
Rallye-WM: Mexiko | 02.03.2010
Eine schallende Ohrfeige für wahre Rallyefans
So vieles wollte man verbessern – doch das dümmliche Taktieren auf Schotter ist geblieben. Die WRC wird immer mehr zur Schande des Rallyesports.
Michael Noir Trawniczek
Fotos: Monster World Rally Team, rallyofnations.com, Photo4
Nach dem Schneeabenteuer in Schweden wird im fernen und wesentlich höher temperierten Mexiko die erste von fünf hintereinander folgenden Schotter-Rallyes in Angriff genommen.
Schotter ist an sich sehr beliebt bei Aktiven und Fans, doch er kann auch sehr böse sein – allerdings nur deshalb, weil die FIA sich herzlich wenig oder eigentlich gar nichts einfallen lassen hat, um die damit in Verbindung stehenden Widrigkeiten in punkto Startreihenfolge abzustellen.
Dass der WM-Führende am Freitag die Wertungsprüfungen eröffnen muss, ist dabei das geringste Übel, so lange man nicht die WM anführt. Doch selbst dann ist es eigentlich nicht so tragisch – schließlich lassen sich am Ende des Tages ohnehin alle zurückfallen, um am nächsten Tag nicht als Erster auf die Strecke zu müssen…
Sowohl am Freitag als auch am Samstag werden spätestens auf der letzten Wertungsprüfung alle Ergebnisse ad absurdum geführt, denn dann wird um die Wette gebremst – schließlich will niemand am nächsten Tag als Erster auf die Piste, doch das schreibt das Reglement der WM vor (2010 WRC Sporting Regulations, Art. 44.4) : Der Führende der Rallye muss die Prüfungen des nächsten Tages eröffnen, dieser fungiert somit als „Staubsauger“, muss den losen Schotter von der Strecke fegen und rutscht dabei ziemlich umher. Im Prinzip sollte mit dieser Regelung die Spannung erhöht werden - doch dabei haben die Entscheidungsträger offenbar nicht damit gerechnet, dass sich jemand zurückfallen lassen könnte. Nur: Spätestens seit dem Vorjahr wissen sie es…
Dümmlicher Brems-Wettbewerb auf der letzten SP
Dass die Verantwortlichen der Rallye-WM und die FIA dieses leidige Taktieren für 2010 nicht abzustellen wussten, ist ein Skandal und eine schallende Ohrfeige für wahre Rallyefans. Mehr noch: Dieses dümmliche Taktieren ist eine Schande für den gesamten Rallyesport – Größen wie Sébastien Loeb müssen am Ende des Tages ihr plötzliches Zurückfallen kommentieren und können dabei leicht in Teufels Küche geraten und sich der Lächerlichkeit preisgeben.
Der sechsfache Rallye-Weltmeister Loeb ist im Feld der Einzahler und Ums-Cockpit-Zitterer einer von wenigen, wenn nicht der Einzige, der es sich leisten könnte, entschieden gegen das dubiose, den Sport verhöhnende Reglement einzutreten. Der Franzose hat schließlich bereits Taten gesetzt - denn trotz massiver Kritik gegen den „dreckigen, unrasierten Weltmeister“ hat sich Loeb gegen das FIA-Gruselkabinett durchgesetzt, eben erst in Schweden stand er wieder mit seinem Dreitagesbart auf dem Podium…
35 Teilnehmer inklusive der Lokalhelden
Apropos Schande: Die Rallye-WM präsentiert sich in Mexiko mit einem Micky Maus-Feld von insgesamt 35 Teilnehmern, das zweitschlechteste Nennergebnis in der Geschichte der Weltmeisterschaft.
