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Rallye-WM: Wales

Fünf Jahre voller Höhen und Tiefen – Weltmeister Andi Aigner im Portrait

Wie ein steirischer Automechaniker binnen fünf Jahren zum Rallye-Weltmeister wurde – die Höhen und Tiefen in der Karriere des Andreas Aigner.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Red Bull, Photo4

Ob die folgende Anekdote wirklich stimmt, ist im Grunde belanglos – denn sie klingt einfach gut: „Vor dem Jahr 2003 wusste der steirische KFZ-Mechaniker Andreas Aigner nicht einmal, wie man das Wort ‚Rallye’ schreibt!“

Rechtschreibung hin, Übertreibung her – wahr ist, dass Andi Aigner vor dem Jahr 2003, als er an der Sichtung für die „Red Bull Driver Search“ teilnahm, keinerlei Ambitionen hatte, aktiv in den Rallyesport einzusteigen. Für den damals 19-jährigen Automechaniker war die Sichtung eine willkommene Abwechslung im Alltag des Steirers – freilich empfand Aigner schon damals viel Freude am Autofahren an sich.

Fahrgeil

In einem früheren Interview mit motorline.cc erklärte Aigner: „Ich habe weder Kartsport betrieben, noch Rundstreckenrennen. Und ich habe damals auch noch nie eine Rallye live gesehen. Ich bin halt einfach nur gerne Auto gefahren - ich war fahrgeil, wie das halt bei einem jungen Burschen so ist. Ich habe wirklich jede Gelegenheit genützt, auch in der Nacht. Aber ohne jeden Hintergedanken - nur just for fun.“ Schon damals hat Aigner übrigens auf seinem persönlichen Laptop motorline.cc als Startseite eingerichtet…

Grotesk ist übrigens aus heutiger Sicht betrachtet, dass Aigners Schicksal in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem A1-Ring steht. „Es war ein Glück, dass die Sichtung auf dem Ring, also nicht allzu weit von mir zuhause stattfand“, sagte Aigner. Ermutigt wurde er auch von dem Zusatz, dass man für die Teilnahme an der „Red Bull Driver Search“ keine Vorkenntnisse im Motorsport benötigt: „Sonst wäre das für mich gar nicht in Frage gekommen!“

„Die Sichtung selbst ist dann eigentlich recht schnell über die Bühne gegangen. Ich habe danach fast acht Monate auf eine Antwort gewartet. Also auf den Bescheid, dass sie mich nehmen“, erinnerte sich Aigner. Beim ersten Stechen mussten die 400 Bewerber mit einem Lupo GTI einen mit Hütchen ausgesteckten Kurs bewältigen, beim zweiten Stechen waren es „nur“ noch 100 Teilnehmer. Schließlich wurden die besten 20 auserwählt – für das letzte Stechen. Aigner: „Das war ein psychologischer Test und auch ein Fitnesstest bei Red Bull. Und dann drei Tage auf dem Erzberg - im Skoda Oktavia WRC, was natürlich ein Wahnsinn war.“

Lehrgeld

Ausgesucht wurden schließlich zwei Piloten: Der Deutsche Quirin Müller und eben Andi Aigner. Als „Red Bull Juniors“ treten die beiden in den Jahren 2004 und 2005 bei diversen europäischen Rallyes an. Bei der Budapest-Rallye erobert Aigner gleich im ersten Jahr den ersten Podestplatz. Zugleich zahlen sowohl Aigner als auch Müller immer wieder Lehrgeld in Form von Aus- und Unfällen. Wo gehobelt wird, fallen Späne…

2005 liefert Aigner – damals noch mit Timo Gottschalk als Co-Pilot - ein famoses WM-Debüt: Platz 5 in der PWRC, bester Mitsubishi-Pilot. Im selben Jahr verliert Aigner bei der WM-Rallye in Deutschland den zweiten Platz der Gruppe N aufgrund eines Unfalls. Teamchef Baumschlager jedoch springt für Aigner in die Presche: „Der letzte Fahrfehler von Aigner liegt bis zum August des letzten Jahres beim WM-Lauf in Deutschland zurück, daher kann man ihm nicht böse sein.“ Ein Jahr später sorgt er im Skoda Fabia WRC für Aufsehen, belegt den sensationellen sechsten Platz.

