die Situation war schwierig – denn so richtige ‚Lehrer‘ gibt es bei der OSK nicht. Deshalb wählte ich auch das Jahr als Aspirant – aber du hast bei der Technischen Abnahme auch nur wenig Zeit. So habe ich mich eben privat in alle Reglements eingelesen – und als neugieriger Mensch habe ich auch viel gefragt. Zu der Zeit bin ich vielen auf die Nerven gegangen – aber so habe ich auch viel erfahren. Ich hatte damals zwei Ansprechpartner in der OSK, den Schmidt und den Sachs. Als es dann ernst wurde, sagte ich: ‚Wenn ihr beide mir helft, dann mache ich es.‘ Denn sonst wäre ich alleine im Regen gestanden – und ich habe zwar keine Angst, aber trotzdem möchte ich nicht wie ein Depp dastehen. Sie haben dann auch zugesagt – auch der Herr Hafner hat mir sehr geholfen.
Wie lief es dann in der ersten Zeit als Rallye-Cheftechniker?
Anfangs haben mich Leute wie Dietmar Hinteregger oder Willi Singer etwas gefragt und ich musste passen, das wurde mit der Zeit dann immer besser. Der große Rückhalt war der Sepp Pointinger, mit dem ich mich auch privat sehr gut verstehe. Es gibt einige Veranstalter, die zunächst große Probleme hatten mit mir – weil sie mich gar nicht gekannt haben oder sie nur den Namen kannten. Doch ich glaube, mittlerweile ist das alles ausgemerzt. Ich habe bei meiner Antrittsrede gesagt: ‚Leute, seid nicht feig – ich halte alles aus. Wenn euch etwas nicht passt, dann sagt es. Ich hasse nichts mehr als wenn hinten herum blöd geredet wird. Sagt es offen – ich will auch keine Geheimniskrämereien, das typische österreichische Beamtentum, das einen blöd sterben lässt.‘
Ich habe dann auch festgestellt – vielleicht sage ich da jetzt etwas Hartes, vielleicht trifft es manchen: Mit jenen Kollegen, die in verantwortungsvollen Positionen oder gar selbständig tätig waren, kann man gut zusammenarbeiten, denn die wissen, worum es geht. Einer, der nur angestellt oder gar nur ein Mitläufer war, der agiert auch so als OSK-Techniker. Und die habe ich dann zum Teil aussortiert. Ich versuche jetzt auch, die Jugend zu forcieren – was sehr schwer ist.
Warum?
Wir haben keine. Das ist ein Zeit- und logischerweise ein Geldproblem. Du hast acht Läufe und da musst du dir bei jeder Rallye zwei Tage Urlaub nehmen. Das sind 16 Tage, da bleiben nur noch neun für die Familie über.
Es gibt ja auch recht wenig Gage – kannst du den Betrag sagen?
Ja, das ist kein Geheimnis, das steht auch auf der OSK-Homepage: Wir kriegen pro Tag 26,40 Euro. Das ist ein Betrag, der gerade noch nicht steuerpflichtig ist. Die Übernachtungen zahlt der Veranstalter, Speisen und Getränke jedoch müssen wir selbst zahlen. Wenn wir also zweimal am Tag essen gehen, ist die Gage auch schon wieder weg. Manche glauben ja, dass wir 200 bis 300 Euro am Tag bekommen – das ist nicht der Fall. Jeder Mechaniker erhält mehr Geld – zumindest bei einem Topteam weiß ich, dass die Mechaniker am Tag 160 Euro erhalten. Wir bekommen 26,40 Euro und müssen uns dafür auch immer wieder recht unfreundlich behandeln lassen.
Und da gibt es halt nicht so viele Leute, die das unter diesen Bedingungen machen wollen – dadurch ist auch die Nachwuchs-Situation sehr schwierig. Ich bin gerade dabei, einen Cheftechniker aufzubauen – er muss natürlich Englisch sprechen können. Und er muss sich in seiner Freizeit auf die Rallye vorbereiten, er muss die anderen Techniker vorbereiten, den Ablauf während der Rallye planen, das muss alles Hand und Fuß haben.
