
Rallye-WM: Neuseeland | 27.08.2008
Das letzte Aufbegehren
Mikko Hirvonen und Ford wollen die WM-Führung zurückerobern, der Finne benötigt dringend einen Sieg. In der PWRC muss Aigner Nerven bewahren...
Michael Noir Trawniczek
Am kommenden Wochenende könnte in der Rallye-Weltmeisterschaft eine Vor-Entscheidung fallen - in Neuseeland steht wieder loser Schotter auf dem Programm, danach folgen jeweils zwei Asphalt- und zwei Schotter-Rallyes. Der vierfache Weltmeister Sébastien Loeb führt vor den letzten fünf WM-Läufen mit vier Punkten Vorsprung auf Mikko Hirvonen - der 28-jährige Finne wurde von Ford als Nachfolger von Marcus Grönholm auf den WM-Titel angesetzt. Wenn Hirvonen den Funken einer Titelchance bewahren möchte, muss er am kommenden Wochenende Sébastien Loeb besiegen. Im besten Falle würde Ford mit Hirvonen und Jari Matti Latvala einen Doppelsieg einfahren, denn auf Asphalt wird Loeb nur schwer zu bezwingen sein.
Ford möchte vor allem wieder den Markentitel einfahren, wie in den letzten beiden Jahren. In der Fahrerwertung muss Hirvonen aus eigener Kraft vorankommen - in Deutschland verzichtete man darauf, Stobart Ford-Pilot Francois Duval zurückzupfeifen, um Hirvonen einen Zähler mehr zu sichern. Wohl auch deshalb, weil Duval noch WM-Punkte einfahren soll. In Deutschland hat man nicht nur in der Fahrer-, sondern auch in der Markenwertung die WM-Führung an Erzkonkurrent Citroen verloren. Dass bei Ford die Alarmglocken schrillen, zeigt auch die Beförderung von Francois Duval bei den Asphalt-Rallyes, wo er mit Jari Matti Latvala das Cockpit tauschen wird.
Punkteeichhörnchen
Dass Hirvonen nur vier Punkte hinter Loeb zurückliegt, ist eine Konsequenz des 2003 geänderten Punktemodus - Loeb hat heuer bereits sieben Siege errungen, Hirvonen deren zwei. Dafür jedoch hat Hirvonen bei jeder Rallye Punkte geholt, Loeb hat sich zwei Nullrunden erlaubt. Auf Asphalt soll Duval den Weltmeister unter Druck setzen - auf Schotter, wie in Neuseeland, müssen diese Arbeit Hirvonen und Latvala verrichten. Doch während Hirvonen auf Asphalt immer noch eine Art "Lehrlingsstatus" innehat und sich freut, wenn er auf einer Wertungsprüfung nur eine Zehntelsekunde hinter Loeb ins Ziel kommt, ist Loeb auch auf Schotter eine Größe für sich. In Finnland konnte er Hirvonen die Schmach antun, dessen Heimrallye zu gewinnen...
Sollte Hirvonen tatsächlich noch daran glauben, dass er Loeb bezwingen kann, muss er die Neuseeland-Rallye gewinnen. Sollte Loeb in den restlichen Läufen keinen seiner seltenen Fehler mehr begehen, wird es schwer für Hirvonen. Allerdings würde ein einziger kapitaler Loeb-Fehler seine Chancen massiv erhöhen - vorausgesetzt Hirvonen sammelt weiter brav WM-Punkte.
Staubsauger
In Neuseeland muss Loeb als neuer WM-Leader am Freitag wieder als "Staubsauger" fungieren, er muss als erster Pilot auf die Prüfungen und den losen Schotter von der Piste fegen, was sehr viel Zeit kosten kann. Loeb ist sich dessen bewusst - weil die Straßen jedoch mitunter recht feucht sein können (die Rallye wird im neuseeländischen Winter abgehalten, in dem Niederschläge keine Seltenheit darstellen), relativiert sich der Nachteil des Straßenfegens. "Es kommt darauf an, wie feucht die Straßen sein werden", weiß Loeb. Im Vorjahr unterlag er in dem wohl knappsten Duell der WRC-Geschichte um lächerliche drei Zehntelsekunden - allerdings nicht im Kampf gegen Hirvonen, sondern gegen den "WM-Pensionisten" Marcus Grönholm.