Umstellung

Die Umstellung auf das World Rally Car fällt Aigner anfangs gar nicht so leicht – im erwähnten motorline-Talk verrät er: „Was den runden Stil betrifft, bin ich immer noch auf der Suche danach. Am Anfang hat man im Grunde gar keinen Plan, worum es eigentlich geht - das muss man einfach erfahren und lernen. Das musste ich mit dem Fabia WRC, der ja eine gewaltige Bombe ist, wieder neu lernen. Wo man sich davor schon auf das Gruppe N-Auto eingeschossen hat, mit dem Speed halbwegs zurecht gekommen ist und man bereits so weit war, dass man an den letzten Zehntelsekunden geknabbert hat. Mit dem WRC ist man jetzt eben wieder weiter davon entfernt und man muss sich abermals wieder dorthin vorarbeiten.“

Eine weitere Umstellung erfährt Aigner zur Saisonmitte des Jahres 2006 – Klaus Wicha kommt als neuer Co-Pilot an Bord, der Deutsche saß bereits in der ersten Hälfte der Saison 2004 auf dem heißen Sitz neben Aigner. Begründet wird der Wechsel damit, dass es „im Auto wiederholt zu Unstimmigkeiten und Spannungen kam“. Aigner dazu: „Es ging nur um Kleinigkeiten, es hat halt einfach nicht gepasst.“

Unaufgeregt

Im Umgang mit persönlichen Konfrontationen oder auch mit Kritik an seiner Person wirkt Aigner zumindest nach außen hin ziemlich unaufgeregt. Wales 2006 – Manfred Stohl feiert den famosen zweiten Platz, Red Bull Skoda lädt die Journalisten zu einem Abendessen. Aigner wirkt entspannt – doch im Hintergrund brodelt es, Skoda steigt aus. Dass dieser Abend für dieses Team so etwas wie das „letzte Abendmahl“ darstellt, dass die Zukunft auf einmal unsicher ist, merkt man Aigner überhaupt nicht an.

Vollmundig

Die Entscheidung, Aigner im Jahr 2007 in der PWRC antreten zu lassen, empfinden viele als Rückschritt. Aigner verkühlt sich und kündigt vollmundig an: „Ich will den WM-Titel in der PWRC!“ Doch in Schweden gibt es einen Riesen-Dämpfer für den selbsternannten Titelkandidaten: Auf SP 5 ein Unfall, auf Platz fünf liegend, mit einer halben Minute Rückstand, nicht unbedingt einem Titelaspiranten entsprechend. Am Ende verlässt Aigner Schweden ohne WM-Punkte.

Achim Mörtl schießt via Rally & more Giftpfeile in Richtung Aigner: „Das Gruppe N-Projekt rund um Andreas Aigner ist ein Rückschritt. Er fährt gegen alte Herren wie Nasser Al Attiyah oder Toshihiro Arai, die im Grunde zu langsam für ein WRC sind. Wenn er die nicht bügelt und den Titel holt, ist die große Karriere in Wahrheit schon wieder vorbei – da kann man in Österreich schönfärben, so viel man will.“ Später revidiert Mörtl seine Aussagen: „Ich habe mich geirrt! Es treten einige sehr starke Piloten in der PWRC an, die zum Zeitpunkt meiner Aussage noch nicht auf der Nennliste standen.“

Krise

Wie auch immer – der PWRC-Weg bleibt für Aigner steinig. In Norwegen holt man zwar Platz drei, doch die ersehnten Top-Platzierungen bleiben aus, der Titel ist bald einmal, schon zur Saisonmitte abgehakt. Teamchef Raimund Baumschlager ist ratlos ob der Performance seines Schützlings, zweifelt sogar an dessen Motivation: „Vom Grundspeed her ist Andi immer noch ein Wahnsinn - wenn es um das reine Fahren geht, ist keiner so schnell wie er. Aber er tut sich zurzeit schwer mit der Vorbereitung. Beispielsweise beim Erstellen des Schriebs, der sich dann aber doch auf das Fahren auswirkt. Andi hat derzeit Probleme damit, die Entfernungen richtig einzuschätzen. Was mir ein Rätsel ist, denn das hat er im Vorjahr perfekt gekonnt. Er muss sich da jetzt einen Ruck geben und schauen, dass er wieder zu seiner alten Form zurückfindet!“

Aigner gibt im motorline.cc-Interview ganz offen zu: „Zurzeit mangelt es mir an Selbstvertrauen. Ich frage mich selbst immer wieder, warum das so ist. Ich habe zurzeit auch zum Teil meine Probleme damit, dass ich mir einen passenden Schrieb erstelle, dass ich das Gruppe N-Auto in einen richtigen Rhythmus bringe. Und ich tue mir auch schwer damit, die Bremspunkte einzuschätzen, sodass ich im Gruppe N-Auto im Vergleich zum World Rally Car an der richtigen Stelle gezielt und vernünftig bremse, dass ich nicht zu viel oder zu früh bremse. Was aber zurzeit der Fall ist, weil ich ein bisschen übervorsichtig bin. Weil ich mir Sorgen mache, dass ich das Auto ja nicht zerstöre.“ Aigner gibt zu, dass die Zielsetzung PWRC-Titel „vielleicht ein bisschen voreilig war“.