Man muss sich auf die Gegebenheiten einstellen – einmal wurde gewogen und dort ging es aber bergab. Da kam dann einer und sagte: ‚Was ihr da macht, ist für den A***h!‘ Ich muss dem leider Recht geben. Ich war damals Aspirant und auf der Heimfahrt sagte ich zu den Kollegen: ‚Ich würde an dieser Stelle nicht abwiegen! Das war sinnlos, was wir da gemacht haben! Im Ernstfall ist das ungültig – und die Leute glauben, wir haben einen Schuss!‘
Solche Dinge habe ich dann eben versucht, auszumerzen. Ich habe immer gesagt: Wenn ich mitmache, müssen unsere Aktionen Hand und Fuß haben, sie müssen ehrlich und nachvollziehbar sein – und seitdem ich das mache, funktioniert das auch.
Muss ein OSK-Techniker auch ein Fan sein? Oder gar ein ‚gerissener Fuchs‘, der sich überlegt, was man alles ‚link‘ machen könnte am Auto?
Naja. Er muss zunächst einmal ein Fan sein – er muss einen Schuss haben auf gut Deutsch. Weil sonst machst du das nicht. Viele wissen nicht: Wir kommen so gut wie nie auf die Strecken, um zuschauen zu können, wir wissen am Ende nicht einmal ein Ergebnis. Weil: Wo hätte ich es denn hernehmen können? Ja, ich habe einen Laptop laufen aber trotzdem weiß ich meistens das Ergebnis nicht. Gut, den Sieger weiß ich schon meistens – aber die Klassensiege, was wurde der Huber, der Rabl? Keine Ahnung! Wir sehen die Autos nur glühend ins Regrouping fahrend – viele glauben ja: Super, der ist bei der Rallye und kann zuschauen – einen Dreck sehen wir!
Natürlich mache ich mir Gedanken darüber: Wie kann ich etwas kontrollieren? Wenn wir jetzt davon ausgehen würden, dass alle Betrüger sind – das möchte ich so nicht sehen. Da bin ich vielleicht zu naiv oder zu dumm. Sicher wird es schwarze Schafe geben – aber wie es im Leben halt ist: Die Verbrecher sind immer einen Schritt weiter als du. Davon gehe ich aus.
Außer natürlich es fällt auf: Wenn du zehn Evo IX hast und einer ist extrem schneller als die anderen, muss ich schon nachdenken. Da wir es ja auch sollen, dürfen und müssen, gehen wir in der Servicezone auch hinter die Absperrungen, als stille Beobachter. Wir sehen dann Dinge, die andere Leute nicht sehen – wir haben auch schon einmal jemanden erwischt mit illegalen Sachen. Das sehen wir!
Schau: Wenn einer betrügen will, dann betrügt er halt! Wenn wir draufkommen – oder wenn ich draufkomme, bei der Schlussabnahme oder während der Rallye, dann gibt es natürlich einen Knaller! Da war zum Beispiel einer dabei, der hat bewusst betrogen. Bewusst! Er wurde dreimal darauf aufmerksam gemacht, war jedoch nicht belehrbar, dann wurde er ausgeschlossen.
Da muss ich euch Journalisten vorwerfen – dir nicht, weil wir kennen uns und du bist so ehrlich, aber andere – dass sie dann nicht zu uns kommen und fragen: Warum habt ihr das getan? Ist ja nichts dabei! Nur dann dumm in der Zeitung schreiben und fragen: ‚Wieso habt ihr das nicht gesehen?‘ Der weiß doch gar nicht, was wir machen! Und ich kenne den Journalisten, um den es hier geht. Ich habe ihm gesagt: ‚Bitte komm her da! Frag mich! Wenn ich es beantworten kann, dann mache ich es! Wenn ich es nicht weiß, kann ich es ohnehin nicht beantworten!‘
Vielleicht eine gute Stelle, um speziell auf die Technische Abnahme einzugehen. Da gab es ja im Zusammenhang mit der Kärnten-Rallye Vorwürfe, man habe bei der Abnahme nicht bemerkt, dass ein Fahrzeug in der falschen Klasse genannt war.
Zunächst muss man sagen, dass es sich bei der Technischen Abnahme um die Erstabnahme eines Fahrzeugs und um eine sogenannte Sicherheitsabnahme handelt. Bei einem WM- oder EM-Lauf kommt dann noch dazu, dass gewisse Dinge wie Turbolader, Getriebe und so weiter verplombt werden. Das machen wir in Österreich nicht, wir machen nur eine Sicherheitsabnahme: Gurte, Sitze, Generalausschalter, ob das Gurtmesser da ist und so weiter.
