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"Hier in Deutschland ist es extrem schwierig!"

Raimund Baumschlager fungiert in Deutschland als Reifen-Spion für Andreas Aigner. Im motorline.cc-Talk erklärt er diese wichtige Funktion.

Michael Noir Trawniczek

Raimund, Du bist hier bei der Rallye Deutschland nicht nur Teamchef sondern auch der Reifenspion des Andreas Aigner - kannst du uns die Tätigkeit eines Reifenspions beschreiben?

Wir müssen in einem gewissen Zeitfenster agieren - das ändert sich von Rallye zu Rallye. In Deutschland ist es sehr eng. In diesem Zeitfenster fahren wir vor dem Start über die Prüfungen.

Mit welchem Tempo?

Wir müssen das Tempo fahren, das auch bei der Besichtigung gefahren wird, also maximal 80 km/h. Das wird mit GPS überwacht und du musst dich da genauso dran halten wie das auch die aktiven Fahrer tun müssen.

Du machst dir schon davor deine Notizen, man beschäftigt sich schon vorher ganz genau mit der jeweiligen Prüfung. Du überlegst dir: Wie schaut die Prüfung aus? Wo gibt es einen aggressiven Asphalt? Wo ist glatter Asphalt?

Sitzt da jemand auf dem Beifahrersitz?

Ja, da sitzt der Peter Diekmann, der schreibt alles mit. Ich habe den kopierten Schrieb vom Andreas. Da schaut man sich dann noch einmal die Kurvenradien genauer an, man schaut, ob sie irgendwo Dreck übersehen haben - man bessert gewisse Dinge aus, welche die Fahrer zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen konnten - beispielsweise weil es in der Zwischenzeit zu regnen begonnen hat oder weil irgendein Bauer Dreck auf die Straße brachte. Du machst dir da ganz spezielle Eintragungen.

Auf dem Zettel hier steht "Mörtl-Kurve" - ist das so ein spezieller Eintrag?

(lacht) Ja, ganz genau. In dieser Kurve ist der Achim Mörtl abgeflogen. Warum ist er abgeflogen? Da war eine Welle, eine kleine Kante in der Kurve und das hat gereicht dafür, dass er mit dem Heck außen angeschlagen ist und sich das Rad von der Radnabe abgerissen hat. Und das ist dann natürlich eine Warnung für unsere Leute.

Und wenn der Andi das liest, dann fragt er genau wie ihr: Was heißt Mörtl-Kurve, was hat das für eine Bedeutung. Aber das bleibt dann im Gehirn sitzen, das sind einfach markante Punkte, die man sich merkt. Da gibt es auch einen Wicha-Punkt, wo er mit dem Wetzelsberger einmal abgeflogen ist, in Baumholder, weil der Asphalt im Regen wahnsinnig glatt war.

Das Team muss ja vor der Rallye bekannt geben, welche Reifen es verwenden wird, wann muss das bekannt gegeben werden?

Das ist bei jeder Rallye anders. Hier mussten wir am Montag die Entscheidung bekannt geben, während wir bereits am letzten Freitag die Entscheidung für die Finnland-Rallye bekannt geben mussten. Jetzt haben wir für das Team 70 Reifen, also pro Fahrer 35.

Und es gibt aber nur zwei verschiedene Mischungen?

Es sind schon mehrere - ich glaube, dass es acht verschiedene Mischungen sind.

War es nicht so, dass bei Schotter-Rallyes nur zwei Mischungen eingesetzt wurden?

Das hat es auch schon gegeben - ich meine: Grundsätzlich hast du zwei Profile, das stimmt schon. Da gibt es den Slick und einen Reifen für den Regen. Du kannst wählen, ob du einen Regenreifen nimmst oder einen Intermediate. Die meisten bevorzugen den Intermediate - weil den cutte ich mir dann auf und dann habe ich einen Regenreifen.

