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Vorschau LMP: Toyota jetzt der Favorit

Starke Auftritte in den WEC-Rennen 2017, noch stärkere Leistung beim Vortest in Le Mans: Toyota geht als Favorit in das Rennen - LMP2: Fahrer entscheidend.

Wann kann Toyota endlich den Fluch von Le Mans besiegen und den ersten Gesamtsieg an der Sarthe feiern? Die Chancen stehen 2017 so gut wie selten zuvor. Die Japaner haben ihren TS050 seit der bitteren Niederlage 2016 umfangreich überarbeitet, die Zuverlässigkeit stets im Fokus behalten und das Tempo enorm gesteigert. Nach den Siegen bei den WEC-Rennen in Silverstone und in Spa-Francorchamps soll nun auch der Triumph bei den 24 Stunden von Le Mans 2017 gelingen.

"Wir haben hart dafür gearbeitet, um möglicherweise als Favoriten gesehen zu werden. Aber nach diesem einen Testtag kann man sich nicht festlegen", fasst Toyota-Technikchef Pascal Vasselon nach den beeindruckenden Rundenzeiten beim Vortest am vergangenen Sonntag zusammen. In 3:18.132 Minuten war Kamui Kobayashi im TS050 mit der Startnummer 7 eine Zeit gelungen, die um über vier Sekunden schneller war als der Bestwert vom Testtag des Vorjahres. Der Japaner unterbot sogar die Polezeit um 1,601 Sekunden.

"Im Vergleich zum Vorjahr ist uns ein gewaltiger Schritt gelungen", freut sich Vasselon. "Schon in Spa waren wir im Vergleich zum Vorjahr vier Sekunden schneller. Warum sollte man dann nicht auch mindestens vier Sekunden schneller in Le Mans sein? Das ist alles doch logisch", meint Sebastien Buemi im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com. Der Schweizer kündigt einen weiteren Tempozuwachs zur Rennwoche an: "Logisch, wir wollen immer noch schneller werden!"

Tempo in Le Mans: 3:15 Minuten und schneller!

Wie weit gehen die Fortschritte tatsächlich? Vor dem Hintergrund der aerodynamischen Beschränkungen zur Saison 2017, die in der LMP1-Szene eigentlich schnellere Rundenzeiten verhindern sollten, sind die aktuellen Leistungen nahezu unglaublich. Man hat den Nachteil durch den Verlust von rund 100 Abtriebspunkten nicht nur kompensiert, sondern darüber hinaus mächtig zugelegt. "Ich muss ehrlich zugeben, dass ich vom Tempo der LMP1 2017 sehr überrascht bin. Das hatten wir nicht erwartet", wundert sich Kazuki Nakajima, der 2016 vier Minuten vor dem Rennende in Le Mans in Führung liegend ausgerollt war.

"Für uns fing Le Mans 2017 im vergangenen Jahr am 19. Juni um 14:56 Uhr an. Wir haben hart gearbeitet, alles konsequent vorbereitet. Wir denken, es wird ein großer Kampf. Hoffentlich diesmal mit dem guten Ende für uns", meint TMG-Boss Rob Leupen. In Köln und Japan setzte man alles daran, den ersehnten Le-Mans-Triumph endlich Realität werden zu lassen. "Für uns kann das Rennen jetzt sofort losgehen. Wir haben richtig Lust darauf", so die Kampfansage von Leupen.

"Unsere Startnummer 7 hat am Testtag mal eine schnelle Runde versucht, aber sicherlich noch nicht alles gezeigt. Es war keine wirkliche Qualifyingrunde. Da kommt noch etwas, muss auch noch etwas kommen", erklärt Leupen. "Mal schauen wie viel noch kommt. Es wird aber ganz ordentlich sein", schmunzelt Nakajima. "Wenn die an einem solchen Testtag eine Runde in 3:18 Minuten fahren, dann werden die in der Rennwoche unter 3:15 Minuten fahren", ahnt Porsche-Werksfahrer Neel Jani, dass sein Qualifyingrekord aus dem Jahr 2015 fallen wird.

Toyota setzt erneut auf 14-Runden-Stints

"Ich bange nicht um meinen Rekord. So ist eben die Geschichte im Rennsport. Es wird immer schneller", nimmt Jani die Vorzeichen gelassen hin. Wie schnell wird es denn tatsächlich? Die Simulationen von Porsche und Toyota hatten schon für die Rennen in Silverstone und Spa nicht einen solch großen Tempozuwachs versprochen. Stimmen aus beiden Lagern behaupten, dass in diesem Jahr bei freier Fahrt und guten Bedingungen eine Zeit von 3:13 Minuten möglich sein könnte!

