
Rallye-WM: Türkei | 13.06.2008
Taktik war angesagt - Loeb erhielt den Vortritt
Weil sie am Samstag nicht "staubsaugen" wollen, überließen die Ford-Piloten Weltmeister Loeb die Führung. In der PWRC führt Aigner knapp vor Sandell.
Michael Noir Trawniczek
Die Regeln sind die Regeln - und "Staubsaugen" ist nicht lustig. Den ganzen ersten Tag der Türkei-Rallye über musste Citroen-Werkspilot Sébastien Loeb für seine Konkurrenten den "Staubsauger" spielen. Als Führender der Weltmeisterschaft hatte er gemäß dem Reglement als erster Pilot auf die Wertungsprüfungen zu fahren und den losen Schotter von der Strecke zu fegen.
Ein großes Handicap, wie er bereits im Vorfeld der Rallye zu bedenken gab. Doch Loeb gab sein Bestes auf den rutschigen Pisten und versuchte den Rückstand möglichst gering zu halten - was ihm auch gelang. Nach der vorletzten Prüfung betrug sein Rückstand nur 15,1 Sekunden - er lag hinter den Ford-Werkspiloten Mikko Hirvonen und Jari Matti Latvala sowie Stobart Ford-Pilot Gigi Galli auf Rang vier.
Als Führende hätten die drei Ford-Piloten gemäß dem Reglement am Samstag "staubsaugen" müssen, Loeb wäre als Vierter auf die Prüfungen gefahren. Angesprochen auf mögliche Taktikspielchen seitens des Ford-Werksteams erklärte Loeb im Zielraum der letzten Wertungsprüfung des Tages, der SP 9 "Phaselis" gegenüber dem WRC-Radio: "Was soll ich tun? In meiner Position kann ich nur fahren und sehen, was passiert. Mikko und Jari Matti fahren hinter mir - da kann ich also keine strategischen Spielchen spielen. Wir werden sehen, was passiert."
"Sie zuerst, gnädiger Herr!"
Passiert ist dann etwas, was manche als "perfekte Strategie" bezeichnen werden, während andere wiederum der Meinung sind, dass ein solches Verhalten wenig mit Sport zu tun habe. Jedenfalls verzögerten nicht nur die beiden Ford-Werkspiloten, sondern auch Stobart Ford-Pilot Gigi Galli in der letzten Kurve vor dem Ziel der neunten Prüfung drastisch ihre Fahrt, kamen beinahe zum Stillstand - das Ziel der Aktion war klar: Loeb sollte die Führung übernehmen, sodass er am Samstag wieder als "Staubsauger" auf die Strecke fahren muss. Und das Vorhaben gelang - noch dazu perfekt, mit möglichst wenig Rückstand auf den Franzosen.
Als Mikko Hirvonen darauf angesprochen wurde, dass er auf der letzten Prüfung satte 22 Sekunden auf Loeb verloren habe und er somit nicht mehr in Führung liegen würde, antwortete der 27-jährige Finne salopp: "Ja, das ist okay." Latvala versuchte zu erklären: "Das ist eine gute Voraussetzung für den Samstagvormittag. Wir wollten einfach hinter Loeb auf die Strecke gehen - ich möchte aber dazusagen, dass Sébastien Loeb ein sehr guter Pilot ist und es wird sehr interessant sein, wie er morgen abschneiden wird."
Gigi Galli quittierte die Feststellung des Reporters, dass es wohl eine Anweisung von Ford gegeben habe, mit einem breiten Lachen: "Wirklich? Schau her, sieh dir diese Bremsscheibe an, da gab es ein Problem..." Und Henning Solberg, der zweite Stobart Ford-Pilot, gab an, dass er keine Splitzeiten auf seiner Konsole sehen konnte, sondern nur eine Warnleuchte wegen Überhitzungsproblemen. Doch für den Norweger reichte es zur Bestzeit - so konnte er exakt eine Sekunde hinter Loeb den zweiten Gesamtrang einnehmen, wodurch Latvala mit seinen 1,1 Sekunden Rückstand am Samstag erst als Dritter auf die Strecke fahren muss. Galli wiederum konnte mit 2,2 Sekunden Rückstand den vierten Gesamtrang belegen, sodass Mikko Hirvonen, der vor der letzten Prüfung noch in Führung lag, mit 6,8 Sekunden Rückstand auf Platz fünf rangiert und er am Samstag erst als Fünfter auf die Prüfungen fahren muss.
