Rallye-ÖM: Schneebergland-Rallye | 28.07.2010
Macht ein „Gentlemen-Agreement“ bei Regelverstößen Sinn?
Beppo Harrach fühlt sich um den Sieg im Schneebergland betrogen. Ein Irrtum seines Co-Piloten wurde angezeigt & bestraft. Ist das unsportlich?
Michael Noir Trawniczek
Foto: Daniel Fessl
„Manfred Stohl ist kein Sportsmann mehr, er hat seinen Ruf verspielt und sich bei der Schneebergland-Rallye ganz sicher keine Freunde gemacht – ich möchte, dass diese Aussage von mir gebracht wird, denn es wird Zeit, dass man hier sagt, was Sache ist“, tobte Gerwald Grössing in einem Interview, das eigentlich nur als Analyse der Schneebergland-Rallye gedacht war.
Und auch Beppo Harrach ist nicht gut auf den WM-Vierten von 2006 zu sprechen. Harrach hat bei der Schneebergland-Rallye überlegen das Feld angeführt und fuhr am zweiten Tag eigentlich bereits einem ziemlich sicheren Sieg entgegen – doch dann unterlief seinem Co-Piloten Andreas Schindlbacher ein Fehler: Ein erlaubtes Reifenservice wurde nicht in der dafür ausgeschriebenen Zone durchgeführt, Schindlbacher hat im Roadbook zwei Kreuzungen verwechselt.
Das Vergehen wurde der Rallyeleitung gemeldet, diese meldete den Vorfall den Sportkommissaren. Die wiederum verurteilten Harrach wegen Verstoßes gegen § 42.1.1. des OSK Rallye-Reglements zu einer Strafminute. Harrach ist davon überzeugt, dass Stohl respektive dessen Co-Pilotin Ilka Minor den Rallyeleiter Asterix Viakowsky informiert hat, der Niederösterreicher hat Stohl bereits gegenüber der Kronen Zeitung der Unsportlichkeit bezichtigt.
Im Gespräch mit motorline.cc sagt er: „Wer soll es denn sonst gewesen sein? Zum einen habe ich ziemlich handfeste Hinweise, dass das Team von Manfred Stohl angerufen hat – zudem hat mir mein Carchief berichtet, dass Asterix Viakowsky vor ihm erklärt habe, dass jemand vom Stohl-Team angerufen hat.“
Rallyeleiter Asterix Viakowsky wollte das gegenüber motorline.cc nicht bestätigen, er erklärte lediglich: „Ich kann versichern, dass keiner der Top 8-Piloten und Co-Piloten angerufen hat.“ Offen lässt Viakowsky, ob eines der Teams angerufen hat. Was den Spekulationen weiterhin freien Lauf lässt…
Harrach schäumt: „Wir waren auf der Strecke eindeutig die schnellsten – der erlaubte Reifenwechsel wurde nur an einem falschen Platz durchgeführt, dieser Platz war keine 2000 Meter vom vorgegebenen Platz entfernt. Wir haben dadurch keinerlei Wettbewerbsvorteil erlangt. Ich finde es schäbig, dass es Leute wie Manfred Stohl nötig haben, einen Konkurrenten so zu verraten.“
Harrach findet, dass „man den sportlichen Wettkampf auf der Strecke ausfechten soll“, ansonsten aber spricht sich Harrach für eine Art Kameradschaft im Fahrerlager aus und nennt dafür ein Beispiel: „Bei der Maribor-Rallye stand Mario Saibel auf der Verbindungsetappe am Straßenrand, sein Auto ließ sich nicht starten. Ich habe angehalten und gefragt, ob ich helfen kann. Erst als er verneinte, bin ich weiter gefahren, und dabei lag Mario auf Platz drei.“
Harrach weiter: „Oder nehmen wir ein fiktives Beispiel: Nach einer Sonderprüfung sehe ich einen Konkurrenten mit zwei Patschen und er hat nur ein Ersatzrad dabei. Soll ich dann stehen bleiben und ihm mein Ersatzrad geben oder soll ich schadenfroh grinsen und weiterfahren? Ich für meinen Teil würde ersteres tun. Es darf einfach nicht sein, dass wir einander abseits des sportlichen Wettkampfs Schaden zufügen. Ich finde, man muss einfach trennen zwischen einem Regelverstoß, der einem tatsächlich einen sportlichen Vorteil erbringt und einem, der aus einem Irrtum heraus entstand und der einem keinerlei Wettbewerbsvorteil erbringt.“
Manfred Stohl wollte gegenüber motorline.cc keine öffentliche Stellungnahme zu diesem Fall abgeben. Auch Ilka Minor wollte zu der Frage, wer bei der Rallyeleitung angerufen hat, keine Stellungsnahme abgeben. Wohl aber erklärte Minor kurz vor ihrem Abflug nach Finnland gegenüber motorline.cc:
„Man kann der OSK nur auf die Schulter klopfen, dass man endlich einmal hart durchgegriffen hat. Es gibt nun einmal Regeln und diese müssen auch eingehalten werden – und sollte mir einmal so ein Fehler passieren, wie es bei Andi Schindlbacher der Fall war, dann bin ich froh, wenn ich bestraft werde. Wer sich an die Regeln hält, hat nichts zu befürchten.“
Harrach spricht also von einer Art „Gentlemen-Agreement“, wonach man bei Regelverstößen ohne sportlichen Vorteil von einer Bestrafung ablässt, dies sei bisher auch so praktiziert worden, behauptet Harrach – Minor hingegen spricht sich dafür aus, jedweden Regelverstoß zu bestrafen.
Dieser Ansicht kann zum einen zu Grunde liegen, dass man sagt: Wir sind Konkurrenten und kämpfen auf höchstem Niveau, daher nütze ich auch jeden Regelverstoß des Konkurrenten, um an mein Ziel zu gelangen.
Zum anderen könnte das Problem eines „Gentlemen-Agreements“ sein, dass es nicht immer so klare Fälle wie jenen von Beppo Harrach gibt. Harrach hat nur ein erlaubtes Reifenservice an einem nicht erlaubten Platz durchgeführt – doch es gibt sicher andere Fälle, wo die Frage des Wettbewerbsvorteils weniger leicht abzuschätzen ist…
Was denken Sie? Macht ein solches „Gentlemen-Agreement“ Sinn oder soll man jeden Regelverstoß bestrafen, gleichgültig ob damit ein Wettbewerbsvorteil entstanden ist?
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