Zwölf World Rally Cars stehen am Start. Ford verzichtet diesmal auf die Dienste des dritten Werkspiloten Khalid Al-Quassimi, setzt zwei Werkautos für WM-Leader Mikko Hirvonen und Jari Matti Latvala ein. Hirvonen möchte seine WM-Führung verteidigen, klagt aber auch bereits über seine „Staubsaugerfunktion“ am ersten Tag. Dennoch werde man „einen Weg finden, die Chancen zu wahren“, kündigte Hirvonen für seine 100. WRC-Rallye an. Was er wohl mit dieser kryptischen Andeutung meint? Eines ist klar: Dieses Schielen auf die Splitzeiten der Konkurrenz, welches da am Freitag und am Samstag auf der jeweils letzten SP des Tages stattfindet, kann auch zu einer Gefahr werden, schließlich passiert es immer noch bei einem recht zügigen Tempo…
Loeb in Mexiko seit 2006 in der WRC ungeschlagen
Sébastien Loeb möchte jedenfalls „verhindern, dass Mikko Hirvonen einen Punktevorsprung aufbaut“, er möchte also den Sieg. Und der ist ihm in Mexiko zuletzt, seit 2006 auch stets geglückt...
Nur im Vorjahr hieß der Sieger Manfred Stohl. Denn 2009 war die Mexiko-Rallye nicht im WRC-Kalender vertreten, stattdessen schrieben die Veranstalter eine Nationenrallye aus, welche Stohl und Andi Aigner für sich entscheiden konnten.
Ilka Minor ist also bestens mit den Prüfungen vertraut, auch Henning Solberg kennt sie gut – denn sie haben sich auch seit 2008 kaum verändert. Das Duo Solberg/Minor wird wieder neben Matthew Wilson für das Stobart Ford Kundenteam antreten.
Ilka Minor: „Best of the Rest wollen wir sein“
Die Kärntnerin erklärte unlängst in einem motorline.cc-Exklusivinterview: „Ich glaube, dass Mexiko eine Rallye ist, die dem Henning gut liegt, die er auch gerne mag und die ich auch gerne mag.“ Ein Podestplatz jedoch sei in Anbetracht der Kräfteverhältnisse in Schweden nur noch dann möglich, wenn „die Werksteams ein Problem haben“, fügte Minor hinzu. Aus eigener Kraft heraus sei ein fünfter Platz das Höchste der Gefühle. „Best of the Rest wollen wir sein“, sagte Ilka Minor. Die Gegner von Solberg/Minor heißen also Sébastien Ogier, Matthew Wilson, Petter Solberg oder auch Kimi Räikkönen…
Privatier Petter Solberg musste in Schweden schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, dass er zwar ein gut zahlender, aber eben doch nur ein Kundenpilot ist. Der Kunde ist König, natürlich – in der Realität jedoch sieht es Ilka Minor folgendermaßen: „Wenn du bei einer Rallye drei bis 3,5 Minuten Rückstand hast, als Kundenfahrzeug – dann bist du eigentlich ganz gut dabei.“ Die zehn Minuten Rückstand, die sich Solberg in Schweden einhandelte, stellten für den Ex-Weltmeister ein Rätsel dar. „Ich habe allein auf der Zuschauerprüfung sieben Sekunden verloren“, grübelte der Norweger, der die Schuld auch bei sich selbst und dem vielen Stress der Saisonvorbereitungen suchte. In Mexiko profitiere er jedoch von seiner Startposition und schließlich habe er diese Rallye bereits gewonnen, bleibt der Charakterkopf seinem Zweckoptimismus treu.
Komplettes Neuland betritt Formel 1-Abkömmling Kimi Räikkönen, der wegen Rückenschmerzen einen Schottertest absagen musste und am kommenden Wochenende daher zum ersten Mal mit dem C4 World Rally Car auf dem losen Untergrund fahren wird. „Wir haben in Schweden viel gelernt, aber eigentlich fangen wir in Mexiko wieder bei Null an“, sagt der 30-jährige Finne.
Mit dabei ist auch wieder das Munchi’s Ford-Team mit dem zahlungskräftigen Federico Villagra, der Argentinier steigt in Mexiko in die aktuelle WM ein und darf sich dank der Punkteinflation (WM-Punkte für die Top 10) tatsächlich Hoffnungen auf einige der begehrten Zähler machen.