Die schnellen, fließenden Straßen rund um das Rallye-Headquarter in Hamilton sind jenen der Finnland-Rallye ähnlich. Ford hat einen verbesserten Motor im Gepäck, der sich laut Hirvonen bereits in Deutschland "definitiv bewährt" hat. Die Prüfungen quer durch die Waikato-Ebene, mit ihren wunderschönen Straßen, gehören zu den Lieblingsprüfungen vieler WM-Piloten.
Weil Gigi Galli nach seinem Oberschenkelbruch für längere Zeit ausfallen wird, erhält Francois Duval auch in Neuseeland das Stobart Cockpit. Der Kampf um den Sieg wird wohl eher unter dem Trio Loeb - Hirvonen - Latvala ausgefochten. Citroen Nr. 2-Pilot Dani Sordo, in Deutschland ein guter Zweiter, möchte erneut Podestluft schnuppern.
Statisten
Alle anderen werden um die restlichen Plätze kämpfen. Das Werksteam von Subaru kehrt an jenen Platz zurück, an dem der unvergessene Colin McRae im Jahr 1993 den ersten Sieg für das japanische Werk erringen konnte. Von einem Sieg jedoch können Petter Solberg und Chris Atkinson derzeit nur träumen - auch mit dem neuen Impreza WRC2008 konnte man bislang nicht auf die Siegerstraße zurückkehren. Atkinson konnte in Finnland den dritten Platz belegen - ein erneuter Podestplatz wäre bereits ein großer Erfolg für das Prodrive-Team rund um David Richards. Der Impreza WRC2008 soll das Team wieder an alte Erfolge anknüpfen lassen - noch hat der neue Bolide nicht den erwünschten Quantensprung ermöglicht...
Nur 14 WRC-Boliden haben für die Neuseeland-Rallye genannt. Darunter auch das Suzuki-Werksteam mit Toni Gardemeister und Per Gunnar Andersson, das Stobart Ford-Team mit Francois Duval und Matthew Wilson, das Munchi's Ford-Team mit Federico Villagra und Henning Solberg oder die beiden privaten Citroen C4 von Urmo Aava und Conrad Rautenbach. Wer am Ende die Zielflagge sieht, könnte mit Punkten belohnt werden, auch wenn der Rückstand noch so groß ist...
PWRC: Schlüssel-Rallye für Aigner
In der PWRC steht für WM-Leader Andreas Aigner eine entscheidende Rallye auf dem Programm. Im Titel-Kampf gegen Juho Hänninen [siehe auch den Artikel "Die PWRC-Punktetabelle" in der Navigation rechts, d. Red.], der noch eine Rallye mehr als Punktemöglichkeit aufweist, tritt Aigner mit einem Handicap an: Hänninen kennt die Pisten Neuseelands, für Aigner wird es die erste Erfahrung mit den schnellen Prüfungen sein.
Doch Hänninen liegt noch acht Zähler hinter dem Steirer - Red Bull Rallye-Teamchef Raimund Baumschlager warnt: "Fehler dürfen wir uns keinen mehr erlauben!" In Finnland, wo Aigner ohne Punktestatus zwecks Streckenstudium antrat, landeten Aigner und sein Co-Pilot Klaus Wicha in einem Teich - eine solche Nullrunde muss Aigner in Neuseeland unbedingt vermeiden.
Aigner weiß: "Zum einen darf ich mir keinen Ausfall leisten, muss unbedingt punkten, zum anderen wäre es ideal, vor Hänninen ins Ziel zu kommen. Und um dieses Vorhaben auch realisieren zu können, werden auch die Nerven eine entscheidende Rolle spielen." Zudem sind noch echte Kaliber der PWRC am Start - dazu gehören unter anderen Fumi Nutahara, Patrick Sandell, Weltmeister Toshihiro Arai, Martin Prokop oder Mirco Baldacci.
Die Neuseeland-Rallye wird am Freitagmorgen um 9.18 Uhr Ortszeit (Donnerstag, 23.18 Uhr MESZ) mit der 24,22 Kilometer langen Wertungsprüfung SP 1 "Pirongia West" in Angriff genommen. Insgesamt stehen 18 Sonderprüfungen auf dem Programm.