Grundsätzlich setzen alle auf Trockenreifen, weil du eben eine gewisse Auswahl brauchst - es gibt hier drei verschiedene Arten von der Beschaffenheit der Strecke her betrachtet. Du hast die Weinberge, das ist eine ganz eigene Geschichte. Dann hast du Baumholder - das ist wiederum eine ganz eigene Welt, da musst du einen ganz anderen Reifen fahren.

Und dann hast du noch die sehr schnellen Prüfungen von der ehemaligen Saarland-Rallye - da passt eher der Reifen vom ersten Tag. Trotzdem musst du da sehr flexibel sein und du musst auch immer die Temperatur im Kopf haben. Du musst wissen: Wie warm ist es? Brauche ich eine härtere Mischung oder geht sich das mit der, die ich habe, noch aus?

Wie viele Intermediates und wie viele Slicks werden eingesetzt?

Wir haben zwei verschiedene Intermediates mit unterschiedlichen Härten, das sind jene, die wir nominiert haben. Und dann gibt es noch sechs verschiedene Slicks.

Und da ist aber nur die Mischung unterschiedlich? Oder auch das Profil?

Das sind nur die Mischungen und der Aufbau, die Konstruktion, das Profil schaut bei den verschiedenen Slicks gleich aus. Auch die Intermediates haben ein gleiches Profil - nur wenn es regnet, musst du händisch nachschneiden, damit er das Wasser verdrängen kann - denn an sich ist der Reifen ja geschlossen. Vom Aufbau her sind die Intermediates weicher als die Slicks, von der Karkasse her liegt gar nicht so ein großer Unterschied vor.

Werden während der Abfahrt der Prüfungen auch ganz spezielle Anweisungen für das Cutten der Reifen notiert?

Normalerweise wird hier, wenn es trocken bleibt, kein Reifen geschnitten. Zumindest nicht bei uns. Nur wenn es feucht wird, dann geht es los. Dann stellen sich Fragen wie: Fahren wir den Slick geschnitten oder ungeschnitten, weil es beispielsweise wieder aufhört zu regnen.

Oder ist es bereits so nass, dass wir einen Intermediate nehmen müssen? Müssen wir diesen Intermediate schneiden oder nicht? Da ist es wesentlich, dass du eine gute Zusammenarbeit mit der Wetter-Crew hast.

Wenn du dich dann für einen Reifen entschieden hast, kannst du ja erst im Servicepark wieder einen anderen Reifen nehmen.

Ja genau, du musst dann mit diesem Reifen beispielsweise einen ganzen Vormittag beziehungsweise vier Prüfungen lang leben.

Wie viele Leute sind da an dieser Entscheidung beteiligt?

Wir haben draußen die Gravel-Crew, das sind wir selber, dann einen Kontakt zur Wetterwarte und halt die paar Leute, die einfach zuschauen und wo du ausmachst: Kann ich dich anrufen und kannst du mir sagen wie es auf der Prüfung aussieht.

Mehr können wir nicht machen, denn das ist ja auch sehr kostspielig. Die großen Werke haben da schon bei jeder Prüfung mehrere Leute vor Ort, die stehen da verteilt an den wichtigen Stellen. Da wird dann halt ständig Temperatur gemessen, Asphalt und Luft.

Und das ist legal, dass die so viele Leute dort hinstellen?

Sicher, das sind dann eben "Fans". Wie gesagt, das ist eine Geldfrage. Wenn du es dir leisten kannst, dass du dreißig Leute mitschleppst, die halt dafür zuständig sind, dann werde ich das auch tun. Nur: Wenn der Wind dreht und du bist schon draußen, hilft das auch nicht.

Und wann genau befährst du die Prüfungen?

Es gibt hier gerade Diskussionen, weil das hier so knapp bemessen wird, weil wir erst eine Stunde vor der Startzeit hinein gelassen werden. Das heißt, du brauchst mindestens zwei bis drei Kollektoren - das sind also Leute, die am Ende der Prüfung warten und denen du den Schrieb übergibst, weil es sich sonst gar nicht ausgehen würde.

