
ILMC: 12h von Sebring | 30.03.2011
„Träume habe ich viele“
Oreca-Boss Hugues de Chaunac im ausführlichen Interview: Über den sensationellen Sieg bei den 12h von Sebring und die weiteren Ziele des Privatteams.
Mit dem Sieg beim Zwölf-Stunden-Rennen in Sebring hat Oreca nicht nur einen historischen Erfolg verbucht, sondern gleichzeitig auch ein Signal an die gesamte Sportwagenszene geschickt. Siege sind auch für Privatteams möglich, wenn man alles richtig macht, so die Botschaft. Den Sieg ließen sich die Franzosen gut schmecken, immerhin bezwang man die Werksteams von Audi und Peugeot.
Nicht nur der Sebring-Erfolg hat Oreca in den Fokus gerückt. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung an den Tag gelegt.
2010 sicherte man sich den LMS-Titel, nun tritt man als Konstrukteur von LMP2-Chassis auf. Der neue Oreca 03 überzeugte in den USA auf Anhieb. Im Interview erklärt Oreca-Boss Hugues de Chaunac die Fortschritte und Ziele seiner Firma.
Hat sich der ACO gemeldet und sich dafür bedankt, dass sie gezeigt haben, dass auch Privatteams heutzutage noch gute Chancen haben können?
Ich habe von vielen Leuten des ACO nette Glückwünsche erhalten, aber niemand hat sich konkret auf die Tatsache bezogen, dass wir als Privatteam dort möglicherweise ein Signal gesetzt haben. Aber es ist schon richtig, dass unser Sieg für den Sport, für den ACO und in vielerlei anderer Hinsicht recht wichtig war.
Also war der Oreca-Sieg ein positives Signal an Privatteams?
Vielleicht, aber ich möchte es nicht überbewertet wissen. Wir müssen es mal realistisch betrachten. Wir sind mit einem Auto nach Sebring gekommen, das deutlich langsamer ist als jene der Hersteller, aber extrem zuverlässig. Der Schlüssel zu unserem Erfolg war, dass wir nicht einen einzigen Fehler gemacht haben. Das hat den Unterschied ausgemacht.
Über reine Fahrzeugperformance können wir die beiden großen Hersteller niemals schlagen. Unsere einzige Chance ist es, in einem Rennen über zwölf oder 24 Stunden wirklich absolut fehlerlos zu agieren. Wenn sich die beiden Werksteams ein hartes Rennen liefern, dann tut sich manchmal eine kleine Lücke auf, in die wir vorstoßen können. Das ist unsere Chance. Aber sie ist auch mit enormem Druck verbunden, denn Fehler sind strikt verboten.
Ein Blick auf das Gesamtbild: In Sebring hatte es den Anschein, als lägen die Dieselautos immer noch meilenweit vor den Benzinern...
Nein, sicherlich nicht meilenweit. Es gibt vielleicht immer noch einen kleinen Vorteil für die Diesel, aber der ist bestimmt kleiner geworden. Man darf bei der Betrachtung niemals vergessen, dass die Dieselautos - abgesehen von unserem - die Autos der Hersteller sind. Die Benziner kommen von den Privaten. Der Abstand zwischen Diesel und Benziner ist der normale Abstand zwischen Werksteam und Privatteam.
Im Umkehrschluss heißt das, dass Aston Martin mit dem neuen Benziner-Werksauto gute Chancen haben müsste...
Das kann man noch nicht so genau beurteilen. Wir haben deren Auto noch nicht auf der Strecke gesehen. Die müssen selbst erst einmal schauen, dass deren Wagen bezüglich Chassis und Aerodynamik optimal ist. Wenn dieses Paket gelungen ist, erst dann kann man herausfinden, ob es mit deren Motor möglich sein wird, die Dieselteams zu schlagen. Im Moment kann man noch nichts sagen. Wir müssen sehen, wie sie sich auf der Strecke präsentieren.
In Sebring taten einem die LMP2-Piloten teilweise leid. Die mussten sich gegen die Autos der Formula-Le-Mans und gegen die GTE-Autos hart durchbeißen. Ist die LMP2 zu langsam?
Generell wollte der ACO den Speed der Prototypen einbremsen. Sie haben die Leistung der LMP1- und LMP2-Autos in gleichem Maße reduziert. Gleichzeitig erlebt man in der GT-Szene einen enorm hohen Level. Dort sind immerhin die Werksautos von BMW, Porsche und Co. unterwegs, die Hersteller schenken sich nichts. In der LMP2 sind die Voraussetzungen ganz andere.
