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WRC: Rallye Monte Carlo 2013

Absprung in eine neue Ära

Fast alles neu in der Rallye-WM. Doch bei der „Monte“ ist auch der „Teilzeit-Loeb“ Favorit. Ansonsten scharren neue Sieger in den Cockpits, darunter Ilka Minor.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Red Bull Content Pool, Volkswagen Motorsport, Citroen Racing, Quatar M-Sport WRT, ISPFD, Photo4

„Ich nehm deine Katze und schüttel sie aus
Bis alles herausfällt
Was sie jemals aus meiner Hand fraß
Später klopf ich noch den Teppich aus
Und find ich ein Haar von mir darin
Dann steck ich es einfach ein…
Nichts soll dir böse Erinnerung sein
Verraten, was ich dir gewesen bin
Sag nicht, dass das gar nicht nötig wär
Denn schmerzhaft wird es erst hinterher
Wenn wieder hochkommt, was früher mal war
Dann lieber so rein und so dumm sein wie weißes Papier…“

Aus „Weißes Papier“, Element of Crime

Eines der vielleicht schönsten und gefährlichsten Lieder über den Trennungsschmerz und die Zeit danach – was das mit der Rallye-Weltmeisterschaft zu tun hat, fragen Sie? Nicht unberechtigt, Ihre Frage – aber: Auch die WRC verabschiedet sich von vielem Gewohnten und möglicherweise auch Liebgewonnenen, sie schreibt 2013 auf ein weißes Blatt Papier, sie schreibt ein völlig neues Kapitel in ihrer Geschichte, mehr noch: Eine ganze Ära geht zu Ende, und nicht nur jene von Sebastien Loeb.

Vergleicht man das Rallyefahren auf höchstem Niveau mit einer Beziehung, könnte man sagen: Sebastien Loeb wählte die schmerzhafteste aller Trennungsvarianten, nämlich den „Sex mit der Ex“: Viermal noch wird er in diesem Jahr tun, was er ein Jahrzehnt lang so gern und so ungeheuer erfolgreich getan hat. Und so verabschiedet sich der Serienweltmeister in der kommenden Woche von der „Königin aller Rallyes“, der Rallye Monte Carlo. Einmal noch besichtigen, ein letzter Shakedown, der letzte Schrieb – ob Loeb tatsächlich einen derart melancholischen Zugang zu seiner „Abschiedstour“ in der Weltmeisterschaft pflegt, kann und darf freilich angezweifelt werden…

Schließlich war Loeb stets auch ein „Weltmeister im phlegmatischen Achselzucken“, schließlich wurde Loeb von der „Monte“ fast immer gut behandelt, schließlich feierte er dort schon sechsmal den Sieg. Und so klingt, was er sagt, ganz und gar nicht melancholisch, sondern vielmehr in höchstem Maße selbstbewusst: „Kaum vorzustellen, dass wir ein anderes Resultat als den ersten Platz erreichen“, sagt Loeb beiläufig – und jeder andere würde für eine dermaßen kecke Aussage in Stücke gerissen werden. Doch was soll ein Loeb anderes sagen?

Auch der „Teilzeit-Loeb“ ist ein Loeb

Und was viel mehr zählt: Wer sollte Loeb daran hindern, bei der „Monte“ Sieg Nummer sieben hinzuzufügen? Auf den Punkt brachte es im Vorjahr der damalige Ford- und nach dem offiziellen Ausstieg des Automobilherstellers „nur mehr“ M-Sport-Teamchef Malcolm Wilson, als er einen zweiten Platz hinter Loeb einem Sieg gleichstellte. Auch von dieser Gepflogenheit muss sich die WRC verabschieden: Neue Sieger scharren in den Startlöchern. Und sie alle würden nichts lieber tun als Loeb auf seiner Abschiedstour noch einmal zu schlagen…

Im Citroen-Werksteam lauern Mikko Hirvonen und Dani Sordo. Der Finne erklärt im Vorfeld der „Monte“, er sei „motiviert wie noch nie“ – das wird auch nötig sein, denn mit Sordo will einer seine zweite und vielleicht letzte Chance nützen. Den ersten WM-Sieg wolle er heuer erringen, sagt der Spanier, doch insgeheim träumt er wohl davon, dass er die Nachfolge von Loeb übernehmen, die Siege und auch den oder gar die Titel an sich reißen kann.

Für Hirvonen ist Sordo die nächste und bei einer Niederlage mit Sicherheit auch die letzte große Herausforderung in seinem Leben als Werkspilot. Wird der viermalige Vizeweltmeister von Sordo in den Schatten gestellt? Oder aber bäumt er sich auf und tritt, was nur schwer vorstellbar ist, tatsächlich in die Fußstapfen des großen, unbezwingbaren Loeb?