Das Renntempo wird sicherlich deutlich geringer sein, weil die Zeiten immer wieder von Schonung der Reifen, Spritsparen und Verkehr verlangsamt werden. Dennoch: Longruns von Anthony Davidson und Sebastien Buemi beim Vortest zeigten, dass man im Rennen durchaus Rundenzeiten von durchschnittlich 3:22 Minuten erwarten darf. Toyota absolvierte beim Test wie schon im Vorjahr 14 Runden lange Stints. "Das ist unser Plan. Das wollen wir durchziehen", kündigt Pascal Vasselon an.

Die Japaner haben zudem in diesem Jahr den Vorteil der drei Autos. Schon beim Vortest konnte man die Arbeit auf drei Fahrzeuge verteilen, somit viel mehr Daten und Erkenntnisse gewinnen. Insgesamt spulten die drei TS050 über 300 Runden ab. Das entspricht nahezu einer Le-Mans-Renndistanz über 24 Stunden. "Es war alles sehr gut. Wir sind unheimlich viel gefahren. Es gab null technische Probleme", freut sich Buemi nach dem erfolgreichen Probelauf auf dem "Circuit 24 Heures" in Le Mans.

Rookie Kunimoto fühlt sich in Le Mans pudelwohl

Eine weitere Erkenntnis darf den Japanern zusätzlichen Mut einhauchen: Im Gegensatz zum Rennen in Spa-Francorchamps, wo Rookie Yuji Kunimoto auf gebrauchten Pneus satte vier Sekunden pro Runde auf die Teamkollegen verlor, waren die Neulinge bei Toyota in Le Mans sofort stark unterwegs. "Ich bin extrem happy mit Yuji, auch mit Jose Maria Lopez, denn die beiden haben tolles Tempo gezeigt. Die Startnummer 9 ist für uns ein Auto, das sehr wichtig werden kann im Rennen", sagt Rob Leupen.

"Wir werden bestimmt ein spannendes Rennen sehen. Ich glaube nicht, dass wir vom Start weg nach vorne fliehen können", blickt der Niederländer auf die Rennwoche voraus. Der Abstand auf Porsche, der im Klassement des Testtages bei rund 2,5 Sekunden lag, wird sich bald relativieren, sind sich alle im TMG-Kader sicher. "Ich denke, Porsche hat nicht alles gezeigt", meint Technikchef Vasselon. Immerhin habe Toyota im Vorjahr genauso vorsichtig beim Test agiert und das wahre Tempo erst im Rennen offenbart.

"Ich bin mir ganz sicher, dass Porsche in der Rennwoche nicht weiter auf dem Niveau vom Testtag fahren wird. Die legen garantiert zu. Es wird für uns ganz bestimmt kein einfaches Rennen", meint auch Kazuki Nakajima. Aber wie viel kommt noch von der Mannschaft aus Weissach, die in den vergangenen beiden Jahren in Le Mans siegen konnte? Auf Rundenzeiten von 3:18 Minuten wird man sicherlich ebenfalls kommen können. Aber geht es auch darüber hinaus?

Porsche nur mit 156 Runden beim Test

"Außer dass Speed fehlt, war alles okay", so das wenig erbauliche Fazit von Andre Lotterer nach seinen ersten Porsche-Runden in Le Mans. Das Auto mit der Startnummer 1, das sich der dreimalige Le-Mans-Champion mit Nick Tandy und Neel Jani teilt, lief beim Test stabil. Am Schwesterauto von Timo Bernhard, Brendon Hartley und Earl Bamber musste aufgrund eines Öllecks allerdings der Verbrenner gewechselt werden. Perfekte Testarbeit sieht anders aus.

"Es wäre schön gewesen, wenn wir etwas mehr hätten fahren können", meint Timo Bernhard. Im Lager von Porsche ist man sicher, dass Toyota über eine schnelle Runde kaum zu packen ist. Wohl aber über die Distanz. "Die werden brutal schnell sein, besonders in der Qualifikation. Bisher war das deren Schwäche, aber das ist vorbei", schätzt Neel Jani. Während die Japaner eine Qualifyingsimulation machten, verzichtete Porsche auf einen solchen Versuch. Das Bild von Testtag ist also etwas verzerrt.

"Wir müssen am Auto arbeiten. Wir haben viele Dinge gemerkt, die wir verbessern müssen. Wir haben uns beispielsweise mit den Reifen ziemlich herumgeschlagen. Da müssen wir schauen, wie wir es besser ins optimale Fenster bekommen", erklärt Jani die bisherigen Problemzonen am 919 Hybrid. Die mittellangen Stints beim Testtag waren nicht besonders beeindruckend, allerdings deutete Earl Bamber mit der besten Porsche-Rundenzeit mitten in einem langen Versuch an, dass die Mannschaft mehr kann als im Klassement auf den ersten Blick zu sehen ist. Dem Team aus Weissach kommt es womöglich gerade recht, dass Toyota sich derart offensiv in die Favoritenrolle drängt.