Wir hatten bisher zwischen drei und fünf Minuten pro Auto – man sagt, man nimmt für 15 Autos einen Techniker. Wir sind meistens zu fünft oder zu sechst – und trotzdem ist es oft zu wenig. Sie verlangen ja, dass wir die Autos vor der Rallye abwiegen. Jetzt musst du 70 dieser 1200 Kilogramm schweren Autos auf die Waage stellen, das ist nicht so lustig. Du musst das Gewand anschauen, du musst die Sicherheit kontrollieren, zudem legen wir immer auch einen Schwerpunkt fest, wie zum Beispiel den Überrollbügel.
Jetzt kommen aber ab Startnummer acht bis zehn viele nur mit den halben Sachen – da fehlen die Schuhe, weil die liegen im Bus drinnen, der Helm liegt im anderen Auto, die Sitze haben wir vergessen, anzuschrauben, ojeh! Das hält einen natürlich gewaltig auf! Manche werden gleich präpotent, die schimpfen uns! Da kann ich Geschichten erzählen, die sind abendfüllend, was da alles passiert. Bei den Historischen verlangen wir einen aktuellen Anhang J – der legt eine CD vor! ‚Da hast du ihn!‘ Ja, nur muss ich da ein Gewicht herauslesen können! Solche Dinge passieren immer wieder!
Kann man da von einer Art ‚strengen Schutzengel‘ sprechen? Der bei der Abnahme sagt: Meine Aufgabe ist es, dich zu schützen – und vielleicht auch, weil der Techniker persönlich haftet, wenn etwas passiert?
Naja, nein. Die meisten Autos kennen wir ja. Wir kennen die Schwachpunkte. Da wird er einmal darauf aufmerksam gemacht – und wenn er es ein zweites Mal macht und es geht um Sicherheit, dann fliegt er raus! Wobei ich dazusagen muss: Wenn es sich um grobe Sicherheitsmängel handelt, fliegt er ohnehin sofort raus.
Du hast im Vorgespräch auch erzählt, dass manche sogar mit gebrochenen Helmen zur Abnahme kommen und sich dann darüber aufregen…
Da gibt’s kein Aufregen, da muss er einen anderen Helm bringen, das ist ganz einfach. Sonst fährt er nicht. Da gibt’s dann tausend Ausreden wie „Ich kaufe mir eh einen neuen Helm‘ und so weiter. Wenn es um Sicherheit geht, wenn der Gurt abgelaufen ist…
Da sind wir jetzt bei einem heißen Thema…
Nein, sind wir nicht. Beispiel Sitze. Da sagen ja manche: ‚Die Sitze sind aus Karbon, was soll da hin werden?‘ Da sage ich: Kann schon sein, dass der Sitz ewig hält, das weiß ich ja nicht. Aber: Dann sage ich zu ihm: ‚Bring vom Hersteller einen Schrieb, dass der Sitz passt – dann hat keiner etwas dagegen, dann übernehme ich die Verantwortung!‘ Nur: Der Hersteller, erstens will er ein Geschäft machen und zweitens übernimmt der auch keine Verantwortung. Wenn jemand weiß, was das bedeutet, wenn ein Sitz bricht – nehmen wir nur die Verletzungsgefahr aufgrund der Splitter und so weiter. Und vor allem: Ich habe das ja nicht erfunden, dass er nach einer gewissen Zeit abläuft.
Und ich sage deshalb, dass es ein heißes Thema ist, weil das im motorline.cc-Forum „Meeting Point“ auch immer wieder diskutiert wird. Da gibt es nun Länder, die Ablauffristen verlängern können – und da fragt man sich: Warum geht das bei uns nicht?
Weil die OSK – nicht wir als Techniker, wir setzen ja nur die Vorschriften um – sagt: Warum sollen wir die Verantwortung übernehmen, wenn sie der Hersteller selbst nicht übernehmen will? Wenn es die Engländer machen oder die Deutschen – die können es sich vielleicht leisten, einen Prozess zu verlieren. Denn was passiert denn, wenn etwas passiert? Dann stehst du als Techniker vor Gericht und wirst darauf aufmerksam gemacht, dass der Sitz gar nicht mehr eingesetzt werden hätte dürfen. ‚warum haben Sie das zugelassen?‘ Und du sagst: ‚Naja, wegen dem einen Jahr, Sie wissen ja, wie viel das kostet, der hält normalerweise eh auch nach der Ablaufzeit.‘ Und der Richter fragt dich: ‚Und warum hat er nicht gehalten?‘
Kurz gesagt: Ich soll mich für die anderen in die Nessel setzen? Sicher nicht! Im Zweifelsfalle lasse ich die Entscheidung offen und lege es den Sportkommissaren vor – wenn die dann unterschreiben, dass er fahren darf, dann kann er fahren. Ich bin ja im Grunde nur der Sachverständige, der keine Entscheidungen trifft – sicher werden meine Feststellungen in Entscheidungen mit eingebunden, aber in Sicherheitsfragen passe ich einfach auf.