Bei allen anderen Rallyes fährst du selber rüber zum Übergabepunkt, der vom Veranstalter ganz genau festgelegt wird. Nur an diesem Übergabepunkt darfst du den Schrieb übergeben. Hier jedoch ist das Zeitfenster extrem knapp - darum arbeiten mit eng zusammen mit dem Peter Müller, der für den Manfred Stohl die Prüfungen abfährt.

Und dieser Kollektor wartet am Ziel der Prüfung auf diesem Übergabepunkt und bringt dann den Schrieb den Piloten?

Ja, denn sonst würde sich das zeitlich gar nicht ausgehen. Und du darfst den Schrieb nur auf diesem Punkt übergeben, das wird sehr streng gehandhabt. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, dass du die Informationen per Telefon durchgibst.

Es ist hier extrem schwer - denn normalerweise müsstest du alle vier Prüfungen gesehen haben, um eine korrekte Reifenwahl treffen zu können. Das geht in diesem Fall bei uns gar nicht.

Wer trifft dann im Endeffekt die Entscheidung, welcher Reifen genommen wird? Bist das du alleine als Reifenspion?

Es ist so, dass wir vorher ein Meeting hatten, in dem wir einmal grundsätzliche Fragen festgelegt haben, welche Reifen und welche Dämpfereinstellung wir auf den jeweiligen Prüfungen fahren. Das steht einmal fest. Und welche Änderungen wir vornehmen, wenn es regnen sollte. Welchen Reifen man dann wirklich nimmt - da musst du sowieso warten bis zur letzten Minute.

Und woher nehmt ihr diese grundsätzlichen Parameter?

Die wurden vorher von den Piloten beim Testen festgelegt. Die Fahrer können ja die Dämpfereinstellung auch während der Fahrt ändern. Und wenn sie dann nach den ersten vier Prüfungen im Servicepark sind, können sie schon auch sagen: Du, ich brauche eine weichere Feder. Aber das sind Feinjustierungen.

Natürlich fährst du die Weinberge mit einem anderen Setup als bei den Baumholder-Prüfungen. Früher war das halt einfacher, da hattest du noch die Serviceautos draußen - da hast du halt nur eine Prüfung verhaut. Jetzt ist es eben so, dass du, wenn du daneben greifst gleich einmal einen halben Tag verhaust. Du hast nur zu Mittag ein Service - und dann ist der Tag schon wieder vorbei.

Wenn du unterwegs einen Reifenschaden hast, hilft dir das Mousse, das man aber künftig wieder verbieten möchte. Das gab es ja schon 1987...

Ja, das gibt es schon lange, damals hat Michelin erste Versuche gestartet, dann hat es geheißen, wenn es Pirelli auch einsetzt, dann hören wir damit auf, doch im Endeffekt fahren wir heute noch damit. Das ist wahnsinnig teuer, leider nur den Werken und den nominierten Fahrern vorbehalten, was ich persönlich schade finde.

Weil gerade die Leute, die ohnehin kein Geld haben, die Gruppe N-Autos, die hinten nachfahren, die es also ganz besonders brauchen würden, die dürfen nicht damit fahren und müssen Reifen wechseln. Aber wenn man den Ankündigungen der FIA Glauben schenken darf, wird es ab 2008 verboten - und das finde ich auch okay. Denn entweder sollen es alle verwenden dürfen oder keiner - denn so haben wir eine Zweiklassengesellschaft.

Dieses Verbot wird große Auswirkungen haben - den derzeit wird ja überall drüber gefahren, es nimmt ja keiner mehr Rücksicht, der sagt: Na dann habe ich halt einen Patschen, ich habe ja eh das Mousse. Wenn das verboten ist, musst du dir genau überlegen, ob du dir den Stein genehmigst.

Auf der anderen Seite wird es dann auch wieder viel mehr Reifenschäden geben und es werden viel mehr Entscheidungen durch Patschen gefällt. Aber meiner Meinung nach gehört es zum Rallye-Sport, dass man auch ein bisschen mit dem Kopf fährt, dass man sich überlegt, wo man drüber fährt und wo nicht.

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