Ilka Minor: Erste WM als Werkspilotin

Weil schon zu Ford-Zeiten das Budget dem Vergleich mit echten Werksteams nicht standhalten konnte, ändert sich bei der britischen Rallyeschmiede M-Sport im Grunde recht wenig: Mit dem vergleichsweise geringen Budget möchte man wie auch die Jahre zuvor die langjährige Rallye-Erfahrung nützen, das Ford Fiesta World Rally Car wurde auch ohne den offiziellen Ford-Segen weiterentwickelt, das Team ist gut aufgestellt und angesichts des Loeb-Abgangs in höchstem Maße motiviert.

Teamchef Wilson blickt auf ein schmerzhaftes Jahr zurück: Jari-Matti Latvala entpuppte sich streng genommen als eine Fehlinvestition, da er das vermeintlich sinkende Schiff lieber verließ, als dort die absolute Nr. 1 zu werden. Die Faxen eines Petter Solberg, ständig selbstmörderische Reifenentscheidungen, unnötige Abflüge und das seltsame Angebot, gratis fahren zu wollen inklusive, hatte Wilson satt, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als auf die Jugend zu setzen: Mads Östberg hat den Platz als Werkspilot ohnehin längst verdient – und Evgeny Novikov galt immer schon als ein künftiger Sieger, wenngleich der anfangs ungestüme Russe nach einer Auszeit erst zu beweisen hatte, dass er auch umsichtig fahren und ins Ziel kommen kann…

Mitgeholfen hat dabei ganz sicher auch Ilka Minor: Erst an ihrer Seite spürte Novikov im Vorjahr, wie es ist, wenn von der rechten Fahrzeughälfte keine Angstgefühle herüber strömen. So holte er die erfahrene Österreicherin, in der IRDA-Weltrangliste auch 2013 die unangefochtene Nr. 1 bei den Co-Pilotinnen, auch in seinem ersten Jahr als M-Sport-Werkspilot an seine Seite. Minor ist überzeugt: „2013 ist in der Rallye-Weltmeisterschaft alles möglich.“

Volkswagen als neue WRC-Domina?

Rein theoretisch sogar Loeb‘sche Niederlagen, denn mit Volkswagen steigt ein Gigant in die Weltmeisterschaft ein. Der zuvor erwähnte Latvala wurde da quasi nur mehr als weitere Draufgabe hinzu engagiert, denn mit Sebastien Ogier hatte man schon recht bald jenen Piloten im Stall, der es bei Citroen tatsächlich aufnehmen wollte mit dem Serienchampion, letztendlich dann aber samt Fürsprecher und „Ziehvater“ Olivier Quesnel den Krieg gegen Loeb verlor und abgehen musste. Ogier zeigte bereits im vergangenen „Testjahr“, im so genannten VW Skoda Fabia S2000, dass er als Fahrer zu den Besten gehört…

Bleibt offen, ob Volkswagen mit dem VW Polo R WRC tatsächlich, wie viele Bewunderer des Projekts glauben, von Beginn an als neue „WRC-Domina“ agieren wird können. Gespart wurde jedenfalls nicht, das Vorbereitungsjahr wurde bestens genützt, es wurde in einem Ausmaß getestet, bei dem die Formel 1-Teamchefs allein des Gedankens wegen Schamesröte im Gesicht aufziehen würden.

Zugleich gibt es Gerüchte, wonach es Probleme mit dem Fahrzeug geben würde. Angeblich soll Volkswagen bei den Dämpfern „verwachst“ haben, angeblich soll der Nationalstolz das Team dämpferseitig in die Irre geführt haben. Dass dann bei der Präsentation des neuen Boliden in Monaco dermaßen bescheidene Erwartungen in die Welt posaunt wurden, wonach heuer Podiumsplätze und erst 2014 die ersten Siege kommen sollen, nährte diese Gerüchte zusätzlich. Die Wahrheit wird bald ans Tageslicht gelangen, auch wenn bei der „Monte“ ein verrücktes Wetter und Mischverhältnisse das Kräfteverhältnis verzerren können…

Wird die Rallye-WM beflügelt?

Völlig neu ist Promotor Red Bull – jene Maschinerie, welche im Vorjahr mit dem „Stratos“-Sprung von Felix Baumgartner unter anderem auch Fernsehgeschichte geschrieben hatte, ist nunmehr zuständig für die weltweite Vermarktung der Rallye-Weltmeisterschaft.

Ob das ein Segen für die WRC sein wird, wird sich erst noch herausstellen, die ersten Anzeichen stimmen vorerst jedoch nur vorsichtig optimistisch. Zyniker würden sagen: Schlechter konnte es ohnehin nicht mehr werden. Zum einen, weil der Rallye-WM wie einst der Formel 1 unter Michael Schumacher unter der über ein Jahrzehnt bestehenden Dominanz des Sebastien Loeb langsam aber sicher die Luft, sprich das mediale Interesse ausging. Zum anderen, weil der letzte Promotor bei den Medien eher mit seinen Knebelverträgen auffiel als mit einer guten Vermarktungsschiene.