Da muss ich nochmal nachhaken: Warum können die ASNs anderer Länder solche Fristen verlängern und die OSK nicht? Nur weil sie bessere Anwälte haben?
Ich nehme es einmal an. Schau, bei den Sitzen ist es so: Sitze kannst du zwei Jahre verlängern. Du musst den Sitz dem Hersteller schicken, der schaut ihn an und sagt: ‚Ja, okay, um zwei Jahre verlängern!‘ Das ist auch beim Tank so, den kannst du um fünf Jahre verlängern.
Aber Hersteller sind ja sicher nur daran interessiert, dass sie möglichst viel…
…verkaufen, ja. Logisch, ja. Ich vergleiche das gerne mit einem Schischuh. Jedem ist es wahrscheinlich schon einmal passiert, dass ein Schischuh gebrochen ist, weil er eben alt war. Warum soll sich die OSK auf so etwas einlassen?
Warum lässt sich die deutsche oder britische ASN darauf ein?
Das weiß ich nicht. Vielleicht sagen sie, dass sie es schon aushalten? Vielleicht ist bei ihnen noch nie ein Sitz gebrochen? Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Aber die OSK lässt sich ganz sicher auf nichts ein.
Jetzt hast du im Vorgespräch erwähnt, dass es bei deinen Vorgängern welche gab, die öfter auch ein Auge zugedrückt haben und manche Mängel durchgehen ließen. Ist es so, dass es sich um ein typisch österreichisches Problem handelt, dass also diese Vorgänger die Situation für jemanden, der es korrekt machen will, erschwert haben?
Man muss, so glaube ich, unterscheiden: Es gibt Dinge, die nicht tolerierbar sind und es gibt Dinge, wo man sagt: ‚Pass auf, das nächste Mal schau, dass es passt!‘ Nehmen wir das Beispiel Race Rent – fünf Radbolzen versus vier Radbolzen. Anfangs habe ich dem guten Mann gesagt: ‚Bitte bau das Auto um, das stimmt so nicht!‘ Warum er es so gemacht hat, wissen wir – das war eine Kostenfrage. Wir haben ihn mehrmals darum gebeten, das zu ändern. Er hat es nicht geändert – das war bei Challenge-Läufen, wo ich als Cheftechniker zwar verantwortlich zeichne, aber nicht vor Ort bin. Dann kam er zu einem ÖM-Lauf und es war wieder falsch – da hat er das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich habe ihm gesagt: ‚Es geht nicht mehr!‘ Klar bin ich der Böse, weil ich ihn rausgehaut habe – das ist mir schon klar. Aber er hat es die ganze Zeit gewusst, er hat bei der Anhörung auch nicht diskutiert und selbst gesagt: ‚Ja, ich weiß, ich hab das nicht richtig gemacht.‘
Und was diese Geschichte mit dem Alfred Kramer bei der Kärnten-Rallye anbelangt: Ich persönlich glaube, dass er es ganz genau gewusst hat. Wenn er sagt: ‚Okay, ich habe das falsch eingebaut, aber ich hatte eben Pech, sie haben mich erwischt – aber sie hätten mich auch nicht erwischen können.‘
Er hatte ja keinen Vorteil…
Mit 30 oder 40 PS mehr hatte er einen Vorteil.
In der Klasse…
Da wäre er ohnehin allein gefahren, die hätte er ohnehin gewonnen. Es ging um den Gesamtsieg.
Wenn er in der richtigen Klasse genannt hätte, wäre er in der gleichen Konstellation gefahren, das hätte keinen Unterschied ausgemacht.
Naja, für den Herrn Kramer war es schon gut für das Image, im eigenen Land, in Kärnten einen Gesamtsieg zu feiern.
