
24h Le Mans 2010 | 03.06.2010
Mehr denn je
Das größte Starterfeld seit 1955 geht heuer auf die Reise durch ein Wochenende in Frankreich – Peugeot und Audi sind die LMP-Favoriten.
Johannes Gauglica
Der Automobile Club de l'Ouest und die FIA mögen sich zwar für heuer einige Änderungen an den Diesel-Fahrzeugen ausgedacht haben, die Kräfteverhältnisse bleiben aber dennoch unverändert.
Nach wie vor haben Benzin-befeuerte Autos keine Chance um den Gesamtsieg in Le Mans. Mit einer Phalanx von sechs Werks-, einem Semi-Werks- und zwei privaten Diesel-Boliden heißt es für die Benziner "hinten anstellen", realistisch erreichbar sind Plätze ab Position 7 – sofern die Selbstzünder nicht am eigenen Tempo zerbrechen.
Für Überraschungen sind die Leute in Le Mans immer gut, so auch heuer: In letzter Minute wurde die Fertigstellung einer neuen, sechsundfünfzigsten Garage bekanntgegeben. Sie soll in Hinkunft für ganz spezielle Fahrzeuge bereitstehen (die Rede für nächstes Jahr ist beispielsweise bereits vom Porsche 918 Hybrid-Konzeptauto); und heuer kommt auf diese Weise womöglich ein sechsundfünfzigstes Team ins Feld.
Damit wird das Starterfeld sehr wahrscheinlich (ganz sicher ist es offenbar noch nicht) um ein Fahrzeug aufgestockt und wäre damit so groß wie seit 1955 nicht mehr.
Wie war das 2009?
Kleiner Rückblick: 2009 waren acht Österreicher am Start; vier erreichten das Ziel, drei davon erklommen das berühmte Stockerl (eigentlich eine Brücke über der Boxengasse), von ihnen wiederum einer als Gesamtsieger.
Christian Klien & Co. starteten aus der dritten Position, Alex Wurz und Kollegen konzentrierten sich aufs Renn-Setup und begannen das Rennen auf P5. Das war letzten Endes die richtige Strategie, denn eine verbesserte Abstimmung brachte schonenderen Umgang mit den Reifen, und letztlich den Sieg.
Im Vorfeld des Rennens wurde von Peugeot gegen den neuen Audi R15 herumprotestiert; außer "viel Rauch" kam nichts dabei heraus. Der erste Ausfall hieß Narain Karthikeyan, und zwar schon vor dem Rennen: Der Inder renkte sich am Weg zur Startaufstellung beim Überwinden der Boxenmauer die Schulter aus. Wirklich schlimm kam es für den privat eingesetzten 908er des Pescarolo-Teams: Das Auto wurde in einem riesigen Crash zerstört.
Henri Pescarolo war nicht versichert, vielleicht ist der Altmeister auch deshalb heuer zum ersten Mal seit Jahrzehnten nicht in Le Mans mit dabei. Auch Aston Martin verlor ein Fahrzeug bei einem Unfall, auch hier wurde gottseidank niemand verletzt.
Bei Audi war am Sonntag-Morgen nur mehr ein Auto aussichtsreich platziert, durch kleinere und größere Dramen bei etlichen Boxenstops verloren die Le-Mans-Seriensieger den Nimbus der Unfehlbarkeit.
Am Ende konnten diese Zeitverluste mit dem im Top-Speed nicht ganz zufriedenstellenden neuen R15 TDI auf der Strecke nicht kompensiert werden – zu ausgewogen waren die Rundenzeiten innerhalb der Spitzengruppe.
Bei den GT gab es zwei große Überraschungen: Zum einen den späten Ausfall einer der ansonsten grundsoliden Werks-Corvette in der schmal besetzten GT1-Klasse (die andere fuhr plangemäß zum Sieg), zum anderen die komplette Porsche-Implosion in der GT2.
Lukas Lichtner-Hoyer und sein Team Jetalliance Racing mit dem GT1-Aston Martin DBR9 kamen trotz Lichtmaschinen-Wechsel und Sprit-Problemen auf Rang 3 ihrer Klasse. Auf der Liste der "Opfer" finden sich die Namen Richard Lietz, Horst Felbermayr (2x), und Philipp Peter. Sie alle mussten mit Defekten der einen oder anderen Art w.o. geben.