Debüt von Ken Block
Erstmals wird auch Videokünstler Ken Block den Ford Focus RS 08 WRC des Monster World Rally Teams pilotieren. Block kommt gut vorbereitet nach Mexiko: Am vergangenen Wochenende feierte er in seinem Open Class-Ford Fiesta bei der zur amerikanischen Meisterschaft zählenden 100 Acre Wood Rally seinen fünften US-Sieg in Folge. Gleich nach diesem Sieg flog Block nach Mexiko, um dort noch den Focus zu testen. Zudem ist die Mexiko-Rallye für den 42-jährigen keine Unbekannte: „Ich habe vor ein paar Jahren bereits diese Rallye bestritten und ich habe im Vorjahr an der Besichtigung teilgenommen – von den sieben WM-Rallyes, die wir heuer bestreiten, ist Mexiko jene, die ich am besten kenne.“
Fiesta, Fiesta, Fiesta!
Die Mexiko-Rallye zählt auch wieder zur neuen SWRC für Super 2000-Fahrzeuge. Weil in Mexiko in diesem Jahr eine Fiesta wegen des 100-jährigen Jubiläums der mexikanischen Revolution sowie des 200-jährigen Bestehens der Unabhängigkeit gefeiert wird, freuen sich die offenbar mit einem sonnigen Gemüt ausgestatteten Veranstalter in einer Presseaussendung darüber, dass drei Autos mit dem Namen Fiesta am Start sind…
Diese Ford Fiesta S2000 werden von Martin Prokop, Michal Kosciuszko und Xavier Pons pilotiert, der aufgrund eines dubiosen Wertungssystems als Sieger der Nationenrallye im Vorjahr bezeichnet wird. Eyvind Brynildsen, Nasser Al-Attiyah und der mexikanische Lokalmatador Pablo Gutierrez steuern jeweils einen Skoda Fabia S2000-Boliden. Patrik Sandell ist in Mexiko ebenso wenig vertreten wie sein Red Bull-Teamkollege Hermann Gaßner junior.
In der schwach besetzten PWRC gelten Weltmeister Armindo Araujo im Mitsubishi Lancer Evo X sowie Ex-Weltmeister Toshihiro Aria im Subaru Impreza WRX als die Favoriten auf den Sieg. Das Feld beinhaltet zudem einige Gruppe N-Autos, da die Rallye auch zur nationalen Meisterschaft gezählt wird.
Leistungsverlust bis zu 30 Prozent
Die Rallye wird am Donnerstagabend um 20 Uhr Ortszeit (Freitag 3 Uhr MEZ) mit dem zeremoniellen Start in Guanajuato eröffnet. Die erste Sonderprüfung beginnt am Freitag um 7.28 Uhr Ortszeit (14.28 Uhr MEZ). Die meisten der nördlich und östlich von Leon liegenden Prüfungen werden in mehr als 2.000 Meter Seehöhe absolviert, am ersten Tag geht es in luftige Höhen bis zu 2.700 Meter, was sich mit einem Leistungsverlust von bis zu 30 Prozent bemerkbar macht.
Zwei kurze Zuschauerprüfungen kamen neu hinzu: eine direkt in Leon in der Nähe des Serviceparks beim Poliforum, die andere auf der lokalen Rennstrecke der Stadt. Insgesamt werden 22 Wertungsprüfungen absolviert. Die Gesamtdistanz beträgt 884,58 Kilometer, davon 354,6 Wertungskilometer.
WM-Stand WRC
1. HIRVONEN Mikko 25 Punkte 2. LOEB Sébastien 18 Punkte 3. LATVALA Jari Matti 15 Punkte 4. SORDO Dani 12 Punkte 5. OGIER Sébastien 10 Punkte 6. SOLBERG Henning 8 Punkte 7. WILSON Matthew 6 Punkte 8. ÖSTBERG Mads 4 Punkte 9. SOLBERG Petter 2 Punkte 10. ANDERSSON Per-Gunnar 1 Punkt
WM-Stand Hersteller WRC
1. Ford 40 Punkte 2. Citroen 30 Punkte 3. Citroen Junior Team 14 Punkte =. Stobart Ford 14 Punkte
WM-Stand SWRC
1. ANDERSSON Per-Gunnar 25 Punkte 2. TUOHINO Janne 18 Punkte 3. PROKOP Martin 15 Punkte 4. SANDELL Patrik 12 Punkte
WM-Stand PWRC
1. FLODIN Patrik 25 Punkte 2. GRÖNDAL Anders 18 Punkte 3. ARAUJO Armindo 15 Punkte