Sicher – aber die Klasse, wo er nennen wollte, gab es ja gar nicht, weil die irrtümlich vergessen wurde…
Das war eine Verkettung unglücklicher Umstände, die sich im Nachhinein blöd aufgeschaukelt hat. Er wollte etwas gutmachen, was nicht mehr gutzumachen war. Da war es einfach schon zu spät. Da sind dann einfach die Emotionen explodiert und unkontrollierbar geworden. Da sind Dinge passiert, die, so glaube ich, nicht tolerierbar sind, von der menschlichen Seite her.
Wenn einer direkt nach einer Sonderprüfung etwas sagt, weil er noch mitten in der Emotion ist, dann ist das entschuldbar – aber wenn das drei Stunden später der Fall ist, dann muss man sich als erwachsener Mann, als Akademiker, er ist glaube ich Ingenieur, dann schon im Griff haben. Er ist ja kein Bub mehr.
Bei der Berufungsverhandlung hat der Richter genau das, was du gerade gesagt hast, allen Beteiligten, also auch den OSK-Menschen vorgeworfen. Auf der menschlichen Ebene. Der Richter hat wörtlich von ‚Hahnenkämpfen‘ gesprochen. Dein Interview, das du mir gerade gibst – ist das vielleicht auch ein Versuch, dass du dich für mehr Menschlichkeit einsetzt, als Versuch, dass so etwas nicht mehr passiert?
(denkt nach) Eine schwierige Frage. Schau, jetzt dreh einmal den Spieß um. Stell dir vor, du bist jetzt der, der dort rallyefahren will. Du gibst eine Nennung ab. Du bist mit dem gleichen Auto – und es ist ja ein slowenisches Auto, in Slowenien darf er ja mit dem 34er-Restriktor fahren – schon im Lavanttal gefahren, da war diese Klasse 17 ausgeschrieben.
Jetzt nennst du also: Du musst doch wissen, welches Auto du hast. Du weißt doch, welchen Restriktor du im Auto hast. Jetzt frage ich mich: Hat er es gewusst oder hat er es nicht gewusst? Da fällt mir doch auf, dass die Klasse fehlt. Da rufe ich an beim Veranstalter und sage, dass ich im Alpe Adria Cup fahre und dass ich beim Restriktor umbauen muss. Was einfach ist, aber das ganze Mapping muss man austauschen und das kostet auch wieder etwas. Aber die hätten es dann sicher ergänzt und die Klasse dazu genommen. Warum er das nicht gemacht hat, ist mir ein Rätsel – angeblich hat er nicht selbst genannt, aber das weiß ich nur vom Hörensagen.
Man hatte jedenfalls nicht den Eindruck, dass hier freundschaftlich miteinander umgegangen wurde. Wenn wir annehmen, alle Beteiligten wären gute Freunde, dann ruft der eine den anderen an und sagt: ‚Du, ihr habt die Klasse 17 vergessen‘ und der andere bedankt sich und nimmt die Klasse rein, schon lange vor der Rallye. So hätten das Freunde gelöst – so aber hatte man den Eindruck, da will jeder dem anderen das ‚Hackl‘ ins Kreuz hauen…
Das Traurige ist ja, dass sie alle aus Kärnten sind. Haben sich die nicht lieb? Gerade als Kärntner hätten sie doch zusammenhalten müssen. Da stimmt doch etwas nicht – also für mich persönlich ergibt sich dieser Eindruck. Aber man kann nur versuchen, aus dieser Sache zu lernen. Wir haben das Problem, das wir immer haben: Die Leute lesen die Ausschreibung nicht! Ein kleines Beispiel: Heuer steht seit der Rebenland-Rallye in jeder Ausschreibung, dass im Auto zwei Notfallkleber mit der Notfalltelefonnummer angebracht sein müssen. Die Hälfte des Feldes weiß das nicht – sie lesen die Ausschreibung nicht.
Da wird als Argument gerne genommen: Die Reglements sind so kompliziert!
Nein, nein, nein. Reglement und Ausschreibung sind zwei verschiedene Dinge. In der Ausschreibung steht mehr oder weniger immer das Gleiche drinnen, dennoch ist sie bei jeder Rallye anders. Die Reglements wurden natürlich komplizierter. Speziell seit Mitte des Jahres. Die FIA hat folgende Eigenheit: Früher wurde das Reglement übersetzt, von der OSK – das wurde einmal im Jahr erstellt. Kam eine Änderung, wurde die einfach geschickt, einzeln, die wurde dann ebenfalls übersetzt, ins Internet gestellt und so weiter.