Als schnellster Benziner kam auf Platz 4, mit neun Runden Rückstand, der verbliebene Werks-Aston ins Ziel. Die Sieger hießen Wurz/Gené/Brabham (Peugeot, LMP1), Elgaard/Collard/Poulsen (Porsche, LMP2), Magnussen/O'Connell/Garcia (Corvette, GT1) und Melo/Kaffer/Salo (Ferrari, GT2).
Und wie wird das heuer?
2010 wird es jedenfalls in den Klassen GT1 und LMP2 neue Sieger geben; denn Corvette hat die Klasse gewechselt, und Porsche RS Spyder ist keiner mehr mit dabei. Bei den LMP1 dürfen sich die beiden Erzrivalen Peugeot und Audi keine Irregularitäten mehr erlauben, denn die beiden Autos liegen vom Speed her knapp beinander.Der nochmals verbesserte 908 HDi ist in Grundzügen schon vier Jahre alt, der neue Audi R15 TDI wurde seit seiner Premiere nochmals stark überarbeitet. Für beide gilt: Es ist die letzte Chance! Denn 2011 sind diese Fahrzeuge nicht mehr startberechtigt.
Neben den je drei Werkswagen bringt Peugeot auch heuer wieder einen "privaten" 908 an den Start, diesmal in der Obhut des Teams Oreca. Als echt private Audi gehen die beiden R10 von Colin Kolles ins Rennen, vermutlich wieder mit bescheidenen Aussichten auf einen Spitzenplatz.
Die Titelverteidiger Alex Wurz und Marc Gené haben in Anthony Davidson einen neuen dritten Mann, der wohl mehr zur Pace des Teams beitragen wird als der voriges Jahr erstaunlich blass agierende David Brabham. Christian Klien ist nur als Ersatzfahrer in Le Mans anwesend.
Ferner liefen
Den Titel des schnellsten Benziners gibt es nur inoffiziell, deshalb fahren die "Anderen" quasi um einen Schönheitspreis. Als Werksteam mit Benzin-Power wird wieder Aston Martin Racing versuchen, irgendeine Art von Gefahr für Audi und Peugeot darzustellen. Neben den beiden Werksautos ist auch ein V12-Renner in den privaten Händen von Signature Plus dabei.Schnellster Benziner könnte auch der Oreca-AIM werden, den die Crew rund um Hughues de Chaunac neben dem 908 HDi einsetzt – vielleicht zuviele Aufgaben auf einmal.
Bekannte Namen sind beim Zwei-Wagen-Team Rebellion Racing mit dabei, dort starten unter anderem Nicolas Prost und Marco Andretti. Nur ein bekannter Name bei Beachdeen Mansell, aber dafür gleich dreimal: Mansell/Mansell/Mansell machen einen Familienausflug.
Papa Nigel hat's nicht verlernt, Sohn Greg ist der Schnellste der Truppe, Sohn Leo hat nicht ganz dieselbe Pace. Mit dem Ginetta-Zytek hoffen sie vor allem aufs Durchkommen. Bei Drayson Racing im Lola-Coupé mit Judd-V10 und Biosprit-Antrieb ist der größte Schwachpunkt der Namensgeber, der nunmehrige britische Ex-Minister Paul Lord Drayson. Emmanuele Pirro ist dort willkommener Stargast.
LMP2: Überlebenskünstler
In dieser Klasse ist der größte Kampf immer der ums eigene Überleben, denn die LMP2 erweisen sich stets als defektanfällig. Das große Motorwechseln hat über den Winter stattgefunden, nachdem die Aggregate von Mazda voriges Jahr enttäuscht haben.Gleich drei Autos werden von Honda Performance Development ausgerüstet. Aus den USA kommt Highcroft Racing mit dem Acura (mit Tequila-Sponsor), dort steigt mit Marco Werner ein Audi-Veteran zu. Der vorjährige Gesamtsieger David Brabham ist bereits an Bord.
In Europa hat der HPD bereits das ganze Jahr den HPD ARX.01-HPD (oder auf gut amerikanisch: ebenfalls einen Acura, aus welchen Gründen auch immer unaussprechlich umbenannt) als heißes Eisen in der Klasse. Der Schwachpunkt beim Auto von Strakka Racing ist Teameigner Nick Leventis.
Ebenfalls auf HPD umgerüstet hat das Team RML mit dem nicht zu unterschätzenden Lola-Coupé; und die Zytek-Fraktion wird vom portugiesischen Team Quifel-ASM vorrangig vertreten. Sie haben die Generalprobe in Spa-Francorchamps für sich entscheiden können.
Für alle Genannten gilt: Sie müssen erst einmal durchkommen.