Das neue Oreca-LMP2-Chassis war auf Anhieb bestens dabei. Warum war Signatech mit dem Oreca-Nissan in Sebring so viel schneller als alle anderen? Auch wenn sie dann technische Probleme hatten...
Ganz unbescheiden darf ich sagen, dass unser LMP2-Auto ein recht guter Wurf zu sein scheint. Aber trotzdem möchte ich keine großen Reden schwingen. Um erfolgreich zu sein, brauchst du nicht nur ein schnelles, sondern eben auch ein zuverlässiges Auto. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir dies in den kommenden Rennn in den Griff bekommen werden.
Grundsätzlich ist es aber schon so, dass unsere Techniker beim Bau des Oreca 03 wirklich einen guten Job gemacht haben. Und das in einer Kategorie, die nun wirklich nicht ganz einfach ist. In der LMP2 gibt es die Kostenbeschränkung, unsere Ingenieure mussten also innerhalb dieses Fensters bleiben. In diesem Falle werden die Stärken unserer Technikabteilung sichtbar.
Oreca ist auf einem beeindruckenden Weg. Amtierender LMS-Champion, aktuell führend im ILMC und als Konstrukteur auf einem guten Weg. Was kommt als nächstes?
Zwei Dinge müssen nun gleichzeitig geschehen. Wir müssen unser Image als Rennteam weiter stärken sowie als Konstrukteur darstellen, dass wir verschiedene siegfähige Autos bauen können. Das ist die eine Aufgabe.
Die andere ist, dass wir uns wirtschaftlich noch besser aufstellen, im Bereich Business mit unserem Unternehmen die nächsten Schritte gehen. Das gilt zum Beispiel im Marketing. Wir haben aktuell 200 Mitarbeiter. Rund 80 davon sind mit dem Rennsport beschäftigt: Einsatzteam, Designabteilung, Konstruktion und so weiter.
120 Mitarbeiter sind im kommerziellen Bereich für uns tätig. Diese Leute setzen das gute Image von Oreca in wirtschaftlichen Erfolg um. Wir haben also zwei Seiten, die gewissermaßen Hand in Hand gehen. Die kommerzielle Seite muss in Zukunft der Rennsportseite mehr Ressourcen verschaffen. Das ist unsere Herangehensweise.
Es gab bei Oreca Pläne zum Bau eines eigenen neuen LMP1-Prototypen, doch diese Pläne verschwanden wieder in der Schublade. Ist dieses Projekt in irgendeiner Form noch aktiv?
Ja. Wir mussten das Projekt aus Budgetgründen stoppen. Wir wollten es unter den damaligen Voraussetzungen einfach nicht machen. Aber das Design des Prototypen ist im Grunde komplett abgeschlossen. Also lebt dieses Projekt gewissermaßen weiter. Sobald wir eine gute Möglichkeit sehen, dieses Projekt umzusetzen, werden wir das definitiv tun.
Ist es also möglich, dass wir 2012 einen Oreca-LMP1 sehen werden?
Für 2012 würde die Zeit jetzt schon langsam knapp. Wir bräuchten die passenden finanziellen Ressourcen, oder einen Investor, oder ... ja, bleiben wir bei dem Begriff Investor. Ich werde dieses Risiko nicht ohne einen Geldgeber eingehen.
Das Design des Autos ist toll. Aber wenn wir solch ein LMP1-Projekt umsetzen, dann machen wir es richtig. Um es aber in allen Belangen perfekt zu machen, brauchst du eine Menge Geld. Sonst funktioniert es nicht.
Oreca ist nun erfolgreich in die Saison gestartet - mit einem alten Peugeot. Besteht die Chance, dass sie noch in diesem Jahr einen neuen Peugeot bekommen?
Ich würde sagen, das hängt ganz eindeutig vom Ergebnis in Le Mans ab. Wir werden mit Peugeot über dieses Thema sprechen, aber erst nach dem Saisonhöhepunkt. Das Ergebnis in Le Mans ist der Schlüssel für alles, was in Zukunft kommen könnte.
Wenn also Peugeot in Le Mans gewinnt, bekommen sie dann das Auto?
Sagen wir es mal so: Sollte Peugeot in Le Mans gewinnen, sind meine Chancen auf einen neuen Wagen größer...
In den vergangenen Tagen hieß es, Oreca baue möglicherweise ein Aerokit für die IndyCars. Was ist dort geplant?