Seit vorigem Jahr jedoch gibt es die Reglements nur mehr in Englisch, denn die FIA hat sich mittlerweile angewöhnt, die Reglements fünf- bis sechsmal im Jahr herauszugeben. Es sind oft nur ein paar Sätze hinzugefügt worden. Jetzt wurde in der OSK vorgeschlagen, dass man die Änderungen markiert. So ein Reglement, zum Beispiel S2000, hat rund 60 Seiten, links in Englisch, rechts in Französisch. Das immer komplett durchzulesen – das kann man von keinem verlangen. Dabei wäre es heutzutage recht einfach, du kannst heute Änderungen entsprechend markieren – warum macht man das nicht?
Seit Jean Todt die FIA-Präsidentschaft übernommen hat, ist es sehr kompliziert geworden. Ob das von ihm selbst ausgeht oder von seinen Leuten, weiß ich nicht. Aber ich finde es einfach nur dumm.
Dann macht man in Paris gewisse Reglements für Liebkinder. Ich habe aus nächster Nähe erlebt, wie das RGT-Reglement erstellt wurde – als Marc Duez im Porsche die Monte fuhr. Da hat der entsprechende Mann gestöhnt, es sei heute unmöglich, ein Reglement binnen zwei Wochen dem Auto entsprechend zu erstellen. Das wurde ja extra für diesen Einsatz geschrieben.
Dabei muss ich sagen: Diese Klasse braucht kein Mensch! Es gibt genau drei Autos, die fahren dürfen: Es gibt den Lotus, den Porsche und den Nissan. Lotus hat genau zwei Autos gebaut, Porsche war bisher bei uns nicht zugelassen, da gibt es jetzt aber die Klasse RGT-national. Da haben wir bislang kein einziges Auto am Start, da haben nur ein paar Leute fantasiert. Da haben mich zwei Leute angerufen, die so etwas aufbauen wollten, doch keines dieser Projekte wurde umgesetzt. Einzig der Nissan ist im Einsatz, doch der hat viel Hubraum, ohne Turbo, ein verlorenes Auto, der fährt hintennach.
Diese Reglements sind generell wahnsinnig kompliziert. Du musst aufpassen. Du musst lesen. In Englisch! Als normal sterblicher Bürger sitzt du sicher eine Woche bei einem Reglement, wenn es übersetzt worden ist. Wir tun es phasenweise übersetzen, aber sicher nicht das R5-Reglement, um ein Beispiel zu nennen. Das ist zu aufwendig.
Das heißt: Man sollte die Reglements weniger kompliziert machen und die Menschheit auch darüber informieren, wenn im laufenden Jahr Updates vorgenommen wurden?
Richtig. Denn derzeit funktioniert das nicht. Ich weiß nicht, warum das so gemacht wird? Will man, dass die Leute zu streiten beginnen? Ich habe keine Ahnung. R5 haben wir ja nur einen in Österreich – ich möchte nicht streiten müssen, wenn es um technische Details geht. Das ist überall so – bei der Jännerrallye haben wir Dinge gesehen, wo selbst Karl-Heinz Goldstein, der am R5-Reglement gearbeitet hat, die Antwort nicht gewusst hat. Obwohl er die Homologationen für diese Autos gemacht hat. Wenn es nicht einmal er weiß – wer soll es dann wissen? Eigenartig, aber ist halt so.
Ich finde es sehr mutig von dir, all das auch anzusprechen. Das heißt: Diese Kritikpunkte, die von den Aktiven kommen – dass die Regeln so kompliziert sind, dass kurzfristig immer wieder Änderungen kommen – all das geht eigentlich von der FIA aus?
Nicht alles, aber viel.
Was könnte die OSK tun, um diese Dinge, die direkt von der FIA kommen, abzufangen?
Gar nichts. Die OSK ist arm dran – weil sie viele Dinge einfach zu spät erfährt. Natürlich konnten wir einige Dinge anpassen: Das Reifenreglement haben wir auf unser Land hin geschnitzt. Um den Leuten zu helfen. Wir wollen ja keine Rallye für zwei Leute machen, die aus dem Vollen schöpfen und Reifen haben.
Aber auch international läuft es unbefriedigend. Die Reifen werden zwar gescannt, doch erst nachher wird das eingelesen, erst nachher kann gesagt werden, wie viele Reifen verwendet wurden. Und er kann auch nicht sagen, welche Reifen verwendet wurden – da muss er extra in einer Tabelle nachschauen.