Loyalität

Trotz Formtief verliert Aigner sein Selbstbewusstsein nicht. Als der ehemalige, unter anderem für den Rallyesport zuständige ORF-Reporter Peter Klein in einem motorline.cc-Backstageinterview seinen Teamchef Baumschlager frontal angreift und ihm unter anderem „Unehrlichkeit“ und einen falschen Umgang mit Aigner vorwirft, greift Aigner von sich aus zum Telefon und verteidigt Baumschlager in einem Folgeinterview.

In Griechenland steht die nächste WM-Rallye auf dem Programm – Aigner ist wie ausgewechselt und feiert den zweiten Platz der PWRC. „Mein Selbstvertrauen ist wieder da“, freut sich Aigner. Bei der nicht zur PWRC zählenden Spanien-Rallye gewinnt Aigner in der Gruppe N. Doch in der PWRC zahlt der Steirer abermals Lehrgeld – in Irland führen Aigner und Wicha das Feld an, doch dann folgt ein Überschlag: „Ich war zu schnell!“ In Wales fährt Aigner einen guten Speed, wird jedoch von lästigen Reifenschäden heimgesucht. Teamchef Baumschlager hält zu seinem Schützling, erklärt am Saisonende: „Ich bin weiterhin von Andi Aigner überzeugt!“

Topform

2008 unterlässt Aigner jede Ansage, schon gar nicht will er vom WM-Titel sprechen. Es folgen die drei Siege hintereinander – Aigner in Topform, das Auto von BRR perfekt vorbereitet und absolut standfest. Im Sommer erzählt Aigner von seinem Fanklubtreffen, die zweite Ausgabe nach der Premiere 2007. Auf dem Grundstück seiner Eltern, die ein Gasthaus betreiben, wird gegrillt, ein gemütliches Beisammensein. Der Fanklub ist alles andere als ein Feigenblatt, er ist höchst aktiv – ein Treffen im Oktober, ein weiteres findet in Kürze statt. Zudem reisen die Aigner-Fans zu den WM-Rallyes, zurzeit hat der Klub 130 Mitglieder…

Im Sommer 2008 wirkt Aigner wie der sichere PWRC-Weltmeister – doch dann kommt wieder ein Tief. Die nicht zur PWRC zählende Finnland-Rallye endet für Aigner bald schon im unbequemen, weil nassen Teich. Schlimmer aber der Ausfall in Neuseeland – gleich auf der ersten Prüfung verliert Aigner seine Chancen, die Nullrunde schmerzt gewaltig. Es folgt der Sieg von Juho Hänninen in Japan, Aigner verliert die WM-Führung, liegt vor dem Finale in Wales sechs Punkte zurück. Der Titel scheint nun alles andere als gesichert zu sein – Aigner muss beim Finale in Wales zum Angriff blasen.

Doch an diesem geschichtsträchtigen Wochenende fand Aigner zurück zu seiner Bestform – mehr noch: Aigner fuhr in Wales wahrscheinlich die beste Rallye seines Lebens. Die schwierigen Verhältnisse in Form von vereisten, gefährlichen Schotterstraßen, der immense Druck, die sechs Punkte Rückstand und ein bärenstarkes PWRC-Feld – all das musste bewältigt werden. Doch Andi Aigner blieb stark, fand die richtige Mischung aus Speed und Zuverlässigkeit, krönte sich zum PWRC-Weltmeister.

Zukunft

Der Zielraum der letzten Wertungsprüfung der Wales-Rallye: Als der jubelnde Andi Aigner als neuer PWRC-Weltmeister gefragt wird: „See you in 2009?“, antwortet er kurz angebunden: „No, I don’t know.“ Anhand seiner Stimme kann man hören, wie sehr ihn die unsichere Zukunft schmerzt.

Vor der Wales-Rallye hat er von seinem Geheimtest mit dem Citroen C4 WRC erzählt, war hörbar schwer begeistert von dem Boliden: „Der Wagen ist ein Hammer!“ Noch weiß niemand, wie die nahe Zukunft des Andreas Aigner aussieht. Er hat jedoch seinen Teil beigetragen – die ihm bekannten Rallyes beendete er in dieser Saison ausschließlich auf dem Podium, als Sieger oder als Zweiter.

Dass Aigner reif ist für die WRC, hat er heuer eindrucksvoll bewiesen. Der Automechaniker, der in der Nacht „just for fun“ seine Runden gedreht hat, erfuhr binnen fünf Jahren quasi im Zeitraffer sämtliche Höhen und Tiefen des Automobilrennsports. Es waren intensive Lehrjahre, fast schon eine Art Hochschaubahn der Gefühle – doch Andi Aigner hat sie mit Auszeichnung absolviert.

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