Über ein solches Projekt denken wir derzeit intensiv nach, aber wir haben noch nicht abschließend darüber entschieden. Ich gebe aber gerne zu, dass wir allergrößtes Interesse an einem solchen Projekt haben. Oreca genießt in den USA einen sehr guten Ruf. Daher gibt es durchaus viel Interesse aus der IndyCar-Szene.
Diese Idee reift in uns gerade noch. Wir nehmen uns die nötige Zeit, um darüber nachzudenken. Ich denke mal, dass wir in gut einem Monat mehr wissen werden. Die Entscheidung wird wohl irgendwann im Bereich Mai/Juni definitiv fallen.
Wie sehen sie den Intercontinental-Le-Mans-Cup (ILMC). Muss man langsam mit der FIA mal über einen Weltmeisterschafts-Status diskutieren?
Zunächst einmal mag ich die Bezeichnung ILMC überhaupt nicht gern, das sage ich immer wieder. Für mich muss diese Serie 'Le-Mans-Cup' heißen. Wer kann schon etwas mit ILMC anfangen? Niemand. Wenn ich 'Le-Mans-Cup' sage, dann versteht wenigstens jeder sofort, was dahintersteckt.
Nun stellt sich die Frage, ob es sinnvoll wäre, die Serie unter das Dach der FIA zu stellen. Da müsste man zunächst einmal genau abklären, welche Änderungen der Status einer FIA-Weltmeisterschaft mit sich bringen würde. Unter dem Dach der FIA gibt es extrem viele Vorgaben, vieles müsste wahrscheinlich anders laufen. Ich bin nicht sicher, ob der ACO das will und braucht.
Wichtig ist erst einmal, dass wir eine Serie haben, die international aufgestellt ist. Ebenso wichtig ist es, dass wir passende Promotion betreiben. Vielleicht wäre ein WM-Status dabei hilfreich, vielleicht würde so etwas aber auch nach hinten losgehen. Erste Aufgabe des ACO ist es, sich über die optimale Darstellung des Le-Mans-Cup Gedanken zu machen.
Wo soll Oreca in drei Jahren stehen? Welchen Traum haben sie?
Träume habe ich viele (lacht). Ich fände es schön, wenn wir uns als Rennwagen-Konstrukteur bestens aufgestellt hätten, zum Beispiel als bester LMP2-Autobauer. Natürlich - das ist nur ein Beispiel - wäre es toll, wenn wir zu jenem Zeitpunkt auch das beste Aerokit für die IndyCar-Serie hätten. Wir wollen schlicht und ergreifend zu einem führenden Konstrukteur werden.
Das ist kein Traum, sondern ein klares Ziel. Egal, ob das nun 2014 oder 2015 klappt. Unser klares Ziel ist es, dass wir uns in Zukunft als führender Konstrukteur darstellen möchten. Es wäre schön, wenn uns dies gelingt. Aber natürlich hängt so etwas von finanziellen Möglichkeiten ab. Oder auch von einem Automobilhersteller, der vielleicht mit Oreca zusammenarbeiten möchte.
Für so etwas ist es enorm wichtig, dass man die richtigen Leute an seiner Seite hat und mit den wichtigsten Leuten außerhalb des Unternehmens einen guten Kontakt unterhält. Unser großer Traum ist es natürlich, irgendwann die 24 Stunden von Le Mans zu gewinnen. Wir allein können das aber nicht schaffen. Wir müssten es also zusammen mit einem Hersteller tun...
Gibt es da schon entsprechende Kontakte?
Ich stehe in permanentem Kontakt zu ungefähr zehn Herstellern. Das ist aber nicht erst seit gestern so. Es gehört einfach zu meinem Job, dass ich Kontakt zu den großen Herstellern halte. Dabei geht es um intensiven Gedankenaustausch, aber auch um deren Pläne für die Zukunft. Es ist ein ganz normaler Teil meines Jobs, dass ich diese Beziehungen zu Herstellern pflege.
Rebellion ist Semi-Werksteam von Toyota, Signatech hat einen ähnlichen Deal mit Nissan. Da gibt es doch gute Signale von Seiten der Hersteller...
Ja, die Signale sind vorhanden. Aber man muss diese Signale vorsichtig bewerten. Bezüglich der wirtschaftlichen Situation kann es immer wieder rasante Veränderungen geben. Oder, wie wir traurigerweise gerade in Japan beobachten können, es können jederzeit Geschehnisse eintreten, die die Entwicklung eines Herstellers beschleunigen oder bremsen.