Eine Modernisierungsfalle?
Ja, aber überall, auch in der WM. Das ist für mich ein Schildbürgerstreich, das läuft wie vor hundert Jahren. Ich denke mir: Da haben sie einen riesigen Aufwand, da haben sie Autos um 300.000 Euro und mehr und dann arbeiten wir wie in der Steinzeit. Das kann es doch nicht sein!
Gott sei Dank machen wir das nicht – wir tun in Österreich mittlerweile die Reifen anmalen (lacht), da gibt es bereits die schlimmsten Gerüchte. Angeblich haben bereits alle die gleichen Farben wie wir. Da wird angeblich schon fleißig gemalt – aber das wird es immer geben! Und wenn wir, wie bei der Jännerrallye oder der Waldviertel-Rallye geschehen, die Felgen mit einem Kleber mit der Startnummer bekleben, dann bringt das nichts. Wenn einer wirklich Reifen wechselt, nimmt er die gleiche Felge. Das ist also auch wieder schwachsinnig – wie du es machst, machst du es falsch. Da ist die Malerei noch das Beste. Geschrien wird sowieso immer.
Aber ich denke, langsam bekommen wir das in den Griff. Wenn es kritisch wird, wenn es gegen Ende der Rallye zugeht. Wo sich einer vielleicht einen Vorteil verschaffen könnte, wenn er noch einmal Reifen wechselt, weil sich das Wetter ändert – dass wir hier noch schärfer kontrollieren. Dass wir vor dem Start, nach dem Start und bei der nächsten SP kontrollieren. Dann haben wir eine lückenlose Kette, falls es einer macht. Es ist schon passiert, wir wissen es, wir haben es gesehen – es ist nichts dabei rausgekommen, weil derjenige ohnehin ausgefallen ist. Trotzdem, das Entscheidende ist meiner Meinung nach: Wir sind da! Und kontrollieren! Wie ein Polizist auf der Straße – auch wenn er nichts macht, er ist da, er ist präsent und erinnert die Leute: Passt auf! Genauso ist auch bei uns – wir wollen ja nicht die Bösen sein und uns freuen: ‚Ha! Jetzt haben wir dich erwischt!‘ Wir wollen einfach nur anwesend sein – nach dem Motto: ‚Wir sind da, damit du nicht auf blöde Gedanken kommst!‘ Wir wollen ihm auch nicht irgendwie drohen – es geht nur um dieses Signal, dass wir da sind und wir kontrollieren. Und das läuft, so glaube ich, ganz gut. Wir werden akzeptiert, wir werden nicht böse angeschaut. Gerade am Ende einer Rallye, wenn es nochmal eng werden könnte, zeigen wir nun, dass wir da sind.
Du hast im Vorgespräch noch erwähnt, dass es wenige junge Leute in der OSK gibt – was müsste man denn ändern, damit es hier mehr Zuspruch gibt?
(lacht) Wenn ich das wüsste, dann hätte ich den Stein der Weisen gefunden. Aber ich habe jetzt einmal ein paar junge Leute gefunden, bei der Waldviertel-Rallye war bereits ein ganz junger Mann dabei. So einen begeisterten jungen Mann habe ich schon lange nicht mehr erlebt – er hat bei mir die Meisterprüfung gemacht, wir kamen ins Plaudern und er hat mir erzählt, dass er daheim einen Einser-Golf herrichtet. Und wenn das ein junger Mensch macht, dann ist das bereits etwas Besonderes. Dann hat er erzählt, dass ihn Rallye sehr interessiert. Da habe ich ihn gefragt: ‚Wollen Sie nicht ein bisschen mit uns mitnasern?‘ Hat er mir erzählt, wie schlecht er denn sei. Trotzdem hat er dann aber zugesagt, dass er es sich einmal anschaut. Er kam zur Schneebergland-Rallye, nur ‚nasern‘, also er hat nichts gemacht, obwohl er auch mitgeholfen hat auch. Und dann war er ganz begeistert. Dann haben wir noch einen aussichtsreichen Kandidaten. Vielleicht wird er mein Nachfolger? Ich weiß es nicht, derzeit ist er am Lernen. Es kommt auch immer darauf an, wie er bei den Leuten ankommt, bei den Fahrern – denn es muss ja auch menschlich die Beziehung stimmen. Wenn das geht – warum denn nicht? Ich sage immer: Wir haben alle ein Ablaufdatum. Und bei der Schneerosen-Rallye lag der Altersschnitt der Techniker bei 68 Jahren. Das kann es doch nicht sein! Es sind natürlich alle rüstige Rentner, das sage ich immer – aber das geht so nicht. Wir brauchen junge, flexible Leute! Ich gebe das ja ungern zu, aber es ist so: Also bei mir ist es nicht so, aber bei manchen anderen – die tun sich schwer mit dem PC. Man muss ja viele Dinge mit dem PC machen – unsere Generation hat das nicht gelernt, wir haben uns das selbst gelernt. Ich habe zudem einen sehr ausführlichen Computerkurs besucht, nicht nur wegen der OSK, auch im eigenen Interesse. Aber die Jungen, die machen so etwas mit der linken Hand. Und wir ältere Herren, wir tun uns schwer – und darum brauchen wir junge Leute, die auch ein bisschen ein Leben in den Sport bringen.