Dass die Rallye-WM vorerst noch am Gesunden ist, wie es Optimisten zum Ausdruck bringen würden, zeigt auch die Nennliste der Rallye Monte Carlo 2013. Gerade einmal 13 World Rally Cars kämpfen um Punkte in der „Königsklasse“. Dazu kommen acht Starter in der neuen Kategorie WRC-2, die der SWRC nachfolgt, sowie gerade einmal drei Starter in der neuen Zweiradkategorie WRC-3.

Bei den privat eingesetzten World Rally Cars darf man von Piloten wie Thierry Neuville und Juho Hänninen (jeweils in einem Ford Fiesta WRC) oder dem Citroen-Piloten und Zweiten der Jännerrallye, Bryan Bouffier im DS3 WRC Spitzenzeiten erwarten. Der Pole Michal Kosciuszko setzt mit dem italienischen Lotos Team WRC das einzige Mini World Rally Car ein.

Das österreichische Stohl Racing Team setzt einen Subaru Impreza für Armin Kremer und Co-Pilot Klaus Wicha ein, der im Rahmen der WRC-2 um den Produktionspokal dieser neuen Kategorie kämpfen wird. Insgesamt sind dann doch rund 80 Autos am Start.

Eine Besonderheit wird bei der „Monte“ sein, dass es keine Rally2-Möglichkeit geben wird – wer von der Strecke fliegt respektive einen Ausfall produziert, darf die Rallye nicht mehr fortsetzen. Angesichts möglicher Wetterkapriolen könnte sich das im Verlauf der viertägigen Veranstaltung katastrophal auf das Starterfeld auswirken – andererseits werden die Teams daher am Mittwoch eher vorsichtig in die Rallye starten.

Längste Monte seit 1995

Zudem wurden die Wertungskilometer erhöht, sodass die längste Distanz seit 1995 bestritten wird: 468 SP-Kilometer, aufgeteilt auf 18 Sonderprüfungen gilt es zu überstehen.

Der Servicepark wird im 400 Kilometer nördlich von Monaco gelegenen Valence errichtet. Die ersten beiden Tage blieben im Vergleich zum Vorjahr so gut wie unverändert, gefahren wird in den Regionen Ardeche, Haute-Loire und Drome.

Am Freitag wird eine völlig neue Sonderprüfung (von Saint Nazaire le Desert nach Le Motte Chalancon) ihre Weltpremiere geben, zudem feiert die SP „Sisteron“ ein Comeback, die 36,7 Kilometer lange Prüfung wurde zuletzt im Jahr 2002 befahren.

Am Samstag dürfen dann die 60 bestplatzierten Teams die legendären Prüfungen auf den Col de Turini bestreiten. Dreimal wird die SP „Moulinet – La Bollene Vesubie“ absolviert, zweimal die SP „Lantosque – Luceram“. Jeweils einmal wird am Samstagabend bei Dunkelheit gefahren, wobei die abschließende SP „Lantosque – Luceram“ auch als Powerstage absolviert wird, inklusive der bereits bekannten zusätzlichen WM-Punkte für die Top 3.

Das Jahr 0 nach Loeb

Irgendwann in diesem Jahr, genauer gesagt bei der dritten Saisonrallye in Mexiko, wird es dann vielleicht wirklich so sein, dass nichts mehr so sein wird wie es früher mal war. Bei der „Monte“ jedoch wird vieles noch an die alte Ära erinnern - an eine Zeit, der man wahrscheinlich nur wenige Tränen nachweinen wird…

Eine Zeit, in welcher erst die Hartnäckigkeit der damals noch jungen und heute bereits wieder gestorbenen Intercontinental Rally Challenge (IRC) ein Aufbrechen der starren WRC-Strukturen zur Folge hatte. Eine Zeit, in welcher die WRC wegen einer dubiosen Zweijahresrotation ein Jahr lang auf Kultrallyes wie eben die „Monte“ verzichtetet hat. Eine Zeit, in welcher die „Monte“-Veranstalter in der Folge dankend auf die WM verzichtet und stattdessen der IRC den Vorzug gegeben hatten…

Eine Zeit also, die hoffentlich weit hinter uns liegt. Eine Zeit, in der neue Gesichter, neue Sieger vom Podium lachen werden. Das Schöne daran ist, dass mit Novikov-Copilotin Ilka Minor eine Österreicherin zu diesem Kreis der potentiellen Sieger gehört. Eine Zeit auch, in der Andi Gröbl, der frühere Racingshow-Moderator für Servus-TV seine erste WM-Rallye vor Ort erleben wird. Zumindest die erfrischende Art des Andi Gröbl wird der WRC und ihrer medialen Vermarktung gut tun. Was den Rest anbelangt, lassen wir uns überraschen – denn nichts ist so schön und rein wie ein weißes Blatt Papier…

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