Was auch immer man von solchen Taktikspielchen halten mag - dem Ford-Werksteam kann man diese nicht wirklich vorwerfen, denn die Regeln zwingen die Teams beinahe zu einem solchen Vorgehen. Und auch Citroen hat bereits eine solche Taktik angewandt. Immerhin: Die ersten fünf Piloten der Rallye liegen innerhalb von nur 6,8 Sekunden - die Spannung bleibt also aufrecht.
Petter Solberg Sechster
Mit 49,1 Sekunden Rückstand belegt Petter Solberg im neuen Subaru Impreza WRC2008 den sechsten Gesamtrang. Der Norweger wirkte nicht unzufrieden: "Ich habe versucht, es möglichst vorsichtig anzugehen - es gab so viele Felsbrocken, da wollte ich nichts riskieren. Wir hatten den ganzen Tag über keine Probleme und wir werden sehen, wie es morgen weitergeht."
Bereits über eine Minute liegt Matthew Wilson im dritten Stobart Ford zurück, der Brite belegt Rang sieben. Nur 0,9 Sekunden hinter ihm belegt Dani Sordo im zweiten Werks-Citroen den achten Platz - der Spanier gab im Zielraum der letzten Prüfung des Tages zu Protokoll: "Ich habe in der achten Prüfung viel Zeit verloren, weil ich gegen einen Stein krachte - aber jetzt lief es okay."
Über eine Minute hinter Sordo belegt Suzuki-Werkspilot Toni Gardemeister den in punkto Fahrerpunkten undankbaren neunten Platz, dahinter liegt der Südafrikaner Conrad Rautenbach im von PH Sport eingesetzten Citroen C4 WRC auf Platz zehn.
PWRC: Aigner führt knapp vor Sandell
Andreas Aigner und sein Co-Pilot Klaus Wicha lagen nach der siebten Prüfung nach einer SP-Bestzeit nur noch 1,9 Sekunden hinter dem Peugeot 207 Super 2000-Boliden von Patrick Sandell auf Rang zwei. Die schnellen Zeiten von Sandell unterstrichen jene Aussage von Red Bull Rallye-Teamchef Raimund Baumschlager, der in einem motorline.cc-Interview anlässlich seiner Tests mit dem neuen Skoda Fabia Super 2000-Boliden erklärte, dass die Super 2000-Autos mittlerweile auch auf Schotter immer schneller werden und dass die FIA gut beraten wäre, die beiden Wagentypen der Gruppe N anzugleichen, da die Super 2000-Boliden über einen Gewichtsvorteil verfügen würden.
Doch Andi Aigner konnte auf der achten Prüfung abermals die schnellste Zeit markieren - so konnte er vor der letzten Prüfung des Tages die Führung übernehmen, lag bereits elf Sekunden vor Sandell. Zwar verlor der Steirer auf der neunten Prüfung wieder etwas Zeit auf den Peugeot-Piloten - doch am Ende des Tages reichte es für den Erhalt der Führung in der PWRC-Wertung - wenngleich Sandell nur die Winzigkeit von 0,8 Sekunden hinter dem Österreicher zurückliegt. Mit 21,7 Sekunden Rückstand auf Aigner belegt Martin Prokop den dritten Platz in der PWRC-Wertung.
Aigner erklärte: "Ich bin wirklich total zufrieden. Denn normalerweise haben wir Mitsubishi-Piloten gegen die klar leichteren S2000-Autos keine Chance. So war es heute auch auf der letzten Prüfung, wo es 15 Kilometer nur bergab ging – und da macht sich der Gewichtsvorteil natürlich eklatant bemerkbar. Aber es ist sich trotzdem noch knapp ausgegangen. Ich werde auch morgen nicht volles Risiko nehmen." Bernardo Sousa, der zweite Pilot des Red Bull Rallye Teams, liegt derzeit nur auf Rang elf der PWRC-Wertung.
Am Samstagmorgen um 9.28 Uhr Ortszeit (8.28 Uhr MESZ) wird der zweite Tag der Türkei-Rallye mit der 16,94 Kilometer langen SP 10 "Chimera" eingeläutet.
Stand nach Tag 1
1. Loeb Citroen 2:02:35.2 2. Solberg Ford + 1.0 3. Latvala Ford + 1.1 4. Galli Ford + 2.2 5. Hirvonen Ford + 6.9 6. Solberg Subaru + 49.1 7. Wilson Ford + 1:05.9 8. Sordo Citroen + 1:06.8 9. Villagra Ford + 2:17.2 10. Gardemeister Suzuki + 2:27.1 ... 14.(1) Aigner Mitsubishi + 7:14.7 15.(2) Sandell Peugeot + 7:15.5 16.(3) Prokop Mitsubishi + 7:36.4 ... 24.(11)Sousa Mitsubishi + 12:10.8 (X) = Platzierung in der PWRC