ByKolles im Kampf gegen die schnellen LMP2-Autos

Abseits der beiden Werksteams hat sich ByKolles mit dem Enso P1/01 Nismo konsequent auf das Highlight des Jahres vorbereitet. Das Team aus Greding brachte zum Test weitere Updates an das LMP1-Privatauto. Unter anderem eine neue Lenkung sorgte dafür, dass sich die drei Piloten Dominik Kraihamer, Oliver Webb und Marco Bonanomi deutlich wohler fühlten als zuvor. ByKolles will sich in die Abstauberposition manövrieren. Sollten drei Werksautos Probleme bekommen, dann winkt womöglich ein Podium.

Bis dorthin ist es allerdings ein weiter Weg - und dieser ist nicht nur mit hohen Ansprüchen an Mensch und Material verbunden. ByKolles muss mit allen Mitteln versuchen, dem engen Kampf der LMP2-Autos zu entgehen. Beim Test schaffte man dies nicht ganz. In 3:28.701 Minuten war man zwar 4,5 Sekunden schneller als beim Vortest 2016, aber die LMP2-Klasse hat nach dem Reglementwechsel noch viel mehr zugelegt. Konsequenz: ByKolles fährt auf dem Niveau der "kleinen Prototypen".

In der LMP2-Kategorie, die in diesem Jahr dank neuer Fahrzeuge und dem leistungsstarken Gibson-V8 um satte acht Sekunden schneller ist als 2016, ist ein klarer Favorit nicht auszumachen. Nur eines erscheint sicher: Mit einem Chassis von Riley ist rein gar nichts, mit einem von Ligier nur wenig zu gewinnen. Oreca hinterließ beim Test einen starken Eindruck, Dallara glänzte mit enormen Topspeeds teils jenseits der Marke von 340 km/h. Die LMP2 ist am Ende der Geraden am schnellsten.

"Ich denke, alle Dallaras fahren zu wenig Abtrieb. Da müssen wir etwas draufpacken", so die Bilanz von Ex-Formel-1-Haudegen Rubens Barrichello, der für das Racing Team Nederland in einem Dallara-Gibson erstmals an den Le-Mans-Start gehen wird. Sollte der Dallara tatsächlich ein Set-up für mehr Downforce ermöglichen, so könnte sich ein Duell gegen die Autos von Oreca/Alpine entwickeln. Bislang ist die französische Prototypenschmiede von Hugues de Chaunac aber im klaren Vorteil.

LMP2-Kampf: Qualität von Teams und Fahrern entscheidend

Wie groß der Vorsprung aller Oreca-Autos ist, lässt sich nach einem intensiven Blick auf die Sektorenzeiten beim Vortest nur erahnen. Wenn ausgerechnet die Herren Tristan Gommendy, Ben Hanley und Ho-Pin Tung die schnellsten Zeiten in den Porsche-Kuven realisieren und Toppiloten wie Jean-Eric Vergne, Aley Lynn oder Filipe Albuquerque teils deutlich hinter sich lassen, dann weiß man: Die schnellsten LMP2-Piloten waren dazu angehalten, die Karten keineswegs offen auf den Tisch zu legen.

"Die LMP2-Klasse ist in dieser Saison mit 25 identisch motorisierten Fahrzeugen die am härtesten umkämpfte Klasse", erklärt Manor-Pilot Simon Trummer. Der Schweizer, der sich seinen Oreca-Gibson mit Ex-Formel-1-Pilot Witali Petrow und Roberto Gonzalez teilt, will von einer Favoritenrolle nichts wissen. Jean-Eric Vergne, der sich das Schwesterauto mit Tor Graves und Jonathan Hirschi teilt, hatte auf einem Longrun am Sonntag ein extrem starkes Tempo gezeigt.

Der Favoritenkreis in der LMP2-Klasse wird nicht durch die Vor- und Nachteile der vier verschiedenen Chassishersteller bestimmt. Die Qualität des Teams spielt ebenso eine erhebliche Rolle. Manor, Alpine, Vaillante-Rebellion, G-Drive und Jackie Chan scheinen stark aufgestellt zu sein. Der wirklich entscheidende Faktor im Wettbewerb ist und bleibt das Tempo und die Zuverlässigkeit des Gentlemanfahrers. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen recht deutlich.

Beide Rebellion-Autos sind mit den Amateuren David Heinemeier Hansson und Julien Canal gut aufgestellt, auch G-Drive kann mit Pierre Thiriet auf eine Bank setzen. "Bei uns stimmt mich der Speed unseres Silber-Fahrers Roberto Gonzalez zuversichtlich", erklärt Simon Trummer. Die beiden Alpine A470 sind ebenso stark besetzt wie der SMP-Dallara mit Aljoschin/Sirotkin/Shaitar. Insgesamt sollten in der LMP2-Kategorie von den 25 startenden Fahrzeugen rund zehn mit realistischen Siegchancen in die 24 Stunden von Le Mans 2017 starten.

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