Diese Leute müssen halt auch bereit sein, ständig dazu zu lernen – es kommen ja ständig neue Regeln, neue Klassen und so weiter…
Naja, wenn du da jetzt einsteigst, dann geht das schon. Schlimm war es nur für mich, denn ich stieg 30 Jahre später wieder ein. 2004 hatte ich ein besonderes Erlebnis: Ich habe eine Busreise zur Deutschland-Rallye gewonnen, warum ich das gewonnen habe, weiß ich nicht mehr. Und ich steige in den Bus ein und da ist der ‚Asterix‘, mit dem bin ich in die Schule gegangen. Und er sagt zur Cathy Leeb, die diese Reise organisiert hat: ‚Das ist der Neverla, der kennt sich eh aus, dem brauchst du nichts erklären!‘ Und wir sitzen in dem Bus und kommen nach Trier und die Cathy Leeb am Mikrofon sagt auf einmal: ‚Ich höre jetzt mit dem Reden auf und übergebe an den Herrn Neverla!‘ Ich habe dann halt irgendeinen Schwachsinn erzählt, in dem Bus saß auch der Herr Hofbauer, der sich gut auskennt. Am Abend im Hotel habe ich dann zu recherchieren begonnen, und am nächsten Tag konnte ich im Bus bereits mehr relevante Dinge erzählen und das konnte man richtig spüren, dass es nun allen Spaß gemacht hat. So bin ich in meiner Pausenzeit kurz wieder in die Materie reingewachsen.
Was hat dich dort am meisten fasziniert?
Ganz sicher der Speed, mit dem dort gefahren wurde. Das war zum Teil erschreckend. Da beginnt man schon nachzudenken. Ob ich heute noch gerne auf dem Sozius sitzen würde, weiß ich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Geschwindigkeit schaffen würde. Christoph Dirtl hat mich im Integrale mitgenommen - durch den Wald bergab mit 190 km/h, da hält man schon die Luft an. Aber man muss es verstehen, dann kann man auch den Fahrer verstehen. Dann versteht man viele Dinge besser.
Und ich glaube: Der beste Techniker ist der, der aktiv Motorsport betrieben hat. Der versteht dann auch, worum es geht. Wenn einer nur Fan ist, dann ist das schon klasse – aber besser ist es, wenn er selbst im Auto saß. Er muss einmal selbst eine ganze Rallye gefahren sein – dann weiß er, worum es geht. Ich arbeite auch daran, dass ich für meinen Technikerstab Mitfahrgelegenheiten im Rallyeauto organisiere – damit sie das einmal selbst erleben. Weil dann auch die Kameradschaft besser wird und man enger zusammenrückt. Dann entsteht auch mehr Verständnis für die elementaren Fragen wie: Wie können wir die Technische Abnahme erleichtern? Wie können wir unseren Job besser machen? Oder auch: Wann beginnt eine Rallye? Im Vorjahr nämlich – wenn ich weiß, dass ich im nächsten Jahr acht Läufe fahren möchte. Und dann wird vorbereitet – auch die Techniker bereiten sich vor. Aber so eine Art Leitfaden – das hat noch nie einer gemacht. Daran arbeite ich – ich habe bei meinem Antritt eine Powerpoint-Präsentation gemacht, das hat dem Technikerstab gut gefallen, das hat ihnen Spaß bereitet. In diese Richtung möchte ich weitergehen.
Teil 4 des Gesprächs mit Helmut Neverla erscheint am 4. Jänner 2015.